Im Rahmen der 14. Coaching-Umfrage Deutschland, die von Jörg Middendorf im Zeitraum November 2015 bis Januar 2016 durchgeführt wurde, gaben 85 Prozent der 454 befragten Coaches an, das Präsenz-Coaching als dominierende Coaching-Form zu nutzen. 7 Prozent nutzen Telefon-Coaching, 4 Prozent arbeiten mit Video-Systemen wie Skype, 2 Prozent coachen via E-Mail, 2 Prozent über virtuelle Räume und computergestützte Expertensysteme. In der gleichen Befragung erreichte das Präsenz-Coaching bei der Bewertung der unterschiedlichen Coaching-Formen mit deutlichem Abstand die beste Beurteilung. Auf Platz zwei folgte Telefon-Coaching.
Generell lässt sich sagen, dass die Bewertung der Effektivität der unterschiedlichen Wege des Coachings durch die befragten Coaches mit zunehmender Digitalisierung abnahm. Gründe dafür können vor allem in einem Gefühl der Fremdheit gegenüber den neuen Technologien gesehen werden. Häufig herrscht unter Coaches in Deutschland noch Unwissen über die Formen und Maßnahmen virtuellen Coachings. Zugleich besteht ein Bedarf an Optimierung hinsichtlich dieser Coaching-Formen von Seiten der Coaches. Das Gefühl, dass virtuelles Coaching zu sehr von der Technik geprägt und somit zu unpersönlich sei, überwiegt nach wie vor, auch wenn sich diese Bedenken häufig durch die Erfahrungen in der Anwendung auflösen lassen (Geißler et al., 2013 & Geißler et al., 2014).
Dennoch scheint es aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit digitaler Medien und der dringenden Notwendigkeit der Nutzbarmachung dieser Kommunikationswege in allen Bereichen des arbeitsweltlichen Kontextes sinnvoll, Konzepte für ein virtuelles Coaching zu entwerfen. Virtuelles Coaching wird in diesem Zusammenhang als Unterform aller Formen des Coachings auf Distanz – als Sammelbegriff für alle Coaching-Formen, die moderne Medien nutzen – verwendet (DGFP, 2015). Es soll betont werden, dass virtuelles Coaching letztendlich schlicht Coaching ist. Somit gelten alle Merkmale des Coachings auch für ein Coaching im digitalen Kontext.
Lediglich unterschiedliche Graduierungen bestimmter Coaching-Aspekte müssen beachtet werden. So sind einige Wahrnehmungsaspekte im virtuellen Coaching eingeschränkt und nicht alle Übungen und Interventionen können aufgrund der räumlichen Distanz in der gleichen Form und/oder Intensität durchgeführt werden. Gleichzeitig soll virtuelles Coaching als eigenständiges Format verstanden werden. Das heißt, dass eine rein virtuelle Durchführung eines Coachings genau so möglich sein soll wie ein additives Format.
Die Durchführung eines virtuellen Coachings unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der Form eines Face-to-Face-Coachings. Nach einem Prozess der Auftragsklärung müssen die einzelnen Coaching-Sitzungen anhand der vereinbarten Rahmenbedingungen vorbereitet und geplant werden. Je nach den genutzten Formen technologischer Unterstützung kann der Zeitaufwand im Vergleich zum Präsenz-Coaching dabei sinken oder steigen. Die Durchführung ist geprägt von der Auswahl der digitalen Methoden und Interventionen.
Zu beachten ist allerdings, dass technologische Unterstützung dem Coach mehr und genauere Daten zur Auswertung zur Verfügung stellen kann. Diese detaillierten Informationen unterstützen den Coach bei der Auswertung und Nachbereitung der Ergebnisse der einzelnen Coaching-Sitzungen.
Zusammenfassend lässt sich somit deutlich herausstellen, dass der grundlegende Prozess des Coachings auch bei der Nutzung digitaler Methoden der gleiche bleibt. Lediglich die konkreten Formen und Maßnahmen unterscheiden sich im Vergleich zu Formen des Präsenz-Coachings.
Fünf zentrale Argumente können für die verschiedenen Formen virtuellen Coachings angeführt werden:
a) Geschwindigkeit und Flexibilität:
Da in virtuellen Räumen deutlich schneller auf akute Anliegen und Probleme der Klienten reagiert werden kann, wird eine flexible, rasche und bei Bedarf intensive Begleitung der Klienten im Coaching-Prozess unterstützt.
b) Raum- und zeitunabhängige Kommunikation:
Virtuelles Coaching ermöglicht eine raum- und zeitunabhängige Kommunikation sowie Interaktion mit den Klienten. Eine Begleitung ist damit weltweit oder auch auf längeren Geschäftsreisen möglich.
c) Ergänzung zum Präsenz-Coaching:
Unterschiedliche Klienten besitzen unterschiedliche Vorlieben bei der Aufnahme und Verarbeitung von Anliegen im Coaching-Prozess. Virtuelle Formate können Klienten somit bei der Bearbeitung von Coaching-Anliegen entgegenkommen. Auch grundsätzlich können additive Formate, beispielsweise durch die Nutzung von computergestützten Übungen und Visualisierungen als Ergänzung zum Präsenz-Coaching, die Erlebniswelt der Klienten massiv bereichern.
d) Berücksichtigung digitalisierter und globalisierter Welt:
In Zeiten der Digitalisierung und Internationalisierung, in der immer mehr auf virtuelle Arbeitsformate zurückgegriffen wird, sollte auch Coaching sich den neuen Gegebenheiten nicht verschließen. Eine Anpassung von Coaching-Methoden an die Bedingungen des digitalen Zeitalters erscheint sinnvoll. So arbeiten auch Unternehmen verstärkt in digitalen Teams zusammen, deren Mitglieder geographisch stark verteilt sein können oder den Arbeitsplatz häufig wechseln. Digitale Coaching-Methoden erscheinen hier insbesondere hinsichtlich Team-Coachings sinnvoll, aber auch Coaching über räumliche Distanz wird durch virtuelle Coaching-Formen ermöglicht. Letztlich werden Unternehmen, die sich den Prozessen der Digitalisierung verschrieben haben, auch bei der Suche nach Coaches und Beratern Wert auf digitales Know-how legen. Kenntnis über digitale Coaching-Methoden ermöglicht somit eine bessere Platzierung im Wettbewerb auf dem Coaching-Markt.
e) Geringe Kosten:
Letztendlich führen die geringen Kosten, die ein virtuelles Coaching verursacht, auf beiden Seiten zu betriebswirtschaftlichen Vorteilen (DGFP, 2015).
Zugleich lassen sich aber auch Risiken des virtuellen Coachings aufzeigen, die durch notwendige Kenntnisse und Vorgehensweisen des Coachs aufgefangen und bearbeitet werden müssen:
a) Reduktion ganzheitlicher Wahrnehmung:
Ein virtuelles Coaching reduziert die ganzheitliche Wahrnehmung des Klienten in Bezug auf Mimik, Gestik und Körpersprache. Es ist somit notwendig, die Kenntnisse des Coachs im Bereich der Sprach- und Stimmdiagnostik zu schulen, um die Wahrnehmung von Störfeldern in der Kommunikation zu erhöhen.
b) Einschränkung in (raumgreifenden) Übungen:
Somit lassen sich die Anforderungen an das virtuelle Coaching als höher ansehen als die des Präsenz-Coachings. Ein geschulter virtuell arbeitender Coach muss in der Lage sein, die Wirkung reduzierter Wahrnehmung auf den Coaching-Prozessverlauf zu antizipieren, und gleichzeitig seine ganzheitliche Wahrnehmung zum Erkennen aller Ausdrucksphänomene in Bezug auf die virtuellen Räume schulen. Mikrodiagnostik ist von entscheidender Bedeutung. So ist es im virtuellen Coaching nicht möglich, Erkenntnisse aus der Körpersprache, wie beispielsweise der Sitzhaltung, eines Klienten zu gewinnen. Auch bestimmte raumgreifende Übungen sind aufgrund der digitalen Distanz nur schwer oder gar nicht durchzuführen.
c) Zusätzliche spezifische Anforderung an den Coach nötig:
Dies hat zur Auswirkung, dass ein virtuelles Coaching in ungeschulten Händen kontraproduktiv wirken kann. Ist der Coach im digitalen Raum nicht in der Lage, die zugrundeliegenden Probleme und Anliegen des Klienten wahrzunehmen, so läuft er in die Gefahr, falsche Schlüsse aus den Äußerungen des Klienten zu ziehen und den Coaching-Prozess in Folge falsch aufzubauen.
d) Virtueller Rahmen nicht für jedes Thema geeignet:
Bestimmte Themen sind nicht für einen virtuellen Coaching-Prozess geeignet. Persönlich bewegende und stark emotional behaftete Themen scheinen doch nach wie vor im Präsenz-Coaching einen besseren Platz zu haben. Gerade bei derartigen Themenkomplexen ist es von zentraler Bedeutung, die Körpersprache, Stimmlage und andere Aspekte vollumfänglich wahrzunehmen, um adäquat auf akute emotionale Bedürfnisse, die im Coaching aufkommen, reagieren zu können. Die Distanz des virtuellen Coachings lässt ein effektives Bearbeiten stark emotionaler Themenkomplexe nicht in der gleichen Form zu wie ein Präsenz-Coaching. Ebenfalls sollte ein Coaching, in dem von digitalen Medien verursachter Stress oder ähnliche Themenkomplexe als Klientenanliegen bearbeitet werden, nicht durch digitale Methoden unterstützt werden, da in diesen Fällen gegebenenfalls die Probleme, die das Coaching behandeln soll, selbst den Coaching-Erfolg verhindern.
e) Technisches Know-how zwingend erforderlich:
Virtuelles Coaching benötigt eine hohe technische Qualität. Es muss sowohl ein funktionierender und stabiler technischer Rahmen auf Seiten des Coachs geschaffen werden als auch das technische Know-how vorhanden sein, bei technischen Problemen flexibel und schnell reagieren zu können.
f) Datensicherheit:
Die Verletzlichkeit des digitalen Raumes bringt besondere Anforderungen an die Vertraulichkeit und Datensicherheit im Coaching-Prozess mit sich. Die sensiblen Daten des Klienten müssen sicher und für andere unzugänglich gespeichert werden. Auch hier ist technisches Grundlagenwissen über Datensicherheit auf Seiten des Coachs eine notwendige Bedingung für einen reibungslos ablaufenden Coaching-Prozess (DGFP, 2015).
Trotz dieser Risiken sollte das Coaching die virtuelle Entwicklung des digitalen Zeitalters nicht verschlafen. Ähnlich wie Unternehmen sehen sich auch Coaches den Anforderungen der Digitalisierung ausgesetzt. Dies geschieht sowohl auf dem Gebiet der eigenen Methodik als auch auf der Seite der Klientenanliegen. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass Präsenz-Coaching aufgrund der zahlreichen digitalen Möglichkeiten keinen Wert mehr hat; virtuelles Coaching sollte als ergänzende Form des Coachings jedoch ernst genommen und weiterentwickelt werden, um die zahlreichen Möglichkeiten einer digitalisierten Welt auch im Coaching sinnvoll zu nutzen.