Im Gegensatz zu klassischen Methoden der Weiterbildung, die heute in nahezu jedem Unternehmen anzutreffen sind, handelt es sich beim Coaching um eine Methode deren Einsatz noch keineswegs selbstverständlich ist. Arbeitgeber unterscheiden sich sehr stark darin, ob und wie häufig sie Coaching anwenden. Letztlich ist der Einsatz von Coaching das Ergebnis der Entscheidung von verantwortlichen Personalern und Führungskräften. Im Rahmen unserer Studie setzen wir eine prominente Theorie aus der Psychologie ein, um das Verhalten dieser Entscheidungsträger besser verstehen zu können: Die „Theorie des geplanten Verhaltens“ (Ajzen, 1991; Ajzen & Fishbein, 2005).
Im Zentrum der Theorie steht die Frage, inwieweit das Verhalten eines Menschen von seinen Einstellungen (Meinungen, Werthaltungen, Überzeugungen etc.) abhängt. Spontan würden die meisten von uns wahrscheinlich annehmen, dass Menschen ihr Verhalten sehr stark an ihren individuellen Einstellungen ausrichten: Wer Umweltschutz für wichtig hält, würde sich demnach besonders umweltfreundlich verhalten. Wenn Entscheidungsträger im Unternehmen Coaching für eine wirksame Methode halten, würden sie Coaching besonders häufig zur Anwendung bringen. Die Forschung zeigt allerdings immer wieder, dass der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten nur gering ausfällt (Ajzen & Fishbein, 2005). Offenbar folgen Menschen in ihrem Verhalten nicht eins zu eins den eigenen Überzeugungen, sondern lassen sich durch andere Faktoren in ihrem Verhalten stark beeinflussen. Ajzen (1991) betrachtet in diesem Zusammenhang fünf Variablen (siehe Abb.):
Die Theorie des geplanten Verhaltens wird in der vorliegenden Studie zur Strukturierung des Vorgehens eingesetzt. Es wird untersucht, wie wichtig die genannten Variablen sind, wenn es um die Einführung des Coachings in einem Unternehmen geht.
Zum Einsatz kommt ein Online-Fragebogen, in dem zu allen fünf Variablen des Modells Items formuliert wurden, die sich explizit auf das Thema Coaching beziehen (siehe Tabelle). Bezüglich der Einstellung gegenüber Coaching wurden dabei zwei Facetten differenziert. Zum einen ging es um die wahrgenommene Wirksamkeit des Coachings, zum anderen um die wahrgenommene Seriosität des Ansatzes. Letzteres erschien uns besonders wichtig, weil Coaching immer wieder in der Diskussion steht, weil sich hier viele Scharlatane tummeln, die ebenso absurde wie wirkungslose Methoden vermarkten (Kanning, 2013). Dies kann sich negativ auf den gesamten Ansatz auswirken. Die Items werden jeweils auf einer fünfstufigen Antwortskala (von 1 = „trifft gar nicht zu“ bis 5 = „trifft voll zu“) bearbeitet. Bei der Frage zum tatsächlichen Einsatz des Coachings im Unternehmen (= Verhalten) wird nach der Anzahl der im eigenen Unternehmen durchgeführten Coachings pro Jahr gefragt. Den Abschluss bilden Fragen zur Demografie. Zielgruppe der Befragung sind Unternehmensvertreter, die Verantwortung für die Personalarbeit tragen.
In der Tabelle werden zum besseren Verständnis einzelne Beispielitems angeführt. Zudem wird dargestellt, wie viele Items den Befragten zu jedem Konzept vorgelegt wurden. In der letzten Spalte befinden sich Angaben zur Zuverlässigkeit des Verfahrens (Reliabilität) bezüglich der eingesetzten Items. Der Zahlenwert (Cronbachs Alpha) bewegt sich zwischen 0 und 1. Werte ab .6 gelten in der Forschung als Mindestanforderung. Bei geringeren Werten würde man das jeweilige Konzept so grob erfassen, dass eine Interpretation der Ergebnisse kaum sinnvoll möglich wäre.
An der Studie beteiligten sich 257 Personen (49,8 Prozent weiblich, 50,2 Prozent männlich, Durchschnittsalter 43,29 Jahre). 61,5 Prozent nehmen in ihrem Unternehmen Führungsfunktionen wahr, 29,6 Prozent sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Personalabteilung und bei weiteren 14,4 Prozent handelt es sich um die Inhaber des Unternehmens. Die Befragten stammen aus 13 verschiedenen Branchen. Die Unternehmensgröße variiert zwischen einem und 380.000 Mitarbeitern (Durchschnitt: 11.799 Personen).
Mit Hilfe der Berechnung sollen die Variablen identifiziert werden, mit denen sich der Einsatz von Coaching in den befragten Unternehmen erklären lässt. Zum Einsatz kommen dabei Regressionsanalysen. Mit Hilfe von Regressionsanalysen wird untersucht, wie gut sich eine bestimmte Variable über andere Variablen vorhersagen lässt. Im konkreten Fall geht es u.a. darum, wie gut sich das Verhalten der Befragten (Menge der durchgeführten Coachings pro Jahr) durch ihre Einstellungen zum Coaching, die subjektive Norm und die Kontrollüberzeugung vorhersagen lässt. Die Ergebnisse finden sich in der Abbildung wieder. Die Zahlenwerte können sich zwischen -1 und +1 bewegen. Ein Wert von 0 bedeutet, dass eine bestimmte Variable keinen Einfluss nimmt. Ein positiver Wert ist zu interpretieren im Sinne von: „Je größer A desto größer B.“ Negative Werte haben sich in dieser Studie nicht ergeben. Sie wären zu interpretieren im Sinne von: „Je größer A, desto kleiner B.“ Alle Zahlenwerte größer 0, die in der Abbildung dargestellt werden, sind statistisch signifikant. Dies bedeutet, dass die Ergebnisse nicht durch den Zufall zu erklären sind.
Zunächst zu der Frage, wie die Absicht, Coaching im eigenen Unternehmen einzusetzen, erklärt werden kann. Wie zu erwarten war, ist die Absicht umso höher, je größer die Befragten die Wirksamkeit des Coachings einschätzen. Die wahrgenommene Seriosität des Coachings spielt dabei keine Rolle. Etwa ebenso wichtig wie die wahrgenommene Wirksamkeit ist die subjektive Norm. Je stärker die Befragten glauben, dass Coaching eine etablierte Methode ist, desto größer ist auch ihre Absicht, Coaching einzusetzen. Der dritte Faktor, durch den die Absicht positiv beeinflusst wird, ist die Kontrollüberzeugung. Je eher die Befragten sich zutrauen, Coaching im eigenen Unternehmen einzusetzen, desto größer ist ihre Absicht, selbiges zu tun.
Ein Blick auf die Ergebnisse zur Erklärung des tatsächlichen Verhaltens, also des Umfangs, in dem Coaching in den Unternehmen eingesetzt wird, führt zu überraschenden Erkenntnissen. Zunächst fällt auf, dass der Einsatz von Coaching in den befragten Unternehmen weder durch die Einstellung der Befragten zum Coaching, noch von ihrer Absicht, Coaching einzusetzen, signifikant beeinflusst wird. Coaching kommt jedoch umso stärker in den Unternehmen zum Einsatz, je eher sie der Meinung sind, dass Coaching zu den üblichen, etablierten Methoden gehört (subjektive Norm), und je stärker sie sich selbst in der Lage sehen, Coaching im eigenen Haus zu realisieren (Kontrollüberzeugung).
Diese Ergebnisse führen zu der Frage, ob es nicht weitere Faktoren gibt, die den Einsatz von Coaching erklären könnten. Eine naheliegende Variable ist in diesem Zusammenhang die Unternehmensgröße. Schließlich ist plausibel, dass Coaching vor allem in größeren Unternehmen zum Einsatz kommt, die oft über ein breit gefächertes Portfolio unterschiedlichster Entwicklungsmaßnahmen sowie über größere monetäre Ressourcen verfügen. Eine Überprüfung dieser Annahme zeigt, dass die Größe des Unternehmens die mit Abstand wichtigste Variable darstellt. Je größer das Unternehmen ausfällt, desto häufiger wird hier Coaching eingesetzt.
Pointiert ausgedrückt zeigen die Ergebnisse der Studie, dass Coaching in den befragten Unternehmen nicht etwa eingesetzt wird, weil die Verantwortlichen an seine Wirksamkeit glauben oder weil sie es als eine seriöse Methode ansehen. Nein, Coaching wird eingesetzt, weil viele andere Unternehmen es auch machen und weil man es sich leisten kann.
Dieses Phänomen ist aus der Praxis der Personalauswahl durchaus bekannt. Wenn es um die Frage geht, ob eine bestimmte Auswahlmethode (z.B. hochstrukturierte Einstellungsinterviews) eingesetzt werden oder nicht, sind den Entscheidungsträgern die Kosten eines Auswahlverfahrens sowie das Verhalten anderer Unternehmen viel wichtiger als die Validität der Methoden (König et al., 2010). Das Entscheidungsverhalten wird weniger durch Sachverstand als vielmehr durch Moden und vermeintliche Sachzwänge getrieben (Kanning, 2015).
Auf den ersten Blick könnte dieser Umstand die Anbieter des Coachings kalt lassen. Auf den zweiten Blick offenbart sich hier jedoch ein großes Problem. Wenn sich die Entscheidungsträger in den Unternehmen mehrheitlich daran orientieren, was üblich ist, und Coaching vor allem dann einsetzen, wenn sie es sich leisten können, muss angenommen werden, dass die Qualität keine übergeordnete Rolle spielt. (In Coaching-Magazin 1/2019 wird diese Frage an gleicher Stelle näher untersucht). Hiervon würden vor allem unseriöse Anbieter profitieren. Dies ist weder im Interesse der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter, noch im Sinne der Vertreter eines professionellen Coachings.
Letztere müssen offenbar noch sehr viel stärker als bisher deutlich machen, was die Spreu vom Weizen trennt. Sie müssen belegen, dass ihr Handeln wirtschaftlich sinnvoll ist und dass der Einsatz fragwürdiger Methoden selbst dann sinnlos ist, wenn viele Unternehmen auf solche Anbieter hereinfallen. Hilfreich bei der Argumentation könnte sein, dass unseriöses Coaching (Kanning, 2013) nicht nur unnötige Kosten verursacht, sondern den Betroffenen auch Schaden zufügen kann (Schermuly et al., 2014). Studien zur Effektivität zeigen durchaus, dass Coaching positive Folgen nach sich ziehen kann (Theeboom et al., 2013). Dies gilt insbesondere, wenn es darum geht, Einstellungen zu verändern, die Selbstregulation der Klienten zu stärken und deren Wohlbefinden zu steigern. Als weitaus schwieriger erweist sich die Veränderung des Verhaltens. Hier muss man noch besser werden, um sich erfolgreich von Anbietern abzugrenzen, die vor allem durch unterhaltsame Interventionen (z.B. Führungskräftetrainings mit Pferden) oder die Vermittlung vermeintlicher Psychotricks (Deutung von Blickrichtung und Körpersprache etc.) kurzfristig positive Emotionen bei Klienten erzeugen, die eine hohe Suggestibilität mitbringen. Letztlich geht es nicht um kurzfristigen Applaus, sondern um nachhaltige Effekte.
Insgesamt muss es im Bereich des Coachings wie auch in vielen anderen Feldern der Personalarbeit das Ziel sein, dass die Entscheidungsträger allmählich Fachkompetenz aufbauen. Sie müssen lernen, ihr Handeln primär an der Evidenz einer Methode auszurichten.
In Ausgabe 1/2019 des Coaching-Magazins lesen Sie, mit welcher Fragestellung sich die hier vorgestellte Studie weiterhin beschäftigt hat: Nach welchen Faktoren wählen die befragten Entscheidungsträger Coaches aus?