Andreas Steinhübel (AS): Tatsächlich erinnere ich mich noch gut an unseren Anfang. Ich habe mir gesagt, wir starten das als Experiment. Und zwar als Experiment mit dem Ziel, unser Verständnis von Coaching und unseren Anspruch, die Selbstverantwortung bei anderen Menschen systematisch zu fördern, in eine gute Ausbildungsarchitektur zu überführen. Auch heute sind wir noch am Experimentieren und überprüfen fortlaufend, was sich verändert und was Unternehmen bzw. die Menschen in Unternehmen heutzutage wirklich brauchen. Natürlich kommt bei der Rückschau auch ein starkes Gefühl von Freude auf. Offengestanden hätte ich nicht gedacht, dass wir 50 Ausbildungsdurchgänge in dieser Konstanz und Teamdynamik erleben dürfen. Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit und Freude, auch auf einer ganz persönlichen Ebene.
Christopher Rauen (CR): Dem kann ich nur zustimmen. Auch ich hätte nicht gedacht, dass wir jemals an die Grenze von 50 Ausbildungen kommen würden. In der Tat war es 2002 zunächst einmal unser Ziel, eine Ausbildung anständig und erfolgreich durchzuführen. Wir haben uns dann gefreut, dass dies so gut funktionierte. Mit der Zeit haben wir die Ausbildung stetig weiterentwickelt, denn nicht nur die Welt, sondern auch wir selbst haben uns über die Jahre verändert.
AS: Die erste Ausbildungsgruppe war ein großes Highlight für mich, denn hier ist genau das eingetreten, was auch im Coaching passiert: Die Gruppe hat durch ihre Kompetenz etwas ermöglicht, was wir ergänzend beflügelt haben. Dies entspricht meinem Idealbild von Coaching: das gemeinsame Gestalten. Natürlich gab es bei 50 Ausbildungen sowohl Hochphasen als auch Phasen extremer Teamdynamik und gruppendynamischer Prozesse, so dass wir uns immer wieder damit auseinandergesetzt haben, wie wir professionell mit solchen Prozessen umgehen können. Christopher und ich sind keine Ausbilder, die nur abstrakt arbeiten. Das heißt, wir vermitteln nicht nur Wissen, sondern wir gestalten einen Prozess und sind daher Teil des Prozesses. So sind wir neben der Professionsrolle, der Ausbilderrolle und der Coaching-Rolle auch als menschliche Wesen involviert. Und genau das macht den Reiz aus. Häufig werde ich gefragt, ob mich das irgendwann mal gelangweilt habe, ob es mittlerweile Routinen gebe. Doch das kann ich deutlich verneinen, denn jede Ausbildung bietet etwas Neues: Die Gruppe ist neu, die Dynamik ist neu und das, was wir tun, ist neu. Natürlich haben wir bestimmte Grundsätze und Modelle, die mittlerweile sehr etabliert sind. Diese Struktur gibt Sicherheit und hilft, uns noch stärker auf die Gruppe und Themen einzulassen. Insofern gab es nicht nur ein Highlight, sondern sehr viele bewegende Momente. Um nur ein Beispiel zu nennen: Manchmal melden sich Teilnehmer nach zwei Jahren und erzählen, dass sie während der Ausbildung noch nicht alles verstanden, sie manches auch gewurmt und aufgeregt habe, doch jetzt seien sie ein großes Stück weitergekommen, was sie insbesondere unserer Ausbildung zu verdanken hätten. Das macht mich glücklich.
CR: Was ich bei jeder Ausbildung aufs Neue als Highlight empfinde, ist die Möglichkeit zu lernen. Das gilt nicht nur für die Teilnehmer, sondern auch für uns selbst. Ich finde es sehr interessant, dass es auch nach 49 Durchgängen möglich ist, immer wieder etwas zu lernen. Für mich persönlich ist es jedes Mal ein Highlight, wenn wir am Ende der Ausbildung eine kleine Abschlussfeier machen, bei der man sich nochmals auf einer anderen Ebene kennenlernt, und zwar eher auf einer kollegialen Ebene statt als Ausbilder und Auszubildende/r. Generell versuchen wir ein Gleichgewicht zu schaffen: Wir vermitteln durchaus Wissen, aber unser Schwerpunkt liegt darauf, Entwicklungsarrangeure zu sein. Das heißt, wir schaffen einen Rahmen, in dem die individuelle Entwicklung der einzelnen Teilnehmer möglich ist. So haben wir am Ende der zwölf Monate nicht nur Tools und Techniken vermittelt, sondern auch persönliches Wachstum gefördert. Wir möchten keine Coaching-Techniker, sondern kompetente Coaches mit Haltung ausbilden.
CR: Auch das war ein Entwicklungsprozess. Tatsächlich war die Ausbildung anfangs nicht 12 Monate lang. Sie war kürzer und bestand aus sechs Modulen – heute sind es neun Module. Wir haben auch hier viel dazugelernt und genau geprüft, was es braucht, solch einen Entwicklungsprozess anzuregen. Letztlich hat sich im Laufe der Zeit das Modell herauskristallisiert, mit dem wir erfolgreich arbeiten. Das soll nicht heißen, dass das Modell „in Stein gemeißelt“ ist – das entspricht generell nicht unserem Denken –, aber dass es in dieser Form einen guten Entwicklungsrahmen bietet, der sich bewährt hat, Menschen den Weg ins Coaching hinein zu ebnen.
AS: Mir ist wichtig, dass wir vor allem auf der Haltungsebene mit Teilnehmenden in Kontakt kommen. Dafür braucht man zunächst ein gewisses Maß an Sicherheit, etwas Handwerkliches, Methodisches und Tool-orientiertes. Unsere Arbeit ist auf der einen Seite sehr pragmatisch, auf der anderen Seite hat sie immer auch mit einem selbst zu tun. Ein Coach arbeitet aus unserer Sicht nicht abstrakt, sondern mit seinen Werten und seiner Persönlichkeit. Er muss sich zu vielen Dingen positionieren und muss lernen, mit den Themen der Klienten gut umzugehen. So haben wir im Laufe der Jahre festgestellt, dass dies einer Vertiefung bedarf, es dafür Zeit braucht, nämlich Zeit für Selbstklärung und Selbstarbeit. Auf diese Weise hat sich nach und nach der Zeitrahmen von 12 Monaten etabliert, der auch aus Teilnehmersicht sinnvoll ist, da er eine Vertiefung ermöglicht, gleichzeitig aber auch zu stemmen ist.
CR: In der Coaching-Ausbildung wird man viel mit fremd gedachtem Wissen, Konzepten und Anwendungsfeldern konfrontiert. Es braucht eine gewisse Zeit, das zu verstehen, zu sortieren und in das eigene Leben und Verständnis sowie die eigenen Handlungsmuster zu integrieren. Dies ist am Stück, innerhalb von 20 Tagen, nicht zu schaffen. Dafür braucht es eine gewisse „Verdauungszeit“. In den Präsenzphasen der Ausbildung können wir Impulse geben, aber die eigentliche Arbeit müssen die Teilnehmer selbst leisten: Sie müssen die Themen und gemachten Erfahrungen in sich aufnehmen, einsortieren und in ein eigenes Konzept überführen. Das braucht Zeit.
AS: Es gibt eine grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen der Ausbildung und dem Coaching. Im Coaching können wir durch gute Fragestellungen, durch Impulse und einer logischen Beratungsarchitektur einen Ermöglichungsrahmen schaffen. Das gleiche gilt für die Ausbildung. Die Hauptarbeit, das gelernte Wissen in das eigene Verständnis und Weltbild zu integrieren, ist Aufgabe des einzelnen Absolventen. Das kommunizieren wir auch ganz offen von Anfang an. Teilnehmer berichten uns immer wieder, dass dies unheimlich kraftvoll, unglaublich inspirierend, aber teilweise auch sehr anstrengend sei. Mittlerweile halte ich den Zeitkorridor von 12 Monaten als essentiell für unsere Ausbildung, da er es uns ermöglicht, die gewünschten Effekte zu erzielen.
AS: Unsere Ausbildung richtet sich im Kern an drei Personengruppen. Alle drei sollten das, was sie bei uns mitnehmen, in ihren jeweiligen Rollen nützlich einsetzen können. Erstens handelt es sich um Führungskräfte, die nicht Coach werden, sondern ihre Führungsbefähigung – aufbauend auf anderen Techniken, die sie bereits professionell beherrschen – erweitern möchten. Hier geht es um Themen wie Motivation, Selbstverantwortung, Problemlösungskompetenz bei Mitarbeitern etc. Zweitens haben wir HRler, die für ihre vermittelnde Rolle mehr Kompetenz erwerben möchten. Besonders für ihre beratende Funktion intern hilft ihnen das erworbene Coaching-Know-how. Drittens richtet sich unsere Ausbildung an Menschen, die als externe oder interne Coaches arbeiten und explizit diese Rolle wahrnehmen möchten. Unser Ziel ist es, für alle einen Rahmen zu bieten, ein Grundkorsett von Coaching-Kompetenzen zu erlernen und dieses rollenspezifisch umsetzen zu können. In diesem Sinn haben wir die Architektur der Ausbildung kontinuierlich weiterentwickelt.
CR: Tatsächlich nicht, wenn dies auch auf den ersten Blick so scheinen mag. Vielmehr verstehen wir die Unterschiedlichkeit als Ergänzung und Bereicherung. Die Grundidee unserer Ausbildung ist es, genau solche Konstellationen herbeizuführen und zu entdecken, wie ein bereicherndes Zusammentreffen aussehen kann. Unterschiedlichkeit mit der richtigen, förderlichen Haltung dahinter nehmen wir definitiv als Bereicherung wahr. Das heißt, Führungskräfte lernen nicht nur von uns, von HRlern und Coaches, sondern auch voneinander, was die gegenseitige Rollenerwartung ist und mit welchen unterschiedlichen Perspektiven man auf die gleiche Sache schauen kann. Das erleben wir als wirklich vorteilhaft und nicht als etwas, was sich gegenseitig ins „Gehege“ kommt.
AS: Ich finde das Label Führungskraft als Coach gefährlich. Grundsätzlich muss eine Führungskraft erstmal Führungskraft sein mit allem, was dazugehört, wie etwa disziplinarischer Verantwortung, Ergebnisverantwortung etc. Wenn dieses Rollenbild klar definiert ist, kann eine Führungskraft Coaching-Kompetenzen ergänzen. Aber eine Führungskraft kann nicht Coach ihrer Mitarbeiter sein. Das ist aus meiner Sicht „Pfusch am Bau“. Sprachlich ist der Begriff „Führungskraft mit ergänzenden coachenden Kompetenzen“ für mich der passendere – auch wenn er etwas komplizierter auszusprechen ist.
CR: Das kann ich nur unterschreiben. Ich glaube nicht, dass es – bis auf sehr seltene Ausnahmen –eine Führungskraft als Coach geben kann, aber durchaus Führungskräfte mit einer coachenden Haltung. Es ist wichtig, dass man seine Rolle kennt und nicht versucht, zwei durchaus konträre Rollen in einer Person zu vereinen. Es ist sinnvoller, sich erstmal über eine Rolle klar zu werden. Die meisten Führungskräfte sind dankbar, wenn sie für sich erstmal Klarheit darüber haben, was Führung ist. Hier jetzt noch eine Coaching-Rolle draufzulegen, überfordert die meisten. Zumal es nicht so simpel ist, als Coach zu arbeiten. Man kann nicht so eben mal coachen. Das ist eine Überforderung, die man keiner Führungskraft nahelegen oder aufdrängen sollte, nur weil es gut zur Firmenkultur passen würde. Aber Führungskraft zu bleiben und eine coachende Grundhaltung einzunehmen, sich sozusagen ein Stück weit als Entwicklungsarrangeur seiner Mitarbeiter zu verstehen, das halte ich für sehr sinnvoll.
CR: Der Hauptgrund ist, dass wir selbst, als Coaches, tatsächlich integrativ arbeiten. Wir sind beide, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, sehr stark geprägt von dem systemischen Modell. Auch wenn wir das systemische Modell als sehr gut empfinden, hat es aber auch spezifische Schwächen. Vieles, was in anderen Ansätzen sehr gut herausgearbeitet ist, existiert unserer Einschätzung nach hier nicht oder nur sehr unzureichend. Deswegen glauben wir, dass ein Coach in der Lage sein sollte, mit unterschiedlichen Denkmodellen zu arbeiten. Wenn wir über Coaching reden, reden wir nahezu immer über Perspektivenwechsel. Perspektivenwechsel bedeutet aber auch, dass derjenige, der versucht, einen Rahmen zu arrangieren, in dem Perspektivenwechsel stattfindet, selbst dazu in der Lage sein muss. Daher sehen wir das systemische Modell als ein sehr wesentliches, aber eben nicht als einziges Modell an. Unser integrativer Ansatz nimmt neben dem systemischen viele weitere, gut erforschte und wichtige Ansätze mit auf.
AS: Wenn ich mir unseren Ansatz als Bild vorstelle, sehe ich in der Mitte ein pfeilähnliches Gebilde. Das ist die prozessuale Logik. In diesen Pfeil integrieren sich verschiedene methodische Ansätze und Zugänge, die wir alle bewusst kritisch geprüft haben. Wichtig ist, dass die Ansätze eine logische und wissenschaftliche Herleitung aufweisen und dass eine Modellebene zu erkennen ist. Kernziel unserer Ausbildung ist, dass alle Teilnehmer ihr eigenes Coaching-Konzept entwickeln, das für sie und ihre Zielgruppe stimmig ist. Und das geht nur, wenn man Varianz kennenlernt. Dabei zielen alle Methoden und Konzepte, so unterschiedlich sie auch sein mögen, auf den gleichen Effekt ab: Im Coaching geht es nicht um Wunderheilung oder darum, schnelle Ziele zu erreichen, sondern um menschliche Weiterentwicklung. Die zentrale Frage, die auch uns nach wie vor antreibt, lautet: Was braucht menschliche Weiterentwicklung und wie kann ein Coach dazu beitragen?
CR: Diese Kriterien sind sinnvoll, weil unser Angebot im Rahmen der Ausbildung ankopplungsfähig sein muss. Und das – so hat uns die Erfahrung gezeigt – ist in der Regel dann der Fall, wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die über eine gewisse Berufs- und Lebenserfahrung verfügen und die unter Beweis gestellt haben, dass sie in der Lage sind, eine Ausbildung oder ein Studium bis zum Ende durchzuführen. Hier fällt unser Angebot auf fruchtbaren Boden. Es geht also keinesfalls um akademischen Standesdünkel, sondern um die Frage, was es braucht, um von der Ausbildung voll profitieren zu können.
AS: Schwierig … Das führt zu der generellen Frage, ob ein junger Mensch – von 20+ Jahren – Coaching lernen kann. Ich würde sagen: grundsätzlich ja. Ob er aber auch die Akzeptanzzuschreibung von möglichen Klientensystemen bekommen kann, ist fragwürdig und hängt stark vom Einzelfall, vom Klienten und der Kommunikation des Coachs ab. Ein junger Coach wird vom Klienten unweigerlich gefragt: „Warum glauben Sie, mir nützlich sein bzw. mich unterstützen zu können?“ Unser Ziel bei der Ausbildung ist es, dass jeder Absolvent am Ende mit seinem Coaching-Modell erfolgreich sein kann. Somit liegt es auch in unserer Verantwortung, keine falschen Illusionen zu wecken, sondern einen Rahmen zu schaffen, der am Markt Bestand haben und tragfähig sein kann. Deshalb regen wir jüngere Menschen im Vorfeld dazu an, ihre Ziele genau zu prüfen. Davon abgesehen sind Christopher und ich gute Beispiele dafür, dass man auch in relativ jungen Jahren bereits als Coach arbeiten kann. Generell haben wir beobachtet, dass die Ausbildungsgruppen, die altersheterogen zusammengesetzt sind, gut voneinander lernen können. Und darauf achten wir auch. So war unser jüngster Teilnehmer 25, unser ältester 65 Jahre alt.
CR: Man kann bei uns gar nicht die Ausbildung buchen, sondern man bucht zunächst das erste Modul. Wie im guten Coaching auch, kommt es erst dann zu einem Entscheidungsprozess, der gegenseitig ist. Das heißt, die Teilnehmer entscheiden sich für uns und wir entscheiden uns für die Teilnehmer. Niemand muss die „Katze im Sack“ kaufen. Dies ist ein großer Vorteil, weil die Versprechungen, die teilweise am Markt gemacht werden, in der Realität nicht zu halten sind.
AS: Ich würde sagen, dass unsere Ausbildung durch ihre sehr gute Kombination aus Struktur, Technik und Selbstreflexion besticht. Die Ausbildung ist hochgradig pragmatisch und funktional, dabei gleichzeitig sehr philosophisch. Diese besondere Mischung verbunden mit dem integrativen Ansatz zeichnen uns aus.
CR: Nicht zuletzt lebt die Ausbildung auch von unserer Dynamik als Ausbilderduo. Das ist etwas Besonderes und kann nicht kopiert werden. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man nur einen Ausbilder oder zwei Ausbilder gleichzeitig hat, die viel Erfahrung mitbringen, ein gutes Team sind und sich in ihrer Unterschiedlichkeit effektiv ergänzen.
AS: Teilweise fordern wir die Teilnehmer ganz schön heraus, so dass man durchaus von einer anstrengenden Ausbildung sprechen könnte. Wir liefern keine einfachen Antworten und sprechen auch bewusst Themen an, bei denen wir konträrer Auffassung sind. Wir verlangen von jedem Teilnehmer eigenständige Entscheidungen, denn wir wollen Coaches ausbilden, die auch bei anderen Menschen eigenständige Entscheidungen aktivieren können. Wir klären anfangs sehr sorgfältig mit jedem Teilnehmer, ob er/sie bereit ist, sich auch innerlich weiterzubilden. Denn es ist keine Funktionsausbildung. Wir bilden keine Coaching-Techniker, sondern ganzheitlich orientierte Menschen aus.
CR: Durchaus. In die Ausbildung fließt viel Input aus unserer eigenen Praxis als Coach ein. Natürlich sehen wir, welche Themen nachgefragt werden und versuchen, diese in die Ausbildung zu integrieren. Wenn wir also feststellen, dass es immer mehr Nachfrage zum Thema Agilität oder Konflikte gibt, sollte sich das unserer Ansicht nach in der Coaching-Ausbildung widerspiegeln. Dabei laufen wir aber nicht jedem Trend hinterher. Es handelt sich um eine lebendige Ausbildung, die sich entwickelt, so wie auch wir uns und der Gesamtmarkt sich weiterentwickeln. Daher wäre es nicht sinnvoll, heute eine Ausbildung anzubieten, die vor 20 Jahren konzipiert wurde.
AS: Mir gefällt der Begriff lebendige Ausbildung. In erster Linie arbeiten wir ja als Coaches und sind in unserer täglichen Praxis als Coach in vielen unterschiedlichen Firmen aktiv. Dort bekommen wir aktuelle Themen und Trends mit, die dann selbstverständlich auch in die Ausbildung einfließen. Wie Christopher schon sagte, laufen wir dabei aber nicht jeder Modewelle nach, die gerade hochgejubelt wird. Vielmehr fragen wir uns: Welche Trends lassen sich sinnvoll in Entwicklungsformate im Coaching integrieren? Uns ist wichtig, dass Teilnehmer sich zu Trends positionieren können und dazu eine klare, begründbare Meinung haben. Generell ist es unser Anliegen, dass unsere Absolventen eine klare Haltung und Positionierung entwickeln, die durchaus auch konträr zu unseren Ansichten sein können, aber begründbar und logisch sein müssen. Daher ist es eine lebendige, jedoch keine sich beliebig anpassende Ausbildung.
CR: Genau. Wir wollen unsere Teilnehmer herausfordern, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die für sie neu und teilweise auch unbequem sind. Ich sage immer: Lernen findet an der Grenze der Komfortzone statt. Um innerhalb der Komfortzone zu lernen, braucht man keine Coaching-Ausbildung.
CR: Provokation ist kein Selbstzweck, sondern steht nach meinem Verständnis im Dienste einer Sache. In diesem Fall geht es darum, Entwicklungsprozesse zu ermöglichen. Wie wir alle wissen, kann manchmal ein Angepiekst-werden einen starken Impuls auslösen und Prozesse in Gang setzen, die zuvor nicht möglich waren. Deswegen ist es wichtig, als Coach wie auch als Coaching-Ausbilder ein guter Sparringspartner zu sein. Wir sind keine Sandsäcke und es geht nicht darum, dass Klienten sich an uns abreagieren oder wir totes Wissen an Teilnehmer vermitteln. Vielmehr geht es darum, in aktive Interaktion zu kommen. Dazu gehört auch Reibung. Das empfinde ich als konstruktiv, weil die Haltung dahinter stimmt; man meint es gut. Zudem ist es hochgradig spannend und Teil einer Lebendigkeit, die ich persönlich sehr schätze.
AS: Ich finde den Aspekt, sich immer wieder in Frage stellen zu lassen, extrem wichtig. Das gilt auch für uns selbst. Hier bilden wir bewusst eine Reibungsfläche. Provokation ist hierfür sowohl ein adäquates Mittel als auch eine Haltung, die eines zwingend braucht: eine Basis tiefer Würdigung und Wertschätzung auf einer sehr persönlichen Ebene. Wenn dies gegeben ist, darf das Miteinander manchmal auch konträr oder provokant sein, aber es darf niemals entwertend sein. Hier schauen wir immer wieder aufs Neue, wie sich diese Haltung methodisch gut umsetzen lässt. Dies liegt mir persönlich sehr am Herzen, weil ich in meiner Arbeit als Coach viele Organisationen erlebe, bei denen Entwertung zur Tagesordnung gehört. Hier möchte ich gerne meinen Anteil leisten und immer wieder in die Diskussion gehen, denn Wachstum ist aus meiner Sicht der bessere Wert. Im Unterschied zu vielen anderen Ausbildungen vermitteln wir eben nicht nur Methodenwissen. Unser Anliegen ist es, eine reflektierte Haltung zu entwickeln. Und das gilt auch für uns. In dieser Hinsicht lernen wir unglaublich viel von Teilnehmern und manchmal auch von uns selbst. So sehen wir uns bewusst nicht nur in der Ausbilderrolle – das ist die formale Rolle, die wir während der Ausbildungszeit einnehmen –, sondern vielmehr als neugierige Mit-Lerner. Gemeinsam entsteht etwas in der Gruppe, was anfangs noch nicht abzusehen ist. Zu Beginn einer Ausbildung fragen wir die Teilnehmer immer: „Was sind Eure Ziele?“ Ähnlich wie im Coaching haben sich diese am Ende häufig verändert. Manche Ziele sind erreicht, manche sind auf einmal irrelevant. Aber ein Meta-Ziel haben wir immer, nämlich Wachstum und Entwicklung zu fördern.
CR: Hier möchte ich noch ergänzen, dass unsere Grundhaltung darin besteht, Teilnehmern nichts wegzunehmen. Ein „Mach mir das weg“ gibt es bei uns nicht. Stattdessen bekommt man etwas dazu: die Möglichkeit, Alternativen zu entwickeln und neue Erfahrungen zu sammeln. Auf dieser Basis kann man dann eine Entscheidung treffen. Jemand, der keine Wahlmöglichkeiten hat, kann sich nicht entscheiden. Dies führt letztlich dazu, dass das Mindset etwas freier wird, da er nun über Entscheidungskompetenzen verfügt, die zuvor in dieser Form nicht da waren. Das macht für mich eine gute Coaching-Ausbildung aus. Allerdings kann das im Einzelfall auch dazu führen, dass in Bereichen, die einem zuvor völlig klar erschienen, nun eine aktive Entscheidung erforderlich wird. Zu glauben, dass es dadurch automatisch einfacher würde, wäre eine Illusion. Aber wir sind überzeugt, dass man, um wirklich frei zu sein, immer eine Wahlalternative braucht.
AS: Ich bin generell kein großer Freund von Plänen. Tatsächlich frage ich mich lieber: Was reizt, was fasziniert mich? Unter dieser Prämisse habe ich auch mein unternehmerisches Dasein stets weiterentwickelt. So reizt es mich zum einen, immer wieder zu prüfen, welche Formate im Coaching wirklich nützlich sind. Zum anderen bewegt mich die Frage, welche technischen Neuerungen eine nutzbringende Ergänzung im Coaching darstellen. Hier geht es z.B. um Virtualisierung und die Frage, welche Coaching-Prozesse kostengünstig, schnell sowie zeit- und ortsunabhängig durch Künstliche Intelligenzen ersetzbar sind. Was bedeutet dies für den menschlichen Coach? Hierüber nachzudenken, ist wichtig, auch wenn ich keine Prognose wagen möchte. In meiner eigenen Coaching-Praxis erlebe ich bereits die Vorteile der Digitalisierung. Auch wenn ich gerne regional arbeite, so eröffnet die Technologie, Bild und Ton – sprich das Gesehene und das Gesprochene – in guter Qualität in Übereinstimmung zu bringen, ganz neue Möglichkeiten. Trotzdem bleiben sich Coaching und die menschliche DNS im Kern relativ ähnlich.
CR: Wie heißt es so schön? Gott lacht über Menschen, die Pläne machen! Ich fürchte, da steckt ein Körnchen Wahrheit dahinter. Allerdings lassen wir uns auch immer wieder gerne auslachen und schmieden munter Pläne. Dazu gehört, in die Zukunft zu blicken und zu orakeln, in welche Richtung sich das Coaching entwickeln und was dies in der Konsequenz für die Coaching-Ausbildung bedeuten könnte. Wir sehen, dass technische Entwicklungen auf uns zukommen, die vieles im Coaching verändern können, und natürlich denken wir darüber nach, inwieweit sich diese Neuerungen auch in einer guten Coaching-Ausbildung widerspiegeln sollten. Wir fragen uns, was diese Technologisierung nicht nur technisch, sondern auch mit dem Mindset der Menschen macht, wie wir mit der ausufernden Komplexität sowie mit neuen Arbeits- und Lebensmodellen umgehen können. Coaching findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern mit Menschen, in Organisationen, mitten im Leben, so dass man das sich dynamisch verändernde Umfeld nicht ausblenden kann. So haben wir stets den Blick nach vorne gerichtet und bringen neue, aktuelle Themen in die Ausbildung mit ein. Wir möchten das Interesse der Teilnehmer wecken, sich auch mit der Zukunft des Coachings auseinanderzusetzen.
Das Interview führte Alexandra Plath, redaktion@coaching-magazin.de
Informationen: www.rauen.de/ausbildung.html