Coaching wird immer häufiger in Konzepten der Bildungsträger des österreichischen Arbeitsmarktservice (AMS) genannt. Vor zehn Jahren wurde die Arbeitsmarktverwaltung aus dem damaligen österreichischen Bundesministerium für Arbeit und Soziales ausgegliedert und das AMS als Dienstleistungsunternehmen des öffentlichen Rechts gegründet. In Konzepten diverser Einrichtungen, welche Kursmaßnahmen für das AMS abdecken, wird Einzel-Coaching angeboten. Der Begriff „Coaching“ signalisiert emotional konnotiert Aktualität und Modernität. Bei genauerer Betrachtung, so bedauern Kritiker, orte man allerdings zumeist nur eine herkömmliche Einzelarbeit mit den Beschäftigungslosen.
Die Zielgruppe Beschäftigungsloser ist für Coaching untypisch und erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht unproblematisch. Denn unter Umständen kämpft das Klientel mit geringen finanziellen Mitteln und „Überlebensthemen“, was allerdings auf einen besonderen Bedarf und eine besondere Kompetenz in der Begleitung dieser Zielgruppe schließen lässt. Untypisch ist aber auch ein hoch qualifizierter Coach, der für ein vergleichsweise geringes Honorar Coaching in diesem Kontext anbietet. Denn in der Arbeitsmarktpolitik herrscht der Imperativ der Einsparung, der ebenfalls in den Vergaberichtlinien und in den Bewertungen von Maßnahmen durch das AMS eine Rolle spielt. Bildungsträger unterliegen einem Preisdruck durch die Konkurrenz und versuchen die Maßnahmen möglichst günstig anzubieten, was sich jedoch auf die Qualität und unter anderem auch auf eine niedrige Bezahlung der Trainer und Coachs auswirkt. Selbst wenn geschultes Personal zur Verfügung stünde, würde sich die Frage stellen, ob klassisches Coaching unter den vorliegenden Bedingungen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik überhaupt umsetzbar wäre.
Die Analyse (Zechner, 2008) von Interviews mit Experten und Expertinnen, einer kleinen Gruppe von Coachs, welche in Österreich versuchen, „echtes“ Coaching mit Arbeitslosen zu praktizieren, konnte aber zeigen, dass Coachs im AMS-Kontext in der Praxis Strategien entwickeln konnten, um diesen „ungünstigen Voraussetzungen“ zu begegnen – was den Handlungsbedarf aufseiten des AMS und auch aufseiten der Bildungsträger keineswegs schmälert. Die Zielgruppe in der Untersuchung waren Beschäftigungslose, wobei unterschieden wurde zwischen Beschäftigungslosen generell und „problematischen“ (Langzeit-) Beschäftigungslosen. Die Studie (s. Kasten) widmete sich vor allem dem Coaching von Menschen mit psychischen, physischen oder/und sozialen Einschränkungen, mit Gesetzeskonflikten, Alkohol-, Drogenproblemen und so weiter.
In Anlehnung an Meuser und Nagel (1997) wurde auf das Experteninterview als Methodik zurückgegriffen, um so komplexe Wissensbestände sammeln, mittels qualitativer Inhaltsanalyse auswerten und die Ergebnisse im Sinne der Implementationsforschung in die politische und pädagogische Praxis umsetzen zu können. Diese Methode versteht sich zum einen – dank einer relativ offenen Interviewform – als explorativ mit „Entdeckungscharakter“, die im Vergleich mit einem standardisierten Interview ein Mehr an Informationen zulässt, zum anderen – dank eines vorformulierten Interviewleitfadens – als systematisierend.
Basis in der Wahl der Experten waren die Zuweisungen, die von den Organisationen selbst vorgenommen wurden. Es wurde versucht, die Wahl so zu treffen, dass die einzelnen Experten aus verschiedenen Maßnahmen oder Organisationen stammen. Da es keine allgemeingültigen Merkmale eines Coachs gibt, gestaltet sich in der Praxis die systematische Suche nach den Experten als schwierig. Risse (2000) spricht in diesem Zusammenhang von einer hohen Fluktuation der Mitarbeiter und zum anderen von wenigen Interviewpartnern, die im Speziellen Beschäftigungslose coachen, was sich vorliegend bestätigte: Im Umfeld des AMS gibt es wenige, die als Experten infrage kommen; und innerhalb der Coaching-Verbände findet sich nur vereinzelt ein Coach, der eine Expertise mit Beschäftigungslosen hat.
Die Auswertung der Experteninterviews erfolgte in Form einer Extraktion: Dem Text wurden Informationen entnommen und diese getrennt vom Text weiterverarbeitet. Die Ergebnisse wurden darauffolgend interpretiert, Aussagen verknüpft und Befunde erstellt. Die qualitative Inhaltsanalyse wurde durch die Software MAX.QDA2007 unterstützt. Ursächliche Bedingungen, der Kontext, die intervenierenden Bedingungen, die Handlungsstrategien, die interaktionalen Strategien und Konsequenzen der zentralen Kategorie sollten ergründet werden. Zusätzlich wurde eine vergleichende Analyse durchgeführt. Die Studie wurde in Buchform publiziert, wobei die Ergebnisse durchzogen sind mit erkenntnistheoretischen Theorien, Auszügen aus den Interviews und Darstellungen von Zusammenhängen und Widersprüchen.
Werden die von Rauen (2004) beschriebenen Werte (s. Kasten), die zwar nicht Garant, aber eine gute Voraussetzung sind, um generell im Coaching „Erfolg zu haben“, mit den Rahmenbedingungen des Coachings in Maßnahmen des AMS verglichen, zeigt sich ein etwas tristes Bild. Es wird aber auch etliches Verbesserungspotenzial und Handlungsbedarf deutlich.
Eine Hauptursache, die in Folge auch andere Rahmenbedingungen für das Coaching in AMS-Maßnahmen verschlechtert, ist die Problem-Auftrags-Paradoxie. Backhausen und Thommen (2006) bezeichnen bereits die Idee zu einer Beratung seitens einer Organisation für einen Klienten, Kunden oder Mitarbeiter als eine Intervention. Die Problemdefinition obliegt dem Auftraggeber AMS und nicht dem Klienten selbst, damit wird das Selbstbild des Klienten infrage gestellt. Widerstand und geringe Motivation seitens des Klienten können die Folge sein, zudem damit nicht gewährleistet ist, dass der Klient die gleichen Ziele verfolgt, wie das AMS.
Wird das eigentliche Anliegen des Klienten überdeckt mit dem Anliegen des AMS, kann das Coaching in ein „Anpassungs-Coaching“ münden (Sassen & Vogelauer, 1998). Sowohl der Auftraggeber als auch der Klient sucht im Berater einen Verbündeten, der mit der Auftragserteilung automatisch die „Unschuld des Externen“ verliert. Konflikte, Konfusion oder Zerrissenheit sind die Folge. Der Coach ist in erster Linie seinem Auftraggeber, der Problem definierenden Seite, verpflichtet, darunter leidet jedoch unter Umständen das Vertrauen zwischen Coach und Klienten, es sei denn, es gelingt, „so schnell wie möglich für beide Seiten der Ambivalenz glaubhaft die Rolle eines Beobachters 2. Ordnung einzunehmen, um so ‚Mittler zwischen den Welten’ zu sein“ (Backhausen & Thommen, 2006).
Ist eine Vertrauensbasis geschaffen, werden in einem offenen Gespräch oft erst die wirklichen Beweggründe, Motive und Muster des Betroffenen sichtbar, welche nicht immer mit den Wünschen des AMS konform sind. Die wahren Hintergründe in der Jobsuche werden aber auch verschwiegen, oder es werden abgeänderte Versionen dargestellt. Voraussetzung für eine offene Kommunikation scheinen Vertrauen und Ehrlichkeit zu sein; zudem das Wissen, dass das Offenlegen der wahren Probleme keine negativen Konsequenzen vor allem seitens des AMS mit sich bringt.
Kommunikationsstrukturen zwischen dem Coach und dem AMS beruhen in vielen Fällen auf einer Art Bericht, Entwicklungsblatt oder Empfehlungsbogen. Es ist für die Klienten schwierig einzuschätzen, auf welcher „Seite“ der Coach tatsächlich steht. Die meisten Coachs kommunizieren den Klienten eine neutrale Haltung, trotzdem bedarf es in manchen Fällen einiger Gespräche, bis eine vertrauliche Gesprächsbasis geschaffen ist.
Grundsätzlich ist es im klassischen Coaching Voraussetzung, dass ein Coaching vom Kunden gewünscht wird (Radatz, 2003). Zieht man jedoch eine Parallele zum Businesskontext, tritt auch dort die Freiwilligkeit in verschiedenen Facetten auf. Auch dort kann man nicht immer nachvollziehen, ob und wie sehr eine wirkliche Bereitschaft zu einer aktiven Veränderung vorhanden ist.
Coachs versuchen in der Praxis mit Beschäftigungslosen, den negativen Beigeschmack einer Verpflichtung abzuschwächen, indem sie verstärkt die Chancen und den Nutzen betonen und dazu ermutigen, es zumindest „probehalber“ zu versuchen. Einige Coachs nutzen jedoch auch eine Art von Vorphase, um den „Boden fruchtbar“ und aus den Beschäftigungslosen potenzielle Klienten zu machen.
Coaching setzt ein funktionierendes Selbstmanagement beim Klienten voraus. Probleme von Beschäftigungslosen sind jedoch häufig weitaus existenzieller und gehen über die Einzelberatung von Menschen, die sich in schwierigen beruflichen Situationen befinden, hinaus (Birgmeier, 2006).
Aus den Interviews ergab sich eine Gruppe von Coachs, die dazu neigt, dem offiziellen Auftrag des AMS direkt Folge zu leisten und persönliche Anliegen und Probleme des Beschäftigungslosen – wenn möglich – hintanzustellen oder nur Raum zu geben, wenn es sich um eine wirkliche Notsituation handelt. Persönliche Probleme sind aus ihrer Sicht nicht der gewünschte Inhalt von Coaching-Gesprächen. Die Arbeitsuche wird als Ursprungsthema bezeichnet.
Die zweite Gruppe von Coachs postuliert als Philosophie ihrer Arbeit die Ganzheit des Menschen und vertritt die Ansicht, dass eine Arbeitsuche nur dann erfolgreich sein kann, wenn die anderen Lebensproblematiken und „Grundsicherungsthemen“ in das Coaching hineingenommen werden – ausgehend von der Annahme, dass ohnehin „alles zusammenhänge“.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass gerade in prekären Situationen der Coach die Rolle des Moderators wahren muss. Speziell diese Zielgruppe lädt ein, sich Problematiken anzunehmen, die aus anderer Perspektive betrachtet sekundär erscheinen. Man muss daher sehr achtsam sein und dem Klienten seine Eigenverantwortung lassen.
Ein zusätzlicher Punkt in der Diskussion der Rahmenbedingungen ist die Tatsache, dass Klienten manchmal einem Coach zugewiesen werden, ohne die Möglichkeit zu haben, unter verschiedenen zu wählen. Da der Coaching-Prozess nicht unwesentlich von der „Chemie“ zwischen dem Coach und dem Klienten mitbestimmt wird, kann diese Einschränkung Widerstand hervorrufen, insbesondere wenn der Coach aus irgendwelchen Gründen dem Betroffenen nicht zusagt: zu jung oder unsympathisch wirkt oder das „falsche“ Geschlecht hat. Die Möglichkeit, aus verschiedenen Coachs auswählen zu können, gesellt sich zu den Verbesserungsvorschlägen für das AMS.
Die unterschiedlichen Vorstellungen der ausübenden Coachs, Berater und Beraterinnen, die Vermischung der Tätigkeiten in den Sitzungen selbst und eine oft schlechte Kommunikation nach außen (was Coaching kann, welchen Nutzen es hat und welche Spielregeln dort gelten) sind verantwortlich für ein Abweichen vom klassischen Coaching. Man bemerkt in diesem Zusammenhang ein fehlendes „Marketing“ und eine fehlende „Positionierung“ des Coaching als Methode für Arbeitslose. Außerdem scheint es notwendig, das Verständnis von Coaching zu vereinheitlichen.
Gerade im Coaching mit Arbeitslosen ist es oft der Fall, dass der Wunsch nach Veränderung primär vom AMS ausgeht, zudem wird die Situation der Arbeitslosigkeit als von außen gesteuert erlebt. Durch die Konsumhaltung so mancher Arbeitsloser (im Sinne von: „Die sollen nun wieder einen Arbeitsplatz für mich finden“) verstärkt sich diese Passivität. Coachs nennen in diesem Zusammenhang auch die Gewohnheit an einen Zustand oder einen „versteckten Gewinn“ als Ursachen, welche einen Veränderungswunsch seitens des Kunden bremsen.
Als nützlichste Intervention, um einen Erkenntnis- oder einen Veränderungsprozess anzuregen, werden von den Coachs außergewöhnliche Fragestellungen genannt. Aufbauend auf dem Verständnis, dass jeder Mensch seine Welt und Wahrheit selbst konstruiert, gilt es, der Zielgruppe deutlich zu machen, dass sie die Welt, in der sie leben, durch die Art und Weise erzeugen, in der sie selbst die Welt betrachten. Die Initiative verbleibt somit beim Klienten als dem Experten seiner Welt. Der Anreiz von außen passiert in dieser Strategie also nicht in Form von Antworten und Lösungen, sondern in Form von Fragen, um durch experimentelles Denken zu neuen Sichtweisen zu kommen.
Wenn auch viele der Rahmenbedingungen sehr unvorteilhaft sind, befürwortet die Gruppe von Coachs den Einsatz von Coaching in Maßnahmen des AMS als wertvolle Hilfestellung in der Begleitung von Beschäftigungslosen. Sie bekennen sich auch zu Fällen wie Suchtkrankheiten, desolaten Familienverhältnissen und anderem, in deren Zusammenhang Coaching nicht das geeignete Instrument sei. Ein Andocken, ein Helfen, ist nicht immer möglich.
Die Analyse zeigt, dass die Sonderkonstellation des Coaching in solchen Maßnahmen eine Reihe von Problematiken mit sich bringt. Einige davon werden durch die Strategien in der Arbeit der Coachs aufgefangen, andere wiederum scheinen die Besonderheit des Coaching in diesem Kontext zu charakterisieren. Es wurde aber auch sehr deutlich, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Vonnöten ist:
Insgesamt wäre also viel zu tun, die Frage ist, wer setzt sich dafür ein? Solange für Coachs keine angemessenen Strukturen und Honorare geschaffen werden, scheint eine ideale Beratung oder ein Coaching für problematische Lebenskontexte von Arbeitslosen vorerst auf Eis zu liegen, obwohl diese Zielgruppe immer größer wird und sinnvolle Unterstützung angebracht wäre.
Im Zuge eines länderübergreifenden Austausches im Rahmen des 1. internationalen Coaching-Kongresses in Olten 2010 wurde klar, dass es in der Schweiz und in Deutschland durchaus fortschrittliche Ansätze und angemessenere Lösungen gibt als in Österreich. Ein Benchmarking mit erfolgreichen Konzepten wäre also zu empfehlen.
Im Rahmen dieses Kongresses wurde die Thematik des Einzel-Coaching im AMS-Kontext aber auch kritisch gesehen. Coaching sei dem Business-Kontext vorbehalten. Für Beschäftigungslose wäre eine Lebensberatung oder eine Supervision die passendere Maßnahme.