Fragen, meist mit systemisch-lösungsorientiertem Hintergrund, gelten im Coaching als Königsweg für den Erfolg. Entsprechend ist eine große Anzahl an Publikationen entstanden, die diese zentrale Intervention in den Blick nehmen. In dieser Praxisliteratur werden Fragen dabei oftmals rezeptartig nach Typus, Funktion und möglichen Anwendungskontexten wie etwa Phasen geordnet sowie anhand dekontextualisierter Beispiele beschrieben. Fragen, die in Praxis- und Lehrbuchsammlungen aufgenommen wurden, sind aus der Theorie hergeleitet und in der Praxis erprobt. Allerdings finden sich in dieser Literatur auch empirisch nicht haltbare Aussagen wie etwa die negative Bewertung geschlossener Fragen. Außerdem stellt ihre dekontextualisierte Darstellungsform insbesondere für unerfahrene Coaches eine Herausforderung bei der Umsetzung ins konkrete Coaching-Handeln dar: Fragen sind immer eingebettet in einen Kontext und müssen auf die Anwesenden, die jeweilige kommunikative Interaktion mit ihnen sowie die lokale sequenzielle Struktur des Gesprächs übersetzt werden. Die wissenschaftliche Überprüfung, wie diese Fragensammlungen im Coaching (erfolgreich) ein- und umgesetzt werden, ist dabei insgesamt noch ganz am Anfang. Der vorliegende Beitrag berichtet von einem aktuellen interdisziplinären Forschungsprojekt, das Fragen in den empirischen Blick nimmt und dabei einen Übergang von Eminenz zur Evidenz ermöglicht. Der Beitrag liefert auch Ideen und Anregungen für Coaches, diese Übersetzungsarbeit zu leisten.
Auf einen Blick
Wie sieht der Forschungsstand zu Fragen als zentrale Intervention im Coaching aus? Während die generelle Wirksamkeit von Coaching mittlerweile in zahlreichen Metaanalysen empirisch nachgewiesen ist, sind die Einsichten in den Coaching-Prozess selbst und den Beitrag von Coach und Klient/in immer noch sehr begrenzt. Forschende fordern deshalb, das konkrete verbale und non-verbale Verhalten aller am Coaching-Gespräch Beteiligten in den analytischen Blick zu nehmen (z.B. Ianiro & Kauffeld, 2015). Trotzdem gibt es kaum Forschung, die auf der Basis authentischer Coaching-Gesprächsdaten das reale Verhalten von Coach und Klient/in entlang einzelner Sitzungen und gesamter Prozesse dokumentiert und analysiert. Auch empirische Erkenntnisse über die In-situ-Realisierung (nicht-)erfolgreicher Interventionen wie etwa Fragen und ihren Beitrag zum Gelingen des Coaching-Prozesses sind noch sehr gering, wie auch Jordan und Kauffeld (2020) betonen. Bis dato existieren in der psychologischen Ergebnis- bzw. Prozess-Ergebnisforschung nur wenige Studien, die sich mit Fragen beschäftigen. Diese adressieren ausschließlich problemorientierte und/oder lösungsorientierte Fragen und deren Einfluss auf den Coaching-Erfolg. Grant und O’Connor (2018) kommen dabei u.a. zum Ergebnis, dass lösungsorientierte Fragen stärker zu positiven Ergebnissen führen als problemorientierte. Während die globale Veränderungsrelevanz von lösungsorientierten Fragen somit empirisch belegt werden kann, gibt es mittlerweile auch Erkenntnisse darüber, dass lösungsorientierte Fragen lösungsorientierte Antworten anregen. So konnten z.B. Jordan und Kauffeld (2020) zeigen, dass lösungsorientierte Fragen in einem positiven Zusammenhang mit der Produktion von lösungsorientierten und „selbstwirksamen“ Antworten stehen. Allerdings kann immer noch wenig über die tatsächliche Verwendung von problem- bzw. lösungsorientierten Fragen sowie über das Auftreten und die Wirkung anderer Fragetypen im authentischen Coaching-Gespräch ausgesagt werden. Existierende Studien arbeiten ausschließlich mit Studierenden, untersuchen vorab thematisch auf Problem- oder Lösungsorientierung festgelegte Sitzungen und setzen ein Set an wörtlich vorformulierten Fragen ein.
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