Portrait

Interview mit Dr. Marc Lindart

Wie die Erfolgswahrscheinlichkeit im Coaching erhöht wird

Im Coaching kann es keine Erfolgsgarantien geben. Umso mehr sollten sich Coaches Gedanken darüber machen, wie sie die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Coachings erhöhen. Für Dr. Marc Lindart steht fest: Um dies zu erreichen, ist es hilfreich, sich auf die wirkungsrelevanten Faktoren und Ebenen eines Coachings zu konzentrieren und diese anhand eines multidirektionalen Ansatzes anzusprechen. Im Rahmen seiner Dissertation machte Lindart, der seit rund 15 Jahren als Coach für Führungskräfte fungiert, vier Wirksamkeitsebenen mit insgesamt 16 Wirkfaktoren ausfindig.   

18 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2022 am 23.02.2022

Ein Gespräch mit David Ebermann

Sie arbeiten seit rund 15 Jahren als selbstständiger Coach. Wen zählen Sie zu Ihren Klientinnen und Klienten? Welche Themen und Anliegen führen diese zu Ihnen ins Coaching?

Meine Klientinnen und Klienten stammen im Wesentlichen aus zwei Bereichen. Zum einen handelt es sich um Unternehmen, für die ich etwa 60 Prozent meiner Coaching-Tätigkeit aufwende. In diesem Kontext begleite ich Führungskräfte unterschiedlicher Managementebenen. Darunter befinden sich Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, Führungskräfte der mittleren Ebene sowie Nachwuchskräfte. Thematisch geht es in diesem Segment ganz klar um Führung und die Entwicklung von Potenzialträgern. Manchmal steht auch die Bearbeitung von Konflikten an, aber Führungsthemen bilden den Schwerpunkt. Zum anderen coache ich Privatpersonen. Hier spielen neben Führungsthemen auch Karrierefragen eine große Rolle. 

Das Coaching einer hochrangigen Führungskraft dürfte sich stark von jenem eines Potenzialträgers unterscheiden. Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede?

Wir haben hier ganz unterschiedliche Ausgangssituationen. Bei der Entwicklung von Nachwuchsführungskräften steht häufig die Frage im Zentrum, wie diese überhaupt führen möchten. Oft fehlt es an Klarheit, worin die eigene Führungsrolle besteht, wie sie ausgefüllt und mit den eigenen Werten sowie dem Umfeld in Einklang gebracht werden kann. Das Coaching zielt darauf ab, die Potenzialträger in eine authentische Führungsrolle zu begleiten. Die gestandenen Führungskräfte stehen dagegen, obwohl sie bereits arriviert sind, nicht selten vor konkreten Herausforderungen, die z.B. die Führung ihrer Teams betreffen. 

Ein aktuelles Beispiel aus meiner Praxis betrifft die Einführung der Arbeit im Homeoffice. Die Führungskraft war es gewohnt, in sehr engem persönlichem Kontakt mit ihrem Team zu stehen und ihr Führungshandeln entsprechend zu gestalten. Die Möglichkeit eines spontanen Gesprächs, face-to-face, war ihr sehr wichtig. Nun musste sie – nachdem sie zudem eine Zeit lang gesundheitsbedingt ausgefallen war – einen Weg finden, sich an die neuen Umstände anzupassen. Im Coaching erarbeiteten wir zunächst, wie die Führungskraft wieder mit dem Team in den Austausch kommen konnte, um eine gute Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen. Im zweiten Schritt reflektierten wir, was gute Führung auf Distanz ausmacht und welche Haltung sowie Vereinbarungen es dafür braucht. Dazu gehört natürlich Vertrauen, aber ebenso ist die Frage zu beantworten, welche Regeln geschaffen werden sollen, wenn fortan anhand anderer Kommunikationsmethoden gearbeitet wird. Diese Aspekte haben wir – unter Berücksichtigung des Kontextes und der Persönlichkeit der Führungskraft – systematisch reflektiert und Lösungen erarbeitet. Sehr relevant ist in diesem Zusammenhang das Beziehungsmanagement. Es galt, alle Teammitglieder einzubinden. Auch diejenigen, die im virtuellen Rahmen eher zurückhaltend agieren. Niemand sollte zuhause „vereinsamen“. Wertschätzung und Anerkennung zum Ausdruck zu bringen, ist diesbezüglich sehr wichtig. Kurzum: Wir haben definiert, worin Erfolgsfaktoren virtueller Arbeit bestehen, haben sie mit Inhalten gefüllt, diese auf die Person der Führungskraft übertragen und den Transfer begleitet. Im Laufe der Zeit ist die Führungskraft immer besser mit der neuen Situation zurechtgekommen und wurde sicherer in ihrem virtuellen Führungshandeln – das hat sich letztendlich positiv auf die gesamte Teamsituation ausgewirkt. Das Thema Führung auf Distanz war zu Beginn der Pandemie für viele Führungskräfte neu und durchaus herausfordernd, wenngleich auch viele positive Erfahrungen gesammelt werden konnten.

Welche Rolle spielen psychische Belastungen im Führungskräfte-Coaching?

Belastungsfragen begegnen mir im Coaching von Führungskräften und anderen Mitarbeitenden immer wieder. Im Coaching wird dann beispielsweise die Frage behandelt, was der Mensch benötigt, um sich in den richtigen Situationen von der Arbeit abzugrenzen, zu einigen Dingen „Nein“ zu sagen – ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Selbstfürsorge ist hier ein gutes Stichwort. Vor einigen Jahren wurde in diesem Kontext noch häufig von Burnout-Prävention gesprochen und diese auch vermehrt explizit angefragt. Der Begriff hat in meiner Wahrnehmung aber an Konjunktur verloren. In der Pandemie ist mir ein weiteres Phänomen häufiger begegnet: Wenn Führungskräfte die Führung auf Distanz nicht ausreichend wahrgenommen und nicht für regelmäßigen Kontakt gesorgt haben, entstanden bei Teammitgliedern Sinn- und Vereinsamungsfragen, die sie durchaus belasteten. In meinen Gesprächen mit betroffenen Personen stellte es sich als hilfreich heraus, diesen zu verdeutlichen, dass sie einen intensiveren Austausch gegenüber der Führungskraft durchaus einfordern und die Beziehungsgestaltung ihrerseits aktiv beeinflussen können, anstatt sich nur reaktiv zu verhalten. Coaches können sie hierzu ermutigen.    

Sie coachen auch im Rahmen von Projekten. Worin besteht ein Projektleiter-Coaching?

Während man bei der Begleitung einer klassischen Führungskraft oftmals auch deren Umfeld betrachtet, nimmt man beim Projektleiter-Coaching die Projektstruktur in den Blick, inklusive der Prozesse und Beziehungen. Wie ist das Projekt aufgebaut? Wer sind die Stakeholder? Welche Kontextfaktoren wirken auf das Projekt ein? Sind diese Fragen beantwortet, gilt es zu analysieren, wo die Leitungsperson innerhalb dieses – in vielen Fällen sehr komplexen – Spannungsfeldes positioniert ist und wie sie ihre Projektleitung mit Blick auf die Projektziele möglichst wirksam ausführen kann. Es handelt sich somit um eine Systemanalyse mit anschließender Handlungsunterstützung.

Dr. Marc Lindart © Foto: Jakob Kamender

Dr. Marc Lindart © Foto: Jakob Kamender

Ihr Motto als Coach lautet: „Den Blick auf die wirksamen Dinge richten!“ Was verbirgt sich dahinter?

Das Motto bedeutet, den Blick auf Faktoren zu richten, die nachweislich zur Wirksamkeit von Coaching beitragen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dies ein sehr hilfreicher Ansatz ist, weil er einen Coach befähigt, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Er ermöglicht es, eine Metaperspektive einzunehmen, die veränderungsrelevante Faktoren betrifft und ein Stück weit von der oftmals aufgeworfenen Frage wegführt, welche Coaching-Methode besonders gut sei. 

Letztlich lassen sich Wirkfaktoren anhand vieler Methoden adressieren. Meiner Meinung nach ist es vorteilhaft, diese Faktoren im Blick zu behalten, um gezielt wirksamkeitsorientierte Entscheidungen treffen zu können. Coaches sollten daher nicht zu stark in Tools und Methoden denken. Über ein Spektrum an professionellen Tools und Methoden zu verfügen, ist hilfreich und notwendig. Man sollte sie aber nicht in den Mittelpunkt stellen. Wichtig sind vor allem die Beziehung, die Begegnung, Resonanz, Ziel-, Lösungs- und Ressourcenorientierung sowie das Anregen von Reflexionsprozessen. Pointiert könnte man sagen: Es kommt auf die Haltung an. Der Ansatz begleitet mich bereits seit meiner ersten Coaching-Ausbildung, die ich 2006 absolvierte. Damals ging es noch vorwiegend um psychotherapeutische Wirkfaktoren, die auf Coaching übertragen wurden. In der Zwischenzeit hat sich eine Menge im Bereich der Coaching-Forschung getan. Mittlerweile liegen viel differenziertere und aussagekräftigere Erkenntnisse über die spezifischen Wirkfaktoren von Coaching vor.

Der Frage, was Coaching wirksam macht, sind Sie auch im Rahmen Ihrer Dissertation nachgegangen. Was haben Sie herausgefunden?

2010 gab es noch eine relativ große Unklarheit in Bezug auf die Frage, was Coaching wirksam macht. Es gab bereits deutliche Hinweise darauf, dass Coaching wirkt. Aber mit Blick auf die Wirkfaktoren war noch nicht allzu viel Klarheit vorhanden. Die Prozessforschung steckte noch in den Kinderschuhen. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich zunächst eine systematische Analyse von 33 qualitativen und quantitativen wissenschaftlichen Studien durchgeführt. Im Ergebnis konnte ich 16 Wirkfaktoren auf vier Wirksamkeitsebenen identifizieren. Auffällig war für mich, dass die beziehungsorientierten Faktoren Wertschätzung, Empathie und Vertrauen – ähnlich wie in der Psychotherapie – empirisch schon recht stark untermauert waren. Ebenso wiesen Faktoren wie Ressourcenorientierung, Zielklärung, individuelle Anpassung und ergebnisorientierte Selbstreflexion schon eine recht tragfähige Grundlage auf. Der Wirkfaktor ergebnisorientierte Problemreflexion wurde nur in einer Studie identifiziert. Das deutet darauf hin, dass Coaching – wie in vielen Lehrbüchern dargestellt – tatsächlich als ein sehr lösungsorientierter Ansatz praktiziert wird. Der Faktor der organisationalen Unterstützung betrifft die Frage, wie die Organisationen und Führungskräfte der Klientinnen und Klienten dazu beitragen können, ein Coaching erfolgreich zu gestalten. Im Coaching erlebe ich es z.B. immer wieder als positiv, wenn Vorgesetzte der Gecoachten positive Veränderungen, die ihnen aufgefallen sind, in Form von Feedback rückmelden. Dies kann sehr motivierend wirken und die Veränderung unterstützen. 

Der zweite Teil der Dissertation bestand in einer qualitativen Erhebung. Mein Interesse dabei galt dem Coaching auf Basis des hypnosystemischen Ansatzes – primär in Bezug auf Dr. Gunther Schmidt – verbunden mit der Fragestellung, ob und aufgrund welcher Faktoren es wirkt. Ich stellte auf der Ergebnisebene positive Effekte fest. Führungskräfte wiesen eine gestiegene Arbeitszufriedenheit auf, gewannen Klarheit, die sie bei der Entscheidungsfindung unterstützte, und zeigten ein verbessertes Führungsverhalten. Der am häufigsten identifizierte Wirkfaktor war interessanterweise das Fragenstellen. Anhand von Fragen klären wir im Coaching Ziele, aktivieren Ressourcen, regen Reflexionsprozesse an. Das Fragenstellen kann daher als Möglichkeit definiert werden, den Fokus gezielt auf spezifische Wirkfaktoren zu richten: Zielklärung, Ressourcenorientierung, ergebnisorientierte Selbstreflexion. Für mich ist das Fragenstellen daher eine Art „Katalysator“ für andere Wirkfaktoren und ein ausgezeichnetes Instrument der Aufmerksamkeitsfokussierung. 

Mittlerweile arbeite ich deutlich weniger methodenorientiert als zu Beginn meiner Tätigkeit. Stattdessen stelle ich hauptsächlich sehr gezielte Fragen. Dabei ist es wichtig, mir immer bewusst zu sein, auf welcher der vier Ebenen des Wirkfaktorenmodells ich gerade arbeite. Die Ebene der Beziehungsgestaltung stellt die wichtigste Grundlage dar, damit ein Coaching-Prozess überhaupt funktionieren kann. Auf der Ebene der Strategien und Techniken kann ich mich fragen, ob es gerade z.B. mehr Zielklarheit braucht, mehr Ressourcenaktivierung notwendig oder das Anregen von Reflexionsprozessen gefragt ist. Hinzukommen die Ebenen der Kommunikation und der Organisation.  

Inwiefern prägt die hypnosystemische Veränderungsarbeit, in der Sie u.a. ausgebildet sind, Ihre Praxis?

Der hypnosystemische Ansatz prägt meine Arbeit deutlich – im Sinne einer wertschätzenden, ziel-, ressourcen- und lösungsorientierten Grundhaltung. Was mir an dem Ansatz besonders zusagt, ist der Umstand, dass nicht ausschließlich auf der rationalen Ebene gearbeitet wird. Stattdessen werden andere Hirnregionen in die Veränderungsarbeit einbezogen, häufig in sehr kreativer Weise. Ich arbeite nicht nur auf der Verstandesebene, sondern ebenfalls mit Bildern, Metaphern und körperlichen Haltungen oder Bewegungen, um weitere Hirnregionen erreichen zu können. Durch den hypnosystemischen Ansatz habe ich die Möglichkeit, einerseits eine intrapersonell-mentale und andererseits eine interpersonal-systemische Perspektive einzunehmen. Bei der Prozessgestaltung lege ich zudem Wert darauf, den Blick immer wieder auf das Beratungssystem zu richten, das Vorgehen metakommunikativ zu reflektieren und vor dem Hintergrund der identifizierten Ziele zu fragen: Wo stehen wir gerade? Muss der Prozess nachjustiert werden? Dies sind einige Prinzipien des hypnosystemischen Ansatzes, an denen ich meine Coaching-Praxis ausrichte.

Auf der Wirksamkeitsebene der Strategien und Techniken messen Sie der Ressourcenorientierung besondere Bedeutung bei. Weshalb?

Wenn Klientinnen und Klienten in ein Coaching kommen, beschreiben sie ihre Situation in der Regel als Problem. Diese Wahrnehmung kann zu einem Tunnelblick führen, der oft sehr defizitorientiert ausfällt. Durch die Ressourcenorientierung bzw. das gezielte Stellen ressourcenorientierter Fragen kann der häufig einseitig problemfokussierte Blick etwas gelockert und der Fokus verändert werden. Coaches können z.B. fragen, ob es weniger problembehaftete Ausnahmen von der berichteten Situation gibt, oder anhand welcher persönlichen Stärken vergangene Herausforderungen gelöst wurden. Dadurch gelingt es, die Person wieder mit ihren Stärken in Kontakt zu bringen und sie an diese zu erinnern. Das Problemerleben wird kontrastiert. Wenn Menschen sich ihrer Potenziale und Möglichkeiten bewusst sind, kommen sie erfahrungsgemäß auch wieder gut ins Handeln. Die Ressourcenorientierung ist daher wichtig, um bei Klientinnen und Klienten die Selbstorganisation anzuregen. 

Eine Geschäftsführerin, die ich coachte, beklagte eine hohe Unzufriedenheit mit ihrer Tätigkeit. Diese bot zwar hohe Verdienstmöglichkeiten, ließ ihr aber kaum Zeit für die Familie oder Freunde. Sie war sehr unglücklich. Ihre Position hatte sie aufgrund eines internalisierten familiären Karriereideals angestrebt. Bildlich gesprochen: Sie ist die Karriereleiter hinaufgestiegen, die Leiter stand jedoch am falschen Haus. Der erste Schritt, um der Klientin eine neue Perspektive zu geben, bestand darin, sie zu stabilisieren und ressourcenorientiert zu fragen: Was läuft denn – abgesehen vom Negativen – gut und welche persönlichen Kraftquellen bestehen? Als Kraftquelle kristallisierte sich – neben der eigenen Meditationspraxis – gemeinsame Zeit mit guten Freunden und einigen für sie besonders wichtigen Familienmitgliedern heraus. Im nächsten Schritt wurden Stärken und Interessen eruiert und abgeglichen. Neben Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Schreiben kam auch eine große Begeisterung für entsprechende Tätigkeiten zum Vorschein. Letztlich veranlasste dies die Klientin dazu, sich beruflich neu zu orientieren. Der Prozess hat mich beeindruckt, denn in ihrer neuen Position ist sie heute, nach einem mutigen Kurswechsel, sehr zufrieden.

Gibt es Situationen, in denen sich ein Coach in Sachen Ressourcenorientierung zurückhalten sollte?

Ja, es gibt Situationen, in denen Ressourcenorientierung wohldosiert eingesetzt werden sollte. Wenn eine Person sehr problemfixiert ist, würde sie eine ausgeprägte Ressourcenorientierung zunächst möglicherweise als mangelndes Verständnis für ihre Situation werten. Es bietet sich dann an, sich mit dem Blick auf die Ressourcen erst einmal zurückzuhalten und einige Schritte mit in die Problemwahrnehmung zu gehen, um dann aber nach und nach Fragen zu stellen, die darauf zielen, Perspektiven sowie Lösungs- und Entwicklungsmöglichkeiten ausfindig zu machen und Ressourcen zu entdecken, die der Umsetzung zugutekommen. 

Ein weiterer Faktor, den Sie auf der Strategieebene verorten, ist die Evaluation. Sie plädieren dafür, dass diese nicht nur nach Abschluss eines Coachings, sondern auch im Prozessverlauf regelmäßig stattfinden sollte.

Richtig. Um sicherzustellen, dass ein Coaching in eine gute Richtung läuft, ist es hilfreich, sich als Coach immer wieder nach der Prozesswahrnehmung der Gecoachten zu erkundigen und dabei auch nach Teilerfolgen zu fragen. Letzteres ist auch dann wertvoll, wenn die Fortschritte klein ausfallen, denn mit jeder Wahrnehmung des Vorankommens steigen aufseiten der Klientinnen und Klienten die Zuversicht und das Vertrauen in den Coaching-Prozess sowie in die eigenen Veränderungsmöglichkeiten. Es geht demnach – neben der Feststellung möglicherweise notwendiger Nachbesserungen am Vorgehen – auch bei der Evaluation um Ressourcenorientierung. Ich beginne fast jede Sitzung mit der Frage, was sich seit dem vorangegangenen Treffen getan hat, um die Aufmerksamkeit auf die Fortschritte zu lenken und um zu prüfen, ob wir in Richtung des Ziels unterwegs sind.

Sie wiesen bereits darauf hin, dass wichtige Wirkfaktoren nicht ausschließlich in der Zusammenarbeit von Coach und Klient, sondern ebenfalls auf organisationaler Ebene liegen. Sollten Coaches gezielt auf diese Ebene einwirken, um z.B. Unterstützung durch Vorgesetzte zu realisieren?

Im Zuge der Auftragsklärung kann gegenüber der Führungskraft angesprochen werden, dass ggf. die Möglichkeit besteht, die Entwicklung des Klienten positiv zu beeinflussen. Man kann dabei verdeutlichen, dass die Führungsverantwortung nicht endet, weil der Klient bzw. die Klientin ein Coaching beginnt, sondern das Gegenteil der Fall ist und das Ausüben dieser Verantwortung zum Erfolg des Coachings beitragen kann. Diesen Umstand anzusprechen, kann zunächst zu Irritationen führen. Nicht alle Führungskräfte sind offen dafür. Wenn man die Hintergründe erläutert, nehmen viele ihre Führungsverantwortung aber bewusster wahr und tragen so auch zum Erfolg des Coachings bei. Wichtig ist, dass der Einbezug der Führungskraft nach einer Reflexion der Gesamtsituation erfolgt und diese Intervention zum Kontext passt sowie zielführend ist.  

Wie stellen Sie die Nachhaltigkeit eines Coachings sicher?

Ich plädiere eher dafür, ein Coaching mit einer definierten Anzahl von Sitzungen über einen längeren Zeitraum zu strecken, damit eine anhaltende Begleitung gegeben ist und zwischen den Terminen möglichst viele Erfahrungen gemacht werden können. Ich halte es für wenig zielführend, sich jede Woche zu treffen und die Themen möglichst schnell abzuarbeiten. Fotoprotokolle – z.B. von Flipcharts – und konkrete Umsetzungspläne können den Transfer ebenfalls unterstützen. Darüber hinaus biete ich den Klientinnen und Klienten an, sich nochmals in Verbindung zu setzen und sich über die aktuelle Situation auszutauschen, wenn nach dem Coaching etwas Zeit vergangen ist. Meiner Erfahrung nach bleiben sie gedanklich länger am Ball, wenn es einen vereinbarten Zeitpunkt in der Zukunft gibt, an dem erneut auf das Erreichte geblickt wird.

Sie betonen, dass Erfolge im Coaching nicht linear-kausal anhand einzelner Wirkfaktoren erklärt werden können. Könnten Sie dies näher erläutern?

Es gibt viele Faktoren, die im Coaching zum Tragen kommen. Menschen sind in verschiedene berufliche und private Kontexte eingebunden, die ebenfalls auf die Veränderungsmöglichkeiten einwirken. Deshalb können Erfolge zumeist nicht monokausal auf einzelne Aspekte zurückgeführt und einzelne Faktoren nicht isoliert betrachtet werden. Impulse, die zu einer Veränderung beitragen, können aus vielen Richtungen kommen. Daher ist es im Coaching sinnvoll, unterschiedliche Wirksamkeitsebenen sowie weitere Kontextfaktoren zu betrachten und im Rahmen eines multidirektionalen Ansatzes anzusprechen.

Dr. Marc Lindart © Foto: Jakob Kamender

Dr. Marc Lindart © Foto: Jakob Kamender

Es geht also darum, die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen, indem die Wirkfaktoren möglichst zielführend einbezogen werden.

Ja, letztendlich geht es um Wahrscheinlichkeiten. Wenn ein Coach die verschiedenen Faktoren und Wirkungsebenen gut im Blick hat und weiß, wie er auf diese positiv einwirkt, kann er dafür sorgen, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Begleitung erhöht, wenngleich es nie eine Erfolgsgarantie geben kann. Wichtig ist es auch, Klientinnen und Klienten auf die eigene Umsetzungsverantwortung hinzuweisen und sie zu ermutigen, Dinge auszuprobieren und neue Erfahrungen zu machen.

An der Universität Münster haben Sie Pädagogik und Psychologie studiert. Zudem haben Sie ein wirtschaftswissenschaftliches Zusatzstudium absolviert. Weshalb haben Sie diese Fächer kombiniert?

Mich interessieren sowohl pädagogisch-psychologische als auch ökonomische Zusammenhänge, die in Organisationen ja auch zusammenwirken. Beide Logiken kommen hier zum Tragen, weshalb ich es im Kontext von Business-Coaching als sinnvoll erachte, auch beide Perspektiven einzunehmen. Sie vervollständigen sich meines Erachtens nach gegenseitig. 

Wie sind Sie zum Coaching gekommen?

Der erste Wegweiser war ein biografischer: Nach einem abgebrochenen Abitur habe ich sieben Jahre im Handwerk gearbeitet. Anschließend holte ich das Abitur nach und begann das Studium. Ich machte die wunderbare Erfahrung, wie schön es ist, plötzlich auf dem richtigen Spielfeld zu stehen. An der Universität wirkte ich in einem Projekt namens Meisterwerker mit, das für mich zum zweiten Wegweiser wurde. Hier wurde ich zum Trainer und Berater für personale und soziale Kompetenzen ausgebildet und machte mich mit verschiedenen Persönlichkeits- und Kommunikationsmodellen vertraut. Die direkte Arbeit mit den Klientinnen und Klienten hat mich begeistert. In den Trainings merkte ich aber auch schnell, dass ich im Gruppenkontext nicht immer ausreichend auf individuelle Anliegen der einzelnen Personen eingehen konnte. Am Rande der Veranstaltungen fanden schon Einzelgespräche statt. Es handelte sich zwar noch nicht um „richtige“ Coachings, ich stellte dabei aber fest, dass es sich lohnt, viel individueller und gezielter auf persönliche Hintergründe einzugehen. Dies nahm ich zum Anlass, noch während des Studiums eine erste Coaching-Ausbildung an der Universität Bielefeld zu absolvieren. Sie fokussierte wie bereits erwähnt auf Wirkfaktoren und beeinflusste mich nachhaltig, wenngleich mein Blick auf das Thema heute viel differenzierter ist. Letztlich kann ich sagen, dass mich die Freude an der direkten Veränderungsarbeit auf der Persönlichkeitsebene und das Erleben der Grenzen der Trainingsarbeit zum Coaching führten, insbesondere zum Einzel-Coaching.

Auch heute verbinden Sie den Hochschul- mit dem Coaching-Kontext …

Ja, an der FH Münster bin ich in einem Projekt tätig, dessen Ziel u.a. darin besteht, moderne Personalentwicklungsprogramme in Forschung und Lehre zu implementieren. Coaching-Angebote spielen dabei eine wichtige Rolle. Eine Zielgruppe sind Promovierende, eine andere Professorinnen und Professoren, bei denen sich ein Coaching beispielsweise um Führungsfragen drehen kann. Aus diesem Projekt heraus bin ich zu einer Gutachtertätigkeit für die Europäische Kommission gekommen. Im Rahmen dieser Initiative begleiten wechselnde Teams andere europäische Hochschulen bei der Organisations- und Personalentwicklung. Coaching, Karriereberatung und Führungskräfteentwicklung bilden hier einen integralen Bestandteil. Das ist sehr spannend, denn gerade in der Wissenschaft ging es im Bereich Personalentwicklung lange Zeit nur um Weiterbildung. In einigen neueren EU-Mitgliedsstaaten steht Coaching mancherorts noch am Anfang. Hier kann sinnvolle Unterstützung geleistet und den Hochschulen wertvolle Erfahrung hinsichtlich der Implementierung von Coaching-Programmen mit auf den Weg gegeben werden.

Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die Coaching heute an mittel- und westeuropäischen Hochschulen spielt?

Hier befinden wir uns mittlerweile auf einem guten Weg. In England ist man in vielen Hochschulen bereits recht gut aufgestellt. In Deutschland gibt es den Verein „Coachingnetz Wissenschaft“. In Spanien und Frankreich beschäftigen sich auch bereits viele Hochschulen mit Coaching, manchmal jedoch noch nicht in der Tiefe, die zukünftig gegeben sein könnte. Weshalb das auch wünschenswert wäre, illustriert ein kurzes Beispiel: Wir berieten eine Hochschule, an der im Zuge einer Mitarbeiterbefragung eine recht hohe Unzufriedenheit des Personals hinsichtlich der Führungskultur festgestellt wurde. Ein Ansatzpunkt, dies zu ändern, bestand darin, aufzuzeigen, wie Führungskräfte-Coaching – neben klassischen Workshopformaten und Qualifizierungen – maßgeblich zur Kulturentwicklung beitragen kann. Für die Hochschule war diese Erkenntnis sehr hilfreich.

Die Führungsrolle dürfte im Selbstverständnis von Personen, die sich in erster Linie als Lehrende und Wissenschaftler sehen, oftmals weniger stark verankert sein.

Das ist tendenziell richtig. Ich beobachte gleichzeitig, dass bei immer mehr Professorinnen und Professoren ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, als Führungskraft und Entwicklungsbegleiter zu fungieren, vorhanden ist. Der fachliche Hintergrund spielt dabei oftmals eine Rolle, manchmal auch das Lebensalter und persönliche Erfahrungen. Ich glaube, es findet nach und nach ein Kulturwandel statt. Diese Entwicklung braucht mitunter eine systematische Begleitung. Die Führungsrolle für sich stimmig und im Einklang mit den Besonderheiten des jeweiligen Arbeits- und Wissenschaftskontextes zu interpretieren, ist ein Schritt, der gegangen werden sollte, und Coaching kann dabei hilfreich sein.

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