Portrait

Interview mit Michael Tomaschek

Interview mit ACC-Obmann Michael Tomaschek

Als junger Erwachsener begegnete Michael Tomaschek Legenden wie Viktor Frankl, Steve De Shazer und Kim Insoo Berg, Michael White und Heinz von Foerster. Und als Initiator und Obmann des österreichischen Coaching-Dachverbandes „Austrian Coaching Council“ (ACC) hat Michael Tomaschek auch branchenpolitisch Zeichen gesetzt.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2009 am 24.11.2009

Ein Gespräch mit Thomas Webers

Wie sind Sie zum Coaching gekommen?

Meine beiden Eltern sind relativ spätberufen in den psychologischen Bereich gewechselt. Mein Vater ist von Haus aus Jurist. Seinerzeit war er Personaler auf klarem Karrierepfad nach oben, ist aber aus der Wirtschaft ausgestiegen. Ich selbst war damals ungefähr zwölf Jahre alt und habe das recht bewusst miterlebt, welcher Bewusstseinswandel sich da bei beiden vollzogen hat. Denen waren plötzlich andere Werte wichtig. Sie wurden beide Psychotherapeuten und engagierten sich dann später in Praxisgemeinschaften.

Man ist selbst in der Pubertät und auf dem Programm steht Abgrenzung von den Eltern...

...und man weiß gar nicht so recht, wovon man sich abgrenzen soll, weil, in der Rückschau könnte man sagen, die waren selber gerade in der „Pubertät“.

Sie konnten sich nicht am starken, mächtigen Vater abarbeiten?

Inhaltlich nicht, an der Person allemal, weil er immer schon eine sehr starke Persönlichkeit war. Natürlich gab's Streit um Reglements, die typischen Jugendthemen eben. Aber inhaltlich imponierte mir, was er da machte. Und ich dachte mir: Menschen, auch erwachsene Menschen können sich ändern und weiter entwickeln. Sie müssen nicht fertig mit der Welt sein. Ich erlebte eine hohe Reflektiertheit bei ihm – und eben auch eine Veränderung in seiner Persönlichkeit. Das hat mich intellektuell und emotional angesprochen. Ich konnte mit ihm in einem – auch kritischen – Diskurs bleiben. Und diese Einsicht in die Flexibilität von Biografien habe ich mir bewahrt. Ich gehe nicht davon aus, dass Persönlichkeiten starr oder determiniert sind. Heinz von Foerster sagt das für mich so treffend: Jeder kann in jeder Sekunde ein neuer Mensch sein.

Aber was hatte der zwölfjährige Michael Tomaschek ursprünglich für Pläne?

Das Naturwissenschaftliche hat mich von Anfang an angezogen und das konkretisierte sich später in Veterinärmedizin. Doch ich fragte mich dann nach einiger Zeit, ob ich diese Richtung bloß einschlagen wollte, weil ich zu feige war, mit Menschen zu arbeiten. Mit der Rolle eines Humanmediziners konnte ich mich aber nicht anfreunden. Mit dem Anliegen, Menschen zu helfen, allerdings schon. Und so entstand, sicher begünstigt durch meine Familienumstände und den religiösen Hintergrund, relativ früh im Vergleich mit meiner Altersgruppe so etwas wie eine Berufungsperspektive: Ich sah meine Lebensbestimmung in der Entwicklung und Optimierung von einzelnen Menschen oder auch Teams. In welchem Bereich das auch immer sein mochte: Gesundheit, Lebensumstände, Lebensperspektive.

Das klingt nicht gerade altersspezifisch für einen Jugendlichen. Hatten Sie keine „wilden Jugendjahre“?

In der Tat hat mich meine Einstellung im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren in eine gewisse Randposition gebracht, obwohl ich natürlich auch in Cliquen und Sportvereinen aktiv war. Aber ich habe zum Thema „austoben“ nicht mehr alles mitgemacht. Ich fand das müßig, weil ich ja schon wusste, wo ich hin wollte. Ich empfand mich reifer als meine Altersgenossen. Auf mein Umfeld hingegen wirkte ich oft altklug und besserwisserisch. Mit siebzehn, achtzehn Jahren habe ich dann den Spruch gebracht: Innerlich bin ich eh schon fünfzig.

„Berufung“ hört sich religiös motiviert an. Spielt die Religion für Sie eine wichtige Rolle?

In Österreich geht es ja gar nicht anders. Da ist man katholisch. Ich machte also die klassische Ministranten-Karriere und habe mich auch eine Zeitlang damit beschäftigt, Theologie zu studieren, wenn ich auch nicht ins Priesterseminar gehen wollte. Das prägt mich auch heute noch in meiner Werteperspektive. Ich will etwas zur Verbesserung der Welt beitragen. Ich habe dann doch zunächst das Medizinstudium begonnen, wenn auch immer mit einer psychologischen Perspektive, also mit dem Ziel Psychiatrie. Das Psychologie-Studium selbst war mir zu stark mathematisch orientiert. Stattdessen habe ich zusätzlich noch Philosophie studiert. Und parallel zum Studium habe ich mit der Psychotherapieausbildung begonnen.

Aber Sie wollten doch gar nicht Arzt werden, haben Sie eben gesagt.

Richtig. Ich wollte die größere Perspektive verstehen, wie der Gesundheitsapparat funktioniert. Es entstand die Vision, einmal selber etwas aufzubauen, ein alternatives Gesundheitssystem, etwas Ganzheitliches. Eine Dienstleistungsorganisation. Für Organisatorisches war ich immer schon talentiert.

Sie haben also Medizin nicht abgeschlossen?

Nein, aber Philosophie. Und ich habe psychotherapeutische Ausbildungen – wie systemische Familientherapie, Gruppen- und Einzelanalyse – und Methodenausbildungen absolviert: Didaktik, Kommunikation, Organisationsentwicklung, Projektmanagement. Da habe ich so viel eingesammelt und meine ersten Anwendungsmöglichkeiten ergaben sich dann als Surf- und Segellehrer in den Sommerferien und bei diversen Praktika.

Wenn ich das richtig verstanden habe, hatten Ihre Eltern zu der Zeit doch schon ein eigenes Unternehmen im Gesundheitsbereich aufgebaut. Lag es da nicht nahe, dort einzusteigen?

Das hätte nahe gelegen. Doch ich wollte, wie es so schön heißt, auf Lehr- und Wanderjahre gehen. So zwei bis drei Jahre habe ich mir dafür auch genommen. Ende der 90er Jahre bin ich dann in das elterliche Netzwerk eingestiegen. In dem Kontext war gerade eine Unternehmensberatungsgesellschaft gegründet worden. Dort lief ich dann erst einmal mit und sammelte Erfahrungen, aber bald war mir das zu klein. Einige Kollegen betrieben die Unternehmensberatung beispielsweise nur nebenberuflich. Ich wollte jedoch etwas Eigenes aufbauen. Da war noch immer der Traum von einer alternativen Institution im Gesundheitsbereich.

Beginnend zunächst vielleicht mit einem Beratungsbereich, der dann in einen ambulanten wächst und schließlich in einen Klinikbetrieb mündet. So habe ich mir das elterliche Netzwerk zunutze gemacht, Marketing und Produktentwicklung aufgesetzt und inzwischen ist das ein durchaus umfangreiches Beratungsnetzwerk geworden. Es gibt drei Institute mit Schwerpunkten in Burnout- und Stressmanagement, Angst- und Depressionserkrankungen sowie Essstörungen. Meine Eltern haben sich vor ein paar Jahren Schritt für Schritt aus der operativen Geschäftsführung zurückgezogen und haben mir diese übergeben.

Ich muss da noch einmal einhaken: Woher kam dieser Impuls zur Ganzheitlichkeit im Gesundheitssystem?

Woran ich gescheitert bin im Medizinstudium, war diese strikte Trennung zwischen Psyche und Körper. Es ist wirklich erstaunlich, dass sich dieses klassische Dilemma immer noch hält. Früher musste man zur Einführung in die Medizin noch Philosophie studieren. Heutzutage sind wir davon wieder Lichtjahre entfernt. Wir haben heute eine Apparatemedizin, die nur noch pharmazeutisch und technisch funktioniert. Der ganze Mensch wird da eher ausgeblendet. Aber Ähnliches haben wir auch in der Psychologie, wo wir tunlichst vermeiden, von Seele zu reden. Überhaupt fehlt bei beiden akademischen Disziplinen der spirituelle Aspekt. All das hat mich von Anfang an irritiert. Ich hatte allerdings auch das Glück, vermittelt über den Familienverband, namhafte Vertreter der Homöopathie und der Ganzheitsmedizin kennenlernen zu können. Und das waren beeindruckende Persönlichkeiten: Viktor Frankl, Heinz von Foerster, Steve De Shazer und Kim Insoo Berg oder Michael White. Da bin ich mit begnadeten Pionieren in Kontakt gewesen. Es war genau die Nähe zu solchen Personen, die ich immer gesucht hatte. Und ich erlebte mich dabei als extrem privilegiert. Das hat andererseits auch meine Auseinandersetzung mit sozialkritischen Themen beeinflusst. Ich fühlte mich eben auch besonders verantwortlich.

So zu werden wie die Vorbilder?

Es klingt vielleicht überheblich, aber ich bin all diesen Menschen gleichwertig, auf Augenhöhe begegnet. Und ich war dabei vielleicht gerade 22 oder 23 Jahre alt. Vielleicht konnte ich zu manchen auch gerade deshalb eine solche innige Beziehung herstellen, weil ich sie nicht idealisiert habe. Vermutlich hat kaum jemand mit denen so gesprochen wie ich, hat denen auch kritische Fragen gestellt. Gerade Frankl, das ist ja kein Geheimnis, hat so einiges aus seiner Geschichte leider nicht verarbeitet. Ich habe auch die Schattenseite der Lichtgestalten gesehen. Und ich glaube, es war für beide Seiten bereichernd. Ich habe mich immer schon schwer damit getan, ein Gefälle zwischen Menschen aufzubauen. Wir sind unterschiedlich und wir sind anders – aber nicht besser oder schlechter.

So eine egalitäre Haltung klingt urchristlich. Nun ist das real existierende Christentum streng hierarchisch. War oder ist der kirchliche Kontext für Sie ein Handlungsfeld?

Nein, ich bin da nicht gezielt aktiv. Mittlerweile tue ich mich mit den Strukturen dort auch schwer und mein Frustrationslevel ist hoch. Gerade in Zeiten wie diesen ist es ja nicht nur jammerschade, sondern fast ein Verbrechen an der Menschheit, dass die Kirche sich ihres Urauftrags nicht mehr bewusst ist. Es herrscht schließlich eine weitverbreitete Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft. Doch in der kirchlichen Hierarchie sitzen die falschen Leute, und sie haben die falschen Vorstellungen. Meine Sorge ist, dass in diesem Vakuum die falschen Propheten ihren Raum finden. Es braucht nur einer laut genug zu schreien und die Leute bei ihren Bedürfnissen abholen, und sie werden scharenweise dahin rennen. Man kennt ja auch die Leute im Trainings- und Beratungsmarkt, die beispielsweise schon im Gefängnis gesessen haben. Ich fürchte, da wird noch einiges auf uns zukommen, denn die Bedürftigkeit der Menschen ist so groß, und die Zeiten werden härter.

Boomt deshalb die Coaching-Branche?

Man kann unter dem Label Coaching etwas kaufen, eine Bedürfnisbefriedigung. In einem relativ kostengünstigen und überschaubaren Rahmen. Es geht um Sicherheit, Vertrauen, Perspektive, Auslegung und Anleitung. Eine Antwort auf die Orientierungslosigkeit, die Sinnfrage. Es beginnt im Coaching mit Alltagsproblemen und geht dann ganz schnell über in grundsätzliche Fragen: Wozu das alles? Und man kann das ja auch verstehen. Da werden Leute in Unternehmen quartalsweise mit Zahlen aus Übersee gesteuert. Es geht nur noch ums Funktionieren. Von Ganzheitlichkeit ist das verdammt weit entfernt. Man muss sich einmal vorstellen, vor ein paar Jahren haben wir in Österreich begonnen, eine Managementkongress- und Eventschiene zum Thema „Management und Spiritualität“ aufzubauen.

Es war, trotz allem katholischen Hintergrund in Österreich, nicht leicht, Unternehmer, Top-Manager oder Vorstände zu finden, die sich öffentlich zu ihrer konfessionellen Überzeugung oder ihrer Wertelandschaft deklarieren wollten. Sie sagen alle: Tolle Idee, unterstützen wir gerne – aber genannt werden wollen wir nicht. Jetzt muss man sich einmal psychologisch fragen, was das für diese Leute und deren Persönlichkeitsstruktur heißt, wenn sie ihren Wesenskern, ihre Lebensgrundlage von sich selber abspalten? Denn dort sind wir heute: Die Wirtschaftswelt ist im wahrsten Sinne des Wortes verrückt geworden. Über Jahrzehnte hinweg managen Männer tagsüber knallhart im Job, und wenn sie nach Hause kommen, sollen sie fürsorglicher Vater und zärtlicher Ehemann sein.

Nun sind Sie selbst inzwischen Geschäftsführer. Neben den drei genannten Instituten betreiben Sie auch die Coaching-Ausbildungsakademie und weitere Geschäftsfelder wie Consulting. Wohin soll sich das entwickeln?

Im Gesundheitsbereich sind wir mittlerweile in der Expansion. Mit Beratungsstellen und ambulanten Facheinrichtungen gehen wir jetzt in weitere Bundesländer. Auch Richtung Deutschland haben wir Pläne. Und mit der Ausbildungsschiene gibt es zum Jahreswechsel eine Neuausrichtung. Wir werden internationaler und gehen zunächst mit einem Standort nach Polen. Deshalb wird aus der Europäischen Ausbildungsakademie die European Systemic Business Academy. Österreichische Unternehmen sind in Osteuropa inzwischen sehr aktiv. Da begleiten wir die nächsten Schritte. Auch in unserem Consulting-Bereich wird es Veränderungen, eine Fusion, geben.

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