Portrait

Interview mit Ulrich Dehner

Coaching ist keine Profession, sondern eine Herangehensweise

Er gehörte zu den ersten Transaktionsanalyse-Ausbildern in Deutschland, hat aber auch zahlreiche andere Psychotherapieverfahren gelernt. Mitte der 80er-Jahre gründete er sein eigenes Unternehmen, die Konstanzer Seminare. Als Trend für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahren sieht er die Befähigung von Führungskräften zur Entwicklung von Mitarbeitern an. Denn aufgrund des demografischen Faktors werden sich Unternehmen keine oberflächlich geschulten Führungskräfte mehr leisten können. Stattdessen müssen sie ihre Mitarbeiter auch auf der emotionalen Ebene gut führen können und ans Unternehmen zu binden wissen.

20 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2010 am 20.10.2010

Ein Gespräch mit Thomas Webers

Was wären Sie geworden, wenn Sie kein Coach, kein Coaching-Unternehmer geworden wären?

Diese Frage kann ich so direkt gar nicht beantworten, denn das war eigentlich, wenn ich zurückblicke, eine ziemlich konsequente Entwicklung dorthin. Ich habe zunächst über zehn Jahre psychotherapeutisch gearbeitet. Das hat mich zwar sehr fasziniert, war mir aber auf die Dauer zu anstrengend. Sie müssen sich vorstellen, ich habe Sprachtherapie mit Aphasikern in der Neurologie gemacht. Man arbeitet über Wochen mit jemandem intensiv und er kann dann vielleicht zehn Worte mehr sprechen. Das sind bescheidene Ergebnisse. Auch wenn es insgesamt in der Psychotherapie nicht so schleppend läuft, im Coaching, das begeistert mich immer wieder aufs Neue, kann ich unheimlich schnell etwas bewegen. Meine Klienten sind in der Regel gesünder, interessierter und die Themen weniger tief gehend.

Heißt das, Ihre Coach-Karriere hat sich quasi unter der Hand entwickelt?

Kann man so sagen. Im Studium war für mich klar, ich wollte therapeutisch arbeiten. Deshalb habe ich auch eine Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten gemacht. Aber in der Praxis bin ich damit später sehr schlecht klargekommen. Ich stolperte über ganz banale Dinge: Bei einer systematischen Desensibilisierung weigerte sich der Patient, die Augen zu schließen, weil ihm das Angst machte. Darauf war ich nicht vorbereitet worden. So etwas ernüchtert ungemein. Doch schon ein Jahr später habe ich die Transaktionsanalyse kennengelernt.

Ich bin da zunächst mit viel Widerständen hingegangen, eigentlich nur wegen meiner Kollegen, die eine Möglichkeit zur gemeinsamen Selbsterfahrung suchten, so etwas machte man ja in den 70er-Jahren gerne, aber es war für mich gleich so etwas wie die Erleuchtung. Ich saß da mit offenem Mund und dachte: Ach, so kann Psychotherapie aussehen ...? Das ist ja der Hammer! Plötzlich habe ich soviel verstanden, was mir zuvor schleierhaft war, da habe ich gleich die Ausbildung begonnen. Noch heute ist die TA [Transaktionsanalyse] für mich in der Diagnostik das Nonplusultra. Ich kann mit keinem anderen Konzept so schnell sagen, was mit jemandem los ist.

Ach ja? Das wundert mich aber.

Eines Tages habe ich in einer Ausbildungsgruppe einmal ein Experiment gemacht. Ein Teilnehmer hatte fünf Sätze über einen Klienten gesagt. Sie sei eine Frau, für die PR verantwortlich und neige dazu, sich zu überarbeiten, und es gab noch ein paar wenige Informationen. Da habe ich den Teilnehmer gestoppt und gesagt: „Genug, jetzt machen wir einmal Hypothesenbildung“. Ich bin ans Flipchart gegangen und habe meine Teilnehmer gefragt: „Was denkt ihr, welche Ich-Zustände sind bei der Frau stark ausgeprägt und warum? Welche sind schwach ausgeprägt? Wie geht die Frau mit sich selber um? Welche Glaubenssätze wird diese Frau in Zusammenhang mit ihrem Problem haben?“

Der Fallgeber musste sich raushalten, wir sind alles durchgegangen: Spiele, Skripte, Antreiber. Es war rein hypothetisch. Im nächsten Schritt haben wir dann Ableitungen getroffen, beispielsweise, was wird passieren, wenn ein Kollege mit dieser Frau einen Konflikt beginnt? Wir sind alle möglichen Situationen durchgegangen, auch die allgemeine Lebens- und Wohnsituation. Dazu gab es zwei Vorschläge aus dem Kreis meiner Teilnehmer: Entweder lebt sie alleine oder sie hat – das war übrigens ein Volltreffer – ein Verhältnis mit einem Kunden. Zum Schluss habe ich den Fallgeber aufgefordert zu beurteilen, wie viel Prozent wir richtig vermutet hatten. Es waren 95 Prozent! Zunächst dachte ich, das Ergebnis sei ein Zufall. Ich habe es in der Folge mehrfach wiederholt in unterschiedlichen Zusammenhängen – mit demselben Ergebnis. Seither ist diese Übung zur Mustererkennung fester Bestandteil meiner Ausbildung geworden.

Unglaublich! Dann können Sie ja nach zehn Minuten Diagnose mit der Intervention beginnen.

Für die Intervention war die TA bald nicht mehr die Methodik meiner Wahl. Aber für die Diagnostik ist sie ganz hervorragend geeignet, weil sie mir hilft herauszufinden, wie mein Gegenüber tickt. Wenn ich das Muster nicht erkenne, besteht nämlich die Gefahr, dass ich eine Pathologie verstärke. 

Ein Beispiel?

Ein Abteilungsleiter schreit eine Mitarbeiterin zusammen, weil sie ständig privat telefoniert. Die läuft daraufhin heulend zur Niederlassungsleiterin. Diese schaltet den Coach ein. Im Coaching äußert der Klient die Überzeugung, er müsse lernen, sich besser zu kontrollieren. Ich bin aber den entgegengesetzten Weg mit ihm gegangen und habe ihm gesagt, dass das Problem sei, dass er sich nicht erlaube, seinen Ärger zu zeigen. Zwanzig Mal sei er an der Mitarbeiterin vorbei gegangen und habe nicht reagiert, aber eine „Rabattmarke geklebt“. Beim einundzwanzigsten Mal habe er ihr dann das komplette Rabattmarkenheft um die Ohren geschlagen. Was er lernen müsse, sei, jedes Mal angemessen zu reagieren. Denn dieses Muster verstärkt sich selbst: Ich erlaube mir nicht ärgerlich zu sein, bis es aus mir herausplatzt. Alle Welt ist erschrocken und macht mir klar, das war völlig unangemessen. Ergo schließe ich daraus: Es ist nicht gut, meinen Ärger zu zeigen und laufe das nächste Mal in dieselbe Falle.

Sie arbeiteten als Psychotherapeut als Sie die TA kennenlernten ...

Ja, zehn Jahre lang habe ich recht intensiv therapeutisch gearbeitet. Nebenbei habe ich begonnen, selber TA-Ausbildungen anzubieten. Aber es wurde mir dann auch mit der Therapie auf die Dauer zu anstrengend. Damals ergab sich, dass ich mit einem Freund zusammen Seminare für Unternehmen veranstaltete, beispielsweise zum Thema Konfliktmoderation. Mitte der 80er-Jahre stieg dieser Freund dann aus. Als mittelständischer Maschinenbauer hatte er mit dem eigenen Unternehmen genug zu tun. Da habe ich die Konstanzer Seminare gegründet. Viele Firmenkontakte ergaben sich über TA-Konferenzen, an denen ich teilgenommen habe. Ich gehöre – wie Hans Jellouschek und Bernd Schmid – zu der zweiten TA-Ausbilder-Generation in Deutschland.

Sie erwähnten eben, dass Sie für Interventionen inzwischen andere Methoden nutzen. Sind Sie der TA-Szene entwachsen?

ch bin 1990 aus der TA-Szene ausgestiegen. Dafür gab es verschiedene Gründe. Als ich begonnen habe, war die Szene sehr amerikanisch geprägt: easy going. Man redete miteinander und viel basierte auf Vertrauen. Dann boomte der Markt und man legte die Hürden für Auszubildende immer höher, streckte die Ausbildungen ... 

... das kann man ja in diversen Szenen immer wieder beobachten ...

Ich fand das schräg. Aber das Thema Markt war bei TA-lern tabuisiert. Niemand wollte darüber öffentlich diskutieren. Außerdem hatte ich inzwischen auch andere Sachen gemacht, meine Interventionen stammten nicht mehr unbedingt aus dem TA-Bereich. Meine Beispiele wurden immer älter. Deshalb habe ich aufgehört, TA-Ausbildung anzubieten, obwohl ich immer sehr gern in der Ausbildung tätig war. Als das Thema Coaching aufkam, habe ich 1995 die erste Coaching-Ausbildung angeboten. Heute laufen sechs Ausbildungen parallel.

Sie haben mehrfach angedeutet, dass Sie sich auch auf anderen Methoden und Konzepte beziehen, was sind denn die anderen Quellen, aus denen Sie schöpfen?

Sehr früh habe ich mich schon für Körpertherapie interessiert. Neben der TA-Ausbildung habe ich auch eine vierjährige Körpertherapieausbildung gemacht. Das war zwar nützlich für meine eigene Entwicklung, ich konnte damit aber nicht arbeiten. Ich habe schließlich einmal analysiert, wo meine Stärken liegen. Und die liegen eindeutig im sprachlichen Bereich. Der Umgang mit Metaphern und Analogien liegt mir. So ergab sich folgerichtig als Nächstes die Ausbildung in Hypnotherapie. Da geht es ja genau um die Mehrdeutigkeit der Sprache, darum, die Bilder ans Laufen zu bekommen. Das hat mich total fasziniert und ich habe auch sofort begonnen, damit zu arbeiten. Und als ich die Ausbildung fertig hatte, wollte ich als Nächstes systemisch arbeiten lernen. Gunther Schmid hatte seinerzeit eine Ausbildung zum „systemischen Firmenberater“ angeboten. Die habe ich als Nächstes mitgemacht.

Das ist ja eine erstaunliche Liste ...

... aber es ging ja noch weiter. Das Nächste war NLP (Neurolinguistisches Programmieren) bis zum Practitioner. Und EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Über diese von Shapiro begründete Traumabehandlung hatte ich gelesen und fand die Methode so erstaunlich, die Erfolge damit so aberwitzig, dass ich dachte: Das muss funktionieren, das will ich lernen.

Aber was macht das denn jetzt mit einem Menschen wie Ihnen? So viele verschiedene Konzepte: Manchmal ergänzen sie sich, ein anderes Mal widersprechen sie sich. Das könnte einen doch mehr verwirren, als dass es einen besser, handlungsfähiger macht. Mir fällt das Bild des Tausendfüßlers ein, der über die eigenen Füße stolpert.

Das hat es auch gnadenlos getan. Speziell der systemische Ansatz, aber auch NLP haben mich zunächst völlig aus der Spur gebracht. Das passte für mein Gefühl überhaupt nicht zur TA. Bis ich gemerkt habe, das stimmt gar nicht, es ist einfach nur eine andere Landkarte, mit der man andere Dinge sehen kann. Mich hat halt interessiert, möglichst viele Landkarten zu haben. An dem Punkt habe ich mich damals auch mit meinem TA-Ausbilder auseinandergesetzt. Er meinte, es ginge doch darum, die Dinge immer mehr zu vertiefen. Ich sagte, es sei ja ganz nett, frei schwebend aus fünf Meter Entfernung mit dem Hammer einen Nagel in die Wand zu schlagen. Aber ich wollte jetzt lieber lernen, wie eine Zange funktioniert.

Jetzt kommt ein Coaching-Klient mit einem Anliegen und Sie müssen schnell entscheiden. Wie gehen Sie vor?

Sehr stark intuitiv. Ich muss zunächst eine Idee bekommen, was das Problem ist. Und dann, von welcher Seite aus ich es beleuchten möchte. Danach biete ich etwas an und schaue, wie der Klient darauf reagiert.

Eben sagten Sie, TA sei für Sie ein hoch effektives Diagnostikum. Mein Eindruck ist, es gibt methodische Ansätze, die tun sich mit der Diagnostik nicht so leicht, dafür sind sie schnell mit einer Intervention bei der Hand. Viele Leute hantieren mit Tools herum und wissen nicht wirklich, was sie eigentlich tun.

Ganz meine Meinung. Das Tool muss auch zum Coach passen. Mein Kollege Claus-Dieter Hildenbrand hat einmal den Begriff des „Tooligan“ geprägt. 

Sind das die Leute, die solange mit der langen Stange im Nebel herumstochern, bis es irgendwann einmal „peng!“ macht?

Ich sage den Leuten gerne, ein Klavier ist auch ein Tool. Das kann jede Musik spielen. Es ist nur die Frage, wer dran sitzt. Das Tool alleine nutzt nichts. Wichtiger ist, welche Persönlichkeit es einsetzt. 

Noten lesen zu können wäre also beispielsweise hilfreich?

Es kommt natürlich auch darauf an, welche Art von Musik ich machen möchte. Ich muss nicht mit jedem Coaching-Klienten in der Vergangenheit graben. Skript-Arbeit aus der TA gehört eigentlich nicht ins Coaching. Das gehört eher in den Therapiebereich. Und trotzdem muss ich etwas davon verstehen. Das ist wie beim Heilpraktiker: Ich muss verstehen, was ich nicht behandeln darf. Ich brauche einen Gesamtzusammenhang. Deshalb bin ich auch immer misstrauisch bezüglich der Problemdefinitionen, mit denen der Klient kommt. Seine Art und Weise, aufs Problem zu schauen, hat doch offensichtlich keine guten Lösungen gebracht. Mit einer Umdeutung des Problems, mit einem Perspektivenwechsel komme ich an den Gesamtzusammenhang. Hilfreich ist, Probleme zig Mal umzudeuten.

Mangelnde diagnostische Kompetenz und Tool-Verliebtheit hängt das Ihrer Meinung nach zusammen?

Wer unsicher ist, hält sich an Tools fest. Da bekommen sie eine Anleitung, Schritt für Schritt wie im NLP: Six Step Reframing beispielsweise. Doch je besser der Coach ist, um so weniger sieht man vom Handwerklichen. Wolfgang Looss hat das einmal so schön beschrieben: „Wenn Sie mir beim Coachen zusehen, denken Sie, ich quatsche bloß mit den Leuten“. Das ist auch meine Wahrnehmung. Je besser man wird, desto mehr achtet man auf die Interaktion und erkennt Ansatzpunkte.

Nun ist ein Tool schnell gelehrt. Was Sie hingegen beschreiben, ist anspruchsvoller. Wie setzen Sie das denn in Ihrer Coaching-Ausbildung um?

In unserer Ausbildung geht es zunächst vier bis fünf Bausteine lang hauptsächlich darum, den anderen zu verstehen. Bezugsrahmen, Glaubenssätze, Werte, Antreiber, Spiele – bis hin zum Skript. Danach erst geht es stärker um Interventionen. Und doch kommen auch schon früh Rollenspiele und der Video-Einsatz hinzu, damit die Teilnehmer schnell etwas Praktisches an die Hand bekommen.

Video-Feedback? Haben Sie immer einen Camcorder im Gepäck?

Ja, immer, das Equipment wiegt doch nicht viel. Warum manche Coachs zwar Rollenspiele einsetzen, aber auf das Video-Feedback verzichten, ist mir völlig unklar. Wie oft kommt es vor, dass beispielsweise ein durchsetzungsschwacher Klient subjektiv empfindet, er habe im Rollenspiel die Wildsau rausgelassen. Schaut er sich dann das Video an, erkennt er: Es war leicht konfrontativ, aber noch lange nicht Vollgas. Ich kann das Feedback als Coach gar nicht so authentisch rüber bringen, wie es das Video macht.

Jetzt haben wir gerade besprochen, wie anspruchsvoll Coaching ist. In Ihrem Seminarangebot findet man aber auch „Die Führungskraft als Coach“. Ist das kein Widerspruch?

Die Kunden fragen das nach. Und ich konnte zudem beobachten, dass in meine Coaching-Ausbildung immer mehr Führungskräfte kamen. Denen habe ich gesagt: „Das ist doch für Euch nicht die richtige Ausbildung, sondern für die, die Euch coachen sollen.“ „Ja, aber wir profitieren doch so viel davon“, haben sie geantwortet. Da haben wir uns das einmal genauer angeschaut, wovon sie profitieren. Das waren vor allem TA-Konzepte. So haben wir eine verkürzte Ausbildung fürs mittlere Management aufgesetzt. Darin fehlen beispielsweise die hypnotherapeutischen Konzepte, weil das in einem abhängigen Arbeitsverhältnis sowieso unangemessen wäre.

Wenn wir uns den Trend einmal anschauen, Stichwort „Demografie“, dann wird in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren die Fähigkeit zur Entwicklung von Mitarbeitern zu den wichtigsten Herausforderungen für Führungskräfte gehören. Die Großen werden die besten Mitarbeiter einkaufen und die Anderen werden mit dem Rest leben müssen. Deshalb werde ich mir als Unternehmen keine Führungskraft leisten können, die die Mitarbeiter verprellt. Mitarbeiterentwicklung hingegen bindet ans Unternehmen. Ob wir das nun „Führungskraft als Coach“ nennen oder nicht, ist mir nicht so wichtig.

Das gute alte Kommunikationstraining mit neuer Bezeichnung?

Das ist eben zu wenig. Es geht darum, den Mitarbeiter tiefer zu verstehen, um dann an der richtigen Stelle anzusetzen, zum Beispiel wenn man ihn fördern will. Führungskräfte haben meiner Meinung nach nicht gelernt, eine fundierte Problemanalyse zu machen. Die sind dermaßen lösungsorientierte Macher, die produzieren aus dem Stand drei Lösungsideen. Ich sage dann gerne: „Toll, vielleicht müssen wir für die Ideen aber erst noch das passende Problem suchen“.

Ist das wirklich so?

Nehmen wir den Klassiker: Ein Mitarbeiter lässt plötzlich in der Leistung nach. Er ist unzuverlässig, hält Termine nicht mehr ein. Was fällt der Führungskraft als Erstes ein? Ein Zeitmanagement-Seminar. Und was ist, wenn der Mitarbeiter frisch geschieden ist? Wie soll da das Seminar helfen? Etwa dabei, schnell eine neue Frau zu finden? Besser wäre doch, erst einmal nachzufragen und sich zu bemühen, den Mitarbeiter besser zu verstehen. Die sogenannten Minderleister, die sind doch nicht so auf die Welt gekommen.

Kaum zu glauben, dass die klassischen Führungsausbildungen so schlecht sind.

Kritikgespräche oder Zielvereinbarungsgespräche, das können viele. Und wenn nicht, reichen ein paar Hinweise und die Leute setzen das schnell um. Wenn es aber um die Problemanalyse geht oder um die Beziehungsebene, dann reichen die Hinweise nicht. Das ist für mich das Signal, die Leute haben keine Modelle, es hat ihnen das keiner vorgelebt. Manchmal müssen wir dann die Rollen tauschen, damit sie erleben können, wie anders ein Gespräch laufen kann.

Sie bieten auch Sales-Coaching an. Hat das denselben Hintergrund?

Ich fand es irritierend, wie viele Verkaufstrainer plötzlich Sales-Coaching anboten, aber im Grunde doch nur das machten, was sie immer schon machten: Verkäuferbegleitung vor Ort mit Feedback. Feedback geben ist für mich noch kein Coaching. Und vor allem verändert es nichts, weil die Verkäufer nicht wissen, was sie ändern, wie sie besser werden sollen. Meistens demotiviert es eher, vor allem wenn man zum zehnten Mal dasselbe hört. Was die Verkäufer brauchen, ist einen Coach, der einmal schaut, warum sie das nicht umsetzen, was sie gelernt haben. Hier arbeiten wir mit der Methode „check your mind“ aus der kognitiven Verhaltenstherapie und schauen, wie blockieren sich die Menschen selber.

Wir haben im Verkauf oft diese automatisierten Gedanken: Ich muss Klinken putzen, ich störe meine Kunden und so weiter. Die sind so automatisiert, dass sie gar nicht bewusst werden. Aber das Gefühl, das diese Gedanken auslöst, kommt zu Bewusstsein. Bei „check your mind“ setzt man sich mit den negativen Gedanken auseinander und sammelt Gegenargumente. Man kann das zudem auf der emotionalen Ebene noch mit Hypno-Methoden bearbeiten. Das ist sehr erfolgreich.

Da dürften sich auch die Vertriebsleiter freuen. In der Branche herrscht ja immer noch die Drückerkolonnenmentalität vor. Es gibt da noch ein Thema, mit dem Sie sich beschäftigen, über das wir unbedingt sprechen müssen: MBSR. Wie kamen Sie auf das Thema Achtsamkeit?

Eigentlich ist die schon lange im Spiel. Seit Ende 20 meditiere ich mehr oder weniger regelmäßig Zen orientiert. Und dann war da schon seit vielen Jahren die Vision, wenn Du 65 bist, ich bin jetzt 61, hörst du auf zu arbeiten und machst etwas Meditatives für Manager. Dabei sollte man sich eine Auszeit nehmen können im angenehmen Ambiente und darauf schauen, wie der eigene Karriereweg aussieht. „Bin ich diesen Weg gegangen, weil er da war, oder bin ich ihn gegangen, weil ich wollte?“ Bis hin zu Meditativem und Umgang mit Stress sollten die Themen gehen. Und da passt Mindfulness-based Stressreduction (MBSR) natürlich genau rein. Ich bin – ehrlich gesagt – ziemlich arrogant in den Kurs gegangen nach dem Motto: Ich meditiere ja schon seit Ende 20, was sollst du da schon Neues lernen? Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, was das mit mir machen würde. Meine Frau, die alle meine Ausbildungen passiv miterlebt hat, sagt, das war die Ausbildung, die mich am schnellsten und nachhaltigsten verändert hat. Das war auch mein Erleben.

Was war das, was Sie so beeindruckt und verändert hat?

Das hat viele Aspekte. Einer ist der: Wenn man TA macht, lernt man, man solle gut mit sich umgehen. Aber was heißt das denn eigentlich? Gehe ich gut mit mir um, wenn ich regelmäßig in die Sauna gehe? Wie man liebevoll mit sich umgeht, habe ich im MBSR gerade gelernt. MBSR ist wie eine riesige Erlaubnis: Es gibt nichts zu erreichen, es gibt nichts zu verändern, es gibt einfach nur da zu sein. So wie es jetzt ist, ist es völlig ok. Das ist eine der intensivsten – und natürlichsten – Skriptarbeiten. Wenn ich jeden Morgen 40 Minuten sitze, dann schaffe ich einen Raum, in den alles Mögliche rein kommen kann. Gelegentlich kommen da auch etwas unreife Teilpersönlichkeiten rein, die man meistens nicht so mag, ängstliche oder wütende Teile.

Früher habe ich die weggeatmet. Die Botschaft war: Du störst! Die Haltung des Nichtwertens im MBSR gibt denen einen Raum wie ein guter Vater. Wenn der Sohn panisch angerannt kommt und schreit, „Papa, da hinten ist ein großer Hund!“, dann springt der doch nicht auf und sagt „Nix wie weg!“. Und der schlechte Vater sagt übrigens: „Stell Dich nicht so an“. Der gute Vater sagt: „Komm mal her, setz' Dich hin, beruhige Dich. Was ist das denn für ein Hund?“, und wartet, bis der Sohn sich wieder beruhigt hat. So sitze ich also da und beobachte diesen Teil, der da gerade ängstlich oder wütend ist, und gebe ihm Raum. Raum, den er früher nie bekommen hat. Aber ich bewerte ihn nicht, wie ich den Sohn auch nicht bewerten würde. Da hat er halt Angst, na und? Ist doch ok. Ich gebe ihm Sicherheit, dann hört das auch wieder auf. Und mein Eindruck bei MBSR ist, dass sich auf diese Art und Weise all jene Teile nachentwickeln können. Ich bin deutlich unabhängiger geworden von Anerkennung und habe angefangen, mich mehr zu mögen. Das hat Leichtigkeit in mein Leben gebracht.

MBSR ist offenbar ein Trend. Es gibt Bücher wie das von Ingeborg und Thomas Dietz. Auch in der Psychotherapie ist es ein Top-Thema. Für die Coaching-Welt ist es allerdings ein neues Thema, finden Sie nicht auch?

Ich finde es sehr schwer, MBSR in ein „normales“ Coaching einzubauen. Aber ich gebe Leuten oft die Anregung, den achtwöchigen Einführungskurs in MBSR zu machen.

Wünschen Sie sich, dass dieser MBSR-Mindset das Coaching verändert?

Einen Teil der Coaching-Praxis sicherlich. Aber es gehört auf jeden Fall auch in die Führung rein. Wir bieten beispielsweise eine Veranstaltung „Führung im Stress“ an. Und spielen dabei natürlich mit der doppelten Wortbedeutung: Die Führung ist im Stress, man führt im Stress. Da integrieren wir das: Der erste Teil der vier Blöcke umfassenden Veranstaltung ist immer ein Achtsamkeitstraining. Ich erlebe auch eine enorm hohe Offenheit dafür bei den Firmen.

Wo kommt das her? Liegt das am Thema Work-Life-Balance, das immer drückender wird?

Auf jeden Fall. Das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz ist ein sehr wichtiges Thema für die Unternehmen. Aber die Firmen kennen uns ja auch. Wenn der Werksarzt bei uns in der Ausbildung war oder der Personaler, entfaltet das natürlich ein ganz anderes Gewicht.

Sie sind Teil der Coaching-Branche. Was sehen Sie, was sich da entwickelt? Was sind Ihre Wünsche?

Ich habe den Eindruck, dass es der falsche Weg ist, Coaching zu einer Profession zu machen. Die scharfe Trennung zwischen Coaching und Beratung wird aus meiner Sicht zukünftig nicht haltbar sein. Die ist gut für den Anfang, um etwas zu lernen. Aber für den Kunden ist das überhaupt nicht wichtig. Dem ist wichtig, dass er weiterkommt. Vor allem im Mittelstand. Es wird daher immer mehr Mischformen geben. Denn Beratung, Training, Coaching, all das überlappt sich. Auch Organisationsentwickler müssen etwas von Coaching verstehen. Coaching ist das, was den Methoden-Pool und die Haltung ergänzt. Coaching ist keine Profession, sondern eine Herangehensweise. Mein Bild ist immer das vom Fußball-Coach: Der arbeitet auf der persönlichen Ebene mit den Spielern, aber auch auf der inhaltlichen Ebene. 

Dann wird es für die Coachs schwieriger, sich auf dem Markt zu positionieren.

Es wird nicht mehr so wichtig sein. Die Frage wird lauten, hat der Berater auch Coaching-Qualitäten? Das ist wie beim Arzt. Bei dem fragt man: Kann der auch Akupunktur? Aber der wird nicht als reiner Akupunkteur durch die Gegend laufen. Die Abgrenzung ist hauptsächlich das Bedürfnis der Verbände.

Bernd Schmid sprach letztens vom Coach als Zehnkämpfer. Oder müssen wir uns für Coaching einen neuen Namen einfallen lassen?

Das weiß ich nicht. Aber Zehnkämpfer trifft's ganz gut. Er muss unter anderem wissen, wie man über die Hürden kommt.

Was hätte ich Sie noch fragen sollen, worauf Sie noch gerne geantwortet hätten?

Eine Anekdote noch zu meinen vielen Ausbildungen: Ich habe mal irgendwo gelesen, wenn man seine Mission im Leben herausfinden will, dann sollte man sich überlegen, was würde ich denn tun, wenn mir alles zusammenbricht. Ich habe mir das einmal so vorgestellt: Meine Firma bricht zusammen, mein Haus muss ich verkaufen, meine Frau läuft mir davon und ich lande unter der Brücke. Da musste ich lachen. Denn da würde ich eine Reihe Obdachloser um mich versammeln und gucken, wie die Jungs so ticken ... Ich glaube, ich bin im richtigen Job.

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