Coaching begreift er als Perspektive. Den Coach als Experten für Menschen im Beruf und für Menschen in Organisationen. Das Vier-Augen-Gespräch ist für ihn als Setting nur eine Variante. Dr. Bernd Schmid (Jahrgang 1946) leitet seit 1984 das Institut für systemische Beratung in Wiesloch. Er ist Präsidiumsvorsitzender des Deutschen Bundesverbands Coaching e.V. (DBVC).
Thomas Webers: Herr Schmid, Sie und Ihre Mitarbeiter bilden seit Jahren Menschen in systemischem Management, systemischer Beratung und auch in Coaching aus. Als Sie jung waren, Sie haben vor kurzem Ihren 60. Geburtstag gefeiert, gab es solche Institute nicht. Sie sind erfolgreich damit und haben inzwischen rund 1.500 Absolventen. Wie hat sich das entwickelt?
Bernd Schmid: Ich wollte ursprünglich Lehrer werden, war aber kein besonders guter Schüler. Da habe ich gehört, dass man in der Wirtschaft auch Lehrer werden könne. So habe ich in Mannheim Wirtschaft studiert mit dem Ziel Handelslehrer. Im Studium begann ich dann, mich mit Hochschuldidaktik zu beschäftigen. Denn mir war schnell klar geworden, dass die herkömmlichen Lernformen wenig taugen...
TW: ...Sie meinen „Musik von vorne“ und Pauken?
BS: Richtig. Die Leute müssen statt dessen miteinander reden und arbeiten, um wirklich zu lernen. Deshalb habe ich mich dann in meiner Diplom- und Doktorarbeit unter anderem mit der Gruppendynamik beschäftigt. Das war die einzige Methode, die man damals kannte, die hierzu etwas beisteuern konnte. Und so begann ich, zunächst an der Universität, später dann überregional Seminare in Gruppendynamik anzubieten. Allmählich bin ich ins freiberufliche Seminargeschäft reingewachsen, ohne dass mir damals bewusst war, was sich daraus entwickeln würde.
TW: Gruppendynamik? Ich erinnere mich, dass Sie lange mit Transaktionsanalyse assoziiert wurden.
BS: Das war später. Zunächst sind Anfang der 70er Jahren in den Heidelberger Raum die Wellen der Humanistische Psychologie herein geschwappt: Klientenzentrierte Gesprächstherapie, Psychodrama, Körpertherapie, Gestalttherapie und so weiter. Das habe ich dann alles mitgemacht. 1976 bei einem Studienaufenthalt bei meinen Gestaltlehrer in Los Angeles sagte dieser mir, in San Francisco sei eine interessante Konferenz. Da bin ich dann auch hin gefahren und kam auf diese Weise mit Transaktionsanalyse in Kontakt. Ich fing sofort Feuer und begann eine systematische Ausbildung. Meine internationalen Examina machte ich 1979 als klinischer Transaktionsanalytiker in Aix-en-Provence und 1986 als Lehrtrainer und -supervisor in Barcelona. In den 80er-Jahren habe ich dann die systemische Transaktionsanalyse begründet. Dieses Jahr bin ich wieder auf eine internationale TA-Konferenz in San Francisco als europäischer Vertreter eingeladen worden. Man hat mich sogar für den „Eric Berne Memorial Award“ vorgeschlagen.
TW: Aber Sie firmieren auch schon länger nicht mehr unter TA. Warum?
BS: Vieles war ganz ausgezeichnet, was wir im TA-Verband gemacht haben, wir hatten zum Beispiel eine exzellente Professionskultur. Aber mir wurde manches am TA-System auch mit der Zeit zu stereotyp oder erschien mir als antiquiert. Zwischendrin hatte ich bei Milton Erickson und NLP-Vertretern studiert. Mit der Jungianischen Psychologie hatte ich mich ohnehin schon seit Jahren beschäftigt. Und über Helm Stierlin in Heidelberg kam ich mit dem systemischen Gedankengut in Kontakt. Zusammen mit Gunthard Weber habe ich schließlich das Institut für systemische Therapie und Transaktionsanalyse, wie es damals hieß, gegründet.
TW: Eine unglaubliche Bandbreite... Neugierde ist das eine. Man könnte aber auch sagen, ganz schön anstrengend: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Was hat Sie motiviert, immer neue Konzepte kennen zu lernen?
BS: Ich habe eben auch schnell die Einseitigkeit dieser Konzepte begriffen und mir gesagt, das kann doch nicht alles sein. Das war unter anderem der Grund, weshalb ich letztlich die Psychotherapie überhaupt verlassen habe. Selbst das Systemische Psychotherapie-Verständnis, das ja nun gar nicht vergangenheitsorientiert, sondern zukunfts- und lösungs- und kontextorientiert ist, erschien mir zunehmend als zu einseitig.
TW: Da bin ich nun aber überrascht! Ich dachte bislang, systemisches Denken sei state of the art. Gerade der Systemiker achtet doch auf die Perspektivenvielfalt und auf die Kontextgebundenheit. Inwiefern ist das Systemische nun einseitig?
BS: Das systemische Therapieverständnis ist in sich dann einseitig oder unzureichend, wenn es die inneren Steuerungsprozesse der Menschen vernachlässigt und sich nur auf Beziehungs-Systeme fokussiert. Oder wenn es in gesellschaftliche Felder übertragen wird, die nach anderen Spielregeln funktionieren als Psychotherapie.