In diesem Text soll beschrieben werden, welche Wesensmerkmale ein Organisations-Coaching ausmachen. Nicht jedes Konzept, jede Methode, wenn irgendwie eine Verknüpfung mit Organisationen konstruiert werden kann, ist für das Praxisfeld Organisation geeignet. Bei Vielem handelt es sich eher um Coaching im Organisationsfeld, nicht aber um Organisations-Coaching.
Wie können überhaupt Coaching-Ansätze eingeteilt werden? Manche tun dies über die dabei verwendeten Konzepte vom Menschen, etwa Gestalt-Coaching oder über dabei verwendete Methoden, etwa Aufstellungs-Coaching, über bevorzugte Settings Einzel-Coaching, über bevorzugte Problemlagen etwa Gesundheits-Coaching, zu bestimmten Rollen etwa Führungs-Coaching über Klientengruppen etwa Executive-Coaching oder über allgemeine Gütekriterien etwa Werte-Coaching. Alle diese Einteilungen sagen nichts darüber aus, ob es sich dabei um Organisations-Coaching handelt oder nicht.
Wann ist es dann Organisations-Coaching? Dann, wenn die Organisation, die Gestaltung und Entwicklung von Organisationsleben und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Organisation als Deutungsrahmen und Gestaltungsdimensionen im Zentrum stehen (Schmid, 1988). Die umfassende und integrierte Berücksichtigung wesentlicher Dimensionen von Organisation ist für unternehmerische Verantwortung entscheidend. Daher muss sie es auch für den Organisations-Coach als Partner sein. Die Fokussierung und das Vorgehen im Coaching sollten auf diese ganzheitliche Organisationsbetrachtung bezogen werden, auch wenn situativ Teilperspektiven behandelt werden.
Entscheidend für Organisations-Coaching ist die Beziehung Mensch-Organisation. Im Organisations-Coaching wird der Mensch aus Sicht der Organisation und die Organisation aus Sicht des Menschen betrachtet. Menschen wie auch Organisationen sind unendlich komplex und ihre Bezüge reichen in Dimensionen, die im Organisations-Coaching nicht ausgeschöpft werden können und vielleicht auch nicht sollten. Wie kann nun eine nicht-schematische Begrenzung der Komplexität in beide Richtungen geleistet werden? Daher stellt sich jeweils die Frage, wie viel Mensch und wie viel Organisation braucht man für ein Organisations-Coaching? Wo liegen die jeweiligen Systemgrenzen?
Beim systemischen Ansatz nennt man System, was wichtig ist und worauf man Einfluss hat oder nehmen will. Kontext nennt man, was wichtig, aber nicht beeinflussbar ist und Umwelt nennt man, was außen vor gelassen werden kann oder muss. Es handelt sich dabei um Betrachter-Definitionen, die zwischen den Beteiligten irgendwie abgeklärt und möglichst in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Dies hilft zu klären, welche Art von Organisations-Coaching welche Gestaltungsmöglichkeiten braucht und welchen Nutzen stiften könnte.
Wie viel Mensch – wie viel Organisation?
Hilfreich ist auch, wenn nicht der ganze Mensch betrachtet wird, sondern dieser in seinen Organisationsrollen gesehen wird. Aspekte des ganzen Menschen dahinter können je nach Fragestellung einbezogen werden. Wichtig ist, Rollen nicht nur als die versachlichten Erwartungen der Organisation gewissermaßen von außen zu sehen, sondern auch die Persönlichkeit, die in Organisationsrollen gelebt wird, also gewissermaßen von innen (Schmid, 2004). Ob und wie beide Perspektiven zusammenkommen, wird unter dem Stichwort Passung (siehe Charts 85–87) diskutiert. So wirken Hintergründe aus beiden Sphären herein bzw. so können Hintergründe in beide Richtungen beeinflusst werden. Die integrierte Perspektive der Begegnung Mensch–Organisation spiegelt sich in der Betrachtung von Organisationsrollen.
Was und wie viel aus den jeweiligen Hintergründen berücksichtig werden sollte und kann, hat mit der Fragestellung im Organisations-Coaching und mit dem Kompetenzprofil des Coaches zu tun. Wechselwirkungen mit dem Privatleben und der Biographie sind wichtig, sollten aber eher als Hintergrund behandelt werden. Sie können vorübergehend und spezifisch in den Vordergrund geholt werden, wenn es für den Organisationsbezug erforderlich ist. Ein Herauslösen von Individuen aus dem Organisationszusammenhang und ein Schwenk zum Persönlichkeits-Coaching kann bei aller Plausibilität für den Menschen bezüglich des Umgangs mit Organisationsrollen und -Verantwortlichkeiten der falsche Weg sein.
Jeder Coaching-Schwerpunkt hat seine eigenen Gütekriterien, denen man sich spezifisch stellen sollte. Eine automatische Übertragung von Kompetenzvermutungen ist fehl am Platz.
Persönlichkeits-Coaches mit einem ans Psychotherapeutische grenzenden Leistungsspektrum haben ihre eigenen professionellen Gütekriterien. Sie verwahren sich zu Recht dagegen, dass jemand Kompetenz als Persönlichkeits-Coach oder im Life-Coaching für sich in Anspruch nimmt, ohne sich dort speziell qualifiziert zu haben. Engagiert zu sein und einfühlsam auf jemanden eingehen zu können, ist wunderbar, ist aber als Qualifikation für den Bereich Persönlichkeits-Coaching nicht automatisch ausreichend.
Auch ein Organisations-Coach hat seine Gütekriterien für sein Feld. Auch er verwahrt sich zu Recht dagegen, wenn jeder, der in oder mit Organisationen Erfahrungen gesammelt hat, professionelle Kompetenz als Organisations-Coach für sich in Anspruch nimmt. Mit jemandem über seine Erfahrungen in Organisationen und seine Bezüge zu seinem sonstigen Leben erhellend sprechen zu können, ist wunderbar, aber auch das ist nur ein Bestandteil einer für diesen Bereich als Coach erforderlichen Qualifikation.
Heute wird Organisations-Coaching meist aufgrund von Anlässen im Berufsleben oder in der Organisation gesucht. Diese Nachfrage spezifiziert sich zunehmend. Beispiele sind Kulturbegegnung, Teamprobleme, Überlastung, Neuernennung als Führungskraft etc.
Diese sich differenzierende Nachfrage trifft auf sich zunehmend differenzierende Vorlieben bzw. Produktprogramme von Coaches. Das Zusammenkommen von Angebot und Nachfrage erfolgt oft eher zufällig bzw. aufgrund intuitiver Einschätzungen. Diese können nur so gut sein, wie eben solche Intuition geschult ist. Daher gelingt Passung nicht immer bzw. wird von außen nicht als produktiv eingeschätzt, obwohl die Involvierten mit sich zufrieden sind.
Mit zunehmender Qualifikation seitens der Nachfrager wie der Anbieter werden Programmatiken geklärt. Das Unternehmen entwickelt ein Konzept, wann, wo, für wen und was im Rahmen welcher Strategie Coaching-Kompetenz eingesetzt werden soll. Welche Wirkungen sollen erzielt und welche Nebenwirkungen vermieden werden? Coaches beziehen Position, wie, wo mit welchen Konzepten und Methoden und zu welchen Unternehmensstrategien und -kulturen passend sie mit welchen Ansätzen zur Verfügung stehen. Die Qualität von Organisations-Coaching wird sich daher immer mehr auch durch die Passung von Programmatiken bestimmen lassen. Noch stecken solche Bemühungen in den Anfängen, doch werden solche Fragestellungen zunehmend Bedeutung gewinnen.
Coaching ist als Container und Handelsetikett gebräuchlich geworden. Entscheidend ist, was man dort einfüllt. Immer häufiger stellt sich heraus, dass bei näherer Betrachtung die zunächst angefragte Dienstleistung verengte Vorstellungen beim Kunden spiegeln, nicht aber zeitgemäße und nachhaltige Dienstleistungen adressieren. Was wirklich sinnvoll ist, muss im Einzelfall geklärt werden. Falls dies der Kunde nicht leisten kann, sollte der Coach in der Lage sein, qualifizierte Dienstleistungen zu konfigurieren und zum Kontrakt anzubieten. Dazu braucht der Coach neben Feldkompetenz eine eigene Dienstleistungspolicy und eine Vernetzung im Anbieterfeld.
Und woran erkenne ich nun konkret einen Organisations-Coach? Nicht an der einen oder anderen Methode. Man erkennt ihn daran, dass er erhellende Modelle zur Beziehung Mensch–Organisation sowie passende Methoden für die Organisationswelt und für Lernen in Organisationsrollen anzubieten hat. Man erkennt ihn also an der Expertise für die Beziehung Mensch–Organisation: Viele wesentliche Dimensionen für die Vitalität der Organisation, für Leistungsfähigkeit und Sinnfindung der dort tätigen Menschen werden zusammengeführt.
Man erkennt ihn ferner daran, dass aufgrund seines Einflusses das Leben in und Entwicklung von Organisationen reicher werden und dass nach einer befruchtenden Übergangszeit die gewonnenen Kulturfortschritte von den Internen im Organisationsalltag in eigener Regie weitergepflegt werden können. Man erkennt ihn daran, dass sein Wirken einsichtige Verantwortliche in Organisationen, die nicht primär an Coaching interessiert sind, überzeugt. Und man erkennt ihn daran, dass er eine Sprache spricht und vermittelt, die sich in die Sprache der Organisationen einfügt oder dort passend assimiliert werden kann.
Wenn man ihn oder sie anhand der genannten Punkte erkennt, dann kann man Inhalte, Modelle, Arbeitsformen, Rollen, Themen, Kundenkreise etc. ins freie Belieben stellen.