Sucht man nach Konvergenzen in den psychologischen Theoriebildungen der letzten 15 Jahre über die innere Dynamik der Persönlichkeit, dann kann man feststellen, dass Konzepte, welche sich ein Verständnis der Psyche mit Hilfe von "inneren Teilen" erarbeiten, immer größere Bedeutung erlangen.
Die begrifflichen Fassungen in den unterschiedlichen Theorieanlagen mögen unterschiedlich sein: So ist von Selbstrepräsentanzen (Kernberg, 1988; Staemmler, 1993), von inneren Schemas (Roediger, 2009; Young et al., 2008), von "innerer Familie" (Schwartz, Jahreszahl; Dietz, 2008), vom "inneren Team" (Schulz von Thun & Stegmann, 2008), Ego-States (Peichl, 2012), vom inneren Kind (Chopich & Paul, 2011; Assagioli, 1993), von Selbstanteilen (Stone, 1994), vom inneren Arbeitsmodell (Bowlby, 2010) die Rede, um nur einige der wichtigeren zu nennen. Die Psyche wird in all diesen Ansätzen gesehen als Struktur, die unterschiedliche innere Strebungen und deren (konflikthaftes) "Miteinander" ermöglicht.
Problematische Lebenssituationen werden so als Folge innerer Konfliktlagen zwischen "Teilen" (es ist theoretisch falsch hier von Teilen zu sprechen, da es letztlich aktivierte Prozessmuster der Psyche sind, die hier ins Erleben treten) der Psyche begriffen. Das ist – sehr grob gesprochen – das Gemeinsame. Wie diese inneren Dynamiken bearbeitet werden, mit welchen Mitteln dies geschieht, worin eine Verbesserung oder Lösung angesehen wird – all dies ist dann wiederum sehr kontrovers oder unvereinbar. Dennoch kann man es schon als erstaunlich ansehen, dass von der Tiefenpsychologie über die Verhaltenstherapie bis hin zu den humanistischen und systemischen Ansätzen eine solche Konvergenz zu registrieren ist.
Jedes professionelle Beratungskonzept und -format, auch Coaching, kommt deshalb heute nicht mehr darum herum, sich mit innerseelischen Repräsentanzen und der darauf fußenden Dynamik zu befassen, da sonst schwerwiegende Fehlberatungen und falsche Fokusbildungen resultieren können. Im Kern geht es darum: Bei jeder Interaktion mit dem Klienten, von der Auftragsklärung über die Bearbeitung der Ziele bis hin zum Abschlussgespräch, muss sich der Coach die Frage stellen: Welcher "Teil" im Klienten spricht gerade?
Warum ist das so wichtig? Ein großer Teil dysfunktionaler Verhaltensweisen in (Führungs-)Rollen beruht darauf, dass der Coaching-Klient mit einigen "Teilen" seines Innenlebens identifiziert ist bzw. ihm einige "Teile" bewusst sind und er andere Seelenteile ablehnt oder sie im gänzlich unzugänglich sind.
Daher ist es erstens unabdingbar zu klären, welche Dynamik zwischen den inneren Repräsentanzen des Klienten herrscht. Alltagssprachlich bedeutet das: Wer ist das "Ich" in dem Satz: "Ich möchte mich verändern!" und wer ist das "mich", welches von den Veränderungsabsichten des "Ichs" betroffen ist? Schon in diesem einfachen Satz spiegelt sich der innere Konflikt eines Menschen wieder. Diese Art der innerseelischen Konfliktstruktur – zwei Repräsentanzen, die dem Klienten bewusst sind und er eine davon als richtig und die andere als falsch ansieht – ist sehr häufig anzutreffen.
Zweitens gilt es aber ebenso zu klären, welche inneren Repräsentanzen noch gar nicht im Spiel, also unbewusst sind oder latent eine Rolle innehaben. Denn in aller Regel dienen unfruchtbare innere Konflikte der Verhinderung davon, dass den Klienten sehr viel unangenehmere Aspekte ihrer Person bewusst werden. Worüber man sich aber gar nicht bewusst ist, kann auch nicht in die eigene Selbststeuerung einfließen. Da aber eine kompetente Selbststeuerung Voraussetzung für gelingendes Führungsverhalten und für den langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit ist, muss im Coaching die Art, wie Klienten schmerzhafte Seiten ihres Selbsterlebens unbewusst halten, im Blick sein. Tut ein Coach das nicht, wird er mustererhaltend mit dem Klienten arbeiten und ihm damit schaden, auch wenn der Klient subjektiv sehr zufrieden mit dem Coaching sein kann.
Klienten kommen ins Coaching meist mit der Absicht, sich zu verändern bzw. Ziele zu erreichen. Es soll also etwas, das unerwünscht ist, weggemacht werden oder etwas Erwünschtes hergestellt werden. Schon an dieser Stelle gilt es zu untersuchen, welche Repräsentanz des Klienten diese Absicht hat. Zwei Beispiele:
Beispiel 1:
Ein Klient hat bei Vorträgen in Vorstandsmeetings Angst und möchte souveräner (also angstfrei) werden. Stellt man sich nun die Angst als einen (eigenständigen) Teil der Seele vor, so könnte man das Ansinnen angstfrei zu werden, als Auftrag an den Coach verstehen, bei einem seelischen "Teil-Suizid" behilflich sein zu sollen. Jedenfalls wird die ängstliche Seite im Klienten bei der Botschaft, sie sei dysfunktional, störe bei der Arbeit und solle deshalb im Coaching weggemacht werden, in Stress geraten.
Verbündet sich der Coach nun mit der Repräsentanz, die ihm den Auftrag gibt, dann verschlechtert sich die Lage für die ängstliche Selbstrepräsentanz enorm. Es sind dann Zwei gegen einen! In der Regel entspricht diese Situation einem lebensgeschichtlichen Muster des Klienten: Schon immer war er mit Ängsten allein, weil diese von seinen Bezugspersonen entweder bekämpft, kritisiert oder übersehen wurden. Wird im Coaching nun versucht, die Ängste wegzumachen, findet letztlich eine Re-Traumatisierung statt. Da der Klient nur mit einer Seite in sich identifiziert ist, merkt er dies nicht oder er findet das sogar gut und ist zufrieden!
Beispiel 2:
Ein Klient erlebt sich immer wieder im Büroalltag und in der Freizeit als undiszipliniert: Er lässt Dinge liegen, hakt bei wichtigen Fragen bei Kollegen und Mitarbeitern nicht nach, raucht zu viel, isst zu viel und bewegt sich zu wenig. Er möchte den "inneren Schweinehund", wie er das nennt, überwinden. Der naive Alltagsverstand findet das normal und die wenigsten Menschen sehen darin etwas Problematisches. Wenn man jedoch als Coach so denkt und anfängt, diese Ziele mit dem Klienten zu bearbeiten, ohne genauestens zu untersuchen, welche Funktion die Repräsentanz im Klienten hat, mit der er sich davon abhält, sich konsequent zu verhalten, dann droht er schon ganz am Anfang Teil der Selbstschädigung des Klienten zu werden. Es kann sehr gut sein, dass der sogenannte Schweinehund ein letzter Rest seelischer Gesundheit darstellt, welcher sich dem inneren "Zwangsregime" verweigert.
Die zweite Variante ist, dass dem Klienten die Seelenteile, die sein Verhalten bestimmen, gar nicht bewusst sind. Es gibt im Wesentlichen drei Formen, in denen sich unbewusste seelische Prozesse ausdrücken und damit im Coaching wahrnehmbar und relevant werden.
Zum einen in der Form, dass der problematische Effekt gar nicht im betreffenden Menschen selbst, sondern in seiner Umwelt auftritt. Anders gesagt: Manche Führungskräfte leiden selbst nicht, sondern sie lassen leiden. So gehen zahlreiche Problemstellungen im Coaching damit einher, dass zwar dem Umfeld des Klienten etwas Problematisches auffällt, aber dem Klienten nicht. Durch die Vielzahl von Feedbackprozessen wird das gegenwärtig in den Unternehmen sehr viel mehr sichtbar als in früheren Zeiten: Alle erleben, dass die Führungskraft nie wirklich zuhört, aber die Führungskraft selbst merkt es nicht. Alle erleben, dass sie Angst vor dem Chef haben, aber der Chef selbst merkt es nicht. Alle erleben die Inkompetenz, aber der Vorgesetzte denkt, er hat die Weisheit mit Löffeln zu sich genommen.
Zum zweiten drücken sich unbewusste Prozesse in beobachtbaren Inkonsistenzen aus: Der Klient sagt, er sei entspannt, aber er sieht überhaupt nicht so aus; er redet über etwas sehr Trauriges und er lacht dabei!; er sagt, er habe alles erreicht, was er wollte, aber er wirkt überhaupt nicht erfüllt und zufrieden.
Kein Coaching kann wirklich funktionieren, wenn der Coach dem Wahrnehmbaren, seinen Sinneseindrücken, seiner inneren Resonanz auf den Klienten nicht ebenso große Bedeutung bemisst, wie den Inhalten, die ihm der Klient erzählt. Diese innere Sicherheit die eigene Wahrnehmung – innen und außen – als wesentlichen Zugang zum Klienten zu nutzen, ist daher eine der wesentlichen Kompetenzen, die sich jeder Berater erarbeiten muss. Tools und Techniken werden gefährlich, wenn sie nicht in der Kompetenz des Coachs gründen, die atmosphärischen Effekte unbewusster Repräsentanzen des Klienten zu bearbeiten.
Zum dritten drücken sich unbewusste Selbstrepräsentanzen des Klienten in seinem Beziehungsverhalten und den Erwartungen an den Coach aus. Die achtsame Auswertung dessen, zu welchem Verhalten der Klient im Beratungsprozess den Coach verführt, wie er mit kleinen Signalen ausdrückt, was er missbilligt, wie er sich anpasst, wie er ausweicht, wie er bewertet, wie er dem Coach gute und schlechte Gefühle "macht" – all das ist essentiell, um der inneren Dynamik des Klienten und damit seinem wesentlichen Problemen auf die Spur zu kommen.
Schlussendlich braucht der Coach im Umgang mit dem Klienten, ständige Aufmerksamkeit dafür, wie, wann und auf welche Weise sich selbstschädigende Repräsentanzen, bewusst oder unbewusst, im Coaching-Prozess entfalten. All den oben genannten psychologischen Theoriebildungen ist gemeinsam, dass Menschen Seelenteile ausbilden können, die ihnen die Wahrnehmung dessen, was für sie gut ist, was sie wollen, wann ihnen etwas zu viel ist, was sie von anderen brauchen oder was sie gern geben wollen, verstellen oder verzerren. Diese Formen von Selbstschädigung kommen oft im Gewande des Wohlwollens, des Ermahnens, des Schützen-wollens oder im Kleid von Prinzipien, Moral oder Lebensregeln daher. Oft sind die Menschen stark mit diesen Repräsentanzen identifiziert und kommen nicht im Traum auf die Idee, dass ihre Probleme, ihr eigenes Leid oder das der Umwelt, ihr Scheitern oder ihre Schwermut genau darin ihren Ursprung haben könnte.
Innere Sätze wie "Man darf niemandem trauen!", "Wer sich öffnet, gefährdet sich!", "Wer Erfolg haben will, der darf nie nachlassen!" oder "Von nichts, kommt nichts!" können – müssen nicht! – der Kern von selbst- und fremdschädigenden Prozessen sein und damit eine hohe Relevanz haben. Wenn der Coach nicht einen Blick dafür hat, welche – in der Regel nicht(!) sprechende – Repräsentanzen im Klienten darunter leiden bzw. wie sich das ungünstig auf das Führungs- und Kommunikationsverhalten oder die Leistungsfähigkeit des Klienten auswirkt, wird er an den wirklich relevanten Themen im Coaching nicht arbeiten können.
Wie aus all diesen Beispielen schon deutlich geworden ist, kann daher die subjektive Zufriedenheit des Klienten nie der ausschließliche Maßstab für die Güte des Coachings sein. Denn auch hier muss man die Frage "Wer (im Klienten) ist zufrieden?" im Spiel halten. Leider kann man immer wieder hören, dass die Zufriedenheit des Klienten mit der Beratung ein Hinweis auf gute Arbeit des Coachs sei. Das ist leider viel zu undifferenziert, da es eben durchaus vorkommt, dass eine selbstschädigende Repräsentanz des Klienten im Coaching Unterstützung bekommen hat, die eigenen Anliegen wieder besser in die Tat umzusetzen und damit wieder auf der vermeintlichen Erfolgsspur zurück ist.
Die Verführung für den Coach, sich mit Teilen im Klienten zu Lasten unbewussten Leids zu verbünden, ist erheblich. Es braucht hier eine gründliche Ausbildung, um solche symbiotischen Beratungsprozesse zu erkennen und ihnen zu entgehen. Und – je mehr man auf schnellen Erfolg im Coaching setzt, desto leichter ist man in Gefahr, sich in unbewussten Allianzen mit einzelnen Seelenteilen zu begeben und damit letztlich den Klienten zu schädigen.
Auf was kommt es im Coaching an, wenn man mit unterschiedlichen Selbstrepräsentanzen des Klienten arbeiten möchte? Hierzu abschließend einige Hinweise.
Zunächst geht es immer darum, das Erleben des Klienten von sich und anderen gewissermaßen zu entmischen. D.h., sein Reden, Denken, Fühlen über sich selbst und andere gilt es spezifischen Repräsentanzen zuzuordnen. Dadurch entsteht eine emotionale und kognitive Prägnanz und Klarheit, die es ermöglicht aus dem Wirrwarr von "einerseits-andererseits", aus dem "Ich-sollte-schaffe-es-aber-nicht", aus dem "Ich-will-trau-mich-aber-nicht", aus dem "Ich-muss-will-aber-nicht" herauszufinden. Der Klient braucht ein inneres Erleben, wo ihm klar ist, wie genau der Konflikt in ihm abläuft.
Aus dem Geschilderten folgt unmittelbar, dass der Coach sowohl kognitiv, emotional, wahrnehmungsbezogen und handlungsorientiert in der Lage sein muss, Unterstützung anzubieten. Innere Repräsentanzen sind dann prägnant und bewusst, wenn der Klient erlebt, wie er genau in dieser Repräsentanz denkt, fühlt, wahrnimmt und handelt.
Mit einer solchen Prägnanz (die in den eingangs erwähnten Verfahren oft mit einer Benennung oder Bezeichnung einhergeht) wird es möglich, dass der Klient nicht mehr einseitig von einer ihm zugänglichen oder bewussten Repräsentanz dominiert wird. Es entstehen dadurch sehr oft innere und äußere Freiheitsgrade, wenn jemand merkt, dass er jetzt aus dem inneren Richter oder einem kleinen verschüchterten Jungen heraus agiert und er dazu in sich Alternativen kennt und wählen kann. Zudem wird es möglich, daran zu arbeiten, ob solche Repräsentanzen mit innerer Wertschätzung versorgt sind oder eine solche Selbstfürsorglichkeit oder Selbstakzeptanz erarbeitet werden kann.
Andersherum kann man bei anklagenden, aggressiven und zerstörerischen Repräsentanzen (etwa "Dafür könnte ich mich umbringen!", "Das ist unverzeihlich!") die dahinterliegende Motivation und den eigentlichen Sinn dieser Autoaggression entschlüsseln. Wesentlich ist hier, dass nie eine Repräsentanz als gut und eine andere als schlecht klassifiziert wird. Sonst droht der Coach in einen einseitigen Pakt einzusteigen und unterstützt somit die Selbstablehnung im Klienten.
Ein völliges Durcharbeiten solcher inneren Konfliktlagen mag in einer Reihe von Fällen notwendig sein und ist dann Aufgabe einer auf dem Coaching aufbauenden Psychotherapie. Das kann und muss ein Coach nicht leisten. Diese innere Klarheit mit dem Klienten zu erarbeiten, ist aber meist nötig, sollen Coaching-Effekte nicht oberflächlich und vordergründig sein. Die Prägnanz der Selbstrepräsentanzen, die bewusste Wahrnehmung, wer in mir spricht, ermöglicht eine sehr ausgeprägte Selbststeuerung, es erhöht die Empathiefähigkeit, es vermindert die Projektion von inneren Konflikten, es erschwert die Eskalation von Konflikten, es intensiviert die Begegnungsmöglichkeiten und fördert eine umfassende und leichtgängige Selbstreflexion auch in anspruchsvollen Situationen. Insbesondere aber versöhnt es viele Menschen mit sich selbst. Daher sind Coaches, welche sich mit psychodynamischen Prozessen auskennen, Gold wert.