Konzepte

Ich-Du und Ich-Es-Orientierung im Coaching

 Interview mit Dr. Bernd Schmid

6 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 09 | 2003

In der Weiterbildung von Coachs und in der konkreten Beratung hat sich diese Beschreibung unterschiedlicher Präferenzen im Umgang mit der Sache und mit der Person bewährt. In der letzten Ausgabe des Newsletters wurde dieses Konzept kurz skizziert, während in dieser Ausgabe ein Auszug aus einem erläuternden Interview erscheint. 

Kurzfassung eines Interviews mit Dr. Bernd Schmid (BS)
Interviewerin: Dr. Cornelia Knobling (CK)

CK: In Deinem mit Wolfram Jokisch verfassten Paper wird zwischen Ich-Du-Menschen und Ich-Es-Menschen unterschieden. Ich-Du-Menschen sind in erster Linie an der Bezogenheit auf Andere interessiert und erst dann an Themen und Projekten. Bei Ich-Es-Menschen ist es umgekehrt. Also wie Du sagst: "Frag einen Ich-Es-Menschen, was ihn im Leben bewegt, dann wird er Dir von seinen Projekten erzählen. Frag einen Ich-Du-Menschen, was ihn im Leben bewegt, dann wird er Dir von seinen Beziehungen erzählen."Du machst aber auch deutlich, dass jeder Mensch sich in beiden Dimensionen verwirklichen und an andere anschließen können sollte. Gehen nicht zunächst die meisten irgendwie davon aus, dass die Anderen Wirklichkeit so erleben müssten wie sie selbst?

BS: Ja, wie viele unserer Konzepte hilft auch dieses, tatsächlich zu begreifen, dass andere Leute wirklich anders sind.Und das fällt gewöhnlich zwischen deutlichen Ausprägungen beider Typen schwer:
Der Ich-Du-Mensch kann es kaum glauben und kaum nicht persönlich nehmen, wenn der Ich-Es-Mensch eben an der Sache orientiert ist. Seine Emotionen kristallisieren sich an Bezogenheit zu anderen und weniger an der Sache. So verdächtigt er den Anderen aufgrund seiner Präferenz leicht der Unbezogenheit und Unemotionalität.
Umgekehrt gilt:
Der Ich-Es-Mensch kann seelisch eigentlich nicht glauben, dass eine Beziehung bedeutsam sein kann, die nicht auf irgendetwas, das ihn interessiert, ausgerichtet ist - von akuten Verliebtheiten oder dem Umgang mit Kindern einmal abgesehen. Wenn es um Partnerschaft geht, hängt Beziehung von wechselseitigen oder gemeinsamen Interessen ab. Der Ich-Es-Mensch vermutet beim Ich-Du-Menschen leicht mangelndes Interesse und Engagement an der gemeinsamen Sache und erlebt dies als Verrat an der Beziehung.

CK: Wie kann man lernen, sich gegenseitig wirklich zu verstehen?

BS: Vielleicht dauert das ein ganzes Leben lang oder gelingt letztlich nicht wirklich. Es ist schon viel gewonnen, wenn Entgleisungen vermieden werden und man tolerant miteinander ist.

CK: Wie kann nun z.B. so ein Ich-Es-Mensch das üben?

BS: Er braucht gar nicht so viel technisch zu üben. Das ist vorrangig eine Haltungssache: Wenn er merkt, dass der Andere zunächst Ich-Du-Bedürfnisse hat, sollte der Ich-Es-Mensch frei sein, nicht im eigenen Begegnungsmodus anzukoppeln, sondern zuerst einmal deutlich zu machen: Ich sehe Dich! Erst wenn das beim Anderen angekommen ist, dann zu sagen: Und jetzt zur Sache!

CK: Und umgekehrt?

BS: Der Ich-Du-Mensch sollte verstehen, dass er dem Ich-Es-Menschen vermitteln muss: Das, was Dir wichtig ist, ist mir auch wichtig und ich setze mich dafür ein. Und erst in 2. Linie: Ich möchte das in einer Weise tun, in der wir beide vorkommen und unsere Gemeinsamkeit pflegen können.
Wenn der Ich-Du-Mensch seiner Gewohnheit entsprechend die Bezogenheitsbedürfnisse in den Vordergrund rückt, löst dies beim Ich-Es-Menschen die Furcht aus, dass seine Sache nicht zum Zug kommt. Wenn er dann darum kämpft, dann entsteht leicht eine Polarisierung und die Abstimmung entgleist. 

Es ist für den Ich-Es-Menschen nicht so einfach in Bezogenheit zu investieren, wenn er um seine Sache fürchtet oder für den Ich-Du-Menschen, in die Sachorientierung zu investieren, wenn er um sein Einbezogensein fürchtet.

In Begriffen der Theatermetapher kann man das so darstellen:
Der Ich-Es-Orientierte hat ein bestimmtes Stück im Sinn, das er aufführen will. Er wählt die Mitwirkenden danach aus, ob sie sich eignen, dieses Stück aufzuführen. Bzw. müssen Leute, die nicht passen, von der Bühne gehen und andere müssen hergeholt werden. Das ist für den Ich-Es-Menschen kein Verrat an der Beziehung, sondern einfach ein adäquates Mittel, um das, was er aufführen möchte, auch aufführen zu können. Er geht davon aus, dass es niemanden glücklich macht, in einem nicht passenden Spiel zu spielen.Der Ich-Du-Mensch hingegen folgt eher einer anderen Maxime: Wir sind eine Company und wir spielen das, was wir können, und wir bleiben beieinander. Keiner muss von der Bühne oder höchstens, weil es Beziehungsknatsch gibt. Nicht aber, weil eine Person nicht zur Aufführung passt. Der Ich-Du-Mensch geht davon aus, dass nicht länger einbezogen zu sein, persönliche Ablehnung bedeutet.
Probleme in der Sache werden vom Ich-Du-Menschen leicht als Sympathieprobleme fehleingeschätzt. Ebenso wie Bezogenheitsprobleme vom Ich-Es-Menschen gerne als Sachprobleme fehlgedeutet werden.

CK: Gibt es auch Mischformen in den Orientierungen?

BS: Ja natürlich! Wie jede Typologie ist auch diese willkürlich. Um das tatsächliche Leben zu erfassen, brauchte man so viele Kategorien wie Individuen. Es geschieht z.B., dass Menschen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Präferenzen leben. Sie neigen dazu, die jeweils unterrepräsentierte Seite zu betonen. Dadurch können sie auch zwischen beiden Kulturen vermitteln. Dennoch wird ihnen als Grundströmung immer eine deutliche Orientierung bleiben. Problematisch sind einseitige Überhöhungen der eigenen Orientierung. Wenn z. B. jemand nur in "Ich-Du" macht und dabei nicht schaut, wie er dabei die Welt gestaltet, dann verliert auch das seine Eichung. Beziehungssensibilitäten kriegen Dimensionen, die völlig irrelevant sind, wenn man sich nicht miteinander mit etwas wirklich Wichtigem beschäftigt. Aber dies ist ein allgemeines Lebensprinzip.

Alles, was nur in sich selbst wuchert, wird seelenlos.

Der ausführliche Artikel zur Ich-Du-Ich-Es-Orientierung und das ausführliche Interview mit Dr. Bernd Schmid stehen als Word-Dateien zum Download zur Verfügung.

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