Eine der wichtigsten Konsequenzen des Internets für den gesamten Coaching-Markt ist zweifelsfrei ein intensiverer Wettbewerb, denn die Transparenz auf der Anbieterseite dürfte erheblich zunehmen. Entsprechende Eingaben in Suchmaschinen leiten potenzielle Kunden augenblicklich nicht nur zu den Webseiten diverser geeigneter Coaches, sondern auch gleich zu entsprechenden Diskussionsforen und Bewertungsportalen, wo ein sehr viel einfacherer Informationsaustausch zwischen Klienten möglich geworden ist als dies im vordigitalen Zeitalter der Fall gewesen war. Der Qualität der Angebote im Coaching-Sektor dürften diese Effekte durchaus zuträglich sein.
Positiv zu werten ist auch der Umstand, dass sich über die Online-Kanäle inzwischen kostengünstige Beratungsangebote schaffen lassen, die neuen Zielgruppen den Zugang zu professioneller Unterstützung erlauben, denen dies bislang aus finanziellen Gründen nicht in wünschenswertem Umfang möglich war.
Die Ortsunabhängigkeit gestattet darüber hinaus jedem Klienten das optimale Angebot finden zu können, ohne dabei womöglich durch große Entfernungen die Auswahl von vornherein deutlich beschränken zu müssen. Mithin eröffnet das virtuelle Zeitalter ein nicht unerhebliches Nachfragepotenzial, das vielerlei Gelegenheiten für jene Coaches bietet, die bereit sind, sich dieser Aufgabe proaktiv zu stellen.
Deshalb geht es darum, wie die elektronische Kommunikation auch und gerade für Online-Coaching genutzt werden kann, wobei selbstverständlich gewisse Anpassungen gegenüber direkten Face-to-Face-Begegnungen unerlässlich sind. Nicht jeder bewährte Coaching-Ansatz ist in gleicher Weise für die Internet-Anwendung geeignet, so dass eine differenzierte Betrachtung der Vor- und Nachteile unumgänglich ist.
Ganz generell lässt sich feststellen, dass all jene Techniken, die ein intensives Beobachten von und zügiges Reagieren auf nonverbale Hinweise erfordern, für diese Interaktionswege kaum angebracht scheinen. Zu nennen sind also Hypnose und sämtliche Ansätze, die stark auf expliziten Trance-Zuständen basieren. Ebenfalls ungeeignet sind natürlich Methoden, die körperlichen Kontakt erfordern, also beispielsweise kinesiologische Verfahren oder die aus dem Neurolinguistischen Programmieren bekannten Anker-Techniken.
Dafür sind umso mehr Formate prädestiniert, die in erster Linie mit verbalen Interventionen arbeiten und primär auf die kognitive Ebene zielen. Ebenfalls gut geeignet sind solche Techniken, deren Ablauf leicht verständlich erklärt werden kann und deren Handlungsanweisungen Schritt für Schritt in nachvollziehbaren Einheiten übermittelbar sind.
Von Vorteil ist zusätzlich, wenn zwischen jedem Handlungsabschnitt Raum für Rückmeldungen und die Klärung von aufgetretenen Fragen besteht, ohne dass dies den Prozess in nennenswertem Maß stören würde. Nachfolgend werden einige der besonders gut geeigneten Techniken beschrieben.
Unerlässlich ist natürlich in jedem Fall zunächst die präzise Herausarbeitung und Formulierung des Ergebnisses, das erreicht werden soll. Denn ohne entsprechende Zielfestlegung verliert sich die gesamte Intervention schnell im Nebulösen und Unverbindlichen. Ganz zu schweigen davon, dass eine sinnvolle Überprüfung des Erfolgs gar nicht vollzogen werden kann. Dies gilt selbstredend nicht nur für Online-Coaching, gewinnt hier jedoch zusätzlich an Bedeutung. Da die Kommunikation schriftlich erfolgt, ist dies sogar präziser, strukturierter und besser überprüfbar als dies häufig bei direktem Coaching geschieht.
In diesem Zusammenhang gewinnt auch das von den NLP-Erfindern Richard Bandler und John Grinder entwickelte Meta-Modell der Sprache neue Bedeutung, denn im Online-Kontext kann es seine volle Potenz entfalten, da das umfassende Durchleuchten und Erforschen einer Problemstruktur im Falle textlicher Mitteilungen besonders gründlich ausgearbeitet werden kann.
Ein konkretes Beispiel soll exemplarisch auf anschauliche Weise die Besonderheiten des Online-Coachings verdeutlichen sowie die Probleme und Hindernisse aufzeigen, die es zu beachten gilt, wenn aufgrund der Distanz die Körpersprache des Klienten nicht wahrgenommen werden kann.
Der Klient Rainer Bäumler (41 Jahre alt) ist leitender Angestellter in der Marketingabteilung eines großen Automobilzulieferers. Privat führt er seit über einem Jahrzehnt eine Wochenendbeziehung, da seine Partnerin in einer anderen Stadt wohnt und arbeitet. Mehr und mehr ist es inzwischen für ihn zum Problem geworden, dass er unter der Woche fast täglich bis sehr spät nachts seine Zeit vor dem Computerbildschirm verbringt. In erster Linie in diversen Chats und Internet-Foren, insbesondere erotischer Art, allerdings ebenso mit dem Lesen von Blogs und Online-Artikeln verschiedener Nachrichtenmagazine. In jedem Fall erscheint es ihm subjektiv nicht möglich, sich von seinem Notebook loszureißen, bis ihm buchstäblich die Augen zufallen.
In der Konsequenz ist er am Folgetag unausgeschlafen und kaum in der Lage, sich an seinem Arbeitsplatz auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren. In letzter Zeit kam es sogar häufiger vor, dass er im Büro eingenickt ist. Da er inzwischen bereits von seinem Vorgesetzten darauf angesprochen wurde, ist für Rainer Bäumler klar, dass sich an der Situation etwas ändern müsse. Indes hatten seine bisherigen Vorsätze, sich anders zu verhalten, nichts bzw. allenfalls nur sehr kurzfristig etwas bewirkt.
Von seiner Freundin bekommt er nun den Tipp, sich an einen Coach zu wenden, mit dem eine ihrer Arbeitskolleginnen sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Allerdings praktiziert dieser am Wohnort der Freundin, was für Rainer Bäumler zu weit entfernt ist, als dass er diesen persönlich aufsuchen möchte. Der Website des Coachs, der er spätnachts einen Besuch abstattet, entnimmt er jedoch, dass dieser auch Online-Coachings im Angebot hat.
Zwar ist Rainer Bäumler etwas skeptisch und hatte bislang auch noch nie die Dienste eines Coachs in Anspruch genommen, allerdings findet er die Darstellungen und Aussagen auf der Homepage durchaus interessant. Daher entschließt er sich, einen Versuch zu wagen und verfasst eine E-Mail, in welcher er sein Thema kurz schildert sowie sich nach Ablauf, voraussichtlicher Dauer und natürlich den zu erwartenden Kosten erkundigt.
Bereits am nächsten Tag erhält er eine Antwort mit den gewünschten Informationen. Da ihm die Modalitäten zusagen und auch der Preis angemessen erscheint, wählt er einen der vorgeschlagenen Termine und schließt einen verbindlichen Vertrag ab, wofür er sich mittels seiner De-Mail-Adresse identifiziert.
Bevor der eigentliche Coaching-Prozess in der Folgewoche beginnen soll, sendet der Coach zunächst einen kurzen Fragenkatalog, der beantwortet und zurückgemailt werden soll. Aus den Antworten sowie den Informationen aus der bisherigen Korrespondenz gelangt der Coach zu der vorläufigen Einschätzung, dass Rainer Bäumler ein sehr von seinem Intellekt dominierter Zeitgenosse sein dürfte.
Unter Zuhilfenahme der Dilts-Ebenen verortet er die anstehende Thematik daher auf der Identitätsebene des Klienten und betrachtet vor diesem Hintergrund den Diamond als das Coaching-Instrument der Wahl.
Der schematische und übersichtliche Aufbau der auf Klaus Grochowiak zurückgehenden Diamond-Technik sowie die sich wiederholenden Fragestellungen machen dieses Format für die Online-Anwendung besonders geeignet. Den Klienten ist dabei auch die Möglichkeit gegeben, für die manchmal sehr umfangreiche Auflistung der Ermöglichungen und Verhinderungen hinreichend Zeit in Anspruch zu nehmen.
Die zentrale Einschränkung ist selbstverständlich die mangelnde Beobachtbarkeit nonverbaler Signale, die dem erfahrenen Anwender wichtige Hinweise darauf geben könnte, ob womöglich wichtige Aspekte noch nicht herausgearbeitet wurden und inwieweit scheinbar erfolgte Veränderungen auch von der Physiologie wahrnehmbar bestätigt werden.
Da das Diamond-Format wesentlich über kognitive Prozesse und Dialoge seine Wirkung entfaltet, stellt dies jedoch zumeist keinen wirklichen Hinderungsgrund dar, zumal durch intensives und konsequentes Nachfragen ein hinreichender Ausgleich dieser nicht möglichen direkten Beobachtung geschaffen werden kann. Insgesamt ist dieses Format hervorragend geeignet für sehr rationale und „verkopfte“ Klienten, die manchmal etwas Schwierigkeiten haben, den Zugang zu anderen Coaching-Ansätzen zu finden.
Gerade im Business- und mehr noch im IT-Umfeld wird man nicht selten auf genau solche Personen treffen, die vordergründig sehr vernunftgelenkt erscheinen. Es ist von daher sehr erfreulich, in Form der Diamond-Technik – und speziell der Online-Anwendung – etwas anbieten zu können, was deren Art entgegenkommt zu denken und persönliche Fragestellungen anzugehen.
Zu Beginn des Online-Termins, den Rainer Bäumler und sein Coach mittels Einsatz eines Instant-Messenger-Tools absolvieren, ist es zunächst erforderlich, dass der Klient sein Problem bzw. seinen einschränkenden Glaubenssatz präzise, ausführlich und in eigenen Worten formuliert.
Satz: Ich kann mich nachts nicht vom Bildschirm losreißen! Als nächstes bittet der Coach nun den Klienten, diesem Satz sein Gegenteil oder eine mögliche Lösung gegenüberzustellen. Und zwar so, wie dieser es empfindet und formuliert. Ein richtig oder falsch gibt es in diesem Zusammenhang nicht, entscheidend ist die Vorstellungswelt des Klienten. Nach einigem Zögern und Überlegen formuliert Rainer Bäumler schließlich seine Antwort. Gegen-Satz: Ich bekomme genügend Schlaf.
Den dritten Schritt bildet das Herausarbeiten der Gemeinsamkeit von Satz und Gegen-Satz, des „Sowohl/Als auch“. Um dies bewerkstelligen zu können ist es notwendig, den bisherigen Problemrahmen zu verlassen, denn nur dann ist es möglich, eine logische Ebene höher zu gelangen und die Verbindung der beiden erkennen zu können. Gesucht ist ein Lebens- oder Erfahrungs-Bereich, der beide verbindet und ihnen übergeordnet ist. Schon dieses Heraustreten und folglich Dissoziieren von der gewohnten Struktur bewirkt ein verändertes Beurteilen und erweitertes Bewusstsein der Situation, so dass damit ein wichtiger Schritt hin zu einer modifizierten Perspektive gemacht ist. Rainer Bäumler lässt seine beiden Aussagen noch einmal Revue passieren, um den Zusammenhang zu erspüren. Sowohl/Also auch: Zeitverschwendung.
Schließlich erfolgt noch das Identifizieren des „Weder/Noch“, also eines Bereichs im Weltbild des Klienten, der jenseits von Satz und Gegen-Satz liegt. Dies eröffnet neue Sichtweisen auf Möglichkeiten, die außerhalb des eng definierten Problembereichs liegen. Nach den zuvor absolvierten Schritten ist es daher für Rainer Bäumler inzwischen auch durchaus schon etwas besser möglich, seiner Intuition zu folgen und seinen logischen Verstand ein bisschen hintanzustellen.
Dennoch bedarf es an dieser Stelle noch ein paar detaillierterer Nachfragen an den Coach, was dieser damit denn genau meine, etwas zu benennen, was in seiner Vorstellung weder mit nächtlichem Internetkonsum noch mit ausreichend Schlaf zu tun habe. Gerne schreibt ihm sein Online-Coach daher zur Erläuterung, dass gerade hier oftmals die Kernpunkte der unbewussten Problemvernetzung liegen, die bisher jeglichen Fortschritt sabotiert hatten. Rainer Bäumler geht daraufhin in sich und nimmt sich die Zeit, sehr genau in sich hinein zu hören, denn die Antwort, die in ihm aufsteigt, ist für ihn einigermaßen überraschend: Weder/Noch: Liebe.
Nachdem nun durch diese Antworten quasi die vier Ecken des Diamanten bestimmt sind (daher der Name), wird für jede Station nacheinander in derselben Reihenfolge gründlich und umfassend herausgearbeitet, was durch diese dem Klienten jeweils ermöglicht wird und was dadurch in seinem Leben verhindert wird. Rainer Bäumler versteht zunächst nicht so ganz, was damit gemeint sei, so dass der Coach ihm als Beispiel gibt, dass etwa das späte Einschlafen vielleicht verhindert, unangenehme Träume zu haben. Zusätzlich rät er noch, möglichst unreflektiert aufzuschreiben, was in den Sinn komme, selbst wenn es vielleicht unlogisch oder sogar unsinnig erscheinen mag:
Wie bei Rainer Bäumlers Antworten auffällt, sind die jeweiligen Inhalte der Ermöglichungen und Verhinderungen nicht simple Antagonismen, auch und gerade nicht in der kreuzweisen Gegenüberstellung von Satz und Gegen-Satz, was durchaus zunächst vielleicht anzunehmen wäre. Doch die unbewussten Vorgänge und Bedeutungszusammenhänge sind weit komplexer als sie mit vordergründiger Logik zu erfassen wären.
Umso wichtiger ist es daher, dass gerade bei der Online-Anwendung dieses Formats seitens des Coachs immer wieder explizit nachgehakt wird, ob noch etwas fehle, ob der Klient genau wisse, was er jeweils tun solle und was er an den einzelnen Punkten empfinde.
Auf diese Weise kann der Nachteil, keine direkte Rückmeldung durch die Physiologie erhalten zu können, weitestgehend ausgeglichen werden. Als letzter Schritt des Diamonds kann nämlich dann die Frage angegangen werden: „Wie würden Sie Ihren ursprünglichen Satz jetzt formulieren – unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse?“ Neuer Satz: Ich habe einen Job, der mir richtig Spaß macht!
Dies verdeutlicht die eindrucksvolle Veränderung, denn die Antwort ist etwas komplett anderes als der scheinbar schlichte Wunsch nach mehr Schlaf. Unverkennbar ermöglicht das Verlassen des bisherigen Denkrahmens, den eigentlichen, tieferen Zusammenhang offen zu legen.
Rainer Bäumler ist mit diesem Ergebnis des rund einstündigen Online-Coachings gleichermaßen überrascht und zufrieden. Zwar bedarf es noch einiger Zeit, doch einer Dankes-E-Mail ein paar Monate später ist zu entnehmen, dass er einen neuen Job findet, obendrein in der Stadt, in der auch seine Freundin lebt, so dass beide daraufhin in eine gemeinsame Wohnung ziehen.
Das Beispiel illustriert, dass die persönliche Anwesenheit des Coachs keine notwendige (und auch keine hinreichende) Voraussetzung für den Erfolg ist. In jedem Fall ist es, so oder so, unerlässlich, dass sorgfältig und aufmerksam gearbeitet sowie den jeweiligen Besonderheiten Rechnung getragen wird.
Die Welt verändert sich, auch und gerade die des Coachings. Das Internet hat zahlreiche neue Möglichkeiten geschaffen und eröffnet beständig weitere. Man denke nur an Newsletter, Web 2.0 oder die Möglichkeiten von Online-Trainings und Webinaren. Diese sich permanent entfaltenden Wege der Kundengewinnung, Kontaktpflege und des Vertriebs zu nutzen und sich den wandelnden Herausforderungen zu stellen, ist inzwischen zu einer Notwendigkeit für jeden Coach geworden, der einerseits im intensiver gewordenen Wettbewerb bestehen muss, jedoch andererseits vor allem den Anspruch an sich selbst stellt, seinen Klienten stets das bestmögliche Angebot und die optimale Betreuung bieten zu wollen.