Methoden

Coaching digital

Tablet-Tools für technikaffine Coaches

Die Wahrscheinlichkeit, Eigentümer eines Tablet-Computers zu sein oder in Kürze zu werden, ist für Zeitgenossen groß. Wer ein solches Gerät schon sein Eigen nennt, surft damit vielleicht auf dem Sofa im Internet, schreibt E-Mails im Bett oder liest ein E-Book im Café. Aber wird diese Technik auch im Coaching genutzt?

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2012 am 12.09.2012

Eine nicht repräsentative Umfrage in unserem eigenen Netzwerk offenbart, dass die meisten Coaches weitgehend „Old School“ arbeiten und nicht auf technische Tools setzen. Dabei drängt sich die eine oder andere Anwendung durchaus auf und verdient eine nähere Betrachtung.

Als Steve Jobs am 27. Januar 2010 „One more thing ...” beziehungsweise das iPad ankündigte, waren viele Apple-Fans begeistert. Die insgesamt größere Zahl der anfänglichen Skeptiker wurde schnell eines Besseren belehrt, denn die Verkaufszahlen des iPads explodierten. Die Konkurrenz, beispielsweise Amazon und Google, haben in diesem Sommer neue, eigene Tablet-Lösungen vorgestellt, und auch Microsoft wird ebenfalls mit einem neuen Gerät mitmischen.

Wir selbst verwenden seit 2005 (also lange vor dem iPad-Hype) Tablet-PCs für Coaching und Diagnostik und beobachten den Markt seitdem sehr genau. Seit 2010 sammeln wir auch intensiv Erfahrungen mit dem iPad, auf das wir uns hier konzentrieren werden, denn laut den Marktforschern von Gartner ist dieses Gerät mit Abstand am weitesten verbreitet und wird es vor Android- und Windows-8-Geräten bis mindestens 2016 auch bleiben.

Vom analogen zum digitalen Medium 

Das papierfreie Büro, die elektronische Personalakte oder Steuererklärung sind bekannte Beispiele für den Wandel vom Analogen zum Digitalen. Und im Coaching? Klassische Medien wie Flipcharts, Metaplanwände oder simple bunte Moderationskärtchen sterben so schnell nicht aus. Trotzdem dokumentieren wir auch die Arbeitsergebnisse mit diesen Medien schon konsequent digital. Wir fotografieren mit der mittlerweile technisch ausgereiften Kamera des iPads die Charts ab und schicken diese dem Klienten bei Bedarf unmittelbar per E-Mail zu. Ganz pragmatisch gedacht, ist dies ein To-do weniger, welches wir auf unserer Liste haben.

Der weitere Mehrwert des iPads im Coaching ergibt sich für uns in unterschiedlichen Bereichen. Hier sind zum Beispiel papierfreie und handschriftliche Notizen zu nennen. Aber auch im Coaching selbst liefert das iPad sowohl im Rahmen kreativer Vorgehensweisen als auch bei strukturierenden Methoden einen Nutzen. Darüber hinaus findet es bei uns beispielsweise in der systemischen Strukturaufstellung oder bei der Arbeit mit dem Reflecting Team seine Einsätze. Auf diese Einsatzmöglichkeiten werden wir im weiteren Verlauf genauer eingehen und geeignete Software (Apps) vorstellen.

Handschriftliche Notizen – papierfrei

Voraussetzung für komfortable handschriftliche Aufzeichnungen mit dem iPad ist ein spezieller Stift (Stylus) aus dem Zubehörhandel sowie eine geeignete Handschriften-App. Die Auswahl in Apples „App Store“ ist riesig und verwirrend zugleich. Nach vielen Tests haben wir uns für „Noteshelf “ entschieden, weil sowohl die Bedienung als auch die Optik anwenderfreundlich sind. „Noteshelf“ besitzt ein Zoom-Feld, welches einen Ausschnitt der Seite vergrößert darstellt und diesen nach der Eingabe wieder verkleinert. Dadurch gelingen mühelos ordentliche Mitschriften (s. Abb. 1).

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Abb. 1: Noteshelf-Screenshot

Bei aller Begeisterung merkt man jedoch auch schnell, dass das iPad nicht originär für die Bedienung mit einem Stylus konzipiert wurde. Der Unterschied zum Schreiben auf Papier ist groß und es bedarf einiger Geduld, bis die Eingabe problemlos und intuitiv gelingt. Danach bietet das iPad als „Notizblock“ einen echten Mehrwert, da man stets alle Mitschriften auf dem Gerät dabei hat und jederzeit darauf zugreifen kann.

Wer sich an die etwas mühsame Eingabe auf dem iPad nicht gewöhnen möchte, das nun einmal auf die Eingabe mit dem Finger und nicht mit dem Stift optimiert wurde, ist wahrscheinlich mit einem Tablet-PC auf Basis von Windows 7/8 mit aktiver Digitizer-Hardware („elektronische Tinte“) besser bedient. Präzises und druckempfindliches Schreiben mit großer Ähnlichkeit zum Schreiben auf Papier findet sich derzeit leider nur bei diesen Geräten, die aufgrund der aufwendigeren technischen Voraussetzungen preislich im oberen Segment angesiedelt sind.

Kreativ zeichnen und malen

Ganz besonders möchten wir die Aufmerksamkeit auf eine bezaubernde App lenken, die den Namen „Paper by FiftyThree“ trägt. Das Nutzererlebnis lässt sich schwer beschreiben, der Wow-Effekt ist aber garantiert. Die Entwickler haben es geschafft, unterschiedliche Maltechniken, vom Bleistift bis zur Wasserfarbe, beeindruckend realitätsnah auf dem iPad umzusetzen. Der kreativ arbeitende Coach bekommt mit „Paper“ eine halbe (mobile) Künstlerwerkstatt in seiner Tasche untergebracht. Das Malen macht schnell auch den mit der Software nicht vertrauten Klienten Spaß und die Ergebnisse sehen einfach toll aus, selbst wenn die Talente des „Künstlers“ vielleicht eher in anderen Bereichen liegen: Ausprobieren!

Digitale Bibliothek

Wahrscheinlich lesen Coach-Kollegen auch so viel wie wir und machen sich dabei Markierungen und Notizen? Dann sollten sie unbedingt die App „GoodReader for iPad“ ausprobieren. Zu Recht wird diese Software als „Schweizer Armeemesser“ bezeichnet, da es nahezu alle wichtigen Dateiformate darstellen kann. Wir schätzen das Programm, weil es praktisch nie abstürzt und auch mit großen Dateien klaglos zurechtkommt. Ein Highlight ist seine Fähigkeit, sich mit Speicherorten im Internet (Stichwort „Cloud“) zu synchronisieren, so dass wir stets mit der jeweils aktuellsten Version einer Datei arbeiten. Ein weiteres „Killer Feature“ ist die Funktionalität, PDF-Dokumente mit Anmerkungen (z.B. Kommentare, Markierungen, Pfeilen oder auch Freihandzeichnungen) versehen zu können (s. Abb. 2).

Ganz nebenbei ist der GoodReader ein vollwertiger Dateimanager, mit dem eine große Zahl von Dokumenten und Multimediadateien übersichtlich verwaltet werden kann. So können wir zum Beispiel spontan ein Video im Coaching einsetzen – wir haben das iPad ja immer dabei ...

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Abb. 2: GoodReader-Screenshot

Virtuelles Gedächtnis

Wir wissen aus dem Feedback einiger Kollegen, dass der Cloud-Dienst „Evernote“, für den auch eine App existiert, in ihrem Workflow eine bedeutsame Rolle spielt. Im Prinzip ist „Evernote“ eine Art gigantische Ablage für Dokumente, Bilder und Webseiten – sozusagen ein großer Zettelkasten.

Evernote macht es möglich, auf vielen Wegen Inhalte in die Evernote-Cloud hochzuladen. Einige (leider nicht alle Formate) werden auf den Evernote-Servern vollständig indiziert und sind dadurch blitzschnell durchsuchbar. Diese Aussage ist nicht auf Textdokumente beschränkt, auch Handschriften auf Fotos werden recht treffsicher erkannt, so dass zum Beispiel Stichworte in abfotografierte Flipcharts ebenfalls mit der Suchfunktion gefunden werden. Einen großen Nutzen entfaltet eine Software wie „Evernote“ dann, wenn man über lange Zeit eine große Anzahl von Materialien ablegt und sich von der Software unterstützen lässt, die Übersicht zu behalten.

Strukturierende Methoden

Für die strukturiert arbeitenden Coaches kann die App „Priority-Matrix“ eine echte Arbeitserleichterung darstellen. Diese Anwendung positioniert sich selbst im Bereich Zeitmanagement oder Selbstorganisation. Die zentralen Elemente sind die vier beliebig beschriftbaren Quadranten, die auch farblich verändert werden können. Wir selbst verwenden die App, um gemeinsam mit dem Klienten beispielsweise eine SWOT-Analyse zu erarbeiten oder auch für die Betrachtung von Entscheidungsdilemmata auf Basis der Tetralemma-Logik. In der Handhabung überzeugt uns das Interface, weil erfrischend unkompliziert mit den Fingern umsortiert und probiert werden kann.

Mit Mindmaps lassen sich Gedanken in einfacher Form kanalisieren und visualisieren. Diese von Tony Buzan entwickelte Methode erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit und findet auch im Coaching immer wieder Anwendung. Wir nutzen Mindmaps beispielsweise im Rahmen der Auftragsklärung und auch bei der Arbeit an konkreten inhaltlichen Themen. Mithilfe einer Mindmapping-App ersetzt das iPad das bewährte Blatt Papier und übernimmt das automatische Anordnen der Zweige. Zudem können einfach Änderungen vorgenommen werden. Auch das nachträgliche Sortieren der Äste wird problemlos über den Touchscreen erledigt.

Die mittlerweile zahlreichen Mindmapping-Apps unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Bedienung, der grafischen Aufbereitung als auch in den Möglichkeiten, die das Programm über das Erstellen von Mindmaps hinaus bietet. Besonders überzeugt hat uns die App „iThoughtsHD“ (s. Abb. 3). Die App überzeugt durch ihre vielfältigen Import- und Exportvarianten. Zudem gibt es zahlreiche Layout-Vorlagen, zwischen denen einfach umgeschaltet werden kann. Sehr hilfreich im Coaching ist auch die Funktion, Notizen zu einzelnen Zweigen oder Einträgen zu machen.

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Abb. 3: iThoughtsHD-Screenshot

Systemische Strukturaufstellungen

Im Coaching verwenden wir auch regelmäßig die Methodik der systemischen Strukturaufstellung in Anlehnung an Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer. Die Beziehungen der beteiligten Personen oder Systemelemente untereinander werden durch Nähe oder Distanz und Blickrichtung ausgedrückt.

Bislang waren meist kleine Holzfiguren unterschiedlicher Farbe und Größe unser Arbeitsmaterial. Wir fragten uns aber recht schnell, ob nicht der Multitouchbildschirm des iPads ebenfalls ein interessantes Medium für Aufstellungsarbeit sein könnte. Voraussetzung ist eine App, die die Positionierung von Repräsentanten erlaubt, und Blickrichtung sowie Distanz sollten sehr einfach mit den Fingern verändert werden können.

Wir haben längere Zeit nach einer geeigneten App gesucht und uns dann für „OmniGraffle“ (s. Abb. 4) entschieden. Um mit dieser Software systemische Strukturaufstellungen sinnvoll visualisieren zu können, ist allerdings etwas Handarbeit nötig, denn es fehlen geeignete Symbole. OmniGraffle verwendet sogenannte „Stencils“, das sind Formen wie zum Beispiel Kreise, Rechtecke oder Dreiecke. Glücklicherweise können diese Stencils durch eigene ergänzt werden, so dass sich jeder Coach mit überschaubarem Aufwand seine persönliche Semantik aufbauen kann. Unsere Stencils haben wir zum Download (http://graffletopia.com/stencils/798) und zur freien Verwendung veröffentlicht.

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Abb. 4: OmniGraffle-Screenshot

Beratende und reflektierende Teams

Das klassische Setting der lösungsorientierten Kurzzeittherapie nach Steve de Shazer ähnelt dem „Zweikammersystem“ des Mailänder Modells: Ein beratendes Team beobachtet das therapeutische Gespräch, welches dann gezielt unterbrochen wird. Etwas variiert wird diese Konstellation bei der Arbeit mit der Methode des „Reflecting Teams“ im Sinne Tom Andersens.

Beiden Ansätzen ist gemein, dass es verfügbarer Kollegen bedarf, die die Rolle des beratenden oder auch reflektierenden Teams ausfüllen. Der Schritt, ein dezentral besetztes Team an unterschiedlichen Standorten zu nutzen, ist technisch betrachtet ein kleiner. Die benötigte Hard- und Software steht mit Geräten wie dem iPad und Co. zur Verfügung. Ehemals sehr teure Videokonferenzsysteme sind heute weder notwendig, noch bieten sie wesentliche Vorteile. Voraussetzung ist einzig und allein eine schnelle Internetverbindung, die in weiten Teilen Deutschlands als gegeben vorausgesetzt werden kann.

Experimentierfreudigen Coaches empfehlen wir auf dem iPad die Verwendung der App des Marktführers „Skype for iPad“. Die Bildqualität überzeugt, was meint, dass das Video hinreichend gut aufgelöst übertragen wird, um damit professionell arbeiten zu können. Außerdem sind Skype-Clients für praktisch alle Plattformen erhältlich, so dass das Vorhandensein eines iPads nicht zum limitierenden Faktor bei der Suche nach verfügbaren Kollegen wird.

Für Reflecting Teams haben wir das iPad am hinteren Ende eines Tischs im Querformat aufrecht stehend, so dass die Front-Kamera Coach und Klienten in der Totalen aufzeichnet. Soll der Klient nicht unsere „Co-Berater“ sehen, drehen wir das iPad um und filmen mit der Kamera auf der Rückseite. Eine weitere sehr nützliche Taste in der Software schaltet das Mikrofon auf stumm, so dass das beobachtende Team nicht durch Geräusche stört. Tatsächlich arbeiten wir ohne zusätzliches externes Mikrofon, weil die Tonqualität für unsere Ansprüche absolut ausreicht. Wer den Bildschirm des iPads für zu klein befindet, kann dessen Inhalt mit Apples hauseigener Streaming-Lösung (Apple TV) auf einen großen Fernseher spiegeln: Dazu den Home-Button doppelt klicken und in der Multitaskingleiste ganz nach links scrollen. Dort kann dann als AirPlay-Ausgabegerät das Apple TV gewählt werden.

Übrigens können auch Smartphones und PCs in die Videokonferenz integriert werden. Speziell dann, wenn mehr als zwei Endgeräte miteinander eine Gruppen-Videokonferenz aufbauen sollen, muss jedoch die PC-Software von Skype verwendet werden und ein kostenpflichtiger Premium-Account ist notwendig. Wer aufgrund der geografischen Verteilung seiner Kollegen auf diese Funktion nicht verzichten möchte, sollte sich die Skype-Alternative „oovoo“ genauer anschauen. Dieser Anbieter unterstützt kostenlose Videokonferenzen mit bis zu zwölf gleichzeitigen Teilnehmern auch auf dem iPad.

Fazit

Mit diesem Beitrag stellen wir aus der Masse interessanter Anwendungen, die in der Coaching-Praxis ihren berechtigten Platz finden könnten, eine kleine Auswahl vor, die eine echte Bereicherung darstellen können. Das Ziel ist es, den Lesern ein paar interessante Startpunkte für eigene Experimente an die Hand zu geben und Lust zu wecken, die noch junge Geräteklasse der Tablet-PCs im eigenen Berufsalltag gewinnbringend einzusetzen. Wahrscheinlich gibt es zum Drucktermin dieses Hefts schon wieder völlig neue und aufregende Entwicklungen, gerade im Bereich der Apps ...

Vielleicht hat der eine oder andere Leser während der Lektüre dieser Seiten überlegt, dass digitale Medien im Coaching vor dem Hintergrund des Datenschutzes durchaus kritisch zu bewerten sind. Das ist eine Einschätzung, die wir teilen. Wir arbeiten im Coaching nicht nur im Sinne des Gesetzgebers mit vertraulichen, personenbezogenen Daten. Wir sichern unseren Klienten auch Vertraulichkeit zu, die unter anderem die Basis unserer Coaching-Beziehung bildet. Die Nutzung von Cloudbasierten Diensten und Internet-basierten Übertragungswegen stellt ein Risiko dar, das realistisch abzuschätzen dem Anwender häufig gar nicht möglich ist. Gerade bei der Speicherung und Übermittlung ist eine Anonymisierung oder – falls möglich – Verschlüsselung der Daten wichtig.

Abschließend sei betont, dass wir mit dem Thema Datenschutz immer sehr verantwortungsbewusst umgehen sollten, dies jedoch kein Hemmnis darstellen muss, sich den neuen digitalen Hilfsmitteln zu öffnen. Es sind viel leicht erst einmal die technikaffinen Coaches unter uns, die sich von diesen Medien angesprochen fühlen. Aber auch für alle (noch) nicht digital arbeitenden Kollegen lohnt sich der Blick auf die neuen Möglichkeiten. Hierbei gilt natürlich auch folgendes: Nicht die Tools stehen im Mittelpunkt unseres Handelns, sondern die Anliegen unserer Klienten. Wir alle packen nützliche und stimmige Ansätze in unseren Coaching-Werkzeugkasten. Zu entscheiden, welche das sind, obliegt jedem selbst.

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