Wer sich für Coaching interessiert oder einen Coach sucht, hat es nicht leicht. Hunderte von Anbietern unterschiedlichster Ansätze versprechen das Blaue vom Himmel. Gut zwei Duzend Coaching-Verbände versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen, und dokumentieren doch allein durch ihre Vielzahl das eigentliche Problem: Es gibt nach wie vor keine durchschlagende Qualitätssicherung. Jeder kann sich irgendetwas ausdenken, drei Gleichgesinnte um sich scharen und schon ist ein neuer „Coaching-Ansatz“ geboren. Was liegt näher, als sich angesichts dieser Misere an der Tradition zu orientieren? Ist es nicht so, dass sich über Jahrzehnte hinweg allmählich die Spreu vom Weizen trennt? Verschwinden unwirksame Methoden nicht ganz einfach vom Markt, weil sie ohne spürbaren Nutzen bleiben? Leider ist dies ein Trugschluss, wie uns das Neurolinguistische Programmieren (NLP) prototypisch vor Augen führt.
NLP entstand vor mehr als 40 Jahren und stellte den Versuch dar, eine effektive Kurzzeittherapie zu entwickeln. Die Gründer des Ansatzes gingen von der naiven Vorstellung aus, man müsse einfach nur drei prominenten Psychotherapeuten über die Schulter schauen und schon wüsste man, was Psychotherapie tatsächlich erfolgreich macht. Jeder Psychologiestudent lernt heute im ersten Semester, dass ein solches Vorgehen bestenfalls zu Hypothesen, nicht aber zu abgesicherten Erkenntnissen führt: Die Auswahl der Therapeuten ist extrem selektiv. Der Nutzen der Therapie wird nicht (im Längsschnitt) evaluiert. Es fehlt an Kontrollgruppen, so dass nicht sichergestellt werden kann, auf welche Interventionstechniken etwaige (Miss-)Erfolge zurückzuführen sind.
Der Theoriebildung stehen diese methodischen Mängel jedoch nicht im Weg, da sie sich ohnehin weitgehend im luftleeren Raum bewegt. Letztlich denken sich die Gründer ihre Theorie einfach nur aus und daran hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Immer wieder gibt es Ergänzungen, die nur der Phantasie der Urheber entstammen und bestenfalls assoziativ mit „Erkenntnissen der Forschung“ begründet werden. Angesichts dieser Praxis verwundert es nicht, wenn der Nutzen von NLP selbst nach 40 Jahren nicht einmal im therapeutischen Kontext überzeugend belegt werden konnte (Kanning, 2019).
In der Wirtschaft hat sich NLP etwa in den neunziger Jahren etabliert. Im Folgenden sollen exemplarisch drei prominente Techniken angesehen und nach ihrer Evidenz gefragt werden (umfassend: Greif, 2018; Kanning, 2013; Witkowski, 2010).
Vertreter des NLP gehen davon aus, dass Menschen sich systematisch dahingehend unterscheiden, wie sie Informationen aufnehmen und verarbeiten. Dabei wird primär zwischen visuellen, auditiven und kinästhetischen Typen unterschieden. Ein visueller Typ soll aus seiner Umwelt primär bildhafte Informationen aufnehmen und Informationen bildhaft abspeichern. Der auditive Typ wäre hingegen besonders empfänglich für Töne, und der kinästhetische Typ für Empfindungen. Will man nun im Rahmen des Coachings seinen Klienten (oder als Führungskraft einen Mitarbeiter, Kunden etc.) in die eine oder andere Richtung beeinflussen, so ist es wichtig, zunächst festzustellen, um welchen Typus es sich handelt. Hierzu bedient man sich insbesondere der Blickrichtungsdiagnostik. Der Coach schaut sich dabei an, in welche Richtung sein Klient blickt, während er nachdenkt: nach oben, geradeaus oder nach unten beziehungsweise nach links oder nach rechts. Jeder Blickrichtung wird dabei ein bestimmter Typus unterstellt. Menschen, die nach oben schauen, gehören demnach zum visuellen Typus, während Menschen, die primär horizontal blicken, zum auditiven Typus gezählt werden.
Vergleichsweise viele Studien beschäftigen sich mit der Frage, ob eine solche Zuschreibung sinnvoll ist. Die Ergebnisse dieser Studien sind verheerend. So zeigt sich beispielsweise, dass eine Person, die einem bestimmten Typus zugeordnet wurde, kurze Zeit später als ein ganz anderer erscheint. Mehr noch, ein und dieselbe Person wird von unterschiedlichen Betrachtern zum gleichen Zeitpunkt verschiedenen Typen zugeordnet. Werden neben der Blickrichtungsdeutung andere Formen der Diagnostik, wie z.B. Fragebögen herangezogen, so zeigt sich keine Übereinstimmung der Diagnose. Die Tatsache, dass es offensichtlich nicht gelingt, Typen valide zuzuordnen, stellt den gesamten Ansatz in Frage.
Aufbauend auf der Blickrichtungsdiagnostik sollte das Verhalten von Gesprächspartnern, wie etwa Mitarbeitern, leicht zu manipulieren sein. Die Führungskraft hat im NLP-Coaching gelernt, zunächst einmal den Typus des Mitarbeiters über dessen Blickrichtung zu bestimmen. Darüber hinaus schaut sie sich genau sein (non-)verbales Verhalten an. Im zweiten Schritt imitiert sie dieses Verhalten (Spiegeln). Dies soll beim Mitarbeiter dazu führen, dass er sich wohler fühlt und Vertrauen fasst (Rapport). Durch eine behutsame Veränderung der eigenen (non-)verbalen Signale solle die Führungskraft dann schließlich das Fühlen und Denken des Mitarbeiters verändern. Warum? Ganz einfach, weil der Mitarbeiter sich im Zustand des Rapports öffnet und seinem Gegenüber fast schon hypnotisch folgen muss.
Empirische Studien zeigen, dass Menschen sich in der Tat wohler fühlen, wenn ihr Gegenüber eine ähnliche Körperhaltung und Stimmlage einnimmt. Dieses hat damit zu tun, dass in alltäglichen Interaktionen eine solche (wechselseitige) Anpassung des Kommunikationsverhaltens üblicherweise von allein geschieht (Chamäleon-Effekt) und man sich somit in einer vertrauten Situation befindet. Die Kenntnis des vermeintlichen Typus (visuell, auditiv, kinästhetisch) ist hierfür nachweislich ohne jede Bedeutung. Die intendierte, tiefgreifende Veränderung des Mitarbeiters durch Modifikation des Vorgesetztenverhaltens ist nie belegt worden und erscheint aus Sicht der Psychologie geradezu absurd.
Eine Interventionsstrategie zur Veränderung des eigenen Verhaltens stellt z.B. das Modeling dar. Der Klient lernt hierbei, das (non-)verbale Verhalten einer attraktiven Person (Modell) bis ins kleinste Detail zu beobachten und zu imitieren. Attraktive Personen können beispielsweise Vorgesetzte oder erfolgreiche Wirtschaftsführer sein, die man sich selbst zum Vorbild nimmt. Imitiert wird alles, was sich denken lässt: Wortwahl, Betonung, Bewegung im Raum, Gestik, Mimik etc. Hat der Klient gelernt, das Modell vollständig zu imitieren, so geht es nun im zweiten Schritt darum, zu schauen, inwieweit er selbst erfolgreich wird. Die Theorie geht davon aus, dass dies automatisch geschieht. Damit der Klient nun aber nicht dauerhaft als Klon durchs Leben gehen muss, werden nach und nach einzelne Imitationen in einer Testphase zurückgenommen. Wenn alles gut ausgeht, bleibt der Klient nun erfolgreich, obwohl er teilweise wieder zu seinem alten Verhalten zurückkehrt.
Aus Sicht der Psychologie raubt einem die geradezu kindliche Naivität dieser Technik fast schon den Atem. Die Vorstellung, dass der Erfolg eines Menschen vollständig oder auch nur im Wesentlichen durch Gestik, Mimik etc. erklärt werden kann, ignoriert jegliche Forschung. Selbst wenn Erfolg nicht vornehmlich Ausdruck von Intelligenz, Persönlichkeit, Sozialisation, günstigen Umweltbedingungen etc. wäre, dürfte es den meisten Menschen wohl kaum möglich sein, einen anderen Menschen überzeugend derart weitgehend zu imitieren. Bis heute gibt es keine Studien, die belegen, dass Modeling funktioniert. Warum wohl?
Auch wenn es alltagsplausibel ist, anzunehmen, dass über die Zeit hinweg unwirksame Ansätze vom Markt verschwinden und nur die nützlichen überleben, ist dies ein Trugschluss. Zu beobachten ist dies bei vielen Pseudowissenschaften, wie etwa der Astrologie oder der Grafologie, die mitunter schon hundertfach empirisch widerlegt wurden und dennoch weiter existieren. Als Orientierung im Coaching-Markt taugt das Kriterium der Tradition daher kaum. Vielleicht überleben solche Pseudowissenschaften vor allem aus einem Grund: Sie befriedigen das Bedürfnis vieler Menschen nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Wer vermeintliche Psychotricks lernt, muss keine dicken Bretter bohren.