Wer sich für die skurrilen Auswüchse des Coachings interessiert, wird früher oder später zwangsläufig auf die Organisationsaufstellung stoßen. Der Ansatz qualifiziert sich insbesondere für Personen, an denen die Aufklärung spurlos vorübergegangen ist und die zudem ein gerüttelt Maß an Suggestibilität mitbringen. Aber der Reihe nach (Kanning, 2013 & 2015).
Die Wurzeln dieses besonderen Pflänzchens der Esoterik-Kultur liegen in der Familienaufstellung. Wie so viele in den 60er und 70er Jahren sah sich dessen Gründungsvater berufen, eine neue Psychotherapieschule ins Leben zu rufen. Wie so wenige seiner Zeit war er damit erfolgreich, zumindest bis in die 2000er Jahre. Der besondere Erfolg des hier thematisierten Ansatzes bestand wohl vor allem darin, dass er versprach, in Windeseile alle Probleme zu lösen, und dass dies ebenso unterhaltsam wie eindrucksvoll auf einer großen Bühne mit bisweilen hunderten von Zuschauern vonstattengehen sollte. Der unbedarfte Zuschauer fühlte sich hier zwar eher an die Inszenierungen amerikanischer Fernsehprediger als an die Ödnis psychotherapeutischer Gesprächsrunden erinnert, aber was soll’s; wenn der Erfolg dem Meister recht gibt, nimmt man die öffentliche Bloßstellung der Klienten gern in Kauf. Das Schöne an dem Ansatz war, dass er für jedwedes Problem eine Lösung zu besitzen schien. Vom Grübeln über die Sinnlosigkeit der eigenen Existenz über Schwierigkeiten in Partnerschaft und Familie bis hin zum drohenden Krebstod: Für alles gab es eine Erklärung und – was noch viel besser war – auch Heilung in gerade einmal 20 bis 30 Minuten.
Eine solche Methode schrie geradezu danach, aus den engen Grenzen der Psychotherapie in die weite Welt des Coachings übertragen zu werden. Zum einen existieren hier noch viel, viel mehr Probleme, an denen man sich versuchen kann, zum anderen gibt es deutlich mehr Geld zu verdienen, wenn man es denn nur richtig anstellt. Gesagt, getan. So entstand die Organisationsaufstellung, die mit kleinen Abwandlungen des Originals denselben Prinzipien folgt. Dass inzwischen die Familienaufstellung nach dem Suizid einer Teilnehmerin öffentlich in Ungnade gefallen war (Buchholz, 2003) und der Meister sich in den Ruhestand verabschiedete, schien viele seiner Adepten wenig zu stören.
Die Organisationsaufstellung findet in Form eines Gruppen-Coachings statt. Anwesend sind vielleicht zehn Teilnehmer aus verschiedenen Unternehmen, die einander in der Regel nicht kennen.
Erster Akt. Zu Beginn der Inszenierung wird ein Protagonist gesucht, der als erster bereit ist, auf die Bühne zu steigen und von heimischen Problemen zu berichten. Man stelle sich vor, es handelt sich um den Inhaber eines Familienunternehmens, der seit Jahren mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hat und dem allmählich drohenden Konkurs ins Gesicht schaut. Er schildert kurz seine missliche Lage und schon geht es weiter.
Zweiter Akt. Der Reihe nach muss er nun aus dem Publikum sogenannte Stellvertreter auswählen. Die Stellvertreter stehen für Personen, die nach Meinung des Protagonisten oder des Coachs eine wichtige Rolle im Problemszenario spielen. Da ist z.B. der Vertriebsleiter des Unternehmens, der wichtigste Kunde aus Fernost, der Betriebsratsvorsitzende und – hier treten die Wurzeln der Methoden offen zu Tage – Familienmitglieder, allen voran der Firmengründer oder die eigene Schwester. Dass manche Personen vielleicht schon verstorben sind, spielt keine Rolle, da die Methode so wirksam ist, dass sie die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits locker zu überwinden vermag. Nachdem der Protagonist z.B. den Stellvertreter für seinen verstorbenen Vater ausgewählt hat, muss er den Seminarteilnehmer von hinten an der Schulter packen und vor sich herschiebend irgendwo auf der Bühne positionieren. Wichtig ist dabei, dass er allein seiner Intuition folgt und nicht dem Verstand – eine Tugend, die nebenbei bemerkt jedem Fan esoterischer Coaching-Ansätze zum Vorteil gereicht. Allzu viel Denken schadet der Sache nur. Zuletzt sucht der Protagonist noch einen Stellvertreter für die eigene Person und verlässt die Bühne.
Dritter Akt. Der Coach betritt die Szene und beginnt, die Stellvertreter nach ihrem Befinden zu befragen. Da steht vielleicht der Stellvertreter des Vaters rechts außen mit dem Gesicht zur Wand und man erfährt, dass er sich „irgendwie ausgestoßen“ fühlt, was nicht zuletzt angesichts seines Todes vor 20 Jahren alle Zuhörer tief ergreift. Die Schwester möchte vielmehr im Mittelpunkt stehen, dort, wo sich der Betriebsratsboss gerade selbstzufrieden den Wanst streichelt. Falls einer der Stellvertreter nicht so recht weiß, was er sagen soll, hilft der Coach mit der sogenannten „kataleptischen Hand“ nach. Hierzu stellt er sich hinter die Person und hält seine Hand über deren Schulter, so, als würde er eine Handpuppe halten. Anschließend spricht die Hand durch den Mund des Coachs aus, was der Stellvertreter nicht zu verbalisieren vermag.
Vierter Akt. Der Coach selbst analysiert die Positionierung der Stellvertreter und verändert sie. Dabei hilft ihm das Prinzip „der Ordnung“, das auch im ursprünglichen „familientherapeutischen“ Ansatz eine zentrale Bedeutung hat. Sämtliche Probleme im privaten und beruflichen Leben gehen auf Störungen „der Ordnung“ zurück. Die wichtigste Ordnungsregel ist, dass Frauen den Männern untertan sind und dass Kinder den Eltern kritiklos dienen müssen. Auf der Bühne gibt es zwei weitere Ordnungsregeln: Hierarchisch hochstehende Personen müssen links stehen und hierarchisch niedrige Schergen rechts; die Vergangenheit steht hinten, die Zukunft vorn. Steht der verstorbene Vater ganz weit rechts mit dem Gesicht zur Wand, so ist der Kern des Problems bereits erkannt. Dem Vater wurde nicht die gebührende Ehre zuteil. Da ist es nur folgerichtig, dass die Firma ihrem Untergang entgegensteuert.
Fünfter Akt. Der Stellvertreter des Protagonisten wird auf der Bühne gegen das Original ausgetauscht. Es folgt vielleicht noch die eine oder andere Unterwerfungsgeste, bei der der Protagonist vor seinem Vater niederkniet und sich für die mangelnde Ehrerbietung entschuldigt. Abschließend lässt man die Szene noch ein klein wenig auf sich wirken und das war’s dann auch schon.
Um die vermeintliche Wirkung der gesamten Inszenierung erklären zu können, bedient man sich einer metaphysischen Instanz, dem sogenannten „wissenden Feld“. Diese geheime Kraft – früher hätte man vielleicht gesagt, es sei der liebe Gott, nur verkauft sich das heute in einer säkularisierten Welt so schlecht – schwebt die gesamte Zeit über den Stellvertretern. Sie sorgt zum einen dafür, dass die Fremden zu wahren Stellvertretern der Originale werden. Wer also auf der Bühne den toten Vater oder den Kunden spielt, ist in dem Moment tatsächlich der Vater oder der Kunde, obwohl er das Original nicht kennt und es vielleicht auch schon lange zu Staub zerfallen ist.
Zum anderen sorgt das wissende Feld dafür, dass die abschließende Aufstellung, bei der alles wieder in Ordnung gebracht wurde, sowie die Rituale das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrechen und auf wundersame Weise eine Wirkung entfalten. Mit einem Mal fühlt sich der Kunde in Fernost wieder gewogen, mehr Produkte zu kaufen und die Schwester schraubt ihren Anspruch, als Frau bei Männergeschäften mitreden zu wollen, demütig auf das zulässige Maß zurück. So einfach kann das Leben sein.
Zu den Vorteilen derartiger Ansätze gehört es, dass man sich völlig beliebig neue Spielarten ausdenken kann, so dass es für Kunden, die einmal angefixt wurden, immer wieder Neues zu entdecken gibt oder der Coach vielleicht sogar seine eigene Schule gründen kann. So gibt es z.B. auch Varianten, bei denen abstrakte Begriffe wie „der Tod“ oder „der Umsatz“ mit Stellvertretern bedacht oder bestimmte Muster auf der Bühne aufgestellt werden. Freunde von Outdoor-Events kommen zudem bei Kutschenfahrten auf ihre Kosten. Hierzu wird in einer Halle ein Parcours aufgebaut, der die gewünschte Organisationskultur symbolisiert. Anschließend fährt die Geschäftsführung mit der Kutsche hindurch und – Abrakadabra – das wissende Feld sorgt für die Umsetzung der Ziele in der Realität.
Ist es notwendig zu betonen, dass keine belastbaren empirischen Belege für den Nutzen einer solchen Methode existieren? Ist es notwendig, explizit die Schwachstellen aufzuzeigen? Nein, wir wollen die Intelligenz der Leserinnen und Leser nicht beleidigen.