Der Außendienstler Frank B. (alle Namen geändert) ist ein „alter Hase“: 15 Jahre im Vertrieb, er hat das Branchenhandwerk sozusagen von der Pike auf gelernt. Vor gut zwei Jahren wechselte er mit großen Versprechungen ins Autohaus von Ludwig Bergbach. Dort sollte er den Verkauf ankurbeln und auch neue Kunden (besonders gewerbliche) ins Haus holen. Die hohen Erwartungen des Chefs sind mittlerweile dessen Unzufriedenheit gewichen. Dem Verkäufer will er dennoch nicht einfach kündigen, sondern mit Hilfe eines Coachs entwickeln. Aus dem Coach-Pool des Konzerns wird also ein Coach ausgesucht, der den Verkäufer begleiten soll.
Montag, kurz vor neun Uhr: Schon auf dem Parkplatz treffen der Inhaber des Betriebs und der Coach zusammen. Kurzes Händeschütteln, freundlicher Gruß. „Tja, tut mir leid. Aber mein Verkäufer Frank hat am Freitag mit sofortiger Wirkung gekündigt.“ So etwas würde er nicht mitmachen und der Marke wäre das erst recht nicht angemessen, hätte er noch gemeint und sei dann verschwunden. Der Inhaber lächelt etwas schief: „Ich habe da aber noch einen jungen Nachwuchsmitarbeiter. Vielleicht können Sie sich den mal anschauen?“.
Dass ein Mitarbeiter lieber kündigt als sich coachen zu lassen, ist zum Glück die absolute Ausnahme. Doch gerade in den nicht selber ausgesuchten und gebuchten Coaching-Maßnahmen ist die Tendenz hoch, sich nicht dem Coach zu stellen, sondern zu versuchen, ihm auszuweichen. Wer zum Beispiel ein Ausbildungsprogramm für Verkäufer durchläuft, bekommt - je nach Branche und Unternehmen – ein Coaching-Programm „zur Förderung der persönlichen Fertigkeiten“ als festen Bestandteil einfach verordnet. Nur nach durchlaufenem Coaching gibt es die Zulassung zur Prüfung. Und nur mit bestandener Prüfung gibt es eines der begehrten Branchenzertifikate.
Wer keine Ausbildung durchläuft, bekommt unter Umständen dennoch ein Coaching „verordnet“: Meist dann, wenn Geschäftsführung oder Vertriebsleitung unzufrieden sind mit der Entwicklung des Absatzes. Dann wird ein Coach engagiert, der soll „wie ein Fußballtrainer“ das eigene Team im Kampf um die Meisterschaft nach vorne bringen… Darf man als Coach unter solchen Umständen - manche nennen es „sanfter Druck“ - dennoch den Versuch eines Coaching starten? Oder muss hier beim Coach die „Warnblinkanalage“ angehen und er ablehnen? Denn, so lautet die Branchenregel Numero Eins: Nur ein freiwilliges Coaching kann erfolgreich sein. Und Numero Zwei sekundiert mit: Ein Coach muss unabhängig sein, will er erfolgreich sein.
Meine Antwort lautet klar: Hier muss man alles tun, um ein Coaching zu starten. Denn die meisten Menschen, die so reagieren wie Frank B., stecken in einer problematischen Situation, sind darin festgefahren und sehen kaum konkrete Lösungen. Darüber können sie nur mit Wenigen offen reden. Ob und inwieweit diese „Vertrauten“ dann kompetent genug sind, wirklich bei der Lösung des Problems helfen zu können, sei dahin gestellt. Ein Coach hingegen ist entsprechend ausgebildet und vorbereitet. Er ist ein Profi und wird hier - eigentlich - gebraucht. Doch: Es blinkt ja immer noch die „Warnblinkanalage“. Die Branchenregeln Numero Eins und Zwei sind in Gefahr. Was also tun?
Drehen wir doch den Spieß einmal um: Was passiert, wenn ein Coach den Auftrag tatsächlich ablehnt? Was geschieht mit dem potenziellen Klienten? Was mit dem Auftraggeber? Und was mit dem Coach - vor allem mit Blick auf künftige Auftragsvergaben?
Gehen wir mal davon aus, dass zumindest kurzfristig kein gleichwertiger Ersatz gefunden wird: Für den Klienten ändert sich erst einmal nichts. Kompetente Handlungsmuster, um die Situation zu klären, fehlen ihm in der Regel. Auch wenn diese vorhanden sind: Der in einem Problemfeld steckende Mensch ist als dessen Bestandteil in das umgebende System eingebunden. Ist er alleine in der Lage, sich ausreichend weit davon zu dissoziieren? Kann er die „richtigen“ Fragen aus dem Blickwinkel des Außenstehenden formulieren? Realistisch betrachtet sind dazu wohl die Wenigsten in der Lage. Also bleiben die Meisten mit ihrem Problem alleine - und fühlen sich auch so. Die Lösung des Problems wird dem Zufall überlassen, emotionale Anteile (Frust, Enttäuschung, Ärger) bleiben sich selber überlassen - frei nach dem Motto „Irgendwie wird es schon weiter gehen“.
Beim Auftraggeber ändert sich durch die Absage zunächst auch nichts. Die gewünschte und erforderliche Veränderung findet somit einfach nicht statt. Vielleicht liegt die Ursache für die Fehlentwicklung gar nicht beim Mitarbeiter, sondern im System Unternehmen? Oder gar bei der Führungskraft und deren Führungsverhalten? In der Tat liegen dort sehr oft die Fehlerquellen, durch die Mitarbeiter gebremst werden. Wer - außer dem externen Coach - kann diese nun neutral aufdecken und in die Bearbeitung geben?
Und was geschieht mit dem Coach selber? „Wenn ich den Auftrag ablehne: Kann ich mir das im Augenblick leisten? Werde ich beim nächsten Mal überhaupt noch gefragt?“, denkt sich da so mancher. Zumindest eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit ist deshalb eine wichtige Grundvoraussetzung für Coachs, um entspannt entscheiden zu können. Die Gefahr, bei der nächsten Auftragsvergabe nicht berücksichtigt zu werden, ist schon gegeben. Jedoch habe ich in der Praxis auch genau das Gegenteil erlebt als ein Kollege eine vom Konzern bezahlte Coaching-Serie in einem Autohaus begründet nicht fortführte: „Respekt, da verzichtet der ja auf eine Menge Geld“, war die Reaktion des Trainingsleiters. Im nächsten Jahr war das Volumen aus dem Konzern für den Kollegen deutlich höher. Viel größer ist somit die Gefahr, sich durch übereilte Auftragsannahme zu disqualifizieren - denn Entscheider reagieren sehr allergisch auf nutzloses Verbrennen von Geld durch externe Berater. So kann es nicht nur moralisch, sondern auch handfest wirtschaftlich günstiger sein, einen Auftrag - mit Begründung - abzulehnen.
Und wie sieht es bei den eingangs erwähnten verkäuferischen Pflichtprogrammen aus („Ohne Coaching keine Zulassung zur Prüfung“)?
Den Coach empfinden - zumindest viele der jungen Verkäufer - mehr als Bedrohung, denn als wirkliche Unterstützung - und reagieren mit verschiedenen Abwehrmechanismen. So unterschiedlich die Situationen sind, so einhellig ist der dahinter liegende Widerstand:
Die Kontraktvereinbarung ist somit nur scheinbar einfach. Doch das Coaching ist letztlich erzwungen. Aber in der Ausbildungssituation akzeptabel. - Oder welche Branchenregel wäre hier anzuwenden?
Die Inhaber der Betriebe als Auftraggeber freuen sich normalerweise über die Förderung direkt am Arbeitsplatz. Das ist positiv und daran kann man konstruktiv anknüpfen. Allerdings muss die Erwartungshaltung der Auftraggeber klar auf Realisierbarkeit geprüft werden. Das ist mein Job als Profi, das anzusprechen! Da ist falsche Bescheidenheit fehl am Platz. Oder würden Sie dem Arzt Ihres Vertrauens oder Ihrem Computerexperten Vorschriften machen? Natürlich nicht. Sie würden deren Argumente hören - und verstehen (!) - wollen, um eine gute Entscheidung zu treffen. Sie brauchen deren Expertenrat, denn Sie sind auf dem Gebiet kein Experte. Natürlich wollen Sie nicht über den Tisch gezogen werden; wer will das schon? Aber Sie wollen auch keine Entscheidung treffen, die Sie nachher bereuen: Nur weil der Coach vor lauter Angst um seinen Job „kleine Brötchen“ gebacken hat. Als Auftraggeber wollen Sie eine Lösung, kein Flickwerk. Das kann man den Auftraggebern auch vermitteln: Wer, wenn nicht Sie, könnte das besser?
Bei den Verkäufern, den Klienten, muss zunächst Vertrauen erworben werden, bevor Coach und Klient zu einem belastbaren Arbeitsbündnis kommen können. Es ist vorab zu klären, wie überraschend oder erwartet das Coaching auf den Klienten zukommt. In der Praxis habe ich einige Male blasses Erstaunen bei den Verkäufern erlebt als ich ihnen gegenüber stand. Termine kläre ich deshalb grundsätzlich zunächst mit den Vorgesetzten ab („Ist da bei Ihnen vielleicht Urlaubszeit oder eine wichtige Aktion, die durch meinen Besuch behindert würde?“), ehe ich sie mit den Klienten selber vereinbare. Wirkt der Klient unsicher bezogen auf das Coaching, verordne ich eine Bedenkzeit für den Klienten und für mich.
Sensibel und penibel muss heraus gearbeitet werden, an welchen Themen gearbeitet wird, was erlaubt ist und was nicht. Dazu gehört auch, was dem Auftraggeber berichtet wird und was nicht. Meist sieht es so aus, dass keinerlei persönliche Rückmeldungen weiter gegeben werden, sondern nur die Themen, an denen wir arbeiten - und mit welchen Ergebnissen. Zu den Möglichkeiten, das Vertrauen des Klienten in den Coach aufzubauen, zählt auch die Definition einer Rückzugsmöglichkeit für beide Beteiligte.
In meiner Freizeit als Tauchlehrer hatte ich auch gelegentlich mit zum Tauchkurs überredeten Lebenspartnern zu tun. Eigentlich wollten diese nicht tauchen, hatten panische Angst vor Haien (auch wenn es in der gesamten Region keine gab), vor Riesenkraken, Seeschlangen und der Taucherkrankheit. Es war gerade meine ausdrückliche Erlaubnis, abzubrechen wann immer sie wollten, die ich meinen Klienten (den Tauchschülern) erteilte, ermöglichte mir das Arbeiten mit ihnen. Und ihnen ermöglichte es, mir gegenüber Vertrauen zu fassen. Genutzt hat diese Möglichkeit beim Tauchen übrigens nie jemand. Und im Coaching waren es innerhalb von sieben Jahren lediglich zwei junge Verkäufer.
Und der Coach: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht - heißt auch im Coaching die Leitdevise. Damit Vereinbarungen belastbar sind, muss sich der Coach trauen (!), Verbindlichkeit sowohl vom Auftraggeber als auch vom Klienten einzufordern. Der Coach ist Problemlöser - auch wenn er nicht selber die Probleme löst, sondern nur der Lotse ist. Er ist aber nicht dankbarer und devot auftretender „Zauberknecht“, der, wenn’s sein muss auch mit zwielichtigen Mitteln, bereit ist, „aus einem lahmen Ackergaul ein Rennpferd zu machen“ - Hauptsache, es gibt ein beachtliches Honorar dafür. Diese Frage nach dem Selbstverständnis, nach der Haltung und dem Ethos muss sich jeder Coach im Vorfeld selber stellen - und beantworten.
Ein Coach braucht meiner Meinung nach eine starke und selbstbewusste Position, um seinen Kontrakt sauber klären zu können. Selbstbewusst in dem Sinne, dass der Coach weiß, was er bewirken kann, wo seine Grenzen liegen und welche Unterstützung (Rahmenbedingungen) er braucht.
Ein Beispiel: Um einen Verkäufer in der Akquisition erfolgreich zu begleiten, muss er für den Coaching-Zeitraum vom Innendienst frei gestellt sein. Ansonsten besteht die Gefahr des Verwässerns des Prozesses durch fremde Tätigkeiten. Wenn die „Freistellung“ im Kontrakt vereinbart wurde, kann das Coaching starten. Ist sie nicht definiert, kann der Klient vom Coaching „wegrennen“ sobald ihm die Entwicklung unangenehm wird.
Ohne klar definierten Auftrag besteht die Gefahr, an den Leuten „wild herum zu coachen“. Und das wäre eben vielleicht gut gemeint, aber nur in Ausnahmefällen gut gemacht.
Erwin K. arbeitet seit zwölf Jahren im Unternehmen. Er hat hier seine kaufmännische Ausbildung gemacht, der „Sunnyboy“ ist beliebt bei den meisten Kollegen und wegen seiner offenen Art vor Jahren in den Außendienst versetzt worden. Seine Vorgesetzte ist mit seiner Kontaktzahl zufrieden („Er macht die meisten Besuche im gesamten Team“), empfindet aber seine Abschlussquote als zu gering („Bei der Zahl an Kontakten müsste mehr heraus kommen“).
Der Coach fährt einen Vormittag gemeinsam mit Erwin K. „hinaus“. In den begleiteten Gesprächen bringt er kein konkretes Ergebnis zustande, obwohl von der Methodik her scheinbar alles stimmt und die Kunden spürbar kaufen wollen. „Tja, die Leute hier bei uns sind halt ein bisschen schwer und der Markt ist sehr hart“. Aha, daran liegt es also. Der „Bei-uns-ist-alles-anders-Klassiker“.
Da kann hin und wieder ein Schuss Provokation helfen: „Sie machen methodisch alles richtig, sind freundlich, zeigen auch Verbindlichkeit. Und kommen trotzdem nicht zum Abschluss. Ich glaube, Sie sitzen längst auf gepackten Koffern und wollen woanders hin. Sie haben Bewerbungen laufen, können sich aber bisher nicht entscheiden. Kann das sein?“.
Erwin K. entgleiten die Gesichtszüge: „Das ist doch alles vertraulich, worüber wir sprechen, oder?“, erkundigt er sich noch einmal, obwohl schon im ersten Gespräch die unbedingte Vertraulichkeit des Coachs vereinbart wurde. Jetzt öffnet er sich: In der Tat macht ihm die Aufgabe des Außendienstlers viel Spaß, jedoch fühlt er sich in der Firma schon lange nicht mehr wohl. Strategische Veränderungen und mehrere Umstrukturierungen haben auch bei ihm Irritation ausgelöst, sein Vertrauen ins eigene Haus ist weg. Er will fort aus dem Betrieb, die behördenähnliche Struktur, einst geschätzt, beengt ihn mittlerweile.
Deswegen arbeitet er schon geraume Zeit mit „angezogener Handbremse“, bewirbt sich parallel im Markt - allerdings eher halbherzig. Zugehörigkeitsgefühl, Loyalität, Motivation für den Arbeitgeber tendieren gegen Null – bloß, das seiner Chefin sagen, tut er nicht. Sein passives Verhalten ist für alle Beteiligten kontraproduktiv.
Für den Coach verführerisch erscheint hier der Weg, den Verkäufer für das Unternehmen wieder „frisch machen“ zu wollen. Schließlich bezahlt die Firma den Verkäufer jeden Monat und das Coaching obendrein. Doch für Erwin K. ist klar, dass er weg will, das sagt er eindeutig in der vertraulichen Situation. „Wie gehen wir jetzt mit dieser Erkenntnis um, besonders zu Ihrer Chefin?“, klärt der Coach weiter. Erwin K. baut selber einen Fahrplan auf: „Ab sofort konkret bewerben“.
Wenige Wochen später informiert seine Vorgesetzte den Coach, dass Erwin K. das Unternehmen verlassen hat und dadurch kein weiterer Coaching-Termin stattfindet. Der Abnabelungsprozess wurde durch das Coaching um einige Monate verkürzt. Dadurch sparte das beauftragte Unternehmen mehrere Monatsgehälter für den Verkäufer und zwei Coaching-Honorare. Ein Nachfolger (empfohlen durch Erwin K.) wurde in kurzer Zeit gefunden. Wäre Erwin K. nicht von selber gegangen, hätte sich das Unternehmen ohnehin in einiger Zeit von ihm getrennt – auch auf die Gefahr hin, eine Abfindung zahlen zu müssen.
Die angebotenen und durchgeführten Coachingmaßnahmen unterstützen in der Tat den Klienten bei der eigenen Bewusstwerdung – insofern eine grundsätzliche Bereitschaft für das Coaching besteht. Fundamentalverweigerer wie Jürgen K. erweisen sich – wenn sie nicht vorher das System verlassen – erst während des Coaching als solche.
Wichtig ist allerdings die penible Einhaltung aller Absprachen – besonders den Informationsaustausch betreffend. Der Dreiecksvertrag (Auftraggeber – Coach – Klient) muss penibel beachtet werden, damit der Coach seine Rolle ausfüllen kann und Auftraggeber wie Klient Vertrauen fassen können.
Was lernt ein Coach aus solchen Situationen?
Der Regel, keine „geschickten Klienten“ zu coachen, kann ich an dieser Stelle nur widersprechen. Die Widerstände, die wohl jeder Coach kennt, treten hierbei vielleicht nur offener und schneller zu Tage. Mit Authenzität, Offenheit und Selbstvertrauen des Coachs werden viele Sitzungen erfolgreicher für alle Beteiligten. Welches Ergebnis dabei letztlich erreicht wird, ist jedoch offen. – Das müssen besonders die Auftraggeber oft noch lernen. Doch, was wären wir ohne Herausforderungen?