HR

Internes Coaching bei SAP

Ein Praxisbericht

Können sich Kollegen innerhalb eines Unternehmens gegenseitig coachen? Ist das sinnvoll und erfolgreich? Die Verantwortlichen für das interne Coaching-Programm bei SAP berichten, wie, wann und warum ein solches Programm bei den Mitarbeitern und Führungskräften anerkannt wird und welche Mechanismen, Kriterien und Strukturen es braucht, um erfolgreich zu sein.

10 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2011 am 22.02.2011

Bereits vor circa zehn Jahren hat Coaching als strukturierte Personalentwicklungsmaßnahme zur externen Begleitung von Führungskräften im obersten Management Einzug in das Unternehmen SAP gehalten. Neben dem Coaching durch externe Berater hat sich seit 2003 ein Coaching von SAP-Mitarbeitern für SAP-Mitarbeiter etabliert, das als „Internal Coaching Program“ mittlerweile weit in Deutschland verbreitet ist.

Interne Coachs sind dabei Mitarbeiter, die eine professionelle, externe Coaching-Ausbildung absolviert haben und zusätzlich zu ihrer normalen Tätigkeit bei SAP Kollegen coachen. Das Ziel des Programms ist es, dazu beizutragen, die Wettbewerbsfähigkeit der SAP aufrechtzuerhalten oder zu steigern. Dies geschieht, indem professionelles Coaching das Potenzial von Mitarbeitern auf allen Ebenen fördert und deren Leistungsfähigkeit sowie Motivation steigert. Das Programm beinhaltet im Wesentlichen:

  • Die Bereitstellung und Pflege eines für alle SAP-Mitarbeiter zugänglichen Pools von professionellen internen Coachs mit der Darstellung ihres spezifischen Angebots,
  • die Erstellung von Rahmenbedingungen, um interne Coachs zu identifizieren, auszubilden, in den Coach-Pool aufzunehmen und bei der Durchführung ihrer Tätigkeit zu unterstützen,
  • die Sicherstellung eines hohen Qualitätsstandards über alle entsprechenden Prozesse hinweg.

Es liegt im Ermessen des Klienten, ob er einen internen oder externen Experten als Coach auswählt. In der Regel ziehen Führungskräfte auf höheren Ebenen externe Coachs zurate, während auf unteren Hierarchiestufen fast ausschließlich interne Coachs beauftragt werden. Die Übergänge sind jedoch fließend. Eine Befragung unter Klienten belegt eine sehr hohe Wertschätzung des internen Coaching und lässt den Schluss zu, dass die Erfolgsquote des internen Coaching genauso hoch ist wie die des externen Coaching.

Erfolgsfaktoren des internen Coaching-Programms der SAP

In den mehr als acht Jahren des internen Coaching Programms bei SAP haben sich einige Prinzipien als Voraussetzung für den stetigen Erfolg des Programms herauskristallisiert, die im Folgenden dargestellt werden. 

Verankerung im Business

Interessierten aus dem Business gemeinsam entwickelt. Ausgehend von einer Bedarfserhebung und der Qualifizierung von Mitarbeitern zu Coachs wurde in einem überschaubaren Bereich Coaching als Bestandteil der jeweiligen Organisationskultur vorangetrieben. Konkrete Anwendungsfälle, wie zum Beispiel die Verankerung von internem Coaching in einem großen Change-Management-Projekt und in diversen Personalentwicklungsprogrammen erhöhten die Sichtbarkeit und Wertschätzung von Coaching im Unternehmen erheblich. 

Freiwilligkeit

Ähnlich wie in einer ehrenamtlichen Organisation beruht das Modell auf der Freiwilligkeit der Rolle und der Selbstmotivation der Coachs. Sie empfinden ihre „Nebentätigkeit” oder Job-Enrichment-Maßnahme weniger als Belastung, sondern schöpfen daraus Energie und Kraft. Eine konstante Einbeziehung der Coachs in die Weiterentwicklung des Programms und Wertschätzung ihrer Tätigkeit sind dabei von elementarer Bedeutung, (s. auch Kasten „Vom Klienten zum Trainer-Coach“).

Freiwilligkeit wird sowohl dem Coach als auch dem Klienten zugestanden. Weder wird einem Klienten die Maßnahme Coaching verordnet, noch wird ein Coach zur Übernahme eines Coaching gezwungen. Ein Klient hat die Wahl zwischen mehreren Coachs. Jeder Coach prüft in der Auftragsklärung die Freiwilligkeit aufseiten des Klienten. Die Coachs können die Übernahme eines Falles auch ablehnen.

Netzwerkbildung

Von Beginn an wurden der persönliche Austausch und die Zusammenarbeit der Coachs gefördert. Unterstützt wird das Coaching-Netzwerk durch einen Newsletter, ein monatlich stattfindendes Coaching-Forum mit internen und externen Referenten, einem Informations- und Austauschforum im Intranet und einem jährlich stattfindenden Coaching-Tag für Coachs und Interessierte. Bereits während der Ausbildung kann der zukünftige Coach in Lernpartnerschaften, Triaden-Übungen und Gesprächen mit internen Coachs sein Netzwerk ausbauen. Die aktiven, internen Coachs treffen sich dreimal im Jahr zu Workshops zwecks Reflexion und Austausch über einzelne Fälle. Zusätzlich bildeten sich selbst gesteuerte Lerngruppen. Regelmäßige Treffen zum Informationsaustausch zwischen den Coachs und dem Programm-Management runden das Angebot ab.

Qualitätssicherung

Die hohe Qualität des internen Coaching ist einer der Haupterfolgsfaktoren und stellt die Basis für die Durchführung von Coaching dar. Das Hauptinstrument zur Qualitätssicherung sind die Qualitätsrichtlinien. Diese beinhalten – den Qualitätsstandards entsprechend – die Voraussetzungen zur Teilnahme an der Coaching-Ausbildung, die Voraussetzungen zur Aufnahme in den Coach-Pool und eine Ethikrichtlinie. Sie enthalten Qualitätskriterien, Prozessbeschreibungen sowie eine Erklärung für Coachs, die diese unterschrieben vorlegen müssen, um als Coach tätig zu werden.

Vertraulichkeit

Coaching ist ein Veränderungsprozess, der auch intime Wünsche und Bedürfnisse des Klienten berühren kann. Deshalb wird das Prinzip der Vertraulichkeit stark betont. Coachs werden nur dann als interner Coach zugelassen, wenn sie von ihrer Persönlichkeit und ihrer Motivation her den Anforderungen genügen. Dazu zählt unter anderem selbstverständlich die Verschwiegenheit über die Person des Klienten und über den Inhalt des Coaching. Der Coach ist keiner Organisation Rechenschaft über den Inhalt eines Coaching-Prozesses schuldig, sondern nur dem Klienten. Informationen über stattgefundenes Coaching werden nur anonym erfasst, es lassen sich also keine Rückschlüsse auf die Person des Klienten ziehen.

Professionelles Rahmenwerk

Zur Durchführung eines hochwertigen internen Coaching-Services sind strukturierte Prozesse und ein unterstützendes Rahmenwerk erforderlich. Das SAP-Programm gliedert sich dabei in vier Bereiche.

Die Basis des internen Coaching-Programms ist eine professionelle Aus- und Weiterbildung zum Coach. SAP selbst bietet keine interne Coaching-Ausbildung an, sondern arbeitete von Anfang an eng mit einem externen Ausbildungsinstitut zusammen. Diese Ausbildung wurde in den letzten Jahren kontinuierlich mit dem Institut weiterentwickelt, sodass die Ausbildung heute nach externen Standards anerkannt ist und gleichzeitig die Situation von internen Coachs berücksichtigt.

Als fester Bestandteil der Ausbildung werden Lernpartnerschaften und Lerngemeinschaften, sogenannte Triaden gegründet. Hier gibt ein erfahrener Coach den Lernpartnern Feedback zu ihrem Coaching. Coachs in Ausbildung können als „Trainee-Coach“ ihre Dienste anbieten, umso schneller zu lernen und Praxiserfahrung zu sammeln. Außer der erwähnten Ausbildung werden noch weitere Ausbildungsinstitute empfohlen, die den internen Standards von SAP entsprechen, eine örtliche Nähe zu den SAP-Standorten haben und die von SAP-Coachs weiterempfohlen wurden.

Umfassende Informationen über die Ausbildung zum internen Coach bei SAP erhalten interessierte Kandidaten während regelmäßig stattfindender Informationsveranstaltungen. Vertieft sich dann das Interesse, werden die Kandidaten zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Aufgrund dessen wird die Entscheidung getroffen, ob eine Eignung als Coach gegeben ist.

Heute umfasst das Coaching-Programm nicht nur die Grundausbildung, sondern auch Weiterbildungsangebote für alle aktiven internen Coachs, wie beispielsweise Coach-the-Coach-Workshops zur Reflexion von Fällen, Erlernen neuer Methoden oder die Arbeit als Triaden-Coach.

Die Aufnahme in den Coach-Pool

Für den Aufnahmeprozess in den internen Pool wurden Qualifikationskriterien entwickelt, denen sich alle Coachs stellen müssen – unabhängig davon, bei welchem Ausbildungsanbieter sie ihre Ausbildung absolviert haben. Die Kriterien werden regelmäßig unter anderem auf der Grundlage der Qualitätskriterien des Deutschen Bundesverbands Coaching (DBVC) überprüft. Coachs im Pool haben somit unterschiedliche Ausbildungen durchlaufen, die jedoch alle den gleichen Qualitätskriterien gerecht werden müssen. Ein wesentlicher Vorteil der Vielfalt verschiedener Ausbildungen liegt in der dadurch gegebenen Breite der Coaching-Kompetenzen im Pool.

Das Vorgehen des Aufnahmeprozesses umfasst derzeit die Qualifikationsprüfung anhand der Ausbildungsnachweise und ein Aufnahmegespräch mit zwei erfahrenen Coachs. Mittels eines Gesprächsleitfadens wird dort besprochen, inwieweit die Ausbildung den Anforderungen des SAP-Programms genügt. Außerdem dient das Gespräch zum Kennenlernen des potenziellen Coachs, seiner Arbeitsweise und Schwerpunkte.

Die Coach-Suche per Datenbank

Coachs sind in einer SAP-eigenen Datenbank mit ihrem Profil gelistet und können dort individuell ihr Coaching-Angebot vorstellen. Über eine vielfältige Suchfunktion können potenzielle Klienten dort ihren Coach suchen und direkt kontaktieren.

Ab 2011 kann am Ende eines Coaching-Prozesses ein Klient anonym über ein Online-Tool Feedback zum Coaching abgeben, das vom Programmteam in regelmäßigen Abständen evaluiert wird. Ziel ist es, durch das Feedback wertvolle Impulse zur Weiterentwicklung des Programms als auch für einzelne Coachs zu erhalten.

Abteilungsübergreifendes Coaching

Coaching dient dem gesamten Unternehmen und wird deshalb mittlerweile zentral koordiniert. Bei der Vermittlung von Coachs werden – soweit möglich – Coachs und Klienten abteilungsübergreifend zusammengebracht, um mögliche Rollenkonflikte zu vermeiden und um die Wahrung von Vertraulichkeit zu erleichtern. Die bereichsübergreifende Partnerschaft zwischen Coach und Klient unterstützt das Denken und Handeln über eigene Abteilungsgrenzen hinweg und fördert somit zentrale Werte der SAP wie Zusammenarbeit und Vertrauen.

Wie erfolgreich ist das Coaching mit internen Coachs?

2009 wurde eine Diplomarbeit über das interne Coaching-Programm bei SAP erstellt. Als Teil dieser Arbeit wurde auch eine Befragung von Coachs, Klienten und Auftraggebern durchgeführt. In der Befragung wurde unter anderem nach der Zufriedenheit mit dem erfahrenen Coaching gefragt. Hier sind die Ergebnisse der Klienten aufgelistet:

  • 95,7 Prozent würden Coaching weiterempfehlen.
  • 79,3 Prozent sind zufrieden mit dem Coaching-Ergebnis.
  • 89,2 Prozent würden Coaching wieder in Anspruch nehmen.
  • 87,9 Prozent sind mit dem Coaching-Prozess zufrieden.

Es wurde nach spürbaren Veränderungen gefragt. Die Klienten benannten deutliche Veränderungen sowohl auf der kognitiven (89,1 %), der emotionalen (63 %) als auch auf der Verhaltensebene (73,9 %).

Ein weiterer Indikator für den Erfolg des Programms ist sein stetiges Wachstum seit 2003. Die Anzahl der Coachs wächst kontinuierlich, sodass heute circa 65 Coachs in der Datenbank gelistet sind. Der Anstieg gilt auch für die Anzahl durchgeführter Coaching-Prozesse. Mit steigender Tendenz hat jeder interne Coach im Schnitt drei Klienten pro Jahr, sodass jährlich ungefähr 200 Coaching-Prozesse durchgeführt werden.

Auch die Coaching-Community wächst stetig, was sich unter anderem an der steigenden Zahl der Abonnementen für den Coaching-Monitor zeigt, den Newsletter mit allen Informationen rund um das interne Coaching bei SAP.

Das interne Coaching-Programm ist in Personalentwicklungsmaßnahmen und HR-Instrumenten verankert. So ist es beispielsweise Teil von bereichsspezifischen Personalprogrammen sowie der jährlichen Mitarbeitergespräche. Dort werden für die Mitarbeiter Entwicklungsmaßnahmen nach dem Grundsatz 70-20-10 definiert. Das heißt, zehn Prozent der Weiterentwicklung sollten über definierte Trainingsmaßnahmen geschehen, zwanzig Prozent durch Coaching und auch Mentoring und siebzig Prozent durch Maßnahmen „on the job“. Mehr und mehr Führungskräfte definieren dort gemeinsam mit ihren Mitarbeitern internes Coaching als eine wesentliche Maßnahme zur Unterstützung ihrer Weiterentwicklung.

Abschluss und Ausblick

Kompetenzenwicklung für die Coachs und auch die Evaluation von Wirksamkeit und damit verbundenem konkreten Nutzen von Coaching für SAP sind Kernthemen für die Weiterentwicklung des Programms. In Anbetracht der wachsenden Popularität und Unterstützung des Coaching-Programms innerhalb der Organisation und die stetige Verzahnung mit weiteren Personalentwicklungsprogrammen, wird sich das Thema internes Coaching weiter ausweiten. Insbesondere sollen in Zukunft durch ein globales Coaching-Netzwerk SAP-Kollegen weltweit von diesem attraktiven Angebot profitieren – einem Angebot, das die zentralen Unternehmenswerte der SAP in hohem Maße widerspiegelt und so zur Erreichung der Geschäftsstrategie einen wertvollen Beitrag leistet. Internes Coaching stellt für die SAP in Deutschland keine Modeerscheinung moderner Personalarbeit dar, sondern ist zu einem etablierten Standard geworden.

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.

Nach oben