Welche Akteure nehmen Einfluss auf einen Coaching-Prozess? Im Privatkontext ist diese Frage klar zu beantworten: Klient und Coach befinden sich in einer Zweierkonstellation. Der Klient bringt sein Anliegen, seine Ressourcen und seinen Veränderungswillen ein, der Coach übernimmt die Prozessverantwortung. Im Idealfall kann das Anliegen des Klienten auf Basis eines diskreten Vertrauensverhältnisses gemeinsam bearbeitet werden. Ziele und Vorgehen sind untereinander abgestimmt – ohne Einflussnahme von außen.
In der Praxis ist die Konstellation jedoch mehrheitlich komplexer. Coaching ist in vielen Unternehmen zu einem festen Bestandteil der Personal- und insbesondere Führungskräfteentwicklung geworden. So stellte Jörg Middendorf vom Büro für Coaching und Organisationsberatung (BCO) im Rahmen seiner 13. Coaching-Umfrage, deren Ergebnisse 2015 veröffentlicht wurden, fest, dass 69 Prozent der Coachings, die berufliche Themen zum Gegenstand haben, in Deutschland von Unternehmen in Auftrag gegeben und bezahlt werden.
Übrigens: Für unternehmensbezahlte Coachings veranschlagen Coaches hierzulande mit durchschnittlich 187 Euro deutlich höhere Stundenhonorare als für privat in Auftrag gegebene (130 Euro), wie die Ergebnisse der Umfrage zudem zeigen.
Es kann nicht überraschen, dass Unternehmen, die Coaching als Personalentwicklungsmaßnahme einsetzen, hiermit auch eigene – letztlich betriebswirtschaftliche – Ziele verfolgen. Ein Impuls der Personalverantwortlichen oder Vorgesetzten der Klienten, im mitunter kostenintensiven Coaching „ein Wörtchen mitzureden“, Ziele und Abläufe im Sinne des Unternehmens zu beeinflussen oder Informationen bezüglich der Ergebnisse einzufordern, mag aus unternehmerischer Sicht nachvollziehbar und legitim sein. Aber was bedeutet es für die Erfolgsaussichten eines Coaching-Prozesses und die Arbeit des Coachs, wenn die Zweier- zur Dreieckskonstellation wird?
„Die Chemie muss stimmen.“ So oder ähnlich lauten die Antworten vieler Coaches auf die Frage, was der zentrale Erfolgsfaktor eines Coaching-Prozesses ist. Gemeint ist die Beziehung zwischen Coach und Klient. Die „Greatest Ever Executive Coaching Outcome Study“ stützt diese auf den praktischen Erfahrungen vieler Coaches basierende These. Unter Leitung von Prof. Dr. Erik de Haan, Professor für Coaching und Organisationsentwicklung an der Freien Universität Amsterdam sowie Leiter der Londoner Ashridge Business School, wurde untersucht, was die Bedingungsfaktoren eines wirkungsvollen Executive-Coachings sind. Hierzu wurden 1.895 Coaching-Prozesse ausgewertet.
Das Fazit ist eindeutig: „Es konnte kein Wirkfaktor gefunden werden, der das Ergebnis von Führungskräfte-Coaching mehr beeinflusst als die Beziehungsqualität zwischen Coach und Führungskraft“, berichten die Studienautoren in der Ausgabe 4/2014 des Coaching-Magazins.
Es stellt sich die Frage: Was macht eine gute Beziehung zwischen Coach und Klient aus? „Aufbau und Entwicklung von Vertrauen ist Grundlage und Voraussetzung für Beziehungsqualität“, so Prof. Dr. Ulrich Lenz, Dekan der Fakultät Wirtschaftspsychologie der Erdinger Hochschule für angewandtes Management (HAM) und Executive-Coach. Jedoch seien die Begriffe Vertrauen und Vertraulichkeit nicht synonym zu verwenden, da das Vereinbaren und Einhalten von Vertraulichkeit zwar eine Grundlage für Beziehungsqualität darstelle, diese aber nicht vollumfänglich beschreibe, erklärt Lenz: „Weitere Faktoren, wie z.B. Prozesskompetenz des Coachs, müssen hinzukommen, um von einer guten Beziehungsqualität sprechen zu können.“
Eine tragfähige, von Vertrauen geprägte Coach-Klient-Beziehung ist demnach von zentraler Bedeutung für den Erfolg eines Coachings. Wie kann sich der Einfluss von Unternehmensinteressen auf eine solche Arbeitsbeziehung auswirken? Wie kann der Coach in diesem Spannungsfeld agieren?
Wie das Forschungsteam um de Haan herausfand, ist auch das Selbstwirksamkeitsempfinden eine wichtige Voraussetzung für die Klienten, um eine starke Beziehung zum Coach aufbauen zu können. Diese Überzeugung, mittels Coaching eine Veränderung herbeiführen zu können, scheint, wie die Forscher ausführen, wiederum wesentlich durch den Faktor Freiwilligkeit beeinflusst zu sein. Letztlich bedeutet dies: Wird ein Coaching vom Vorgesetzten „verordnet“ und nicht aus eigenem Antrieb des Klienten eingegangen, so erschwert dies den Aufbau einer positiven Coach-Klient-Beziehung und beeinträchtigt somit – zumindest potenziell – die Erfolgsaussichten des Coachings.
Als verordnet kann ein Coaching sicher auch dann verstanden werden, wenn der Klient diesem gegenüber zwar grundsätzlich aufgeschlossen ist, die verfolgten Ziele jedoch – entgegen den Interessen des Klienten – durch den Vorgesetzten vordefiniert oder maßgeblich beeinflusst sind. Dass dies zumindest nicht sehr selten vorkommt, belegt die 13. Coaching-Umfrage.
Auf einer Skala von 1 (nie) bis 5 (immer) sollten die insgesamt 399 befragten Coaches angeben, wie häufig sie es im zurückliegenden Jahr erlebten, dass Ziele eines Coachings von Unternehmensseite bestimmt wurden und nicht den Wünschen des Klienten entsprachen. Der ermittelte Durchschnittswert von 2,61 liegt im mittleren Bereich. Innerhalb der Dreieckskonstellation sollten jedoch grundsätzlich zwei Parteien als „Auftraggeber“ fungieren, ist Coach Valeria Berghoff-Flüel überzeugt. So setze Vertraulichkeit voraus, dass der Klient – neben dem Unternehmen als formalem Auftraggeber – stets als „inhaltlicher Auftraggeber“ fungiert, so die Expertin für Arbeits- und Organisationspsychologie im Rahmen des zweiten Coaching-Kongresses der HAM, der das Spannungsfeld zwischen Vertraulichkeit und Unternehmensinteressen behandelte.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass Unternehmensinteressen gänzlich außen vor bleiben müssen. Vielmehr kann es auch als Vermittlungsleistung des Coachs verstanden werden, hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Coaching-Prozesses innerhalb der Dreieckskonstellation zu einer tragfähigen Übereinkunft zu kommen. Diese könne erzielt werden, „indem am Anfang ein Trialog zwischen Vorgesetztem, Coachee und Coach stattfindet, um gemeinsam Ziele für das Coaching zu vereinbaren“, so Dr. Sabine Wegener-Kirchhoff, Coach, Beraterin und Mediatorin, auf dem zweiten HAM-Coaching-Kongress.
Dies mag auch daher sinnvoll sein, da Unternehmensziele nicht zwangsläufig mit jenen der Klienten kollidieren. Sie könnten in einem Coaching sogar als Ressource verstanden und beispielsweise genutzt werden, um Synergien zwischen persönlichen und unternehmerischen Zielen, die in systemischer Wechselwirkung zueinander stehen, zu schaffen, erläutert Lenz:
„Stellt der Klient z.B. die Verbesserung seiner persönlichen Work-Life-Balance in den Mittelpunkt, während das Interesse des Unternehmens in der Performance-Steigerung der Führungskräfte liegt, dann kann im Coaching erarbeitet werden, wie durch eine bessere Work-Life-Balance möglicherweise die Performance im Job sogar gesteigert werden kann.“
Ein dogmatisches Aussperren unternehmerischer Ziele aus dem Coaching-Prozess könne daher nicht nur der des Unternehmens, sondern auch der Entwicklung des Klienten abträglich sein, dem so die Gelegenheit versperrt werde, das „eigene Zielsystem“ mit dem des Unternehmens in Verbindung zu bringen.
Die 13. Coaching-Umfrage zeigt: Coaches messen dem Thema Vertraulichkeit als Bestandteil der Coach-Klient-Beziehung fast durchweg eine hohe Bedeutung bei. 303 von 399 Befragten erachten Vertraulichkeit gar als „sehr wichtig“. Aber wie ist der Spagat zwischen dem angestrebten Schutz des Klienten und den Unternehmensinteressen in der Praxis zu bewerkstelligen, wenn Auftraggeber konkrete Auskünfte einfordern? Auch hier biete sich präventiv der Trialog aller Beteiligten an, so Coach und Beraterin Dr. Teresa Keller im Rahmen des HAM-Kongresses:
„Es sollte mit allen Parteien klar abgesprochen werden, welche Inhalte kommuniziert werden und welche nicht, damit für alle eine nachvollziehbare und damit vertrauenswürdige Ausgangssituation geschaffen werden kann.“
Tatsächlich lehnen es Coaches klar ab, ohne ausdrückliche Genehmigung durch den Klienten Informationen, die Coaching-Inhalte betreffen, an Auftraggeber weiterzugeben, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage. Auf einer Skala von 1 (der Coach darf nichtgenehmigte Auskünfte erteilen) bis 5 (der Coach darf dies nicht) liegt das ermittelte Meinungsbild bei einem Wert von 4,51.
Kann unternehmensinternes Coaching in einer gänzlich nach außen abgeschotteten Zweierkonstellation überhaupt wirkungsvoll sein? Insbesondere mit Blick auf die Position höherer Führungskräfte in einem Unternehmen hat Lenz Zweifel:
„Sie stehen in einem systemischen Beziehungsgefüge zu ihrer Umgebung. D.h., dass Handlungen von Führungskräften in ein Netzwerk von Beziehungen eingebettet sind und dadurch beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen haben.“
Das klassische Vertraulichkeitskonzept bedürfe daher einer „ethisch begründeten Weiterentwicklung“, erklärt der Professor für Change Management und Organisationsentwicklung und schlägt dessen Ergänzung um ein Konzept der Verantwortung vor. Konkret: Verantwortung für die Entwicklung der eigenen Organisation. Dies erfordere von den Klienten die Bereitschaft, offen über die persönlichen Erkenntnisse zu sprechen, sich dafür verantwortlich zu erklären, den eigenen, aus dem Coaching resultierenden Entwicklungsprozess auch der Organisation zur Verfügung zu stellen, um organisationale Lernprozesse anzustoßen.
Für das schlichte Ausblenden von Unternehmensinteressen findet Lenz vor diesem Hintergrund deutliche Worte, betont jedoch zugleich das Risiko seines Konzeptes in Bezug auf die Coach-Klient-Beziehung: „Diese verengende, teilweise egozentrische Sichtweise gilt es im Coaching anzusprechen und zu bearbeiten. Eine heikle Aufgabe für den Coach, riskiert er doch dabei, das mühsam aufgebaute Vertrauen zu verlieren.“
Der Auftraggeber erwartet eine Zielgestaltung des Coachings, die nicht mit dem Anliegen des Klienten übereinstimmt, oder fordert, über sensible Inhalte des Coachings informiert zu werden. Der Coach findet sich zwischen den Stühlen wieder. Folgt er den Erwartungen des Auftraggebers, kann dies die Coach-Klient-Beziehung und somit die Grundlage eines erfolgreichen Coaching-Prozesses belasten. Andererseits ist es nur zu natürlich, dass Unternehmen ein Coaching nicht ohne Eigeninteresse in Auftrag geben. Sehen sie keinen Nutzen für sich, wird es kein unternehmensbezahltes Coaching geben.
Letztlich ist der Coach gut beraten, dieses Dilemma als Vermittler aufzulösen. Seine anspruchsvolle Rolle als Prozessgestalter muss er bereits im Vorfeld des Coachings einnehmen, um innerhalb der Dreieckskonstellation gemeinsame, für Klient und Auftraggeber gleichermaßen sinnvolle und verbindliche Zielvereinbarungen zu treffen.
Hierbei sollte in Betracht gezogen werden, dass Unternehmensziele mitunter als Ressourcen dienen und für beide Seiten gewinnbringend in das Coaching integrierbar sein können. Auch für beide Seiten akzeptable Absprachen bezüglich der Weitergabe von Prozessinhalten und -Ergebnissen sollten – z.B. zum Zweck organisationalen Lernens – vereinbart werden, wobei der Schutz des Klienten hier jedoch im Vordergrund stehen sollte, um Vertrauen überhaupt erst zu ermöglichen.
Aus Sicht des Coachs kann es sinnvoll sein, die Bedeutung der Beziehungsqualität vorab auch im Austausch mit dem Vorgesetzten des Klienten bzw. der Personalabteilung anzusprechen. Dass aufseiten der Auftraggeber durchaus Empfänglichkeit hierfür besteht, legt ein Aspekt der Studie de Haans nahe: Eine starke Coach-Klient-Beziehung wirke sich den Erhebungen zufolge nicht nur positiv auf die im Coaching erzielten Ergebnisse aus, sondern ebenfalls auf die Einschätzung dieser durch den jeweiligen Auftraggeber, erklären die Studienautoren. Wie hieraus abgeleitet werden kann, besteht auf Unternehmensseite häufig ein grundsätzliches Gespür für die Bedeutung einer tragfähigen Arbeitsbeziehung im Coaching.