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Coaching und Agilität

Coaching-Kompetenz als Erfolgstreiber agiler Transformation

Organisationen müssen zunehmend mit Herausforderungen wie unsicheren Umfeldbedingungen umgehen. Agilität wird oft als Antwort hierauf verstanden. Coaching ist eine Kernkompetenz in der agilen Transformation. Da mag es verwundern, dass Coaching-Kompetenz von Unternehmen, die Agilität anstreben, zu selten strukturiert gefördert wird. Anders bei der HDI Global SE, die ein Qualifizierungsprogramm aufsetzte, um Coaching-Kompetenz in der Organisation aufzubauen.

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2023 am 17.05.2023

Coaching ist ein Erfolgsfaktor für die agile Transformation von Organisationen, also deren Entwicklung hin zu mehr Adaptivität und Reflexionsfähigkeit. Agile Methoden und Frameworks (Vorgehensmodelle) sprechen oft von Coaching, meinen damit allerdings ein Bündel an Aufgaben, die durch agile Rollen wie Scrum Master oder Agile Coaches ausgefüllt werden. Dazu zählen neben Coaching auch Facilitation, Training und Mentoring. Die Coaching-Kompetenz ist meist nur wenig im Fokus der Skill-Entwicklung. Die HDI Global SE hat im Rahmen ihrer agilen Transformation den Coaching-Kompetenzen besonderes Gewicht eingeräumt und ein Qualifizierungsprogramm für Scrum Master gestartet, das in mehreren Etappen den Kompetenzaufbau mit der Vermittlung von theoretischem Wissen, Methoden, praktischen Übungen und einem Tandemkonzept gestaltet hat.

Auf einen Blick

  • Die Begriffe „Coaching“ und „Agile Coaching“ sind nicht gleichzusetzen.
  • In der agilen Transformation stellt Coaching ein wichtiges, jedoch oftmals vernachlässigtes Kompetenzfeld dar.
  • Im Zuge agiler Transformation können strukturierte Qualifizierungsprogramme dazu beitragen, Coaching-Kompetenz in der Breite einer Organisation nachhaltig zu etablieren.

Agilität und agile Transformation – was steckt dahinter?

Nichts ist so beständig wie der Wandel. In immer schnelleren Zyklen verändert sich die Welt, in der wir uns bewegen. Der Wandel ist zur Regel geworden. Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt ist ein wesentlicher Treiber dafür. Ein sich stetig beschleunigendes Umfeld, unvorhersehbare Ereignisse und steigende Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit von Organisationen sind die Folgen. Unter dem Schlagwort Agilität versuchen daher viele Unternehmen, dieser Entwicklung mit neuen Arbeitsweisen zu begegnen. Agile Methoden versprechen nicht nur die Fähigkeit, besser auf Veränderungen reagieren zu können und damit Organisationen resilienter zu machen. Auch schnellere Lieferfähigkeit, bessere Produktqualität und weniger Fehler in der Wertschöpfungskette werden mit ihnen verbunden. Doch der Einsatz von Methoden (doing agile) ist immer nur die Spitze des Eisbergs (siehe Abb.).

Ohne die entsprechenden Werte und Prinzipien (being agile) bleibt vieles Fassade und ohne Wirkung. Im Kern geht es um die fünf Werte Respekt, Offenheit, Fokus, Mut und Selbstverpflichtung. Das Manifest für Agile Softwareentwicklung (Beck et al., 2001) beschreibt dazu passende Prinzipien, die in ihrer Form handlungsweisend für die berufliche Praxis sind.

Agile Methoden und Frameworks helfen bei der Übersetzung von Werten und Prinzipien in konkretes Handeln. Eines der bekanntesten Frameworks ist Scrum (Schwaber & Sutherland, 2020). Scrum betrachtet beispielsweise Team-Meetings wie das viertelstündige Daily als regelmäßige Feedback- und Lerngelegenheit. Gehen die Teammitglieder jedoch nicht offen mit Fehlern und neuen Informationen um oder fokussieren sie sich nicht auf das Wesentliche, verkommt das Daily schnell zu einer lästigen Pflichtveranstaltung. Von den Mitarbeitern fordert Agilität also Eigenverantwortung und Selbstreflexion. Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft sind weitere Grundvoraussetzungen für eine Arbeitsweise, die auf ständige Weiterentwicklung ausgelegt ist. Die Anforderungen an Führungskräfte sind ebenso anspruchsvoll. Führungsaufgaben werden über Ebenen hinweg auf mehrere Schultern verteilt. Planungszyklen werden kürzer, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können. In der Wahrnehmung entsteht so mehr Unsicherheit, da die scheinbare Sicherheit langfristiger Planungen aufgegeben werden muss. Insgesamt werden Routinen und Verhaltensweisen hinterfragt, die über lange Zeit eingeübt wurden und oftmals erfolgreich waren.

Eisbergmodell der Agilität

Abb.: Eisbergmodell der Agilität (eigene Darstellung unter Verwendung von © Logoinspires_1, solarus, majson / Shutterstock.com)

Coaching – eine Kernkompetenz agiler Rollen

Coaching – verstanden als ressourcenorientierter und systematischer Begleitungsprozess – ist ein wesentlicher Baustein, um auf die Verhaltensänderungen hinzuarbeiten, die mit der agilen Transformation angestrebt werden (Rauen, 2021). Indem Mitarbeiter, Führungskräfte und Teams bei der Entwicklung eigener Lösungen begleitet und gefördert werden, können sie dabei unterstützt werden, ihre Ängste und Befürchtungen zu verarbeiten und Chancen im Neuen zu sehen. Die Bedeutung von Coaching haben auch agile Frameworks wie Scrum und Kompetenzentwicklungsmodelle für agile Rollenträger erkannt. Coaching wird hier als Teil des Aufgabenspektrums betrachtet.

Die Prominenz des Coaching-Begriffs im Umfeld agiler Transformation hat aber auch Schattenseiten. Im Arbeitsalltag hat es sich landläufig durchgesetzt, bei der Einführung, Begleitung und Weiterentwicklung agiler Arbeitsweisen von agilem Coaching zu sprechen. Das Agile-Coach-Kompetenzmodell nach Adkins und Spayd (2011) fächert hier eine Reihe von Kompetenzen auf, die Agile Coaches mitbringen sollten: Training, Mentoring, Facilitation und Professional-Coaching. Agile Coaching und damit auch das Professional-Coaching haben nach Adkins und Spayd immer eine übergeordnete Agenda, nämlich die Entwicklung von mehr Agilität in der Organisation und im Verhalten der Mitarbeiter. Die Menschen müssen für den geplanten Wandel hin zu einer agilen Arbeitsweise gewonnen und dabei begleitet werden. Dazu gehören Training, also die Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen, Mentoring unerfahrenerer Kollegen, Facilitation von Kommunikations- und Entscheidungsprozessen und zu guter Letzt das Professional-Coaching von Mitarbeitern und Führungskräften. Diejenigen, die coachen, können dabei ganz unterschiedliche Hintergründe haben. Sie können aus dem Business – der branchenspezifischen Fachlichkeit – kommen, zuvor Software-Entwickler gewesen sein oder einen Change-Management-Hintergrund haben. Entsprechend unterschiedlich sind das Coaching-Verständnis und die Kompetenzen ausgeprägt.

Im Kontext der agilen Methoden und Frameworks sind es vor allem drei Rollen, denen diese Kompetenzen und Aufgaben zugeschrieben werden: Scrum Master, Agile Coaches und Führungskräfte.

Scrum Master: Diese Rolle entstammt dem Scrum Guide (Schwaber & Sutherland, 2020) und beschreibt eine Person, die sich als Teil des Scrum-Teams ergebnisverantwortlich für die Einführung und kontinuierliche Verbesserung der Scrum-Arbeitsweise zeigt. Dazu gehört es, explizit das Team, andere Rollen und die Organisation dabei zu coachen. Der Schwerpunkt liegt auf der Arbeit an und in einem Team.

Agile Coach: Die Rolle des Agile Coachs ist keinem bestimmten Framework zuzuschreiben. Agile Coaches arbeiten Framework-unabhängig am Gesamtsystem und unterstützen den Veränderungsprozess. Zeitlich begrenzt und neutral begleiten sie andere agile Rollen und Teams bei ihrer Entwicklung.

Führungskraft: Ihre Aufgabe ist es, die Mitarbeiter und Teams in die neuen Arbeitsweisen zu überführen. Sie geben Orientierung zu Zielen und gestalten den organisatorischen Rahmen, z.B. mit Qualifizierungsmaßnahmen und der Delegation von Entscheidungen und Verantwortlichkeiten.

Im Rahmen agiler Transformationen werden die Rollen Scrum Master und Agile Coach in der Regel neu eingeführt. Die Erwartungen in der Organisation sind dann noch unvoreingenommen und einfacher zu gestalten. Führungskräfte existieren zwar weiter, die an sie gerichteten Erwartungen unterscheiden sich aber vom klassischen Rollenbild, was für die Betroffenen häufig herausfordernd ist. Zum einen verantworten sie die Veränderung mit, zum anderen sind sie selbst davon betroffen und mit widersprüchlichen Erwartungen aus beiden Welten konfrontiert. Nicht selten wechseln Führungskräfte auch in eine fachliche Rolle oder werden Scrum Master. Die Hintergründe der Scrum Master sind daher oft sehr divers – von Software-Entwicklern über Projektleiter und Führungskräfte bis hin zu Personalern. Entsprechend unterschiedlich sind die Vorkenntnisse im Bereich Coaching. Das bedeutet: Obwohl Coaching eine Kernkompetenz zum Gelingen der agilen Transformation ist, wird sie keineswegs immer bewusst und strukturiert gefördert.

Coaching verankern – Erfahrungen aus der agilen Transformation der HDI Global SE

Die HDI Global SE hat über die Dauer von einem Jahr ein Qualifizierungsprogramm durchgeführt, um Coaching-Kompetenzen in der Breite aufzubauen und nachhaltig zu verankern. Um eine möglichst große Wirkung in der Organisation zu erzielen, wurde initial mit allen 28 Scrum Mastern ein sogenanntes Empowerment gestartet. Mit den Scrum Mastern zu starten, bot sich aus mehreren Gründen an. Zum einen haben sie täglich direkten Kontakt mit den Teammitgliedern, bei denen der Coaching-Bedarf am größten ist. Zum anderen ist Coaching qua Rollenbeschreibung Teil ihrer Aufgaben. Obwohl oder gerade weil einige Scrum Master bereits verschiedene Coaching-Ausbildungen absolviert hatten, wurde von ihnen selbst der Bedarf einer Stärkung der Coaching-Kompetenzen und eines besser abgestimmten Vorgehens artikuliert. Im Gegensatz zu den Führungskräften hatten sie noch kein strukturiertes gemeinsames Entwicklungsprogramm durchlaufen.

Als Keimzelle für das Empowerment dienten die internen Agile Coaches, in deren Reihen sich bereits langjährige Erfahrungen in systemischem Coaching, Führung, Organisationsentwicklung und der Begleitung von Transformationsprozessen befanden. Sie wurden verstärkt durch externe Agile Coaches, die Impulse von außen einbrachten und halfen, das Empowerment in Gang zu bringen und zu skalieren. Der Einsatz der Externen wurde im laufenden Prozess kontinuierlich heruntergefahren und die Führung an die internen Coaches und die Scrum Master übergeben, um eine nachhaltige Verankerung sicherzustellen.

Das Empowerment gliederte sich in vier Interventionsstränge: (1) Wissensvermittlung, (2) Community-Building, (3) individuelle Coaching-Sessions und (4) Anwendung.

Wissensvermittlung

Für die Wissensvermittlung wurden interaktive Workshops genutzt, deren Agenda größtenteils durch die Teilnehmer selbst gestaltet werden konnte. Die Teilnahme war für alle Scrum Master freiwillig, wurde aber empfohlen. Ausgangspunkt war das Rollenverständnis und Aufgabenspektrum der Scrum Master. Neben methodischen Inhalten wurden vor allem Fragestellungen bearbeitet, die sich auf die konkrete Veränderungssituation der Teilnehmer in ihren Teams bezogen, beispielsweise die Fragen, wie Teammitglieder von den Vorteilen agiler Arbeitsweisen überzeugt werden können oder wie mit Konflikten umgegangen werden kann. Mit den internen Agile Coaches wurden einzelne Fertigkeiten in gesonderten Veranstaltungen anhand von praktischen Übungen vertieft, etwa die kollegiale Fallberatung oder zirkuläres Fragen. Dabei wurden erfahrene Scrum Master als Co-Trainer und Wissensgeber einbezogen. Ergänzend wurde ein Aufbautraining zum Coachen und Führen agiler Teams entwickelt. Die Teilnahme war über einen Bewerbungsprozess mit Motivationsschreiben geregelt und an Voraussetzungen geknüpft wie die Mindestdauer der Rollenausübung von zwei Jahren. In zwei Modulen von je zwei Tagen bekamen die Teilnehmer Input zu Coaching-Ansätzen, Fragetechniken und zum Coaching-Ablauf. In vielen praktischen Übungen wurde die Theorie erlebbar gemacht, ausprobiert und trainiert. Zwischen den Modulen gab es weitere Übungsaufgaben für den Arbeitsalltag und die Möglichkeit zur Supervision mit einem erfahrenen Agile Coach.

Community-Building

Ein Ziel der frühzeitigen Einbeziehung der Scrum Master bei der Gestaltung der Wissensvermittlung war es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass vieles an Wissen und Kompetenzen bereits unter den Scrum Mastern vorhanden war. Um das Peer-Learning und die Nutzung der eigenen Ressourcen zu fördern und dem Vergessen des Gelernten aus den Workshops entgegenzuwirken, wurde die Bildung einer Community angeregt. In Selbstorganisation entwickelten die Scrum Master ein Zielbild und starteten in einen regelmäßigen Meetingturnus. Die Themen der wöchentlichen Treffen werden gemeinsam aus den gemeldeten Bedarfen priorisiert und aufbereitet. Sie dienen dem gemeinsamen Wiederholen und Transferieren des neuen Wissens in den Arbeitsalltag. In Ergänzung wurde ein Tandemmodell etabliert. Jeweils zwei Scrum Master bilden ein sogenanntes Buddy-Team. Die Buddies begleiten sich in Arbeitssituationen als Beobachter und geben sich Feedback. In selbst terminierten Austauschrunden werden persönliche Entwicklungsziele und alltägliche Verhaltensweisen reflektiert und ein geschützter Raum geschaffen, um Rat einzuholen und Emotionen zu thematisieren. Aus der Scrum-Master-Community haben sich darüber hinaus kleinere Zirkel zur kollegialen Fallberatung entwickelt.

Individuelle Coaching-Sessions

Jeder Scrum Master hatte ein Kontingent von zwei 1:1-Coaching-Sessions mit einem externen Coach, in denen Themen frei platziert werden konnten. Teil der Sessions war die Erarbeitung eines Lern-Backlogs und einer individuellen Lernreise. Die Themen aus dem Lern-Backlog wurden im Anschluss von den Klienten eigenverantwortlich weiterbearbeitet. Dabei konnten sie auf die Unterstützung der internen Agile Coaches und ihrer Buddies zurückgreifen. Der Einsatz der Externen wurde für die ersten Coachings gewählt, um bei den Klienten die Hemmschwelle zu senken, sich zu öffnen. Anhand der 1:1-Sessions sollte zudem die Empathie für eigene Klienten und das Bewusstsein für den Mehrwert von Coaching durch praktische Erfahrung gefördert werden.

Anwendung

Die kontinuierliche Anwendung des Erlernten im Arbeitskontext war der entscheidende Baustein im Empowerment. Ohne sie wären die anderen Interventionselemente ohne Mehrwert für die Organisation und nur von geringem Wert für die Scrum Master. Durch sogenannte Challenges, also herausfordernde Aufgaben, waren die Scrum Master motiviert, sich zwischen Workshops und Community-Treffen mit bestimmten Methoden und Fragestellungen zu befassen. So gab es einen Monat lang im Wochentakt Fragen zur Reflexion der agilen Werte, z.B.: „Wie mutig findest du dich, auf einer Skala von 1–10? An welchen Ereignissen aus der letzten Woche machst du das fest? Was müsste passieren, damit du noch mutiger wirst?“ Bei anderen Challenges galt es, etwa in drei Gesprächen mit Teammitgliedern möglichst nur zirkuläre Fragen zu stellen. Parallel bearbeiteten die Scrum Master ihre selbstgesteckten Ziele aus dem persönlichen Lern-Backlog. Bis heute stehen ihnen dabei die internen Agile Coaches und die Scrum-Master-Community unterstützend zur Seite. In welcher Form dies geschieht, wird individuell vereinbart. Es finden 1:1-Coachings statt, aber auch die Begleitung und Reflexion im Arbeitsalltag ist ein oft genutztes Mittel.

Fazit

Wie der Fall des Scrum-Master-Empowerments bei der HDI Global SE zeigt, lässt sich Coaching-Kompetenz gezielt an entscheidenden Stellen für die agile Transformation aufbauen. Dabei ist wichtig herauszuarbeiten, dass Coaching nicht mit Agile Coaching gleichzusetzen ist. Coaching hat im Kontext der agilen Transformation immer die Agilität der Organisation als übergeordnetes Ziel im Blick und ist nur ein Kompetenzfeld neben anderen, das allerdings meist am wenigsten Beachtung findet, obwohl es ein wichtiger Erfolgstreiber ist. Die beschriebene Intervention zeigt, wie Wissen und praktische Fähigkeiten für eine Rolle strukturiert aufgebaut werden können. Für das Gelingen einer agilen Transformation ist das jedoch noch nicht ausreichend. Insbesondere Führungskräfte brauchen eine vergleichbare Begleitung, die ähnlich auf ihre Rolle und die Anforderungen daran zugeschnitten sein muss. Dazu zählen z.B. Führungskräfteprogramme und die Schaffung von Räumen für Feedback und Coaching. Aufgrund hierarchischer Unterschiede und disziplinarischen Abhängigkeiten zwischen Führungskräften und Mitarbeitern wird hier vermutlich der stärkere Einsatz externer Coaches notwendig sein.

Literatur

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