Agilität wird als Antwort auf die Anforderungen in der VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) gesehen. Für viele Unternehmen scheint agiles Arbeiten „die“ Lösung all ihrer Probleme zu sein. Doch die Realität sieht anders aus: Vergebens sucht man als Coach nach Organisationen, die freudestrahlend erzählen, wie hervorragend das agile Miteinander funktioniert und die althergebrachte Führungsebene ersetzt.
Es ist offensichtlich, dass das neue Miteinander in der VUKA-Welt flexible, kooperative und integrative Formen der Zusammenarbeit erfordert. Dazu brauchen die Organisationen einerseits reife Menschen, die nicht nur Eigenverantwortung sehen, sondern es auch selbstverständlich finden, das Wissen vieler in die eigene Entscheidung einzubeziehen. Andererseits braucht es Selbstorganisation, d.h., dass es kein Richtig oder Falsch gibt, sondern dass ein „gut genug“ als Basis für gemeinsame Entscheidungen oft ausreicht. Des Weiteren ist das Experimentieren in der Unsicherheit vonnöten – Lösungen ausprobieren und nicht vorschnell ablehnen.
Doch der Reihe nach. Erst einmal zur Klärung: Was versteht man genau unter agilem Arbeiten? Für Svenja Hofert (2018, S. 2) ist „Agilität die Fähigkeit von Teams, Individuen und Organisationen, in einem unsicheren, sich verändernden und dynamischen Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren. Dazu greift Agilität auf verschiedene Methoden zurück, die es Menschen einfacher machen, sich so zu verhalten“.
Das bedeutet: Strukturen verändern sich in Organisationen (durch unterschiedliche Komponenten – z.B. durch die Anforderungen der Kunden oder durch die fortschreitende Digitalisierung). Diese Veränderungen wirken sich nicht nur auf die Menschen in der Organisation aus; die betroffenen Menschen haben diese Veränderungen anzustreben, zu stärken und letztendlich den Erfolg durch die Veränderungen zu verantworten. Diese „neue“ Welt der Agilität präsentiert sich scheinbar unberechenbar, unsicher, komplex und ambivalent.
Die Transaktionsanalyse (TA) bietet einen qualifizierten Umgang mit der Gestaltung von Wirklichkeiten durch Kommunikation. Die TA stellt eine Theorie der Persönlichkeit und eine Beschreibung verschiedenster kommunikativer Abläufe in einer Vielzahl von Kontexten dar. Sie bietet Modelle zum Beobachten, Beschreiben, Verstehen und Verändern bzw. Entwickeln der menschlichen Persönlichkeit und der sozialen Beziehungen zwischen Individuen und sozialen Systemen. Zugleich liefert sie Konzepte zur Persönlichkeitsanalyse, zur Beziehungsanalyse, zur Gruppendynamik und Gruppenanalyse und zur Analyse und Steuerung von sozialen Systemen (DGTA, 2019).
Darüber hinaus ist TA auch eine Theorie und Methodik der Einflussnahme auf die Entwicklung, Ausformung und Gestaltung von als sinnvoll erachteten Veränderungen im interaktiven Bereich. Dieser Prozess ist bezogen auf das Individuum, seine menschlichen Bezüge und seine Einbindung in soziale Strukturen und gesellschaftlich-kulturelle Zusammenhänge.
TA steht auch für Humanität in Beziehungen. Hier geht es um eine integrierte Persönlichkeit, um die Entwicklung eines autonomen Menschen („autonomes“ = sich selbst Gesetz sein) und um die Fähigkeit, sich in einem sozialen Gefüge selbstbewusst, respektvoll, achtsam, rücksichtsvoll und beitragend zu bewegen. Zielpunkt für TA-Analytiker ist es, gemeinsam Leben freudevoll zu gestalten und in einer Bewusstheit von Gleichwürdigkeit und Gleichwertigkeit miteinander zu kooperieren.
Wie können Coaching und TA-Konzepte nun den Herausforderungen des agilen Arbeitens begegnen? Da ist z.B. das Leitbild der Autonomie des Menschen im beruflichen Alltag. Dieses Ideal beinhaltet Bewusstheit, Flexibilität, Kooperation und Verantwortlichkeit. Damit klappt die Zusammenarbeit im beruflichen Kontext der Veränderungen hervorragend.
Doch das allein reicht nicht aus. Viele Mitarbeiter kennen die eigene Rolle im Kontext des Unternehmens nicht wirklich – sie hinterfragen ihren eigenen Standpunkt zur auszuübenden Tätigkeit nicht bzw. hinterfragen die eigene Stellenbeschreibung zu wenig oder nur oberflächlich. Daraus resultieren Unklarheit, Missverständnisse und Konflikte. Ein Coach fragt hier gerne nach: „Welche Aspekte Ihrer Person sind in der Rolle notwendig? Was ist Ihr persönlicher Standpunkt? Wissen Sie, wer Sie sind? Was macht Sie als Person aus?“ Denn es ist wichtig, in unsicheren Zeiten zu wissen, wer man ist und wofür man steht. Zu wissen, wer man ist, bedeutet Standfestigkeit in der Welt, und zu wissen, wofür man steht, gibt innere Orientierung in Zeiten der Veränderungen.
Hofert (2018, S. 9) beleuchtet vier Thesen, die es benötigt, die neue agile Welt zu gestalten:
Um diese Thesen mit Leben zu füllen, sind bestimmte Grundlagen zu schaffen:
Damit wird deutlich: Die gewünschte Agilität in den Organisationen ist ohne autonome Persönlichkeiten nicht machbar. Für Hofert (2018, S.12) sind die folgenden Prinzipien und Eigenschaften für das agile Miteinander notwendig: Selbstverpflichtung (Commitment), Rückmeldung (Feedback), Fokus (Focus), Kommunikation (Communication), Mut (Courage), Respekt (Respect), Einfachheit (Simplicity) und Offenheit (Openness).
Was bedeutet das nun für das Führen in agilen Zeiten? Hofert (2018, S.86) führt dazu aus: „Agiles Führen ist eine dynamische Haltung, ein Mindset, das Veränderung als Dauerzustand begreift. Agile Führungskräfte sind beweglich, flexibel und fähig zur Transformation von Menschen, Teams und Prozessen. Sie begreifen Führung als Rolle, die definierte Aufgaben beinhaltet, anstatt als Position oder Funktion.“ Agile Führungskräfte, so Hofert, handeln daher „prozess- und zielorientiert und fördern die Selbstorganisation von Gruppen durch permanente Teamentwicklung“. Ziel dabei sei es, Selbstverantwortung und Kreativität zu fördern. Agile Führungskräfte, so Hofert weiter, „transformieren damit Menschen und Prozesse“.
In diesem Kontext kann Coaching bedeuten, das Team zu bevollmächtigen. Hierfür wird der Wert der Selbstverpflichtung bewusst gemacht und gestärkt. Das Team muss selbst entscheiden und dafür die Kompetenzen haben. Dazu werden vom Coach mögliche Fragen zur Verfügung gestellt: Welche Entscheidungskompetenzen hat das Team? Welche kann es noch bekommen? Wo sind Grenzen?
Ein weiterer Punkt ist das Thema der Selbstorganisation: Mit den Fragestellungen „Wie erreichen wir es, dass das Team sich das zutraut? Wie unterstützen wir es?“ wird das Team in die Selbstverpflichtung gebracht und lernt, sich eigenständig zu organisieren.
Eine existenzielle Basis des agilen Führens ist die Rollenklarheit: die Klarheit zur eigenen Rolle im Umfeld des Unternehmens und auch im Spannungsbogen des eigenen Kontextes. Das umfasst die Frage nach der auszuführenden Aufgabe, die Entscheidungsbefugnisse, die Verantwortungen in Bezug auf die eigene Aufgabe, den Umgang mit anderen Menschen im Team, die Dringlichkeit der Abstimmung mit anderen Ebenen und die Kenntnis und den Respekt der Schnittstellen zur Aufgabe (z.B. auch zu Kunden).
Augenscheinlich sind Führungskräfte gefragt, die Führung im agilen Zeitalter vermitteln können. Dazu braucht es eine Persönlichkeit, die sich in der Dialektik von Fachaufgaben, Strategie und den beteiligten Menschen gut aufhalten kann. In der Grundposition der Menschlichkeit vertritt die Führungskraft den eigenen Standpunkt und respektiert ihr Gegenüber und dessen Meinung. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für agile Zusammenarbeit. Dazu kommt die Gewährleistung der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse – ein weiteres Konzept aus der TA. Ohne diese Garantie ist kein agiles Miteinander auf Dauer machbar, möglich und nachhaltig.
Der Umfang agiler Zusammenarbeit hängt auch von der Kultur der Organisation ab. Jedes Unternehmen (oder jede Organisation) benötigt eine sorgfältige Analyse, welches Ausmaß an Agilität es für welche Gruppierung verträgt oder ob es erst zu agilem Arbeiten hin entwickelt werden muss.
Ganz einfach kann das mit den vier Teamentwicklungsphasen nach Tuckman (1965) geschehen (Forming-, Storming-, Norming- und Performingphase), wobei die einzelnen Phasen unterschiedliche Unterstützung benötigen. Denn alle Herausforderungen der Teamentwicklung zeigen sich auch in agil tätigen Gruppen und können hier genauso oder sogar noch dringlicher gelöst werden wie in konservativ arbeitenden Teams. Dazu kommen unterschiedliche Level von Kompetenz, auch in agilen Gruppen, z.B. Junior- und Senior-Niveaus. Diese Unterschiede sind zu akzeptieren und zum Thema zu machen, um miteinander erfolgreich zu sein. Dafür sind agile Basismethoden sehr hilfreich und eine gute Unternehmenskultur die Voraussetzung. Denn was für gelingende Arbeit schon immer gut war, ist die Grundvoraussetzung für das agile Miteinander.
Somit wird deutlich: Agilität benötigt den Halt und die Haltung einer psychosozialen Methode, vorzugsweise der TA, um sich nicht durch hohe Anfälligkeit selbst infrage zu stellen. So kann die TA vielerlei Aspekte absichern: die Begleitung agiler Teams, das Coaching von Führungskräften, die Steuerung der Organisationsentwicklungsprozesse, das Konfliktmanagement in agilen Teams, die Führungskräfteentwicklung für agile Teams und vieles mehr.
Die TA schafft Bewusstheit durch die Übung und Vermittlung spielfreier Begegnungen und die Bewusstmachung des eigenen Standpunkts als Standfestigkeit. Sie vermittelt Flexibilität in der Verdeutlichung der Umsetzung von Respekt für sich und andere im gestalteten Dialog. Zudem lehrt sie Verantwortung und wie man individuelle psychologische Bedürfnisse im Arbeitsalltag befriedigen kann. Auf den Punkt gebracht: Die TA stellt alles zur Verfügung, was agiles Miteinander braucht.