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Coaching an Hochschulen

Die Problematik der Rollenerfüllung und -erwartung

Die Ziele eines Hochschul-Coachings unterscheiden sich kaum von anderen Coachings: Ein Problem soll reflektiert, erkannt und eine Lösung gefunden werden. Die Besonderheit eines Coachings an der Hochschule liegt in der Komplexität des „Systems Hochschule“, denn anders als ein Wirtschaftsunternehmen herrscht hier eine Vielfalt an Subsystemen und Zielsetzungen. In diesem Coaching-Fall tritt insbesondere die Problematik der Rollenerfüllung und -erwartung zutage: Ist der Klient Professor oder Geschäftsführer?

12 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2013 am 11.09.2013

Angesichts gestiegener Erwartungen an Mitarbeiter in den letzten Jahren, wird Coaching mit Gewinn nicht nur in der Wirtschaft, sondern vermehrt auch an Hochschulen eingesetzt. Dabei verspricht Coaching Orientierung und Fokussierung, in einem sich wandelnden, zunehmend komplexen und digitalisierten Arbeitsfeld.

Beim Coaching an Hochschulen werden ähnliche Themen und Anliegen bearbeitet, wie auch in der Wirtschaft. So bleibt zum Beispiel die Förderung und Erweiterung von kommunikativen und persönlichen Fähigkeiten auch an Hochschulen eine zentrale Aufgabe im Coaching.

Im Allgemeinen sollen Mitarbeiter von Hochschulen durch ein Coaching darin unterstütz werden, die Aufgaben und Anforderungen, die an sie gestellt werden, professionell reflektieren, bewältigen und hinterfragen zu können. Solch ein Coaching-Angebot ist meistens in der Personalentwicklung der Hochschule angesiedelt und wird mittlerweile als ein hoch wirksames Instrument im Bereich der Weiterbildung und Qualifizierung eingestuft.

Klienten sind dann Dezernenten, Professoren, Mitglieder der Hochschulleitung, Projekt- und Programmverantwortliche und Nachwuchswissenschaftler sowie Führungskräfte und Mitarbeiter aus der Wissenschaftsverwaltung.

Verständnis von Coaching an Hochschulen

Coaching wird als professionelles und prozessorientiertes Verfahren gesehen, das Raum und Struktur ermöglicht, für das absichtsvoll handelnde, erkenntnis- und lösungssuchende Individuum, das prinzipiell selbst dazu in der Lage ist, seine konkrete Problemlage zu reflektieren, Ziele zu formulieren und durch aktives Handeln das Problem in den Griff zu bekommen. Coaching hat die Aufgabe, die Entdeckung dieser grundsätzlich bei jedem Individuum vorhandenen Kompetenzen zu ermöglichen und diese Kompetenzen zu fördern und zu entwickeln.

Mögliche Themen im Coaching an Hochschulen:

  • schlechte Evaluationsergebnisse und Misserfolge
  • Überforderung mit den Welten (Universitätswelt/Forschungswelt/Wirtschaftswelt)
  • Positionierung im System
  • Verhalten in der Rolle, Umgang mit Rollenerwartungen
  • Führungsrolle, -stil, -aufgaben
  • Umgang mit Konflikten, Stress, Zeit, Selbstmanagement
  • Vorbereitung von Strategiethemen
  • Umgang mit Akkreditierung und Vorbereitung für Akkreditierungsverfahren
  • Kooperationen mit anderen Systemen/Subsystemen

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Abb.: Eigene und fremde Rollenerwartungen

Der Prozess: WILLE

Coaching-Prozesse brauchen einen Rahmen und eine Struktur, die dem Klienten aber auch dem Coach selbst Sicherheit, Orientierung und Transparenz bieten. Im Folgenden wird das Prozess-Modell WILLE erläutert, das dem Coach hilft, einen exakten Auftrag für die Sitzung vom Klienten zu erhalten und diese zu strukturieren, die Situation des Klienten zu klären, zu lösen und den Prozess für ihn nachvollziehbar und transparent zu gestalten.

  • W-Phase: Willkommen heißen, Zusammenkommen, Bedingungen für gemeinsame Arbeit klären.
  • I-Phase: Informationen sammeln, Bedürfnisse klären, Ziele und Absichten formulieren.
  • L-Phase: Lösungen suchen und sammeln, Möglichkeiten, Ressourcen, Lösungsalternativen.
  • L-Phase: Lösungen bewerten, das Ziel greifbar machen, den Weg und die Schritte fixieren.
  • E-Phase: Ergebnis sichern, Nachhaltigkeit, Integration und Kontinuität sichern.

Willkommen heißen: Der Coach begleitet seinen Klienten auf eine Reise. Als Coach ist man zuständig für das Setting der Reise, für die Klärung der Absichten des Reisenden und für den Weg. Auch für das Tempo und für die Klarheit in der Auswahl der Interventionen und Tools. Die Reise hat ein fest visualisiertes Ziel und ist an eine bestimmte Zeit und an einen bestimmten Rahmen gebunden. Mögliche Leitfragen in dieser Phase sind:

  • Was soll Ziel dieses heutigen Gesprächs sein?
  • Was genau möchten Sie am Schluss des Gesprächs als Ergebnis haben?
  • Welches Ziel/welche Absicht verfolgen Sie mit dem Coaching?
  • Welche Punkte wollten Sie heute für sich klären?

Informationen sammeln: Hier ist es wichtig, die Absichten und Bedürfnisse zu finden, die den Klienten emotional motivieren, um sich auf die Reise zu bewegen. Warum soll die Situation gerade jetzt angegangen werden? Was ist seine Absicht bzw. sein Bedürfnis?

Weiterhin ist es wichtig zu klären, wie die Situation aus seiner Sicht entstanden ist, was passiert, wenn sie nicht geklärt wird und was er gewinnt oder verliert, wenn die Situation sich klärt. Was hat er gemacht oder nicht gemacht um die Situation zu klären und wo hat er möglicherweise eine ähnliche Situation erfahren? Auch nach Stakeholdern ist hier zu fragen: Wer ist noch beteiligt, welche Rolle spielen die Beteiligten, was gewinnen oder verlieren sie, wenn die Situation sich klärt? Welche Beschreibungen bzw. Erklärungen sind sonst noch möglich? An dieser Stelle kann der Coach auch seine eigenen Beobachtungen einbringen.

Lösungen suchen: Was kann der Klient machen, um die vereinbarte Absicht zu erfüllen? Hier ist Kreativität angesagt: Experimentieren im Denken, Grenzen überschreiten mit viel Mut, sogar – wenn der Rahmen es zulässt – albern und kindisch sein und als Coach mitmachen und sich einbringen. Diese Phase lebt vom Spiel, von Dynamik und Energie.

Lösungen bewerten: Viele von den kreativen, mutigen Lösungen kann der Klient nicht sofort umsetzen. Daher ist es in dieser Phase bedeutsam, die herausgearbeiteten Lösungen zu strukturieren und strategisch zu ordnen. Dazu werden Vor- und Nachteile der Lösungsalternativen abgewogen und damit verbundene Chancen und Risiken bewertet. Es wird mit Punktesystemen gearbeitet und Lösungsvorschläge werden sortiert: Erscheinen sie erfolgsversprechend oder weniger aussichtsreich?

Ergebnisse sichern und in die Absichten integrieren: Hier ist es wichtig, die Schritte die in der Lösungs- und Bewertungsphase erarbeitet worden sind zusammenzufassen und in die Form eines Planes zu integrieren. Hier sind auch weitere Vereinbarungen zu besprechen und zu terminieren. Woran arbeitet der Klient weiter und wie konkret? Was kann er bereits jetzt umsetzen (eine To Do-Liste ist hier nützlich)? Was braucht er noch vom Coach oder von anderen Beteiligten? Ist noch etwas offen oder können wir hier das Gespräch beenden?

Fallbeispiel aus der Hochschule

In dem folgenden Coaching-Fall sehen die Personalentwicklung und Hochschulleitung nach einer Niederlage eines Mitarbeiters bei einem wichtigen Projekt der Hochschule und einer sehr schlechten Evaluation für seine Lehre, den Bedarf, diese Schwierigkeiten anzusprechen und zu klären. Bei der Ansprache und Klärung dieser Situation wird dem Mitarbeiter die Möglichkeit eines Coachings eröffnet. Für alle Beteiligten ist dabei klar, dass die Vertraulichkeit der Maßnahme bei ihm und dem Coach bleibt und das Coaching seiner Unterstützung dienen soll. Dennoch wird die Vereinbarung getroffen, dass er das Coaching zum einen nutzt, um die Situation zu klären und Unterstützung zu erfahren, aber auch um die Faktoren, die zu den schlechten Ergebnissen geführt haben, zu reflektieren und sein Ergebnis bei der nächsten Evaluation zu verbessern.

Der Mitarbeiter, hier Herr Müller genannt, ist Professor für Chemie an einer mittelgroßen Universität und Geschäftsführer einer GmbH mit zwei Dutzend Mitarbeitern. Bei dem ersten Telefonat mit dem Coach werden die Bedingungen für die gemeinsame Arbeit geklärt und die Termine fixiert.

W-Phase

In der ersten Coaching-Sitzung ist es, wie zuvor im Prozess-Modell vorgestellt, zunächst wichtig, einen Kontakt und Vertrauen zum Klienten aufzubauen. Die W-Phase wird mit einem Auftragsziel für diese Sitzung beendet. Dieses Ziel ist zunächst, die aktuelle Situation zu reflektieren und Ideen und Anregungen zu finden, wie er mit der Situation umgehen könnte. Die Erfahrung zeigt, dass das Anfangsziel, wie auch hier, oft eher allgemein und vage ist, daher nur als Arbeitstitel genutzt werden kann. Das konkretere und auch in der Sitzung erreichbare Ziel verbirgt sich zumeist dahinter, es wird erst in der I-Phase genau definiert.

I-Phase

Zu Beginn der I-Phase wird Herr Müller aufgefordert, seine Sicht zu erläutern und zu beschreiben, wie seiner Meinung nach die Situation entstanden ist und wie er sich die Probleme erklärt. Daraufhin schildert er, dass sowohl die Personalabteilung als auch seine Mitarbeiter sich ernsthaft Sorgen machen, aufgrund der Umstände und der Überforderung, die sie bei ihm wahrnehmen. Er selbst merkt, dass er seit eineinhalb Jahren angespannt und nicht mehr motiviert ist. Zudem wird ihm vorgeworfen, dass Termine ständig verschoben werden, die Themen und die Inhalte von Sitzungen nicht strukturiert sind und die Lehre leidet.

Auch das von ihm vor zwei Jahren gegründete und durchaus erfolgreiche Unternehmen mit inzwischen 25 Mitarbeitern macht ihm Sorgen. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer war von Anfang an nicht besonders gut. Aber da er weder die Zeit, noch die Bereitschaft hatte, die Rolle eines Geschäftsführers anzunehmen, zeigte er sich mit der Situation nach außen einverstanden. Auch für den Geschäftsführer war klar, dass das Unternehmen ohne die Kontakte, das Renommee und die Forschungsergebnisse von Prof. Müller nicht erfolgreich sein kann. Beide versuchten, die Differenzen miteinander nicht zu thematisieren.

Mit der steigenden Resonanz bei den Kunden und mit dem Erfolg und Wachstum der Firma wird jedoch immer deutlicher, dass es an Struktur, Klarheit der Rollen und Aufgaben sowie an Organisation fehlt. Die Spannungen und Differenzen zwischen ihm und dem Geschäftsführer sind nun nicht mehr zu übersehen.

Zum Ende der I-Phase wird daher deutlich, dass das eigentliche Gesprächsziel für die Sitzung ist, seine verschiedenen Rollen und Erwartungen, die an ihn gestellt werden, zu strukturieren und Anregungen zu bekommen, wie er mit diesen Rollen und Erwartungen zukünftig umgehen kann.

RES-Analyse

Mit Hilfe der RES-Analyse (Rollen-Erwartungen-Skalierung-Analyse) schafft der Coach einen Überblick über die verschiedenen Rollen, die Prof. Müller innehat. Zudem listet die RES-Analyse Erwartungen einer Person und ihres Umfelds an ihre jeweilige Rolle auf. Die Bedeutung und die Realisierung einer Erwartung werden mit Hilfe von Skalierungsfragen ermittelt.

Die Vielfalt der übernommenen Rollen, die damit verbundenen Erwartungen und die Zusammenhänge werden durch die visuelle Darstellung für den Klienten in ihrer Vernetzung transparenter. Das Tool fördert die gedankliche Beschäftigung mit diesem Themenkomplex und erfordert Überlegungen zur Passungsarbeit zwischen innen und außen, zwischen Selbst und Fremdbild und zwischen Erfüllung und NichtErfüllung von Erwartungen.

Zur Unterstützung arbeitet der Coach mit dem Klienten an einem Flipchart o.ä. die einzelnen Rollen, die er in seinem beruflichen und/oder privaten Kontext innehat, durch. Sie werden grafisch um das eigene „Ich“ gelegt. Zu den Rollen werden die wichtigsten Erwartungen notiert, maximal drei Erwartungen pro Rolle. Die Erwartungen werden in eigene Erwartungen (EE) und fremde Erwartungen an die Rolle (FE) eingeteilt.

Mit Hilfe der Skalierung von eins bis fünf wird anschließend bewertet, inwiefern die Erwartungen, die der Klient als wichtig definiert hat, von ihm als tatsächlich erfüllt gesehen werden, sowohl im Hinblick auf die EEs als auch die FEs. Damit wird die Bedeutung vs. Realisierung von Erwartungen aufgezeigt.

Die RES-Analyse verdeutlicht, dass Herr Müller sich als Entwickler und Forscher sieht, nicht als Führungskraft. Die Zeit, die er für die Firma investieren möchte, steht in Diskrepanz zu den hohen Erwartungen des Geschäftsführers. Weiterhin wird ihm bewusst, wie sehr er seine Tätigkeit als Professor liebt, und wie schwer es ihm dagegen fällt, als Unternehmer zu agieren.

L-Phasen

Die beiden L-Phasen werden zur Sammlung und Bewertung von Lösungsalternativen genutzt. Der erste wichtige erkannte Schritt: Es soll ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Unternehmens stattfinden, bei dem beide die herausgearbeiteten Erwartungen thematisieren und eine gegenseitige Rollenklärung vornehmen sollen. Der Klient soll dabei Stellung beziehen zu seiner eigenen Sicht auf seine Rolle im Unternehmen und wie er diese Rolle als Partner in Zukunft ausfüllen möchte und kann.

Eine weitere Lösung ist, eine Teamsitzung zu organisieren in der die Aufgaben und Erwartungen an seine Universitätsmitarbeiter geklärt werden sollen. Außerdem ergibt sich die Möglichkeit für den Professor, ein Seminar in der Lehre an einen Kollegen abzugeben, um selbst mehr Zeit für die Forschung zu gewinnen. Zugleich soll der Klient mehr innere Gelassenheit erlangen und sich besser abgrenzen können – dieses Thema wird bei einem weiteren Termin konkretisiert.

Hilfreich für die Arbeit als Coach an Hochschulen:

  • Systemische Ausbildung
  • Systemkenntnisse
  • Erfahrung aus der Wirtschaftswelt als auch aus der Hochschule
  • Erfahrung als Trainer bzw. Mentor, vor allem in der Didaktik
  • Praktische Vorschläge aus Lebenserfahrung und Führungserfahrung

Abschluss

Zum Ende der Sitzung ist der Auftrag erfüllt, die Wirkungszusammenhänge zwischen Rollen und Erwartungen sind klar ausgearbeitet. Der Klient erhält einen strukturierten Überblick über die Komplexität seiner Situation und Kenntnisse über die nächsten Entwicklungsschritte, die er unternehmen kann. So kann die E-Phase mit der Fixierung der ersten Handlungsschritte und in diesem Fall mit dem Ausblick auf die in der L-Phase neu definierten Ziele abgeschlossen werden.

Anforderungen an den Coach

Der Coach sollte zuerst selbst eine kommunikative, klar strukturierte innere Haltung haben, sollte ein Gefühl für Komplexität und für Systeme allgemein haben. Dafür ist eine systemische Ausbildung sehr hilfreich, da die Akteure mit einer enormen Rollenvielfalt, vielen Stakeholdern, komplexen Themen und losen Systemen konfrontiert und vernetzt sein können. Auch ist ein Hochschulabschluss förderlich, da dies den Kontakt und den Umgang mit dem akademischen Umfeld erleichtern kann.

Hochschulen arbeiten nicht immer mit strategischen, einheitlichen und festdefinierten Zielen mit einer klaren Identität. Das System Hochschule lässt sich vielmehr unterteilen in zahlreiche dynamische Subsysteme, die unterschiedlich zusammengesetzt sind, autonom agieren und sehr verschiedene oder sogar gar keine gemeinsamen Zielsetzungen haben. So ist es auch für die Hochschulleitung immer wieder eine Herausforderung, mit den sehr unterschiedlichen autonomen Subsystemen eine gemeinsame Linie zu finden und zu halten. Auch hier hat der Coach den Spagat zu bewältigen zwischen den Bedürfnissen der Ratsuchenden und den Bedürfnissen der Hochschule.

Im Unterschied zum Coaching in der Wirtschaft ist an Hochschulen das Verständnis für die Vertraulichkeit und Autonomie des Prozesses eher gegeben. Feedback über den Prozess wird nur dann verlangt, wenn es für alle transparent von Beginn an vereinbart war und auch nützlich ist für den Prozess als auch für weitere wichtige Entscheidungen, wie z.B. bei einer Verbeamtung einer Person.

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