Coaching-Tools

META-Charly

Ein Coaching-Tool von Veronika Kolb-Leitner

Beim Einsatz des Coaching-Tools META-Charly von Veronika Kolb-Leitner wird der Klient zum Beobachter aus der Meta-Perspektive und reflektiert über die eigene Situation. Es eignet sich für Klienten, die Orientierung und Klarheit suchen.

11 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2015 am 13.05.2015

Kurzbeschreibung

META-Charly ist eine vom Coach geführte Methode, in der sich der Klient in eine Meta-Position in der Funktion eines weisen, etwa 90 Jahre jungen Supervisors begibt. Der Klient wird damit zum Beobachter aus der Meta-Perspektive und reflektiert über die eigene Situation. Der Einsatz dieser Intervention eignet sich für Klienten, die Orientierung und Klarheit suchen oder im Coaching Schwierigkeiten haben, über sich selbst zu sprechen. In der Folge ist das Themenfeld dann oftmals schwer zu durchblicken und es steht die Frage im Raum: „Worum geht es denn wirklich?“ Bewährt hat sich die Methode auch für Entscheidungssituationen.

Anwendungsbereiche

Die Intervention META-Charly wird dann eingesetzt, wenn sich im Coaching zeigt, dass es um Orientierung und Klarheit geht. Dies kann sowohl personenbezogen, als auch themenbezogen der Fall sein.  

Personenbezogen findet die Methode Anwendung für …

  • Klienten, die sich im Coaching introvertiert zeigen und welchen es schwerfällt, ihre Gedanken und Gefühle zu artikulieren. Die Folge ist häufig, dass Probleme und/oder Ziele nicht klar definiert werden können. 
  • Klienten, die noch überhaupt keine bis wenig Berührungspunkte mit Coaching und Persönlichkeitsberatung hatten.
  • Menschen, die sich im Coaching klagend verhalten, welche zwar eine Veränderungsnotwendigkeit orten, jedoch diese Veränderung oftmals von ihrem Umfeld erwarten (Balz, 2003; sowie Radatz, 2011). Auch dies kann dazu führen, dass ein konkreter Auftrag an den Coach möglicherweise ausbleibt.  

Themenbezogen eignet sich die Methode insbesondere für Entscheidungssituationen, die Klarheit und Orientierung erfordern, und bei der Suche nach Entscheidungsunterstützung. In diesen Anwendungsfeldern kommen Klienten rasch und wirksam zu neuen Erkenntnissen und in die Handlungsfähigkeit.

Zielsetzung und Effekte

Die Intervention zielt darauf ab, dem Klienten einen Blick von außen auf die eigene Situation zu gönnen und diesem dadurch neue Perspektiven und Erkenntnisse zu ermöglichen. Die Meta-Perspektive aus Sicht eines weisen, ca. 90jährigen Supervisors, durch die der Klient geführt wird, fördert die Offenlegung von vorab nicht zugänglichen und artikulierbaren Themen, Situationen und Emotionen. Das Besondere zur Herangehensweise an das ungelöste, und oft auch nicht klar definierte Problem des Klienten ist, dass sich dieser selbst mit dem Blick von außen als dritte Person wahrnimmt und beobachtet. Es findet von dieser Position aus – mit ausreichend Abstand zum Thema – eine Auseinandersetzung statt und ermöglicht eine Reflexion und Artikulation zum eigentlichen Problem und Ziel. Dies hat zur Folge, dass die eigene Situation aus einer Beobachterrolle reflektiert werden kann, neue Blickwinkel entstehen und neue Handlungsoptionen ermöglicht werden.

Ausführliche Beschreibung

Das Tool lehnt sich an die Kybernetik zweiter Ordnung (Bamberger, 2001) an. Geht man in der Kybernetik erster Ordnung von einem Beobachter des Systems aus, so wird in der Kybernetik zweiter Ordnung dieser Ansatz erweitert. Das Modell befasst sich mit der Beziehung zwischen dem außenstehenden Beobachter und dem beobachteten Objekt. Zur Analyse dieser Beziehung benötigt es jedoch wiederum einen weiteren Beobachter auf einer höheren Ebene – einer Metaebene. Damit sind Beobachter und Beobachtete Interaktionspartner (ebd.). Umgelegt auf die vorliegende Methodik bedeutet dies, dass das Einnehmen der Meta-Position dem Klienten die Möglichkeit bietet, Beobachter seines eigenen Themas zu werden.

Die Interventionsmethode greift zusätzlich auf das Konzept der Metakommunikation zurück, in dem seitens des Coachs an den Klienten die Einladung erfolgt, gemeinsam das Thema zu verlassen und einen Blick auf die „Szene“ zu tätigen. Dadurch wird ihm ermöglicht, eine Metaposition für den eigenen Prozess aufzubauen. Dies kann dahingehend unterstützend sein, dass der Klient die nötige Distanz zum Thema gewinnt und alternative Wahlmöglichkeiten gestaltet (Lippmann, 2013).

Im Detail basiert META-Charly auf nachfolgend beschriebenen Schritten. Neben der generellen Beschreibung des Tools werden zusätzlich Formulierungen, die aus der Erfahrung für das Gelingen der Intervention entscheidend sind, dargelegt. Zusätzlich wird auf Aspekte der Mimik und Gestik eingegangen. Bevor auf die weiteren Schritte zur Durchführung der Intervention eingegangen wird, bedarf es der Beschreibung des fiktiven Supervisors.

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Abb.: Prozessablauf und wesentliche Aspekte zum Coaching-Tool "META-Charly"

Der fiktive Supervisor

Der Klient wählt Namen und Geschlecht seines „fiktiven Supervisors“ – im Folgenden handelt es sich um den 90jährigen Charly. Das Alter suggeriert dabei seine beachtliche Lebenserfahrung mit vielen erlebten Höhen und Tiefen, Schicksalsschlägen, Zweifeln und Ängsten, die den unseren in der heutigen Zeit nicht unähnlich sind. Unser Supervisor ruht in sich selbst, ist mit der Umwelt im Einklang und genießt mit Humor, Gelassenheit und viel Menschenkenntnis das Leben.

Zwei Eigenschaften zeichnen den fiktiven Supervisor jedoch besonders aus: Intuition und die Fähigkeit, das „Wesentliche“ blicksicher zu erkennen bzw. zu begreifen.

Schritt 1: Einladung in die Meta-Position

Der Coach entfernt sich einige Schritte vom ursprünglichen Coaching-Setting und lehnt sich z.B. an einen Fensterrahmen oder nimmt auf einem anderen Stuhl Platz. Daraufhin bittet er den Klienten zu sich – vorwiegend nonverbal und durch Einsatz von einladender Mimik und Gestik. Dies fördert den Aufbau eines Spannungsbogens, da dem Klienten nicht klar ist, was nun geschehen wird.

Um aus dem entstandenen Spannungsbogen eine entspannte Atmosphäre zu gestalten, vertraut der Coach dem Klienten im nächsten Schritt Folgendes an: „Ich gönne mir selbst gerne einen eigenen Supervisor, um umsichtig und neutral zu bleiben. Es kann passieren, dass man den Abstand verliert. Mein Supervisor ist 90 Jahre jung, lebenslustig und hat eine beachtliche Lebenserfahrung. Was ich aber besonders an ihm schätze, ist seine besondere Fähigkeit mit einem „gesunden“ Abstand rasch und glasklar zu erkennen, worum es im jeweiligen Fall wirklich geht. Und heute habe ich ihn eingeladen.“ (Mimik und Gestik: Erfahrungsgemäß wird hier gerne die direkte Ansprache mit der offenen Hand gewählt, indem bei letztem Satz mit der Hand auf den Klienten gedeutet wird. So fühlt sich der Klient erstmals als Supervisor angesprochen).

Der Coach führt weiter aus: „Nachdem ich meinem Klienten (Mimik und Gestik: Mit der ganzen Hand unterstützend auf den bisherigen Sitzplatz des Klienten deuten) eine kurze Reflexionspause gönnen möchte, frage ich dich, lieber 90 Jahre alter Supervisor (Mimik und Gestik: Der Blickkontakt ist dabei direkt auf den Klienten gerichtet, sodass er sich direkt angesprochen fühlt), wie heißt du?“ (Mimik und Gestik: Der Blickkontakt mit dem Klienten ist aufmunternd, fragend und direkt).

Erfahrungsgemäß wird der Klient nach einer kleinen Verwirrung oder Nachdenkpause schmunzelnd die Frage mit einem Namen beantworten, hier: „Charly“. Oftmals stellt sich nach der ersten Spannungsphase eine leichte, fast beschwingte Atmosphäre im Raum ein.

Ab diesem Zeitpunkt wird der Klient nur noch mit dem gewählten Namen angesprochen, sodass er in der Rolle des fiktiven Supervisors bleibt. Außerdem hat sich die Ansprache in die Du-Form verändert – auch wenn außerhalb der Intervention der Klient per Sie angesprochen wird.

Schritt 2: Arbeit in der Meta-Perspektive 

Während der Arbeit in der Meta-Perspektive wird der Klient so oft wie nötig namentlich angesprochen. Zusätzlich werden die Fragen seitens des Coachs in Bezug zur Situation des Klienten gewählt.

Beispiel: Der Klient Müller will eine sehr heikle Situation reflektieren und für sich wesentliche Rückschlüsse ziehen. Exemplarische Fragestellungen in dieser Situation können sein: 

  • Charly, was glaubst du, ist die wirklich große Quintessenz für den Klienten Müller nach dieser heiklen Situation? Wo er sogar sagen wird, das ist ja ein echter Diamant? Was glaubst du, welche Diamanten da noch rauszuholen sind? 
  • Welche drei handfesten und konkreten Ideen könntest du, Charly, jetzt dem Herrn Müller geben? 
  • Welche Ressourcen und Kompetenzen sollte unser Klient Müller gut nützen, um sein persönliches Ziel zu erreichen? 
  • Noch eine Frage, Charly, wie sollte Herr Müller denken, damit er aus seiner Ohnmacht heraus kommt und wieder – wie gewohnt – voll handlungsfähig ist?

Der Klient kommt zu Aussagen in der Haltung der Meta-Perspektive (entspricht der Rolle des 90jährigen Supervisors) und antwortet in der Verwendung der dritten Person („Er/Sie …“). Sollte die Situation auftreten, dass der Klient während des Prozesses vergisst in der dritten Person über sich zu sprechen, ist es wichtig, dass ihn der Coach in die Rolle des Supervisors zurückholt. Dies gelingt z.B. durch gezielte namentliche Ansprache – „Aha, Charly, sehr interessant, du würdest also dem Herrn Müller sagen, er …“. In dieser Prozessphase kann jeglicher Fragentyp angewandt werden, der zur Lösung beiträgt.

Schritt 3: Anleitung zurück in das Ursprungssetting

In Anlehnung an die ursprüngliche Zielsetzung und Themenstellung des Coachings erfolgen der Abschluss aus der Meta-Perspektive und die Anleitung zurück in das Ursprungs-Setting. Der Coach bedankt sich für die Unterstützung durch den Supervisor Charly. Abschließend werden noch Kernbotschaften für den Klienten aus der Perspektive des Supervisors abgefragt. Die Erfahrung zeigt, dass der Prozess die Erleichterung im Umgang mit dem eigentlichen Thema fördert, sodass Kernbotschaften an den Klienten durchaus humorvolle Aussagen beinhalten können.

Hierzu ein exemplarischer Abschluss der Intervention: „Vielen Dank, Charly, dass du mich so unterstützt hast. Ich bin überzeugt, dass mein Klient viel daraus mitnehmen kann. Nun möchte ich wieder zu ihm zurückkehren. Hast du vielleicht noch einen wichtigen Satz für meinen Klienten, den du ihm mitgeben möchtest?“

Anschließend nimmt der Coach seinen ursprünglichen Platz wieder ein und bittet – wieder mittels nonverbaler Kommunikation – den Klienten zurück zum ursprünglichen Platz.

Schritt 4: Erkenntnisintegration aus Meta-Perspektive in das Ursprungssetting

Diese Phase konzentriert sich darauf, die Erkenntnisse aus der Meta-Perspektive in das Ursprungssetting zu integrieren. Insbesondere wird hierbei vom Coach die Ausgangssituation – das Gönnen einer Zeit zur Selbstreflexion für den Klienten – nochmals erläutert. Dies fördert den Positionen- und Rollenwechsel zu jenem Punkt, von dem aus das Ursprungssetting verlassen wurde. Da sich das Coaching wieder in der Ausgangssituation befindet, wechselt auch die Ansprache zwischen Coach und Klient in die vereinbarte Art und Weise (beispielsweise wieder zurück vom „Du“ zum „Sie“).

Um gleichzeitig inhaltlich die Reflexionen und Verbalisierungen während der Meta-Perspektive in das Coaching zu integrieren, bietet sich folgende Frage seitens des Coachs an: „Nun, lieber Herr Müller, ich habe Ihnen ja Zeit zur Selbstreflexion gegönnt. Was geht Ihnen jetzt so durch den Kopf?“ Oder, im Falle einer sehr prägnanten Kernbotschaft durch den Supervisor Charly: „Nun, lieber Herr Müller, ich habe Ihnen die Zeit zur Selbstreflexion gegönnt. Und jetzt habe ich noch einen – wie ich hoffe – guten Satz für Sie bereit: …“. An dieser Stelle folgt die Übermittlung der Kernbotschaft. Der Coach wiederholt möglichst wortgetreu die Formulierung von Charly. Es empfiehlt sich, bei der Wiederholung der Kernbotschaft den direkten Blickkontakt mit dem Klienten zu suchen und zu halten.

Abschließend die Frage: „Was geht Ihnen jetzt so durch den Kopf?“

Voraussetzungen

Für den Einsatz dieses Tools sind keine besonderen Voraussetzungen und Kenntnisse nötig. Förderlich ist die Freude daran, gemeinsam mit dem Klienten bewusst in eine andere Rollenverteilung zu wechseln.

Erfahrungen

Entscheidend für die Intervention ist der Wechsel des Klienten in die Rolle des weisen und lebenserfahrenen Supervisors. Deshalb ist es wichtig, dass der Coach erkennt, ob der Klient auch aus der Perspektive des Supervisors denkt, fühlt und antwortet.

Neben den bereits geschilderten Situationen eignet sich der Einsatz von META-Charly erfahrungsgemäß hervorragend, wenn Klienten Ambivalenzen zeigen, im Sinne von „Ich weiß meine nächsten Schritte, kann aber nicht über meinen Schatten springen.“ Durch dieses Tool kann der Mut zur Veränderung aktiviert werden. In Konfliktsituationen ist das Tool dann empfehlenswert, wenn es darum geht, in diesen Situationen die Klugheit und Weisheit der Konfliktpartner anzusprechen.  

Die Erfahrung zeigt auch, dass Klienten gerne ihren META-Charly mit in den Alltag nehmen, als liebevollen Begleiter sozusagen, um Leichtigkeit im komplexen Lebensalltag zu schaffen.

Technische Hinweise

Die Interventionsmethode nimmt etwa 15–20 Minuten in Anspruch. Innerhalb der Intervention eignet es sich, Schreibmaterial zu verwenden, um die Kernaussagen des Klienten aus der Meta-Perspektive gut und teils wortgetreu erfassen und ggf. wiederholen zu können.

Literatur

  • Balz, Hans-Jürgen (2003). Systematisches Denken in der Berufs- und Laufbahnberatung. In Thea Stäudel (Hrsg.). Wirtschaftspsychologie. Bericht über die 9. Tagung der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftspsychologie, Hochschule Harz, Wernigerode. 58–69. 
  • Bamberger, Günter G. (2001). Lösungsorientierte Beratung. 2. völlig neu bearb. und erw. Aufl. Weinheim: Beltz.
  • Lippmann, Eric (2013). Coaching. 3. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer. 
  • Radatz, Sonja (2011). Beratung ohne Ratschlag. 7. Aufl. Wien: Verlag Systemisches Management.

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