Zu viel Stress im Job macht auf Dauer krank. Diese Einsicht ist gewiss keine neue. Bereits im Jahre 2019 kündigt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an, Burn-out offiziell in die elfte Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme (ICD-11) aufzunehmen (WHO, 2019). Doch nur wenige Menschen wissen, dass das Gegenteil der Überforderung – die chronische Unterforderung – für betroffene Personen ebenfalls eine extreme Belastung darstellen kann. In diesen Fällen spricht man von Boreout.
Mit ihrem 2007 erschienenen Buch „Diagnose Boreout“ prägen Philippe Rothlin und Peter R. Werder den Begriff, mit dem die Autoren „Unterforderung, Desinteresse und Langeweile“ (Rothlin & Werder, 2007, S. 7) im Berufsleben umschreiben. Im Buch merken Rothlin und Werder an, dass Boreout im Vergleich zum Burn-out weniger gesellschaftsfähig ist (ebd.): „Stress […] gehört nicht nur einfach zum guten Ton, sondern ist sozial erwünscht und hat einen wesentlich höheren Unterhaltungswert als zum Beispiel Langeweile.“ Jemand, der sich in seinem Job verausgabt und daran zusammenbricht, erntet die verständnisvolle Anerkennung Anderer. Hingegen dürfte eine Person, die womöglich auch noch gut bezahlt wird, eher Neid und Missgunst seines Gegenübers wecken, wenn sie sich über eine zu geringe Arbeitslast beklagt. Dabei zeigen Ergebnisse der Studie „Stressreport Deutschland 2019“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), dass die Anzahl von Personen, die sich in ihren Jobs unterfordert fühlen, und jener, die sich überfordert fühlen, nicht weit auseinander liegen. Bezüglich der fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten übertrifft die Menge der unterforderten Beschäftigten sogar die der überforderten (BAuA, 2020).
Unterforderte Mitarbeiter kosten die Unternehmen durch ihre Unproduktivität mitunter nicht nur eine Menge Geld (Rothlin & Werder, 2007), sie laufen auch Gefahr, schwerwiegende Krankheitssymptome zu entwickeln, wovor Stefan H. G. Duwensee – ein auf das Phänomen Boreout spezialisierter Coach – im Austausch mit dem Coaching-Magazin warnt: „Die Frustration steigt. Das Selbstwertgefühl sinkt. Das psychische Wohlbefinden wird von Tag zu Tag schlechter. Physische Probleme können folgen. Dazu gehören zum Beispiel Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, eine höhere Infektanfälligkeit, Verdauungsprobleme etc. Es kann zur Schlaflosigkeit kommen, die Leistungsfähigkeit nimmt ab, depressive Verstimmungen nehmen zu.“ Der in Hamburg ansässige Coach hält daher Tipps parat, was von Boreout betroffene oder gefährdete Personen tun können und wie Coaches sich auf Boreout-Klienten einstellen.
Laut Rothlin und Werder legen Boreout-Betroffene häufig eine besonders geschäftige Verhaltensweise an den Tag. Kollegen und Vorgesetzte merken so gar nicht, dass der unterforderte Mitarbeiter während der Arbeitszeit keine relevanten Arbeiten erledigt, sondern privaten Beschäftigungen nachgeht. Aus Angst, auf Unverständnis zu stoßen oder gar den Arbeitsplatz zu verlieren, sprechen Boreout-Betroffene ihre Unzufriedenheit oft nicht aus. Die Unterforderung bleibt dadurch über lange Zeit unentdeckt. (Rothlin & Werder, 2007) Betroffenen Personen bleibt meist nichts anderes übrig, als selbstständig zu erkennen, dass sie unter der dauerhaften Unterforderung leiden, um sich dann Unterstützung zu suchen. Auch Duwensee macht die Erfahrung, dass Klienten erst Coachings bei ihm buchen, wenn der „Leidensdruck“ bereits „immens hoch“ ist. Um dem entgegenzusteuern, bietet der Coach auf seiner Homepage www.boreoutcoach.de einen kostenlosen Selbsttest an. Mit der Beantwortung von Fragen wie „Täuschen Sie ab und zu vor, dass Sie arbeiten – haben aber tatsächlich nichts zu tun?“ oder „Vermissen Sie einen tieferen Sinn in Ihrer Arbeit?“ können Menschen, die bei sich selbst ein Boreout vermuten oder sich als Boreout-gefährdet einschätzen, Klarheit über ihre Lage gewinnen.
Liest man unterschiedliche Publikationen zum Thema, kann zusammenfassend festgehalten werden, dass im Allgemeinen zwischen zwei Boreout-Varianten unterschieden wird:
Beide Formen teilen die Gemeinsamkeit, dass die betroffene Person in der Regel allein nicht in der Lage ist, ihre Situation zufriedenstellend zu verändern. Ein Coaching kann hier helfen, Wege aus der Situation aufzuzeigen.
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