Führung

Impulse für das Karriere-Coaching weiblicher Führungskräfte

Gender Diversity

9 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 11 | 2016

Einleitung

Ein Blick in die macht-, führungs- und geschlechterspezifische Literatur lässt erahnen, dass es für weibliche Führungskräfte auf ihrem Weg zu Spitzenpositionen nicht nur darum geht, sich durch Kompetenz und Professionalität in Führungsgremien einen Platz zu verschaffen und diesen zu erhalten. Es gilt vielmehr zu erkennen, wie unbewusste Rollenzuordnungen seitens Frauen und Männern eine Entwicklung hin zu mehr weiblichen Führungskräften verhindern. Die Studie: "Frauen auf dem Weg zu Führungspositionen. Betrachtung im Kontext der deutschen Automobilindustrie und der Frauenquote-Diskussion" untersucht die Frage, welche Veränderungen in einer männlich geprägten Berufswelt stattfinden müssen, um einen sichtbaren Machtwechsel in Form von Gender Diversity zu initiieren. Aus den in diesem Zwischenbericht dargestellten, ersten Studienerkenntnissen lassen sich Impulse für das strategisch ausgerichtete Karriere-Coaching von weiblichen Führungskräften ableiten.

Erstes Fazit: Während die Mehrzahl der Interviewpartnerinnen eindeutig eine Frauenquote favorisiert, um einen Machtwechsel anzuregen, kann die Mehrzahl der männlichen Interviewpartner die Quote hingegen eher als einen eventuell geeigneten Lösungsansatz in Betrachtung ziehen. Die weiblichen Führungskräfte, die an der Studie teilnahmen, sind nicht davon überzeugt, dass die Frauenquote der einzige und beste Weg ist, um Frauen in Deutschland zu unterstützen, jedoch durchaus als notwendige regulative Maßnahme geeignet ist, um einen Geschlechterausgleich in Spitzenpositionen, Vorständen und Aufsichtsräten einzuleiten. Die Rahmenbedingungen für Frauen auf dem Weg in Führungspositionen haben sich scheinbar nur wenig zugunsten weiblicher Führungskräfte geändert, doch das strategische Vorgehen bei der Karriereplanung, welches durch gezieltes Coaching unterstützt werden kann, weist sie als proaktive und starke Verhandlungspartnerinnen aus.

Kontext der Studie: Die Quoten-Debatte

Noch in der letzten Dekade verließ sich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf freiwillige Maßnahmen der Unternehmen in der deutschen Wirtschaft, die in den vergangenen Jahren allerdings kein nennenswertes Ergebnis geliefert haben (Weckes, 2011). Die Regierungsparteien, CDU und SPD, haben sich darauf geeinigt, dass seit dem 01.01.2016 30 Prozent der neu zu besetzenden Aufsichtsratsmandate in börsennotierten Unternehmen mit Frauen zu besetzen sind.

Macht in Führungspositionen – tagtäglich erlebte Führungsansätze

Wer eine Spitzenposition im Unternehmen erreichen möchte, sollte sich mit dem Machtaspekt stärker auseinandersetzen, da er nicht nur in der traditionellen und geschlechterspezifischen Führungsliteratur große Bedeutung zugeschrieben bekommt (Bolden et al., 2003; Huse & Solberg, 2006), sondern eindeutig von den Interviewpartnerinnen für relevant und ausschlaggebend gehalten wird. Eine Interviewte erzählt von ihren Erfahrungen:

"In vielen Unternehmen gibt es Silberrücken. Dies können Frauen oder Männer sein, welche nicht zwingend in der Außendarstellung die ‚Entscheider‛ sind (C-Level). In der Unternehmung sind dies oftmals diejenigen, welche ‚wirklich‛ die Entscheidungen fällen, den Ausgang einer Diskussion beeinflussen. Um die eigene Position auch bei kritischen Entscheidungen und insbesondere deren Umsetzung zu stärken, kann ich nur empfehlen, diese ‚Silberrücken‛ zu identifizieren, wenn möglich eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, welche es ermöglicht, ihre Perspektive herauszufinden, ihr Interesse zu wecken und sich mit ihnen langfristig - z.B. in Bezug auf Strategien - abzustimmen."

Die Herausforderung besteht demnach darin, die "Silberrücken" zu finden und einen Kontakt herzustellen, der es erlaubt, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen.

Kritische Studien zur Führungsliteratur (Collinson, 2011; Gordon, 2011) betrachten aus unterschiedlichen Blickwinkeln die unbewussten Rollenzuordnungen an bestimmte Personengruppen als verantwortlich für die nicht beobachtete Umverteilung von Macht einer heroischen, männlichen Führungskraft auf weibliche Führungskräfte. Macht hat in der Tat viele Facetten. Der militärische Stratege Sun Tsu (2013) ist der Auffassung, dass eine scharfsinnige Führungskraft den Sieg davontragen kann, ohne je in eine Schlacht verwickelt worden zu sein. Und zwar dann, wenn die entsprechende strategische Vorbereitung getroffen wurde, was gleichzusetzen wäre mit der von der Interviewpartnerin empfohlenen strategischen Vorgehensweise.

Diese und andere Interviewpartnerinnen sind der festen Überzeugung, dass derjenige, der mit Machtdynamiken vertraut ist, diese zu seinem Vorteil anwenden kann und ebenso strategische Allianzen mit mächtigen Entscheidungsträgern eingeht, die Größenordnung seines beruflichen Einflussbereiches und seines Karrierefortschritts bestimmt.

Methodik und Stichprobe

Die qualitative Forschungsstudie (2013–2019) wird von der University of the West of England, hauptverantwortlich von der außerordentlichen Professorin Dr. Doris Schedlitzki, Department Business and Law, betreut. In den vierzehn, bis zu 1,5 Stunden dauernden Interviews mit weiblichen und männlichen Führungskräften wurden zwei Schwerpunkte gesetzt:

Der erste Teil der Befragungen bestand aus einem narrativen Interview und der zweite Teil aus explorativen und teilstrukturierten Interviewfragen zu verschiedenen Themen wie finanzielle Unabhängigkeit, Barrieren für Frauen in Unternehmen, Frauenquote, Macht- und Führungsaspekte sowie kulturelle und soziale Erwartungen an die Frau im Westen. Die Führungsebene der Studienteilnehmerinnen erstreckt sich von der Assistenz des Geschäftsführers, über die Funktion der Geschäftsführerin eines Familienunternehmens, der Projektleiterin auf Management- bis zur Top-Management-Ebene mit einer Verantwortung für 25.000 Mitarbeiter. Die Führungsebene der männlichen Studienteilnehmer reicht vom Geschäftsführer bis zum Vizepräsident mit einer Mitarbeiterverantwortung für 19.000 Mitarbeiter.

Erkenntnisse

Wenn man die Zwischenerkenntnisse der Forschungsstudie betrachtet, erscheint es auf den ersten Blick, als wenn sich wenig an den Rahmenbedingungen für Frauen auf ihrem Weg zu Führungspositionen verändert hat. Eine der Interviewpartnerinnen berichtet erstaunt, dass sie bei einer Veranstaltung der Automobilindustrie feststellte, dass sich nichts geändert habe: "Also, ich war die einzige Teilnehmerin als Verantwortliche in diesem Kreis von 20 Leuten. Es war sehr interessant, wie schwer es doch den Herren gefallen ist, während des Redens auf mich einzugehen. Es wurde gesagt: ‚So und so, die Herren - ach ja, und die Dame natürlich auch.‛  Ich war geschockt. Einfach nur geschockt."

Einige der Teilnehmerinnen gehen davon aus, dass sie es im Laufe ihres Berufslebens  nicht miterleben werden, dass eine gleichmäßig verteilte Anzahl von Frauen und Männern in Vorständen und Aufsichtsräten erreicht sein wird. Diese Ansicht teilen die meisten der männlichen Interviewpartner. Davon ausgehend ist die Mehrheit der Studienteilnehmer für eine gesetzlich eingeführte Frauenquote, um einen Machtwechsel einzuleiten, der zur Geschlechterparität führen wird. Alimo-Metcalfe (2010) weist in ihren Forschungsergebnissen darauf hin, dass nur ein Drittel der von ihr betrachteten Unternehmen eine Geschlechtervielfalt für signifikant hält.

Die Forschungsergebnisse der Interviews von 16 weiblichen Führungskräften von Marshall wurden 1995 publiziert. Die Ähnlichkeit der Schlussfolgerungen der beiden Studien, die mehr als 20 Jahre voneinander trennt, ist desillusionierend und ernüchternd. Die Barrieren und Hindernisse, mit denen Frauen auf dem Weg in Führungspositionen zu kämpfen haben, drehen sich nach wie vor um dieselben Themen: Mächtige, patriarchisch führende Gegner, blockierte Aufstiegschancen durch unbewusste Rollenzuordnungen bei der einseitig zugeordneten Verantwortung in der Kinderbetreuung und -erziehung, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Absprechen der Kompetenz, fehlende einflussreiche Netzwerke und das tägliche Kämpfen und Überleben in einer männerdominierten Umgebung bei gleichzeitiger Unterbringung von Familien- und Berufsinteressen.

Gleichzeitig zeigen die angewandten Strategien der erfolgreichen weiblichen Führungskräfte jedoch auf, dass sie einen Wandel im Verhalten und Auftreten der Interviewpartnerinnen bedingen.

Impulse für das Karriere-Coaching von weiblichen Führungskräften

Die Einführung einer Dreißig-Prozent-Frauenquote, die das kritische Mengen- und Machtverhältnis nachhaltig verändern wird, sorgt nach Ansicht der meisten Studienteilnehmerinnen kurzfristig für eine Beschleunigung und ist von daher notwendig. Gleichzeitig sind sich alle weiblichen und männlichen Teilnehmer darin einig, dass es langfristig mehr brauchen wird als nur eine Frauenquote, um weibliche Führungskräfte nachhaltig in Spitzenpositionen zu bringen. Letztlich geht es nach wie vor darum, dass sich Frauen bewusst sind, dass ein Platz in einem Führungsgremium mit einem täglichen Kampf mit Barrieren und Hindernissen einhergeht,  bis eine Geschlechterparität die Norm und damit eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Bis dahin ist es ratsam, einen externen Sparringspartner an seiner Seite und einen Mentor und eine Mentorin im Unternehmen zu haben.

Für Unternehmen, Coaches und Berater ist die Ausarbeitung eines nachhaltigen Coaching-Programms gleichzusetzen mit einer strategisch klugen Vorbereitung wie sie Sun Tsu empfiehlt. Für Unternehmen wäre eine realistische Ist-Analyse wichtig, die sich auf vorhandene Faktoren (flexible Arbeitszeitmodelle, strategische Karriereplanung und Weiterentwicklungsprogramme für Frauen) stützt. Für Coaches und Berater wären Inhalte wie Strategie-Management und Analyse, wirksames Führen ohne eine Machtposition innezuhaben, Resilienz, die gezielte Vermittlung von Machtdynamiken sowie Aspekte zur finanziellen Unabhängigkeit von hoher Bedeutung. Hier wären Live-Coachings und Videoanalysen zu empfehlen, mit der die Teilnehmerin reflektiert, ob sie z.B. bereits bei der Raumbetretung Präsenz einnimmt, ob ihre Argumente in Meetings Anklang finden und - falls dies noch nicht der Fall ist - was zu tun ist, damit es sich ändert (Körperhaltung, Stimmeinsatz, Blickkontakt).

Wichtige Aspekte sind nach wie vor das Bewusstmachen der eigenen unbewussten Rollenzuordnungen, die Spiegelung des Hierarchie- und Machtdenkens, die Reflexion des Zulassens und Einschränkens von Machtausübung durch andere Personen, wie sie in den Interviews von mehreren Teilnehmerinnen eingefordert oder eingegrenzt wurde. An dieser Stelle sind Unternehmen, Coaches und Berater gefragt, bestehende, tief verwurzelte "Selbstverständlichkeiten" zu hinterfragen und neu auszurichten, wenn sie tatsächlich an einem Mehrwert durch die  Ausschöpfung von Synergien interessiert sind.

Fazit

Einer der ranghöchsten männlichen Interviewpartner, der sich gegen eine Frauenquote ausgesprochen hat, rät dennoch allen Frauen, eine Gleichberechtigung einzufordern, bis sie diese von Männern auch tatsächlich zugesprochen bekommen haben. Er und andere Führungskräfte empfehlen, die Anforderungen laut, eindeutig und mehrmals zu äußern, bis die Position erreicht ist, die diejenigen bereit sind, zu erkämpfen. Eine Empfehlung der Autorin: Sinnvoll ist es mit externen weiblichen und männlichen Sparringspartnern verschiedene strategische Aspekte einzuüben, damit Frauen vorbereitet sind für die täglichen Herausforderungen in der Machtarena, in der sie sich laut der Interviewpartnerinnen und -Partner unverändert befinden.

Literatur

  • Alimo-Metcalfe, Beverly (2010). Developments in gender and leadership. In Gender in Management: An International Journal, 8/2010, 630-639.
  • Bolden, Richard; Gosling, Jonathan; Marturano, Antonio & Dennison, P. (2003). A review of leadership theory and competency frameworks. University of Exeter: Centre for Leadership Studies.
  • Collinson, David L. (2011). Critical Leadership Studies. In Alan Bryman, David L. Collinson, Keith Grint, Brad Jackson & Mary Uhl-Bien (Hrsg.). The SAGE Handbook of Leadership. London: Sage. 181-194.
  • Gordon, Raymond D. (2011). Leadership and power. In Alan Bryman, David L. Collinson, Keith Grint, Brad Jackson & Mary Uhl-Bien (Hrsg.). The SAGE Handbook of Leadership. London: Sage. 195-203.
  • Huse, Morten & Solberg, Anne G. (2006). How Scandinavian women make and can make contributions on corporate boards. In Women in Management Review, 2/2006, 113-130.
  • Marshall, Judi (1995). Women managers moving on: Exploring career and life choices. Toronto: Thomson Learning.
  • Sun Tsu (2013). Die Kunst des Krieges. Hamburg: Nikol.
  • Weckes, Marion (2011). Geschlechterverteilung in Vorständen und Aufsichtsräten in den 160 börsennotierten Unternehmen. Hans-Böckler-Stiftung. Abgerufen am 09.08.2013: http://www.boeckler.de/pdf/mbf_gender_2011.pdf‎.

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