Führung

Die Rekonstruktion einer gescheiterten Zusammenarbeit

Was man für Leadership-Kompetenz daraus ableiten kann

Die Erinnerung an ihre anders als geplant verlaufene Zusammenarbeit verbindet den ehemaligen Geschäftsführer für Vertrieb, Marketing & Operations (Schulte-Werning) und den Bereichsleiter Marketing (Böttcher). Beide arbeiteten für HUTCHISON TELECOM Deutschland GmbH, bis Stefan Böttcher das Unternehmen nach kaum mehr als einem Jahr wieder verließ: „in beiderseitigem Einvernehmen“, wie man so schön sagt.

16 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2009 am 24.11.2009

Hutchison Telecom GmbH, Münster, war im Jahre 1992 in Deutschland Mobilfunk-Service-Provider der ersten Stunde. Im Jahr 2001 war das Unternehmen ein Tochterunternehmen des internationalen Mobilfunknetzbetreibers ORANGE plc, London. Mit circa 300 Mio. Euro Jahresumsatz und 600 Mitarbeitern war Hutchison Telecom erfolgreicher Spezialist für anspruchsvolle Privat- und Geschäftskunden. Nach Jahren verlässlich einschätzbarer Markt- und Unternehmensentwicklung veränderten sich die Bedingungen für das Management „über Nacht“: Eine marktbedingte Konsolidierungsphase verstärkte den Ergebnisdruck, Pläne zum Umbau der Organisation als auch in den Medien diskutierte Verkaufsszenarien verunsicherten die Mitarbeiter und forderten das junge Management-Team an vielen Fronten.

Ich dokumentiere hier das ungewöhnliche Review unserer gescheiterten Zusammenarbeit, das wir nun Jahre später geführt haben. Ich arbeite inzwischen als Executive-Coach, Stefan Böttcher ist „Senior Manager“ im Global Marketing bei Nokia. Wir zeichnen unter anderem nach, wie steigender Handlungsdruck den Wirkungsgrad von Führung einerseits professionell konzentriert, aber andererseits auch in bedenklicher Weise limitiert. Und wie Misstrauen der Führung Entwicklungsimpulse nimmt und Respekt vor dem Vorgesetzten kontraproduktiv wirken kann.

Anschließend reflektiere ich aus den beiden, mir vertrauten Perspektiven als Führungskraft und Executive-Coach die Konsequenzen für Führung und Entwicklung im Management als „must haves“ einer „Leadership-Kompetenz 2.0“.

Das Review

SCHULTE-WERNING: Stefan, welche Motivation hattest du damals, die Aufgabe bei Hutchison anzutreten?

BÖTTCHER: Mich hat es gereizt, Marketingdirektor in einem operativ starken Unternehmen zu werden mit einer besonders interessanten strategischen Perspektive: die Marke der Eigentümerin ORANGE plc eines Tages in Deutschland mit einführen zu dürfen. Ich dachte: Hier hast du die Möglichkeit, ein großes Rad zu drehen.

SCHULTE-WERNING: Also die Hoffnung auf wirkliche Gestaltungskraft?

BÖTTCHER: Ja, absolut. Nur, dann kam ja alles völlig anders …

SCHULTE-WERNING: Das, was kam, konnte keiner so voraussehen. Ich habe dich von Beginn an in jeder Hinsicht als zupackend erlebt, und dich gerne mit vielen Freiheiten ausgestattet. Wie war deine Sicht auf meine Führung?

BÖTTCHER: Das mit den Freiheiten habe ich eigentlich nicht so empfunden. Du wusstest immer, wohin du die Zusammenarbeit steuern wolltest. Den wöchentlichen Jour fixe habe ich zum Beispiel gar nicht als Chance begriffen, sondern eher als Belastung. Gerade in den ersten Monaten hätte ich mir mehr Orientierung von deiner Seite gewünscht.

SCHULTE-WERNING: Ich weiß, ich bot nur vermeintliche Gespräche „auf Augenhöhe“.

BÖTTCHER: Genau. Statt schnell eigene Impulse zu setzen, habe ich mehr Input von dir erwartet. Rückblickend kam ich mir in dieser Situation trotzdem oft wie ein Getriebener vor. Dieses Problem war mir damals aber gar nicht bewusst. Ich wollte dich nicht zu sehr pushen, sondern zunächst als organisiert, kreativ und voll motiviert wahrgenommen werden.

SCHULTE-WERNING: Du hattest ein großes Team mit circa 75 Leuten …

BÖTTCHER: Ja, gestört hat mich aber, dass ich mir meine „erste Reihe“ nicht selbst aussuchen konnte.

SCHULTE-WERNING: Ich hatte den Eindruck, dass du die Personal-Empfehlungen, die ich ausgesprochen habe, gar nicht angezweifelt hast.

BÖTTCHER: Das kannst du auch „zu großen Respekt vor dem Vorgesetzten“ nennen. Ich war nicht Senior genug, um sofort meine Argumente und einen eigenen Plan vorzubringen, sondern habe erst einmal auf Zeit gesetzt ... Es gibt ja diesen Satz: „Such’ den Schmerz jetzt, such‘ ihn sofort!“ Ich hätte von Anfang an fragen müssen: „Hey, warum machen wir das so? Gibt es eine Alternative?” Aber das habe ich nicht gemacht.

SCHULTE-WERNING: So ist in unseren Gesprächen eine Art Nichtangriffspakt entstanden. In Anbetracht des permanenten Zeitmangels war das hilfreich, ich konnte meine Vorstellungen effizient durchsetzen, hatte aber kaum kritisches Gegengewicht. Unsere Sprache war schnell und eher ziel-als erkenntnisgetrieben. So haben wir erste Missverständnisse vorprogrammiert, die dann später als Konflikte aufgebrochen sind.

BÖTTCHER: Ich glaube, uns hat vor allem Zeit für Entwicklung gefehlt. Der regelmäßige Jour fixe ist zum operativen Abgleich von Kennziffern und Plänen verkommen.

SCHULTE-WERNING: Ich hatte die Ziele, die Zahlen und die Macht der Erwartung.

BÖTTCHER: Und ich habe das wie Vokabelabfragen empfunden. Es fehlte die Diskussion.

SCHULTE-WERNING: Ein anderer Mitarbeiter sagte mir wenige Jahre später einmal: „Komisch, ich kam immer mit meinen Problemen zu dir ins Büro rein und ging mit deinen wieder raus …“. Ich hatte stets viele Aufgaben zu verteilen, operative und strategische Antworten auf Markt und Organisation, neue Ideen und die etwas trügerische Einschätzung, mit guten Kennziffern Wesentliches auf dem Radar zu haben.

BÖTTCHER: Das war rückblickend nicht optimal.

SCHULTE-WERNING: Nein, aber ich hatte eine klare Logik: Hiermit müssen meine Führungskräfte selbstverantwortlich fertig werden und sich im Zweifel melden. Dass die gefühlte Machtdifferenz dies faktisch erschwert, habe ich in Kauf genommen. So blieben Kreativität und Entwicklung dann auch auf der Strecke.

BÖTTCHER: Und ich habe diesen Ablauf sogar unbewusst adaptiert. Ich habe versucht, ebenfalls alle Themen auf den Jour fixe mit meinen Führungskräften zu fokussieren. Zum Ende glaubte ich jedes Mal, für die nächste Woche mehr Spielraum herausgearbeitet zu haben – ein Trugschluss, wie sich schnell herausstellte. 

SCHULTE-WERNING: Wie bist du denn anfangs an deine Führungsaufgabe herangegangen?

BÖTTCHER: Ich dachte zunächst, ich könnte mich auf mein Team stützen, beispielsweise auch auf meinen jüngsten Abteilungsleiter, ein guter Fach-Experte, aber noch ohne belastbare Führungserfahrung. Als ich merkte, dass der mir keine Hilfe sein würde, bin ich fast in Panik reingegrätscht und habe versucht, ihn durch Mehrarbeit meinerseits zu unterstützen. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen.

SCHULTE-WERNING: Meine pauschale wie naive Annahme war, dass eure Entwicklungsgeschwindigkeit mit dem Veränderungstempo des Unternehmens mithalten würde. Aber ihr musstet beide von Beginn an täglich performen, die Entwicklung blieb auf der Strecke.

BÖTTCHER: Ich hatte die Führungserfahrung für diese Change- und Krisensituationen noch nicht. In früheren Aufgaben hatte ich in erster Linie Expertenteams. Das ist ja etwas ganz anderes, als junge Abteilungsleiter anzuleiten, die andere zu führen haben und selbst noch auf dem Weg sind. Heute berücksichtige ich dies. Führungskompetenz ist eben keine „Charaktereigenschaft“, sie muss sich als Angebot des Führenden stets neu konkretisieren. Das gilt übrigens umso mehr, wenn die Teams „remote“ oder international verteilt sind.

SCHULTE-WERNING: Das höre ich sehr gerne. Führung unter Druck ist häufig hektisch und unachtsam, produziert den toten Winkel auch für relevante Risiken, die sich nicht gleich lautstark äußern. Ich selbst hatte es dabei belassen, dich zu befragen: „Was fehlt dir, was brauchst du noch?“

BÖTTCHER: Und ich wusste ja gar nicht, was mir fehlte – zumindest nicht beim Thema Führung. Für eine kritische Selbst-Reflexion nahm ich mir lange keine Zeit. Zudem, wir sprechen über wenige Monate …

SCHULTE-WERNING: … in denen wir das Ruder radikal herumreißen mussten. Wann hattest du denn erstmals Zweifel, der sich verändernden Rolle nicht gerecht werden zu können?

BÖTTCHER: Nach circa einem halben Jahr. Aus meiner Wahrnehmung haben neue Planungsprozesse nicht gepasst. Ich konnte die daraus resultierenden Anforderungen nicht mehr zufriedenstellend bedienen. Es entwickelte sich eine typische Auseinandersetzung zwischen Controlling und Marktseite. Irgendwann merkte ich: „Hey, das Controlling argumentiert mit Daten, die du nicht einordnen kannst. Jetzt musst du aufpassen!“

SCHULTE-WERNING: Dieser „Controlling Style of Management“ war bewusst gewählt und letztlich gut für das kurzfristige Unternehmensergebnis. Die Radikalität der Umsetzung hatte allerdings auch weniger erfreuliche Folgen in anderen Bereichen. Angst vor Veränderung und Misstrauen haben sich hieraus auch entwickeln können und die Führungskultur beeinflusst. Wie bist du mit dieser Entwicklung denn persönlich umgegangen?

BÖTTCHER: Die Veränderungen an sich haben mich nie beunruhigt. Ich habe dir allerdings zwei Botschaften signalisiert: Erstens, ich wollte eine große Marke einführen und mich nicht den ganzen Tag mit Budgetszenarien herumschlagen. Und zweitens, wenn ich dafür aus deiner Sicht nicht der richtige Mann bin, musst du mal was sagen. Wenn nicht, keine Sorge, ich krieg’ das hin!

SCHULTE-WERNING: Da habe ich mir die Botschaft herausgenommen, die ich hören wollte, die mir half, mich nicht mit einer möglichen Fehlentscheidung auseinandersetzen zu müssen. Das hättest du damals nur dadurch verhindern können, wenn du für mich unmissverständlich gesagt hättest: „Ich bin nicht der Richtige“.

BÖTTCHER: Aber mal ehrlich, wie viele Führungskräfte auf der Welt würden dieses Eingeständnis – auch sich selbst gegenüber – über die Lippen bringen?

SCHULTE-WERNING: Was verständlich ist, es braucht die innere Freiheit und den Mut dazu, mit Konsequenzen zu leben.

BÖTTCHER: Da steckt doch viel Wert drin, wenn man sich nach Jahren noch mal trifft. Heute wissen wir beide, ich habe damals bezüglich meiner wirklichen Führungserfahrung auch übermotiviert gehandelt, „Overselling“ betrieben, statt mich mit den Voraussetzungen und Risiken im Detail auseinanderzusetzen.

SCHULTE-WERNING: Was führte denn letztlich für dich zur Gewissheit, dass die Bedingungen nicht mehr passen?

BÖTTCHER: Es gab Hinweise, der Ton wurde schnell viel rauer. Das Controlling stellte fast täglich neue Anforderungen an uns. Mit jedem Meeting habe ich mir eine noch blutigere Nase geholt. Da habe ich zu mir gesagt: „Unter diesen Bedingungen wird das nichts: raus hier!“ SCHULTE-WERNING: Und dein Team? Haben sie das gespürt?

BÖTTCHER: Ich wusste lange Zeit nicht: Untergräbt es meine Autorität, wenn die wissen, welcher Kritik ich ausgesetzt bin? Es wäre auch sinnvoller gewesen, früher und offensiver mit meinen Leuten zu sprechen, um mir Vertrauen und Ressourcen zu sichern. Als mich mein Team mit den Gerüchten konfrontierte, war es hierfür zu spät.

SCHULTE-WERNING: Nun ja, unsere Wege zeigen zumindest, dass Vieles für Vieles gut sein kann. Mitunter braucht es Zeit, den Wert zu erkennen.

BÖTTCHER: Absolut! Es ist spannend und lehrreich zugleich, vielleicht auch ein Beispiel für andere, mit der eigenen Vergangenheit offen und neugierig umzugehen. Es ist für mich logisch, wie wir diese Erfahrungen heute nutzen: Du als Coach, der die intensive Entwicklung von Persönlichkeit und Leadership-Kompetenz fördert. Hier liegt ein Schlüssel für Entscheidungs-Qualität, für Wert und Werte des Unternehmens. Ich selbst nutze diese Erkenntnisse viel stärker als früher und fühle mich in meiner Management-Rolle auch deshalb wohl, weil mein Unternehmen es versteht, eine hohe Ergebniserwartung mit stetiger persönlicher Weiterentwicklung zu verbinden.

Leadership-Kompetenz 2.0 – „tote Winkel“ sehen und Tabus nutzbar machen

Unternehmen sehen sich in krisenhaften Zeiten großen Herausforderungen für das Management ausgesetzt. Die im Interview thematisierte Zusammenarbeit zeigt beispielhaft: Komplexität und Belastung kann nicht unerheblich die Qualität von Beobachtungs- und Entscheidungsprozessen der Führung einschränken, Krisen verstärken oder gar auslösen. Die businesslogische Aufarbeitung von Krisenursachen gehört bekanntlich zum Standard sorgfältiger Vorstandsarbeit. Doch gerade deren psychologische Hintergründe spiegeln häufig die gefährlichen, weil systemimmanenten Ursachen wider: unreflektierte, unvollständige und unsachgemäße Denk- und Verhaltensmuster in Führungsprozessen. Es lohnt sich für Leader und Manager, diese Muster der genauesten Betrachtung zu unterziehen und einen bewussten Umgang zu entwickeln, der Chancen auf konsequente Entwicklungen erst möglich macht.

Die eigene Wahrnehmungs- und Entscheidungs-Logik kennen und variieren können

Im Interview wird deutlich, dass ich damals den ersten Zweifeln und den versteckten Hinweisen nicht unmittelbar gefolgt bin. Konsequenzen so früh als möglich und auch radikal zu denken, wäre sachgemäßer gewesen. Der Grund, warum ich nicht radikal meine Entscheidung infrage stellen wollte, liegt für mich längst auf der Hand: Es war die latente Sorge um die Konsequenzen für die eigene Reputation und der hier fehlleitende Glaubenssatz eines gelernten Machers, dass Erfolg im Zweifel erzwungen werden kann, irgendwie …

Werden schwierige Entscheidungssituationen vom Führenden vorschnell mit dem Etikett des „Sachzwangs“ überklebt, nimmt er sich potenziellen Handlungsraum. Dies ist ein Spiegel eingeschränkter innerer Entscheidungsfreiheit und damit Grund genug für die Re- und Neukonstruktion in einem Entwicklungs-Coaching.

Ein professioneller Umgang mit Entscheidungssituationen berücksichtigt die wechselseitigen Einflüsse zwischen der Psycho-Logik des inneren Systems und der Business-Logik des äußeren Systems. Wirkliche Leader unterscheiden sehr präzise zwischen ihren Handlungs-Reflexen und reflektierten Handlungen. Wollen sie nicht der eigenen Routine, dem Gruppendenken oder gar einer schleichenden Selbstgefälligkeit erfolgreicher Jahre zum Opfer fallen, so installieren sie ein eigenes Warnsystem. In diesem Sinne bietet es sich bekanntlich für erfolgskritische Personalentscheidungen an, die Reflexions- und Entscheidungsmaßstäbe gezielt kontrovers zu diskutieren. In diesen Situationen sind die Teilnahme des Personalleiters und die Positionierung auf Augenhöhe mit dem Geschäftsführer alternativlos, um Bewertungslücken und Präferenzen des Entscheidungsträgers „hierarchiefrei“ korrigieren zu können. Ich war als Führender zwar offen für diese Haltung, aber letztlich zur kurzfristigen Durchsetzung meiner Überzeugung auch gerne ein Macher, im Zweifel mit dem Einsatz meiner Macht.

Hier helfen jedem Entscheidungsträger Fragen, deren Antworten im persönlichen Tabu-System liegen, den eigenen Reflexions- und Entscheidungsraum zu vergrößern: Welche Präferenzen und welche Aversionen führen mich zu einem eher unangemessenen Verhalten? Wer oder welche Situationen beeinflussen in besonderem Maße negativ meine Entscheidungen? Welche Reizworte oder Personen lösen bei mir was aus? Wovor habe ich Angst – und warum? Was sind meine Tabus, die in schwierigen Entscheidungssituationen muster-gültig wirken?

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Abb. 1: Dynamische Entwicklungen und relative Position der Führungskraft ("Stern") im Praxisbeispiel, bei Beginn (links) und nach sechs Monaten (rechts): Der Manager hat sich zwar entwickelt, aber nicht weit genug

„Leise“ Prozesse steuern – Zweifel wertschätzen. Lerndynamik aus Konflikten gewinnen

Nicht selten artikuliert sich die Reaktion auf Veränderung als Angst oder Zweifel. Leise geäußert sind diese Signale nur erfahrbar, wenn das Management mit Empathie statt Hierarchie hilfreiche Brücken baut. Diese Brückenbauer wertschätzen Zweifel als Entwicklungsbedarf und nutzen solche Erkenntnisse souverän („ich verstehe Eure Zweifel, ich kenne meine …“). So bereiten sie den Weg für einen offenen, „hierarchiefreien“ Dialog, aus dem jeder lernen kann.

In der Denk-Logik des stets überlegt und tatkräftig handelnden Managers ist ein anderes Verhalten naheliegender und weit verbreitet: Das Bemühen, durch kraftvolle Rhetorik Mut und Zuversicht zu vermitteln. Wer das „Problem“ per Definition nur als „Herausforderung“ erfährt, erlebt Zweifel als unliebsame Störung – und ihre tiefer liegende Botschaft überhaupt nicht. Diese Selbstsuggestion kann kraftvolle Effekte haben. In der Leadership-Entwicklung und Coaching-Praxis eröffnen sich den Managern aber überzeugendere Denk- und Verhaltensweisen. Es sind solche, die ihnen als Menschen gerechter werden und sie als Manager anschlussfähiger und glaubwürdiger agieren lassen.

Der potenzielle Wert einer Kontroverse ist unter anderem die kreative Energie, und dass man das komplementäre Wissen für Entwicklung nutzen kann. Dies gelingt dann, wenn diese Impulse inhaltlich und persönlich wertgeschätzt werden können. Ein Anspruch, der an die Kultur des Empfängers und Absenders, an den Inhalt, die Form und die Intention gestellt werden sollte. Konfliktorientierte Kräfte einer Organisation sollten weniger bekämpft als vielmehr bearbeitet werden, wenn das Lern- und Entwicklungspotenzial für alle erkannt und genutzt werden soll.

Maßstäbe des Handelns entscheiden, Wertekonflikte frühzeitig klären 

Krisen und Veränderungen rütteln nicht selten an den Wertmaßstäben des Handelns. Die klassischen Dilemmata „Eigentümer- versus Mitarbeiter-Interessen“ oder „Rendite- versus Kundenorientierung“ fordern vom Entscheidungsträger Klarheit und Wahrheit sich selbst und dem Unternehmen gegenüber. Beispiele in der Praxis - wie der im Interview dargestellte Wechsel des Managementstils und die partielle Übersteuerung von Kontrolle und Misstrauen – illustrieren, dass es förderlich(-er) ist, die Maßstäbe des eigenen Handelns oder Unterlassens gut verstehen und steuern zu können. Sie können sich ansonsten in der Organisation mit mehrfacher Wucht entzünden. Gerade Zweifel der Mitarbeiter am Wertekonsens einer Unternehmung, wie im Interview spürbar, berühren das ideelle Fundament. Risse dort wirken schleichend, nachhaltig und kontraproduktiv auf die benötigte Stabilität.

Last, but not least: Eine veränderte Komplexität und Dynamik der Anforderungen erhöht den Anspruch an jeden Führenden, die eigene Handlungs-Logik variieren und anpassen zu können. Abbildung 1 spiegelt die Situation im Praxisbeispiel wider:

  • Logik „Experte“: Die mit der Präferenz „gezeigtes Fachwissen“ eng verzahnte Führungslogik ist gefordert, wenn sie die Change bezogenen Planungs- und Umsetzungsaktivitäten fachlich unterstützen kann. Führende reflektieren sich selbst mit dem Fokus verbesserter Sachentscheidungen, geben inhaltliche Orientierung und wirken in dem Maße stabilisierend. 
  • Logik „Macher“: Die mit der Präferenz „Ziel und Ergebniserreichung“ eng verzahnte Führungslogik ist dann gefordert, wenn sich das Vertrauen des Systems primär an der Zielerreichung orientiert. Führende reflektieren sich selbst fachlich und persönlich funktionalergebnisorientiert und wirken in dem Maße stabilisierend. 
  • Logik „Integrator“: Die in dieser Logik-Präferenz arbeitenden Führenden steuern über die Zielerreichungen hinaus integrativ. Unter anderem steuern sie komplexe Systeme wie zum Beispiel den Wissenstransfer, die Kultur des Unternehmens und die Entwicklung des Managements. Sie reflektieren offen, selbstkritisch und ressourcenorientiert für das Ergebnis und die Entwicklung. Sie verändern Grenzen im Denken und Handeln, sie erreichen und halten als Leader erfolgreich die strategische und moralische Mitte ihrer Unternehmen.

Eine Erkenntnis aus dem Praxisbeispiel ist, dass ein steigender Komplexitätsgrad in der Management-Anforderung – an Personen, Projekte und Prozesse – auf die anzunehmende Lerndynamik hin final zu denken ist. Hieraus ergibt sich der Informationswert, um die Angebote an Entwicklung adäquat zu justieren.

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