Familienunternehmen haben mit der sozialen Kraft einer Eigentümerfamilie eine Ressource, die börsennotierten Unternehmen nicht zur Verfügung steht. Laut einer Studie von Gottschalk und Lubczyk (2019) machen eigentümergeführte Unternehmen 86 Prozent des gesamten Unternehmensbestands in Deutschland aus und tragen 47 Prozent zum Gesamtumsatz der deutschen Privatwirtschaft bei. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen ist enorm.
Familienunternehmen und Unternehmerfamilien sind in Bezug auf die Rollen, Verantwortlichkeiten und Finanzen eng miteinander verknüpft. Und doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass das, was für das Unternehmen sinnvoll ist, auch für die Eigentümer gut ist, und umgekehrt. Denn man hat es mit zwei unterschiedlich ausgerichteten sozialen Systemen zu tun. Ein Unternehmen ist ein zweckorientiertes System, das auf unternehmerische Wertschöpfung gepolt ist. Die Familie hingegen ist eine Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft, in die man hineingeboren wird und die das eigene Leben dauerhaft prägt.
Durch die enge Verknüpfung beider Systeme (Familienunternehmen und Unternehmerfamilie) haben Änderungen in einem Bereich unmittelbare Auswirkungen auf den jeweils anderen. Hieraus ergeben sich Spannungsfelder voneinander abhängiger Systeme und Personen, die nicht selten Basis für existenzgefährdende Eskalationsdynamiken werden. Scheinbar oder tatsächlich unvereinbare Interessen und Handlungsintentionen treffen aufeinander und führen ungesteuert zu Unverständnis, Verletzungen und Eskalationen bis hin zu Unternehmensinsolvenzen und familiären Zerwürfnissen.
Anstatt die Potenziale aller zum gemeinsamen Erfolg des Familienunternehmens zu bündeln, verstrickt man sich in einem Netz von Unklarheiten und Interessenkonflikten. Im Kern bestimmt dann eine brisante Mischung aus Liebe, Macht und Geld die Nachfolgedynamik. Umso mehr kommt es darauf an, den Fokus darauf zu richten, zwei zu unterscheidende, hochkomplexe Systeme zukunftsfähig zu halten, d.h., die dauerhafte Überlebensfähigkeit von Familienverbund und Unternehmen zu sichern. Die konsequent erfolgsorientierte Ausrichtung der Firma ist dabei ebenso wichtig wie die Stärkung von Zusammenhalt und Harmonie der Unternehmerfamilie.
Schaffen es die Verantwortlichen, diese Dynamiken zielführend zu lenken, zeichnen sich über Generationen geführte Familienunternehmen durch eine wertegeprägte soziale Kraft aus, mit der andere häufig nicht mithalten können. Die Unternehmerfamilie hat im besten Fall Regelungen sowie Strukturen geschaffen und auf dieser Basis gelernt, mit komplexen, widersprüchlichen Anforderungen zurechtzukommen und die unterschiedlichsten Interessen in einer Weise auszurichten, dass – so der Geschäftsführer eines deutschen Maschinenbauers – „die gelebten Werte eines Familienunternehmens für Konkurrenten schlechterdings einfach nicht zu toppen sind“.
Gelingt es allerdings nicht, die Potenziale aller zum gemeinsamen Erfolg des Familienunternehmens zu bündeln, sind Unklarheiten und Interessenkonflikte an der Tagesordnung. Die Überlebensfähigkeit des Unternehmens ist dann gefährdet. „Lediglich 30 Prozent schaffen den Übergang von der Gründer- auf die zweite Generation und nur 10 Prozent von der Zweiten auf die Dritte“, wie Baus (2007, S. 43) ausführt. Faktoren, die die konsequente Ausrichtung des Unternehmens an die Markterfordernisse behindern, sind oftmals: unterschiedliche Interessen und Ziele tätiger und nichttätiger Familienmitglieder, wenig Kenntnis bzw. Einigkeit in Bezug auf die Unternehmensstrategie und die Führung des Unternehmens.
Schafft es die Unternehmerfamilie nicht, eine Einheit zu bilden, wird Entfremdung in der Familie und vom Unternehmen die Folge sein. Genau das ist nach Baus (ebd.) der Destabilisierungsfaktor Nummer Eins in Unternehmerfamilien: „Je mehr das Interesse für die gemeinsame Sache schwindet, desto stärker drängen individuelle oder Gruppeninteressen in den Vordergrund. Das gemeinsame Investment der Familie im Unternehmen erweist sich allein als zu schwache Klammer, diese Kräfte zu binden. In der Regel wird hierbei die Steuerungskapazität der Familie – ohne ein professionelles Familienmanagement – erheblich überschätzt.“ (ebd., S. 14) Baus führt hierzu weiter aus, dass Familienunternehmen nicht selten an sich selbst, d.h. an einem häufig nicht erkannten Regelungsdefizit scheitern. In Wechselwirkung hierzu ist ergänzend der oftmals vorhandene Reflexions- und Kommunikationsmangel zu nennen.
Erfolgreiche Familienunternehmen lassen Neid, Eifersucht, Missgunst – May (2006) spricht vom „NEM-Virus“ – nicht aufkommen, sondern verhindern dies über vereinbarte Strukturen, Rollen, Verantwortungen, über Leitlinien, Grundsätze und konstruktive, zielführende Kommunikation. Es geht um nichts weniger als das professionelle Management beider Systeme (Familienunternehmen und Unternehmerfamilie) sowie um die Fähigkeit, die jeweiligen Rollen zu differenzieren und zielführend miteinander zu kommunizieren. Hierzu werden bezogen auf drei Steuerungsbereiche tragfähige Lösungen erarbeitet und umgesetzt (siehe Abb., S. XX). Diese sind:
Bei der Frage der strategischen Lösungen geht es in erster Linie um die Sicherung der Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Mit nüchternem Blick auf die Unternehmensrealität, auf die Stärken und Schwächen, die Marktbedingungen und Möglichkeiten werden auf Basis eines gesteuerten Analyseprozesses die aus Unternehmensperspektive notwendigen strategischen Schwerpunkte erarbeitet (Kappe, 2016). Klarheit – bezogen auf die künftigen Geschäftsfelder – zu schaffen, ist das Ziel der Reflexion. Ein realistisches Zukunftskonzept zu entwickeln, das im Gesellschafterkreis diskutiert und beschlossen wird, ist hierbei ein weiterer Umsetzungsschritt. Das Vorgehen gilt es passgenau zu konzipieren, sodass die Verantwortlichen im Unternehmen und der Familie prozessbegleitend mit einbezogen werden. Durch eine sinnvolle Beteiligung und zielführende Kommunikation können Verständnis und Commitment – bezogen auf die Unternehmensstrategie – erarbeitet werden. Den (Mit-)Verantwortlichen wird auf diese Weise ermöglicht, die Unternehmensperspektive einzunehmen, nachzuvollziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen bzw. mitzutragen. Danach geht es darum, kompromisslos auf die neuen Erfolgspotenziale umzuschalten und – entsprechend der jeweiligen Rolle und Verantwortung – die Strategie konsequent umzusetzen.
Die zielführende Wahrnehmung der Eigentümerverantwortung erfordert eine auf die jeweiligen Belange durchdachte und vereinbarte Governance-Struktur für das Familienunternehmen und die Unternehmerfamilie. Das Ziel besteht darin, spezifische Leitlinien für die verantwortliche Steuerung des Familienunternehmens und die Aufstellung der Unternehmerfamilie zur Wahrnehmung der Eigentümerrolle zu entwickeln und zu vereinbaren (INTES & FBN, 2021).
Die Familie bestimmt so durch geregelte Inhaberrechte und -pflichten, Aufsichtsgremien, Werte, Grundsätze, Institutionen etc. die Geschicke des Unternehmens maßgeblich mit. Ergänzend ist sicherzustellen, dass die Erfahrung, die sich in der Eigentümerfamilie über Generationen angesammelt hat, strukturiert eingebracht werden kann.
Mit dem Ziel, die Bindungen der Mitglieder lebendig zu halten und ein emotional getragenes Selbstverständnis der Unternehmerfamilie zu stärken, kommt es darüber hinaus darauf an, die Familiengeschichte wach zu halten und bewusst fortzuführen. Organisierte Familientreffen, Rituale und Bräuche sorgen dafür, dass das Gefühl der gemeinsamen Identität aufrechterhalten bleibt.
Für jedes Mitglied der Unternehmerfamilie mit direktem Einfluss auf das Unternehmen ist es zudem sinnvoll, sich mit dem Geworden-Sein im Familienkontext auseinanderzusetzen und so eine reflektierte Sicht und ein vertieftes Verständnis bezogen auf die Familiengeschichte und die Dynamiken zu entwickeln. Hierbei geht es darum, im Coaching familiendynamische Verhaltensmuster zu beleuchten, soweit möglich für sich zu erkennen und Wiederholungsdynamiken zu lösen. Ein Coach, der sowohl Business- als auch tiefenpsychologisch-familiendynamische Erfahrung hat, kann hierbei wirksam unterstützen.
Familiäre Spannungsfelder können mittels des integrierten Change-Vorgehens bewusster und Dynamiken der Reinszenierung im Unternehmenskontext entkräftet werden. Die Vater-Kind-Dynamik ist hierbei ein Bereich der Auseinandersetzung, denn die Väter nehmen oft die Rolle des Unternehmenslenkers ein. Nicht selten fordern sie – sowohl im Unternehmen als auch in der Familie – mehr oder weniger offen die Gefolgschaft der anderen Familienmitglieder. Nachkommen nehmen dies häufig als paradoxe Situation wahr. Einerseits sollen sie sich – aus psychologischer Entwicklungsperspektive – loslösen und die eigene Identität entwickeln, andererseits riskieren sie dadurch – bewusst oder unbewusst befürchtet – das Eingebunden-Sein im Familien- und Unternehmenskontext. Im Rahmen des Coachings entwickeln Junioren einen reflektierten Blick sowohl auf den Vater als auch auf den Unternehmenslenker. Dadurch sind sie innerlich eher in der Lage, beide Perspektiven zuzulassen und mit den unterschiedlichen Rollen, Bedürfnissen und Interessen besser umzugehen.
Konflikte im familiären, sozialen Miteinander gehören dazu und können nicht „ausgemerzt“ oder dauerhaft verdrängt werden. Im Gegensatz: Sie bieten echte Entwicklungschancen. Doch anstatt diese Konflikte anzugehen, wird nicht selten mit bewusster oder unbewusster Abwehr und Projektion reagiert. Hierbei werden die eigenen Gefühle sowie Wünsche einem anderen Menschen zugeschrieben und dann dort stellvertretend verfolgt und bekämpft. Diese Dynamiken bedeuten in der Konsequenz, dass der Blick auf die Situation getrübt ist, man auf dieser Basis nur eingeschränkt klar entscheiden kann. Genau das kann sowohl für das Unternehmen als auch in der Familie fatale Auswirklungen haben.
Ein passendes Praxisbeispiel hierfür ist ein Unternehmer, der eine fast schon väterliche Vertrauensbeziehung zum zweiten Mann im Unternehmen aufgebaut hat und viel zu spät erkennt, dass gerade dieser Geld unterschlägt. Der Gründer ist auf Basis seiner Projektions- und Verstrickungsdynamik zunächst nicht in der Lage, schnell und konsequent genug zu agieren, und erkennt erst sehr spät, dass sich die Situation zu einem Risiko für das Unternehmen entwickelt hat.
Peter Drucker, Pionier der modernen Managementlehre, weist in seinen Arbeiten (2009) immer wieder darauf hin, dass Selbstführung eine der entscheidenden Schlüsselkompetenzen ist – für alle, die große Verantwortung tragen und auf Dauer erfolgreich sein wollen. Denn sonst besteht das Risiko, dass persönliche oder familiendynamische Entwicklungsthemen unbewusst im Unternehmen reinszeniert werden.
Personal Leadership in diesem Sinne bedeutet, Verantwortung für den eigenen mentalen Zustand zu übernehmen, das Aufgestellt-Sein in der Familie und bezogen auf die vier Lebensbereiche Arbeit/Beruf, Gesundheit, soziale Bindungen/Kontakte, Lebenssinn/Kultur zu hinterfragen und eine erhöhte Selbstwahrnehmung und tiefe Einsichten in das System zu entwickeln (Kappe, 2021). Ziel ist es, einen klaren Blick auf die Situation zu erarbeiten, Ressourcen zu aktivieren, destruktive Dynamiken frühzeitig zu erkennen und so gering wie möglich zu halten. Ein Vorgehen wie das Folgende kann dann vermieden bzw. anders und im Sinne eines zielführenden Familienmanagements geregelt werden:
Auf Anraten und Aufforderung des Seniors einigt sich die Nachfolgegeneration in einem einmalig abgehaltenen Workshop darüber, wer die Nachfolge antreten soll. Doch der Konflikt und die Neiddynamiken zwischen den Brüdern schwelen weiter und werden nicht bearbeitet. Diese Situation führt letztendlich dazu, dass der Nachfolger, der über Jahre erfolgreich die Geschäfte führte, seinen Platz räumt und dem jüngeren Bruder das Feld überlässt. Dieser aber wird der Rolle und Verantwortung nicht gerecht und erkrankt zudem schwer.
Eine Unternehmerfamilie, die sich auf Basis einer vereinbarten Governance-Struktur regelmäßig trifft und die relevanten Themen bespricht, geht anders miteinander um als eine, die solche Strukturen und Fähigkeiten nicht etabliert und entwickelt hat. Darüber hinaus ist es sinnvoll, dass die Mitglieder der Unternehmerfamilie sich im Sinne des Personal Leaderships (Kappe, 2021) mit den eigenen Entwicklungsthemen, blinden Flecken und dem Geworden- und Eingebunden-Sein im Familienkontext bewusst auseinandersetzen. Projektions- und Reinszenierungsdynamiken werden damit so gering wie möglich gehalten und demgegenüber Verständnis und Lösungsfindung gestärkt. Der gemeinsame Fokus auf die Sicherung der Überlebensfähigkeit des Unternehmens bleibt ausgerichtet.
Als Drittes kommt es auf die organisationsdynamischen Lösungen an. Hierbei geht es darum, die auf Basis der Unternehmensstrategie notwendigen Neuerungen und Veränderungen glaubwürdig und nachhaltig im Unternehmen einzuführen. Mit dem integrierten Change-Management-Vorgehen (Kappe, 2010) werden hierbei die entscheidenden Erfolgsfaktoren berücksichtigt. Die integrierte Change-Steuerung erfolgt auf strategischer, struktureller und verhaltensbezogener Ebene und verhindert so punktuelles Einwirken im System. Neuerungen wie der Nachfolgeprozess werden nachhaltig und mit deutlich weniger Blockaden und Unstimmigkeiten umgesetzt.
Sinnvoll ist es, die Nachfolgeregelung mit den anstehenden notwendigen Veränderungen im Unternehmen zu koppeln. Denn im Übergabeprozess besteht immer auch die Chance, Zukunftsthemen wie Digitalisierung und neue Technologien voranzutreiben, neue Impulse und Ideen ins Unternehmen zu tragen und die Unternehmenskultur aktiv und bewusst zu gestalten. Der Nachfolger hat so die Möglichkeit, die Erneuerungsthemen im Unternehmen strukturiert anzugehen und sich darüber hinaus in diesem Prozess als kompetenter Nachfolger, der das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führt, zu positionieren.
Notwendige Bedingung für die erfolgreiche Umsetzung sowohl der Familien- als auch der Unternehmensstrategie ist es, für Reflexionsräume zu sorgen und Einsichten bei den Beteiligten und Betroffenen zu ermöglichen. Dies zu unterstützen, ist ein sinnvoller Beitrag aus Beratungs- und Coaching-Perspektive.
Durch regelmäßige Familientreffen und ein klares Regelwerk kann ein Lern- und Entwicklungsraum geschaffen werden, der bei der Pflege des Familienverbundes, der Stärkung des Zusammenhaltes und der Wahrnehmung der Eigentümerrollen unterstützt. So wird eine Vertrauensbasis zwischen den Stakeholdern beider Systeme gefördert, immer wieder neu hergestellt, und eine familiengeprägte Kultur im Unternehmen lebendig und glaubwürdig erhalten.