Der Abteilungsleiter eines großen mittelständischen Unternehmens brachte im Coaching zur Sprache, dass er Schwierigkeiten damit hatte, Mitarbeiter zu konfrontieren. Ganz konkret ging es ihm darum, dass er genau wusste, dass er nicht länger darum herumkommen würde, einen Mitarbeiter wegen seines tadelnswerten Verhaltens zu konfrontieren. Obwohl sich der Klient völlig im Klaren darüber war, dass die Kritik berechtigt war, lag ihm das bevorstehende Gespräch sehr schwer im Magen. Gefühlsmäßig wehrte sich in ihm alles dagegen, zu unternehmen, was der Verstand als richtiges Führungsverhalten erkannte. Bei einer vertiefenden Befragung stellte sich heraus, dass der Klient bei dem Gedanken, den Mitarbeiter zu konfrontieren, Angstgefühle entwickelt, insbesondere die Angst, abgelehnt zu werden.
Im Coaching wurde schnell klar, dass die emotionalen Reaktionen des Klienten etwas mit seiner Lebensgeschichte zu tun haben: Er war in einer Familie groß geworden, in der Kritisches niemals offen angesprochen wurde. Wenn überhaupt kritisiert wurde, dann sehr verdeckt, mit zarten Andeutungen, immer nur durch die Blume. Als Kind entwickelte der Klient dadurch die Angst, aus der Familie herauszufallen, wenn er etwas, das ihm missfiel, direkt und konfrontativ zur Sprache brachte. Diese Angst wurde bei dem Gedanken, den Mitarbeiter zu konfrontieren, wieder aktiviert, wie ein altes Alarmprogramm, das früher einmal installiert wurde.
Als der Klient ins Coaching kam, verstand er selbst überhaupt nicht, was eigentlich mit ihm los war – warum ihm etwas, das er als "normale" Führungsaufgabe ansieht, solche Probleme macht, zumal er selbst durchaus erlebt hatte, dass er von Vorgesetzten kritisiert wurde und das überhaupt nicht dramatisch fand. Der Klient fügte seinen Schilderungen noch hinzu, dass die Vorstellung, eines Tages womöglich jemandem kündigen zu müssen, so ziemlich zum Schlimmsten gehörte, was er sich ausmalen könne, war sich aber sehr wohl bewusst, dass auch das zum Leben und zu den Aufgaben einer Führungskraft gehört.
Bei der Arbeit im Coaching bezüglich des konkreten Gespräches mit seinem Mitarbeiter hatte der Klient schnell klare Vorstellungen darüber, wie er ein solches Gespräch anpacken wollte und im Rollenspiel machte er seine Sache auch sehr gut. Trotzdem äußerte er hinterher: "Bei dem Gedanken daran, das jetzt wirklich zu tun, fühle ich mich total unwohl.
"Manchmal kommt man mit den üblichen Mitteln nicht weiterIn einer solchen Situation scheint das Coaching vor einer Hürde zu stehen. Es ist ein lebensgeschichtlicher Zusammenhang da, es ist irgendwann ein Alarmsystem aufgebaut worden, das genau das tut, was Alarmsysteme tun müssen, nämlich automatisch anspringen, und rein verstandesmäßig kommt man nicht dagegen an. In der Transaktionsanalyse würde man sagen, der Mann steht unter der Fuchtel des Antreibers "Mach es andern Recht", verbunden mit der Einschärfung "Zeig keinen Ärger".
Die Hürde besteht darin, dass es mit einer solchen Konstellation schwierig ist, ein wirklich nachhaltiges Coaching zu erreichen. Man kann mit dem Klienten natürlich das anstehende Gespräch optimal vorbereiten und dann wird er es wahrscheinlich auch durchführen – aber noch wahrscheinlicher wird sich das alte Problem bei nächster Gelegenheit wieder melden. In der Transaktionsanalyse würde man sagen, dieser innere Konflikt spielt sich ab zwischen Erwachsenen-Ich und Kind-Ich. Das Kind-Ich will ein Verhalten auf jeden Fall vermeiden, mit dem es ganz unangenehme Gefühle verbindet, und das Erwachsenen-Ich sagt "Aber genau das ist mein Job, dafür werde ich bezahlt und es ist auch in Ordnung das zu tun".
Die übliche Vorgehensweise im Coaching, auf den verschiedenen Ebenen zu arbeiten, also seine Rolle zu reflektieren, und anderes Verhalten zu erarbeiten, bringt in einem solchen Fall keinen nachhaltigen Erfolg. Dem Klienten ist völlig klar, dass Mitarbeiter zu konfrontieren zu seiner Rolle gehört. Das ändert nichts an seinem starken Unwohlsein. Und mit Rollenspieltraining kann das Unwohlsein zwar von Fall zu Fall überwunden werden, doch es schafft keine dauerhafte Lösung. Auch wenn sich der Klient für einen konkreten Fall zwingt, den inneren Konflikt durchzufechten, wird er bei der nächsten Situation wieder das gleiche erleben.
Nimmt er dann immer wieder ein Coaching in Anspruch? Oder kommt irgendwann der Punkt, wo er sich sagt "Das Coaching bringt es auch nicht"? Denn das eigentliche Problem, der innere Konflikt, wurde nicht bewältigt.
Nun gibt es eine Methode – die man als "revolutionär" bezeichnen kann –, die genau für diese Situation entwickelt wurde. Am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Universität Hamburg hat Prof. Dr. Angelika Wagner viele Jahre lang über innere Konflikte geforscht und als Ergebnis dieser Forschungen die Methode "Introvision" entwickelt.
Bei ihren Forschungen hat Prof. Dr. Wagner herausgefunden, dass bei inneren Konflikten immer ein sogenannter "Imperativ" vorhanden ist, der bedroht wird von Gedanken, die diesem Imperativ genau entgegengesetzt sind. Ein Imperativ ist in diesem Zusammenhang eine innere Maßgabe oder Zwang, dass etwas unbedingt geschehen muss oder aber auf keinen Fall geschehen darf. Also z.B.: "Ich darf auf gar keinen Fall diesen Auftrag verlieren".
Wenn es aber durchaus passieren könnte, dass man den Auftrag verliert, kommt es zu einem inneren Erregungszustand, zum Gedankenkreiseln, zu Angst, also zu einem inneren Konflikt. Da sämtliche inneren Alarmglocken laut schrillen: "Höchste Gefahr, denn was du unbedingt haben oder unbedingt vermeiden musst, droht schief zu gehen!", ist das vorherrschende Gefühl eines von höchster Dringlichkeit und Anspannung bis hin zu Panik.
Die Wirklichkeit ist anders als sie den eigenen Anforderungen nach sein sollte. Jemand hat einen wichtigen Auftrag verloren, kann sich innerlich damit aber nicht abfinden und hadert mit dieser Wirklichkeit, weil sein Imperativ "Ich darf diesen Auftrag auf keinen Fall verlieren!" verletzt wurde. Die Folge ist, dass seine Gedanken dauernd um Fragen kreisen wie: "Warum habe ich nur diesen Auftrag verloren? Was habe ich falsch gemacht?" und so weiter. Das sind keine konstruktiven Gedanken, sondern selbstquälerische Selbstbeschuldigungen, die einhergehen mit innerer Erregung, Anspannung und Angst.
Dieser Konflikt entsteht, wenn zwei entgegengesetzte Imperative aktiv werden. Jemand, der vor einer Prüfung davon überzeugt ist: "Ich lerne nur unter Druck, anders bringe ich mich nicht dazu", sich aber gleichzeitig sicher ist: "Um diese schwierigen Inhalte aufnehmen zu können, muss ich ganz entspannt sein", hat sich in eine Sackgasse gebracht. Einerseits muss der Druck da sein, damit er überhaupt lernt, andererseits kann er sich unter Druck nichts merken. Auch dieser innere Konflikt kann sich bis zu einer panikartigen Erregung hochschaukeln.
Dieser Konflikt tritt ein, wenn der Imperativ lautet, etwas ganz Bestimmtes erreichen zu müssen, man aber keinerlei Idee hat, wie man das anstellen soll. Ein Sales-Manager z.B., der aufgrund dramatischer Umsatzeinbrüche seine Zahlen mit aller Gewalt wieder nach oben bringen will, aber bereits alles Menschenmögliche dafür getan zu haben glaubt, könnte einen solchen Konflikt erleben. Das Einzige, was er weiß, ist: "Das darf einfach nicht passieren, dass meine Zahlen noch weiter abrutschen!". Er hat aber keinen blassen Schimmer, was er noch unternehmen soll, und wälzt sich nachts schlaflos im Bett angesichts seiner Verkaufszahlen. Die Panik-Attacken sind nicht mehr fern.
Dieser Konflikt ist der klassische Fall der Angst vor der Angst. Bei starken Angst-Phänomenen wie Prüfungsangst oder Auftrittsangst lässt sich häufig beobachten, dass das eigentliche Problem gar nicht die ursprüngliche Angst ist, die ja oft sogar ganz hilfreich sein kann, weil das freigesetzte Adrenalin hilft, klar und voller Energie in die Situation zu gehen. Viel schlimmer und behindernder ist, dass man glaubt, diese Angst nicht haben zu dürfen. Erst damit gerät man in einen Konflikt: Die Angst ist da und genau deswegen gerät man in Panik.
Unter solchen Imperativen wie "Ich muss den Umsatz steigern" oder anderen, liegen für gewöhnlich "Kern-Imperative", die man daran erkennen kann, dass sie besonders starke Erregung oder Angst auslösen und begleitet werden von Aussagen wie "Das geht gar nicht".
Solche Kern-Imperative kennt man auch in der kognitiven Verhaltenstherapie unter der Bezeichnung "loveless", "helpless" oder "worthless". Etwas darf auf keinen Fall passieren oder ich bin hilflos, wertlos, werde nicht geliebt oder könnte sogar sterben. All diese Imperative haben ihren Ursprung in der persönlichen Lebensgeschichte.
Das menschliche Gehirn ist nicht dafür gemacht, sich mit inneren Konflikten abzufinden, deshalb sucht es sich Möglichkeiten, wie es sich beruhigen kann. Was dabei herauskommt, sind Konflikt-Vermeidungs-Strategien. Dazu zählen:
All diese Vermeidungsstrategien sind Versuche des Verstandes, in den Konflikt einzugreifen, um ihn aus der Welt zu schaffen. Doch genau dieses wiederholte Eingreifen sorgt dafür, dass der Konflikt sich manifestiert, bzw. sich immer weiter hochschaukelt, bis hin zu Panikattacken. Bemerkenswert ist, dass auch das meiste von dem, was therapeutisch unternommen wird, eigentlich ein solches Eingreifen darstellt. Die Alarmsysteme werden dadurch zwar für den behandelten Fall heruntergeregelt und alles fühlt sich erst einmal gut an. Wenn die Imperative jedoch nicht völlig gelöscht werden, bedeutet das, dass auch der alte Konflikt in unverminderter Schärfe wieder ausbricht, wenn der Reiz, der das Alarmsystem auslöst, in stärkerer Form wieder auftritt.
Auch im Coaching kommt man nicht zur endgültigen Lösung, wenn solche Imperativ-Verletzungs-Konflikte vorhanden sind. Denn rein auf der Verhaltensebene lassen sie sich nicht auflösen. Kurzfristig kommt es zwar zu einer Verbesserung, aber wenn der alte Reiz wieder auf den Plan tritt, kehrt auch das alte Problem wieder.
Es gibt jedoch eine Möglichkeit, Imperative endgültig zu löschen. Neurobiologen haben nachgewiesen, dass sich das sogar bildlich nachverfolgen lässt: Das Alarmsystem, das in der Amygdala sitzt und bei inneren Konflikten heftige Reaktionen zeigte, verhielt sich gänzlich unaufgeregt, nachdem ein Imperativ mit Hilfe von Introvision angegangen wurde.
Introvision bedient sich dabei der Achtsamkeitstechnik aus dem "Mindfulness Based Stress Reduction"-Programm, kurz MBSR genannt. Diese weitgehend meditative Technik besteht darin, eine innere Haltung einzunehmen, bei der man, ohne zu bewerten, rein beobachtend wahrnimmt, welche Gedanken kommen und gehen, welche Gefühle sich einstellen und welche körperlichen Reaktionen auftreten.
Diese weite Wahrnehmung muss zunächst ein wenig trainiert werden, denn es fällt den wenigsten Menschen auf Anhieb leicht, rein konstatierend zu beobachten, was mit ihnen geschieht, wenn sie sich einem Gedanken aussetzen, der sie vorher in höchste Alarmbereitschaft versetzt hat. Was mit weiter Wahrnehmung gemeint ist, lässt sich durch den Blick auf eine Verkehrskreuzung illustrieren:
"Wenn Sie sich jetzt einen einzelnen Radfahrer aussuchen und dessen Weg verfolgen, sind Sie in der fokussierten Wahrnehmung. Wenn Sie Ihr Augenmerk jedoch auf die gesamte Kreuzung legen, werden Menschen und Fahrzeuge in Ihren Wahrnehmungsbereich eintreten und ihn auch wieder verlassen und dies können Sie wahrnehmen, ohne sich speziell auf etwas zu fokussieren. Wenn Sie einfach nur schauen, ohne innerlich zu bewerten, was das für ein seltsames Auto ist usw., ist genau das die weite Wahrnehmung. Beim Hören ist es ebenso: Der Versuch, ein einzelnes Motorrad herauszuhören, ist fokussierte Wahrnehmung, hören Sie jedoch einfach den gesamten Klangteppich, sind Sie in der weiten Wahrnehmung."
Man muss den Klienten immer wieder unterstützen, in der Haltung der weiten Wahrnehmung zu bleiben, d.h. ohne jegliche Wertung zu konstatieren: "Aha, jetzt kommt diese Erinnerung. Jetzt folgt jener Gedanke. Jetzt spüre ich Herzklopfen. Jetzt wird meine Anspannung geringer ..." usw. Das ist zwar nicht völlig passiv, denn man hält die Aufmerksamkeit bei dem Grundgedanken, den man vorher mit dem Klienten herausgearbeitet hat, unterscheidet sich aber doch stark vom aktiven Nachdenken, denn außer der Fokussierung wird nichts unternommen.
Bezogen auf den Fall des Abteilungsleiters ging es also zunächst darum, den für den inneren Konflikt verantwortlichen Imperativ herauszuarbeiten, der sich entpuppte als der Satz: "Ich darf auf keinen Fall die Erwartungen meines Umfelds enttäuschen!". Im Modus der weiten Wahrnehmung sollte er beobachten, was der Satz "Es kann sein, dass ich die Erwartungen der anderen enttäusche", der im Konflikt zu seinem Imperativ steht, in ihm bewirkte. Diesen Satz sollte er in seiner inneren Aufmerksamkeit halten und sich, ohne zu bewerten, einfach nur anschauen und wahrnehmen, welche körperlichen, gefühlsmäßigen oder gedanklichen Reaktionen kamen. Wenn er diese weite Wahrnehmung mit der Aufmerksamkeit auf den Satz nicht mehr aufrechthalten konnte, sollte er stoppen.
Der Satz "Es kann sein, dass ich die Erwartungen der anderen enttäusche" löste beim Klienten sofort eine Reaktion auf der Körperebene aus, ihm wurde heiß, er bekam Herzklopfen und starke Anspannung im Bauch und Hals. Diesen inneren Sturm konnte der Klient etwa fünf Minuten beobachten, bevor er die Augen wieder öffnete. Das Erlebnis wurde besprochen und die Übung wiederholt.
Bereits nach etwa einer halben Stunde war der Klient an einem Punkt angelangt, an dem er überrascht feststellte: "Es ist komisch, aber jetzt löst dieser Gedanke gar keine Aufregung mehr aus. Die Körperreaktionen sind weg und die unangenehmen Gefühle auch. Es kommen inzwischen andere Gedanken, z.B., was ich dem Mitarbeiter sagen kann und wie ich ihm das sagen will. Und das fühlt sich auch gut an". Der Klient sollte diese Übung mit der weiten Wahrnehmung zu Hause täglich wiederholen, fünf bis zehn Minuten genügen völlig.
In der nächsten Sitzung berichtete der Klient von seinen Erfahrungen, die ihn verblüfften. Er hatte zum ersten Mal erlebt, dass er sehr selbstsicher und gelassen den Mitarbeiter konfrontieren konnte. Zudem musste er plötzlich und unvorhergesehen die noch viel schwierigere Situation bewältigen, einen Mitarbeiter zu entlassen. Er konnte das unangenehme Gespräch ruhig führen, verstand zwar, dass die Kündigung für den Mann Probleme bringt, doch da diese Maßnahme mehr als berechtigt war, ließ er sich in seiner Entscheidung nicht beirren. Und war mit dieser Entscheidung auch im Nachhinein im Reinen.
Mit Introvision war es also offensichtlich gelungen, das alte innere Alarmsystem des Klienten auszuschalten, sodass auch die üblichen Reaktionen ausblieben, die rein kognitiv für ihn ja nicht zu bewältigen gewesen waren – und das in erstaunlich kurzer Zeit.