Um sich im Bereich "Coaching" mit Qualitätskriterien auseinanderzusetzen, ist es meiner Meinung nach zunächst sinnvoll, einige Mythen zu betrachten. Überaus beliebt und weit verbreitet ist die Fehlannahme "Wer heilt hat Recht" bzw. "Hauptsache es hilft". Grundsätzlich ist es selbstverständlich gut, wenn ein Coaching hilft. Dennoch greift der Gedanke zu kurz, er ist nicht ausreichend für die Beurteilung der Qualität eines Coachings. Denn jeder professionelle Berater weiß, dass selbst miserable Beratungsprozesse ein gutes Ende finden können - aus Gründen, die jenseits des Einflussbereiches des Beraters (und/oder auch des Klienten) liegen. Ordnet man unter solchen Rahmenbedingungen den "Erfolg" des Coachings dann der vermeintlich guten Beratungsarbeit zu ("es hat ja geholfen..."), so wird der Qualitätsgedanke ad absurdum geführt.
Entsprechendes gilt für qualitativ gute Beratungsprozesse, die dennoch nicht zum Erfolg geführt haben. Eine Beratung ist nicht ausschließlich deswegen zwingend qualitativ schlecht, weil sie nicht das ursprünglich gewünschte Ergebnis erbracht hat. An dem Beispiel eines Arztes kann dies - wenn die Analogie auch unpassend erscheinen mag - verdeutlicht werden: Wenn ein schwer kranker Patient von einem Arzt behandelt wird und dennoch von seiner Krankheit nicht geheilt werden kann, so muss dies nicht die Schuld des Arztes sein. Zuweilen steht ohnehin weniger das Kurieren der Erkrankung als viel mehr der Umgang und die Bewältigung mit der Situation im Vordergrund. Ähnliche Konstellationen findet man ebenfalls in Beratungsprozessen und daher muss selbst ein Ergebnis jenseits anfänglicher Erwartungen nicht zwangsläufig ein Zeichen schlechter Beratungsqualität sein.
Zudem gibt es - wie in jeder Branche - "schwarze Schafe", die überragende Erfolge in Aussicht stellen und eher wenige Versprechungen einhalten können. Insgesamt ist es für einen Laien daher von kaum zumutbarer Schwierigkeit, die Qualität eines Beraters fundiert einzuschätzen, ohne (möglicherweise folgenschwere) Vereinfachungen der o.g. Art anzunehmen. Besonders problematisch ist die Qualitätseinschätzung von Coachs, da hier bisher kaum fassbare Kriterien zur Qualitätsbeurteilung verfügbar waren.
In Übereinstimmung mit den Ausführungen von Heß & Roth (2001) möchte ich daher vorgeschlagen, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität im Coaching zu unterscheiden und als gleichberechtigte Qualitätsdimensionen zu beachten:
Obwohl eine gute Strukturqualität eine notwendige Voraussetzung für die Prozessqualität sein kann (und diese wiederum eine Voraussetzung für die Ergebnisqualität), ergibt sich kein zwingender "Wenn-Dann..."-Zusammenhang. Vielmehr sind die drei Qualitätsdimensionen unabhängig voneinander bedeutsam. Es sind jeweils eigenständig zu berücksichtigende Werte.
In der konkreten Coaching-Arbeit ist daher eine mehrdimensionale Qualitätsperspektive für den jeweiligen Fall auszuhandeln. Ziel ist nicht, immer und überall gültige bzw. starre Qualitätskriterien festzulegen, sondern ein stetiges Abstimmen und Verbessern von Qualität im jeweiligen Kontext. Dabei zählt auch nicht das "Killer-Argument", dies sei in der Praxis gar nicht zu leisten: Es ist sehr wohl auch ohne übertriebenen Entwicklungs-, Durchführungs- und Evaluationsaufwand bewältigbar. Zur Veranschaulichung werde ich im Teil II des Artikels auf einzelne Kriterien der drei Qualitätsdimensionen näher eingehen.