Seit dem Ausbruch der COVID19-Pandemie sind wir aufgefordert, uns von einander fernzuhalten. Damit wir trotzdem in Kontakt bleiben, wird ein Großteil der Kommunikation ins Virtuelle verlagert. Ab Mitte März 2020 hat sich das Datenvolumen für Videokonferenzen, Streaming und Social Media – welches über den zentralen deutschen Knotenpunkt DE-CIX in Frankfurt am Main ging – verdoppelt (e-commerce magazin, 2020). Das Ziel lautet: digitale Nähe in Zeiten sozialer Distanz.
Nachdem die Applikationen installiert, der Umgang mit der Software eingeübt und die Meetings an das neue Format angepasst sind, beginnen viele von uns, sich an diese neue Form des Austausches zu gewöhnen. Und doch müssen wir erkennen, dass bei aller Übung die empfundene Qualität des Kontakts im Coaching bzw. im Meeting nicht an das physische Zusammentreffen von Angesicht zu Angesicht heranreicht. Irgendetwas fehlt, es fühlt sich schal und zugleich anstrengend an.
Die Kognitionspsychologie hat hier einige Erklärungen parat. Beginnen wir zunächst mit dem Setting. Für die technisch-vermittelte Kommunikation haben zwei US-amerikanische Mathematiker bereits 1948 eine Theorie entworfen, die seit langem zum allgemeinen Wissenskanon gehört. Der Nobelpreisträger Claude E. Shannon (1948) nutzte ein Sender-Empfänger-Modell, um die Wahrscheinlichkeit für störungsfreien Informationsaustausch nummerisch darzustellen. Im Kern handelt es sich um einen Codierungs-Übermittlungs-Recodierungsvorgang, bei dem ein Signal (Information) von der Quelle (Sender) zum Ziel (Empfänger) über ein Medium (Kanal) transportiert werden soll. Wichtig war den beiden Autoren die Qualität jenes Kanals sowie dessen Passung zum Signal, um störende Interferenzen (Rauschen) zu minimieren. Das proagierte Ziel war der verlustfreie Transport, so dass die Information auf beiden Seiten identisch ist.
Virtuell vermittelte Kommunikation per Videoplattform offenbart hier die technisch bedingte Enge des Kanals (Döring, 2003). Es kommt zu einem Flaschenhalseffekt. Um die begrenzte Kapazität nicht überzustrapazieren, beschränken wir uns in Coachings und Meetings auf die Darstellung des vermeintlich wichtigsten Bildausschnitts (unseren Kopf), schließen die Mikrophone nicht aktiver Teilnehmenden, um Störgeräusche zu minimieren, und bemühen uns um Sequenzialität, indem wir geordnet nacheinander sprechen. Hinzu kommen die empfindlich langen Codier- und Decodierprozesse, welche zu einer Zeitverzögerung führen. Dadurch erscheint der Kommunikationsprozess abgehakt und unorganisch. Dies hat zur Folge, dass wir uns auf das vermeintlich Wichtigste konzentrieren: den Gesprächsgegenstand.
Was technisch als sinnvolle Beschränkung auf das Wesentliche daherkommt, ist psychologisch betrachtet Unvollkommenheit. Der österreichische Wissenschaftler und Psychotherapeut Paul Watzlawick hatte eine umfassendere Vorstellung von zwischenmenschlicher Kommunikation, die er 1967 in fünf Grundsätzen verdichtete. Laut dem zweiten Axiom „hat Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt“ (Watzlawick et al., 1967, S. 56). Im ergänzenden vierten Axiom heißt es: „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potential, ermangeln aber die für eindeutige Kommunikationen erforderliche logische Syntax“ (ebd., S. 68), wobei digital das gesprochene Wort und analog alles Subtextliche meint.
Was bei Shannon (1948) als Rauschen, also die unnütze Anreicherung des Signals mit Nebengeräuschen, verstanden wurde, trägt bei Watzlawick einen enormen Wert in sich. Durch die Modulierung der Stimme, Gesten, Mimik, Blickkontakt, Körperhaltung, die Bewegung im Raum bis hin zu Gerüchen und Berührungen speisen wir eine Vielzahl an Informationen in den Kommunikationsprozess ein, die in erster Linie Ausdruck unseres Befindens und unserer Beziehung zum Gesprächspartner sind. Während in virtueller Kommunikation die Sachebene durch verbale Äußerungen ausreichend abgedeckt werden kann, wird die Beziehungsebene elementar beschnitten.
In mehreren Studien hat der iranisch-amerikanische Psychologe Albert Mehrabian untersucht, welchem Kanal Menschen im Falle von inkonsistenten Botschaften mehr Vertrauen schenken. Seine wiederholt replizierte Formel, nach der nur zu sieben Prozent dem gesprochenen Wort vertraut wird, aber zu 38 Prozent dem stimmlichen Ausdruck und zu 55 Prozent der Körpersprache, zeigt die Bedeutung der non-verbalen Kommunikationselemente, die in virtuellen Settings vielfach verloren gehen (Wiener & Mehrabian, 1968).
Während man sich in den Anfangsjahren computervermittelter Kommunikation mit den Unzulänglichkeiten der Kanalreduktion in textbasierten Programmen (Chats, E-Mail) abfinden musste, behilft man sich heute bei Microsoft Teams, Skype, Zoom und anderen Plattformen mit technischen Features, die neben Bild und Ton einen zweiten oder gar dritten und vierten Kanal eröffnen: Im Chat lassen sich kleine Kommentare machen, durch Emoticons und Piktogramme können Emotionen ausgedrückt werden, geteilte Bildschirme vermitteln einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus und temporäre Kleingruppen sollen Intimität herstellen. Diese Zusatzkanäle sind der Versuch, das Kommunikationserleben wieder ganzheitlich zu gestalten. So lässt sich zu den verbalen und para-verbalen Informationen ein Großteil der non-verbalen Reize ergänzen. Und doch sind diese Features technisch limitiert. Zudem tragen sie das Manko der separierten Gleichzeitigkeit in sich. Während in einem live Setting die non-verbalen Signale in das Gesamtgeschehen integriert sind, kommt es in virtuellen Treffen zur getrennten Vermittlung. So signalisieren bspw. einige Teilnehmende ihre abnehmende Konzentration durch hörbares Seufzen, andere nutzen eine Symboltaste oder heben die Empfindung auf die textliche Ebene durch einen Chateintrag. Den Botschaften in den verschiedenen Kanälen mangelt es an gegenseitiger Bezogenheit. Die Kanalreduktion wandelt sich zu einer Kanalparallelität (siehe Abbildung).
Dies hat zur Folge, dass die Teilnehmenden an einer Videokonferenz oder einem Online-Coaching eine enorme Integrationsanstrengungen unternehmen müssen, wollen sie sich ein umfassendes, kohärentes Bild von der Situation machen. Es gilt, die ohnehin wenigen non-verbalen Signale wahrzunehmen, richtig zuzuordnen, adäquat zu deuten und Rückschlüsse für das eigene Handeln zu ziehen. Was sonst unbewusst abläuft, muss nun aktiv geleistet werden. Dies erhöht die kognitive Belastung (Sweller, 1994). Auf Grund unserer begrenzten kognitiven Verarbeitungskapazitäten – der Mensch kann nur 7 +/- 2 Informationseinheiten im Kurzzeitgedächtnis präsent halten (Miller, 1955) – bleibt somit weniger Raum für den Gesprächsgegenstand.
Leider ja. In Videokonferenzen und Online-Coachings kommt es zu einer Vielzahl an „Distraktoren“, also Ereignissen, welche die Aufmerksamkeit anderweitig binden. Das beginnt beim Eigenbild als permanentes Videofeedback, welches den Fokus auf die Selbstdarstellung und dessen vermutete Wirkung lenkt. Darüber hinaus trifft man sich in so vielen Räumen, wie Teilnehmende anwesend sind. Hineinplatzende Kinder, Baustellenlärm und technische Störungen lassen die anderen nicht unbeeindruckt. Zudem ist die physische Haltung alles andere als ergonomisch. Die meisten Teilnehmenden sitzen vor ihren Geräten in einem Abstand von ca. einer Armlänge, schauen auf einen Bildschirm und verändern diese Haltung zum Wohle einer stabilen, störungsfreien Situation für die Dauer des Gesprächs nicht mehr. Das ist körperlich wie auch geistig ermüdend.
Eher unterbewusst dagegen wirkt die Interaktion aus Raum und Tätigkeit. Hier kommt es zu einer permanenten Kontextvermischung. Eine berufliche Videokonferenz, die man von der heimischen Couch aus führt und in der man von weitem die eigenen Kinder streiten hört, lässt drei völlig verschiedene Lebensbereiche (Beruf, Freizeit, Eltern) ineinander verschmelzen (Linville, 1985). Die Trigger führen zu unterschiedlichsten Handlungsimpulsen (seinen Job erledigen vs. endlich mal entspannen vs. die Kinder beschwichtigen). Dies erzeugt schnell eine innere kognitive Dissonanz, die ihrerseits wiederum Ressourcen beansprucht (Festinger, 1962).
Ein Distraktor der ganz besonderen Art ist das Schweigen. Anders als bei physischen Begegnungen stellt sich in digitalen Formaten die Frage, ob das stille Gegenüber gerade eine Denkpause braucht, das Schweigen ein Akt der Selbstdisziplinierung ist oder technische Gründe dafür sorgen, dass der Kommunikationsprozess ungewollt unterbrochen wurde. Dieser Effekt beginnt bereits bei knapp einer Sekunde Verzögerung (Schoenenberg et al., 2014). Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die erschwerte Übergabe des Rederechts (Turn-taking), was in realen Settings primär durch nonverbale Signale erfolgt, vor allem mittels Blickkontakt. Die Besonderheit in virtuellen Coachings und Meetings besteht darin, dass die Frequenz solcher Schweigesekunden enorm hoch ist, es also kontinuierlich zu einer Meta-Reflektion des Kommunikationsgeschehens kommt. Dies reißt die Beteiligten immer wieder aus dem gemeinsamen Gedankenfluss und erzeugt ein stakkato-artiges Erleben des Gesprächs.
Wenn das virtuelle Treffen dann vorüber ist und die Last der Anstrengung schwindet, stellt sich nach Empfinden des Autors trotz der vielen Mühen nur selten das wohlige Gefühl eines erfüllten Sozialkontakts ein. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Spätestens jetzt werden die Grenzen des Digitalen überdeutlich. Der persönliche Kontakt, die Berührung und der Geruch des Anderen, die physische Begegnung erzeugt im Menschen physiologische Reaktionen. Durch körperlichen Kontakt und räumliche Nähe wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Es bewirkt ein Gefühl von sozialer Bindung, von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Die Kopplung zur Berührung ist evolutionär angelegt. Bei einer Videokonferenz bleibt dies aus (Böhme, 2019). Im besten Fall hat man sich objektiv betrachtet in einen intensiven Kontakt begeben, konnte seinem Gegenüber live begegnen, ist sich kognitiv und emotional nahegekommen. Und doch behält das analoge Aufeinandertreffen einen Rest Exklusivität, der bei aller Mühe digital nicht zu ersetzen ist.
Zu allererst sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass virtuelle Zusammenkünfte eine enorme kognitive Herausforderung darstellen – sowohl für die Teilnehmenden als auch den Coach bzw. die Moderatorin. Dies lässt sich nur für einen begrenzten Zeitraum realisieren. Für die gesamte Videokonferenz ist die Länge einer Serienepisode im Fernsehen sicher eine gute Orientierung. Virtuelle Vorträge oder Erklärungen sollten stark verkürzt sein und sich auf die Kernbotschaft beschränken. Nach spätestens zehn Minuten braucht es eine Unterbrechung, sonst verliert man die Konzentration der meisten Teilnehmenden (Guo et al., 2014). Zudem sollten sich die am Online-Coaching beteiligten Personen Gedanken über die Wahl des Raumes machen, den man zeigen und teilen möchte ebenso wie über die eigenen Bildausschnitt, sprich dem Selbstbild, das man vermittelt. Interessant hierbei ist z.B., dass Deniers (2019) in ihrer Studie darstellt, dass Klienten unter anderem die Hände des Coachs sehen möchten, um sicher zu sein, dass der Coach ihnen seine volle Aufmerksamkeit schenkt und nicht z.B. nebenher umherklickt oder tippt.
Apropos Unterbrechung: virtuelle Treffen profitieren von klassischer Gesprächsführung und Teilnehmeraktivierung. Unabhängig vom Medium bleiben solche Zusammenkünfte zweckgebundene Interaktionsformate, egal ob zur Klärung individueller Belange, zur kollektiven Meinungsbildung oder zur Konfliktklärung. Der digitale Kontext befreit den Coach, die Moderatorin oder das Mediatorenteam nicht vom Anspruch guten Handwerks. Ein thematisch passender Gesprächsleitfaden gibt formatunabhängig Orientierung und Sicherheit, ein Warm-up am Anfang ist noch immer ein Akt des Ankommens in der Situation und ein Andocken am Thema, eine Visualisierung dient unverändert der Externalisierung und Dokumentation, ein Check-out fungiert stets als Abschied und inhaltlicher Abschluss. Die Grundregeln unserer Profession behalten im Digitalen ihre Gültigkeit.
In einem Punkt braucht es allerdings einen bewussteren Umgang. Videokonferenzen und Online-Coachings erfordern eine offenere Meta-Kommunikation, also das Sprechen über das Sprechen. Bereits bei Shannon (1948) war die Rückmeldung des Empfängers an den Sender von großer Bedeutung, um den Erfolg der Informationsübermittlung zu verifizieren. Indem wir aktiv Feedback voneinander einfordern, lässt sich die Qualität der Kommunikation besser bemessen und ggf. erhöhen.
Zu guter Letzt sollten die Erwartungen an das Format angeglichen werden. Eine Videokonferenz ersetzt kein live Meeting. Die Qualität der Begegnung ist reduziert, also sollten es die Ziele und Ansprüche auch sein. Dies hat vor allem für das Coaching und die Mediation enorme Folgen. Emotional ergreifende Situationen lassen sich weniger gut einfangen: Man kann niemanden virtuell in den Arm nehmen.
Dennoch lohnt es sich, Online-Medien in das eigene Profil als Coach und Moderator aufzunehmen, zumal die Grenzen zwischen virtuell und real zunehmend verschwimmen. Online- und Präsenzformate gehen immer mehr Hand in Hand (Reindl, 2018). Besonders die aktuelle Zeit und die stattfindenden Entwicklungen zeigen das enorme Potential medial-vermittelter Beratungsformate. Schließlich ist digitale Nähe gesundheitlich ohne Risiken und Nebenwirkungen.