Beruf Coach

Gesundheits-Coaching

Wirkungsvolles Stressmanagement

10 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 04 | 2015

Ist es ein gesellschaftlicher Hype oder eine organisationale Notwendigkeit, dass alle über Stress, Burnout oder effektives Stressmanagement sprechen? Die Zahlen der Krankenkassen sprechen für sich (TK-Studie, 2013), die Artikel in den Printmedien ebenso, die Folgen der Globalisierung erhöhen den Wettbewerbsdruck und die Erneuerungszyklen der IT-getriebenen Unternehmenssteuerung tun ihr Eigenes (z.B. komplexere, neue Betriebssysteme etc.) dazu, den Druck auf Unternehmen und Belegschaften zu erhöhen.

Gleichzeitig gestehen sich Menschen heute eher ein, erschöpft zu sein, Hausärzte sind eher bereit, Erschöpfungszustände oder Burnout als Gründe für eine Krankschreibung anzuerkennen und mancher Manager gesteht sich leichter einen Burnout ein, als eine Depression in Erwägung zu ziehen. Getreu dem Nimbus: Nur wer mal für was gebrannt hat, darf auch mal ausbrennen!

Dass damit aber nicht zu spaßen ist, zeigen die Erkrankungsraten der Krankenkassen mit einem Anstieg der psychischen Erkrankungen um ca. 100 Prozent und der Burnout-Fälle um 700 Prozent (BPtK-Studie 2012). Der Trend hält bis heute an.

Zusätzlich zu den klassischen Coaching-Themen wie Führung und Rolle (operativ wie exekutiv), Kommunikation und Konflikt, Karriere und Entwicklung sind Coaches also zunehmend gefordert, ihre Klienten bzgl. der Themen des Gesundbleibens und des wirkungsvollen Stressmanagements zu begleiten und sie zu unterstützen, mit den Belastungen ihrer Mitarbeiter umzugehen.

Der Alltag in Unternehmen

Der Trend in vielen Unternehmen: Überlastung durch zu viele und mehr werdende Aufgaben, durch Störungen und Unterbrechungen, durch häufige Veränderungen und zunehmende Komplexität der Arbeitswelt, durch hohe Verantwortung und den Appell vieler Führungsmannschaften zur ständigen Erreichbarkeit verändert Unternehmens- und Führungskulturen (Statements Prof. Dr. Peter Kruse, 2014). Dieser Trend hat schon vieles unter dem Begriff des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) auf den Plan gerufen - von gesunder Ernährung und Rückenschulen, über Bewegungsprogramme und Entspannungsverfahren, die gute Dienste für die Belegschaft leisten. Die aber zu kurz greifen, wenn Unternehmen nicht auch Führungs-, Leistungs- und Kommunikationskultur als Treiber des Stressgeschehens begreifen und wenn Führungskräfte nur den Blick auf Zielerreichung, Umsätze und das Gelingen einer weiteren Umstrukturierung lenken.

Gesundheits-Coaching muss am Stressmanagement des Einzelnen ansetzen, darf aber da nicht enden. Zu sehr sind hier Unternehmensleitung und die Führungskräfte gefordert, sich den kollektiven Wirkungen des gemeinsamen Sogs zu stellen, den Umgang miteinander zu reflektieren und Führungskultur und konkrete Führungsarbeit mit in den Fokus zu nehmen. Das wäre dann der Fall für eine Beratung des oberen Führungskreises.

Das persönliche Stressgeschehen lässt sich gut mit dem Stressmodell von Prof. Gert Kaluza (2014) angehen, es liefert praktisches Handwerkzeug und einfache aber sinnvolle Unterscheidungen des Stressgeschehens:

1. Stressoren: Äußere Ereignisse oder Bedingungen, die Stressreaktionen auslösen. Diese können physikalischer (z.B. Lärm), körperlicher (z.B. Schmerz), sozialer (z.B. Konflikte) oder psychomentaler (z.B. Leistungsanforderungen, Zeitdruck) Art sein. Im Vordergrund stehen heute zumeist soziale und psychomentale Stressoren.

2. Persönliche Stressverstärker: Persönliche Einstellungen, Motive und Denkweisen, die dazu beitragen, dass Stressreaktionen verschärft oder überhaupt erst ausgelöst werden.

3. Stressreaktionen: Alle körperlichen und psychischen Antworten auf die Konfrontation mit einem Stressor. Diese bewirken im Akutfall eine umfassende Aktivierung und Bereitstellung von Energie, die zur Bewältigung des Stressors eingesetzt wird. Langfristig führen bei fehlenden Regenerationsphasen chronische Stressreaktionen zu Erschöpfung und unterschiedlichsten Erkrankungen.

Entsprechend dieser Ebenen benötigt der Klient folgende Stresskompetenzen (der Coach übrigens auch):

Instrumentelle Stresskompetenz als Ansatzpunkt für Stressoren
Meint äußere Belastungen und Anforderungen im beruflichen und privaten Bereich zu verändern, soweit möglich, zu verringern oder ganz abzubauen. Das Ziel besteht darin, den eigenen Alltag stressfreier zu gestalten, um so die Entstehung von Stress möglichst von vornherein zu verhindern. Z.B. Selbstmanagement: Persönliche Arbeitsorganisation optimieren (berufliche/private Prioritäten klar definieren, realistische Zeitplanung, Delegation, Grenzen ziehen, "Offline"-Zeiten)!

Mentale Stresskompetenz als Ansatzpunkt für persönlichen Stressverstärker
Meint sich selbstkritisch eigener stresserzeugender oder -verschärfender Einstellungen und Bewertungen bewusst zu werden, diese allmählich zu verändern und förderliche Einstellungen und Denkweisen zu entwickeln. Z.B. Perfektionistische Leistungsansprüche überprüfen und Leistungsgrenzen akzeptieren oder: Sich des Positiven, Erfreulichen, Gelungenen bewusst werden und dankbar sein!

Regenerative Stresskompetenz als Ansatzpunkt für Stressreaktionen
Meint körperliche und psychische Erregung zu dämpfen und abzubauen, für regelmäßige Erholung zu sorgen und damit langfristig die eigene Belastbarkeit zu erhalten. Z.B. regelmäßiges Praktizieren einer Entspannungstechnik, regelmäßige Bewegung oder die Pflege außerberuflicher sozialer Kontakte (u.v.a.m.).

Schlussfolgerungen für das Coaching

Was heißt das jetzt für die Arbeit als Coach? Der erste Schritt ist, die drei genannten Ebenen zusammen mit dem Klienten zu analysieren: Welche Stressoren liegen vor, mit welchen persönlichen Stressverstärkern macht er sich das Leben schwer und welche aktivierenden oder erschöpfenden Stressreaktionen laufen bereits ab?

Mit dem Begriff der Achtsamkeit hilft hier ein Prinzip, dass Analyse- und Interventionstool gleichermaßen darstellt. Was für das Management von Unternehmen gilt: "What you can't measure, you can't manage!", gilt auch für Manager im Umgang mit sich selber. Wer sich selber achtsam im Fokus hat, kann auf seine Kräfte, seine Grenzen und seine Bedürfnisse hören und die Signale der Erholungsbedürftigkeit wahrnehmen.

Achtsamkeit als Schlüssel zur Selbstwahrnehmung will geübt und trainiert werden, muss also auch als Übungseinheit ins Coaching einfließen: In Form von Bewusstheitsübungen (z.B. Awareness-Continuum / Gestalttherapie), Brief an den Körper und die Seele oder Dialogarbeit mit verschiedenen Persönlichkeitsanteilen (Stuhltechnik / Gestalttherapie), in Form von Atemübungen (Stopp-Atem-Übung nach Kaluza) und Entspannungstechniken (z.B. PMR nach Jacobsen), die die erholsame Wirkung des Zentriertseins auf sich selber ermöglichen und erfahrbar machen.

Diese im Coaching geübte Achtsamkeit gilt es dann aber - und das dürfte eine je nach Belastungsgrad des Klienten unterschiedlich anspruchsvolle Aufgabe sein - in der Enge des beruflichen Alltags aufrecht zu erhalten. Ein hilfreiches Bild könnte hier die Pendelbewegung der Aufmerksamkeit bieten, die dem Klient erlaubt, einerseits die Aufmerksamkeit auf sein Daily Business zu richten, andererseits sich selbst, das Ausmaß der eigenen Belastung und den Grad der persönlichen Anspannung im Auge zu behalten. Manchmal helfen kleine Tricks: Der Klient bekommt zehn Holzperlen, die er am Morgen in die rechte Hosentasche tut, und mit jedem gelungenen Schwenk der Aufmerksamkeit lässt er eine Perle in die linke Hosentasche wandern. Das Ziel ist, dass am Abend alle zehn Perlen in der linken Tasche sind.

Im Coaching lediglich darüber zu reden reicht nicht, es muss einiges an Erfahrungsmomenten dabei sein, um die neuen neuronalen Netzwerke (Hüther, 1997) zu entwickeln. Den Lernschritt aus dem geschützten Coaching-Raum ins reale Leben zu übertragen, dauerhaft anzuwenden und gegen die anbrandende Wirklichkeit zu behaupten, ist ohnehin nochmal ein schwerer Schritt, der Disziplin benötigt.

Ebenso hilfreich ist die Salutogenese (lat. salus Gesundheit und griech. genesis Entstehung), die sich auf die Faktoren und dynamische Wechselwirkungen, die zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen, konzentriert (siehe auch Coaching-Magazin, 3/2013). Die Salutogenese (Antonovsky, 1923-1994) bietet den komplementären Blick zur Pathogenese (Lehre der Entstehung von Krankheiten). Danach ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. Antonovsky stellt ins Zentrum der Salutogenese den Sense of Coherence (SOC), das "Kohärenzgefühl", das sich aus drei Prinzipien zusammensetzt:

1. Die Verstehbarkeit: Der Klient muss die Wechselwirkungen von Umwelt, Verhalten und Gesundheit kennen/verstehen

2. Die Handhabbarkeit: Er muss über Möglichkeiten, um mit diesen Anforderungen umzugehen, verfügen

3. Die Bedeutsamkeit: Sich und seiner Person Bedeutung geben, nach der es Sinn macht, sich für die eigene Gesundheit zu engagieren

Damit schließt sich der Kreis zur Achtsamkeit, denn ich werde nur das mit Achtsamkeit verfolgen, dem ich eine Bedeutung beimesse. Wenn der Klient also - den Prinzipien der Salutogenese folgend - lernt, 1) den Zusammenhängen zwischen Arbeitsverhalten, Arbeitsbeanspruchung und nachfolgender Belastung eine Bedeutung (Bedeutsamkeit) zu geben, 2) die relevanten medizinisch-physiologischen Zusammenhänge zu verstehen (Verstehbarkeit) und 3) notwendige Schritte unternehmen zu können, um seiner Stressbelastung etwas entgegen zu setzen (Handhabbarkeit), kann und wird er Maßnahmen und Verhaltensweisen in seinen täglichen Arbeitsablauf einbauen, die ihm helfen, langfristig sparsam und effektiv mit den eigenen Ressourcen umzugehen, sich mental zu unterstützen und Warnsignale frühzeitig zu erkennen.

Ein hilfreiches Tool stellt das Bild eines Energietopfes dar, der das individuelle Reservoir an persönlicher Energie beinhaltet. Jeder Mensch erlebt Energiegewinne (Erfolg, gute Kooperation, Sauerstoff, Bewegung etc.) genauso wie Energieverluste (Misserfolg, Anstrengung, Konflikte, Sorgen etc.), die sich in der Regel in der Balance halten. Bei Dauerbelastung aber verringert sich die Zufuhr an frischer Energie, der Topf leert sich zunehmend und am Ende brennt der Boden durch - der Burnout droht. Der Coach kann also mit dem Klienten analysieren, woher Energiezufluss und Energieverlust zustande kommen.

Der Coach visualisiert dazu den/einen (Energie-)Topf am Flipchart mit je einem Energiezulauf und einem Energieabfluss, und begleitet den Klienten in einer Art Brainstorming durch die beiden Aspekte mit den Fragen: Was gibt mir Kraft, wodurch gewinne ich Energie, was macht mir Spaß, was lädt mein Akku wieder auf? Im Gegenzug notiert er die Antworten auf die Fragen: Was kostet mich Kraft, was strengt mich an, was zehrt an mir und leert meinen Akku?

Ist das Bild komplett, wird der Coach mit seinem Klienten sinnvollerweise darauf schauen, was er konkret am nächsten Tag, in der nächsten Woche bzw. im kommenden Monat tun wird, um den Energiezufluss zu unterstützen. Dazu gehört auch eine kurze Reflexion der Verhinderungsszenarien, also wie wird der Klient dafür sorgen, dass dieses Projekt nicht zustande kommt. Getreu dem Motto: Wenn ich meine Selbstboykottstrategien kenne, kann ich sie am besten eingrenzen.

Effektives Stress- und Gesundheitsmanagement braucht im nächsten Schritt dann aber die gelebte Achtsamkeit im Alltagshandeln, erst sie nährt die Resilienz, die gesunde Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Resilienz entsteht aus lebensgeschichtlichen Erfahrungen und nachfolgenden Ressourcen, die wir mehr oder weniger täglich einsetzen, die wir weiterentwickeln und aus denen wir Kraft schöpfen. Die Resilienzfaktoren sind z.B. Problemlösefähigkeit, Verantwortung übernehmen, eine optimistische realistische Sicht entwickeln und die Fähigkeit, Unveränderbares zu akzeptieren, ohne damit zu hadern.

Wir greifen auf unsere Resilienzfaktoren zurück, wenn wir Krisen oder Belastungen zu bewältigen haben: eine Umstrukturierung im Betrieb oder Entlassung, die Übernahme eines komplett neuen Teams oder die Verarbeitung des unerwarteten Todes eines nahen Angehörigen. Resilienz wird aber auch in der Gegenwart durch erfolgreiches Stressmanagement gefestigt und aufrechterhalten.

Schlusswort

Der Autor ist sich bewusst, Verhaltensempfehlungen für die coachenden Kollegen auch als Informationslieferant aus der Expertenrolle heraus zu geben. Dies wird in der Coaching-Szene unterschiedlich verstanden: Die einen vertreten die Ansicht, alles sollte aus dem Klienten heraus entwickelt werden und unsere Aufgabe sei es lediglich, den Prozess zu begleiten, Fragen zu stellen, aber kein Fachwissen zu liefern. Die anderen - und dazu zählt sich der Autor - stellen immer dann Fachwissen zur Verfügung, wenn es den Selbstunterstützungsprozess des Klienten verbessert und zum Prinzip der Verstehbarkeit beiträgt.

Literatur

  • BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit (2012). Psychische Erkrankungen und Burnout.
  • Hüther, Gerald (1997). Biologie der Angst. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Kaluza, Gert (2014). Gelassen und sicher im Stress. Berlin, Heidelberg: Springer.
  • Kruse, Peter (2014). Statements auf dem "Forum gute Führung". Abgerufen am 09.04.2015: http://www.forum-gute-fuehrung.de/.
  • TK-Studie (2013). Bleib locker, Deutschland! TK-Studie zur Stresslage der Nation.

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