In meiner Wahrnehmung reüssiert Coaching zunehmend als Komplexitäts- und Führungskulturentwicklungsberatung. Dafür sind paradigmatische Veränderungen im Verständnis von Menschenführung verantwortlich – als Folge der Verschiebung der (Vor-)Machtstellung von Führungskräften in Organisationen. Immer deutlicher zeigt sich, dass die Definition von „guter Führung“ nicht mehr durch Führungskräfte legitimiert wird.
Die Geführten ihrerseits gewinnen die Macht darüber, von wem und durch was sie geführt werden wollen; sie bestimmen die Kriterien für die Güte von Führung. Dabei spielen die Vernetzungsdichte der Menschen, die permanente Verfügbarkeit von Kommunikationsplattformen und die Erfahrungen aus erlebtem Dauer-Change ebenso eine Rolle wie die kollektive Orientierungslosigkeit, die auch Führungskräfte im Zuge nicht mehr in den Griff zu bekommender Komplexität erfasst.
Mitarbeiter, die ihre Chefs immer öfter Achsel zuckend auf die Unvorhersehbarkeiten von „Wandel“ reagieren sehen, entziehen ihnen ihre bisherigen Deutungshoheiten. À la longue werden somit Unternehmen nicht länger von Menschen als identitätsstiftende Instanzen angesehen, sondern als „Nebenbei-Systeme“. Die einer solchen Entwicklung entgegenwirken wollenden Führungskräfte werden verstärkt Coaches suchen, die sie unterstützen in Aspekten wie werteklarer, sinnvereinbarender und differenzierter Führung, achtsamer Selbstführung, „gesunder“ Unternehmensbereichsentwicklung sowie der Gestaltung einer erfreuenden und herausfordernden Kooperations-, Diskurs- und Leistungskultur.
Wer im Einklang mit sich steht, auf stabile Selbststeuerungskräfte zugreifen kann, an knüpfungsfähige Verhaltensweisen zeigt, eine Bandbreite an Handlungs- und Entscheidungswegen verfügbar hat und einen ausreichenden Grad an Reflexivität besitzt, der wird wohl einen Coach mehr als Sparringspartner denn als unterstützenden Berater im Krisen-, Konflikt- oder Problemkontext anfragen.
Wenn der Grad an Unzufriedenheit – für mich das Verhältnis aus Erwartetem und Erreichtem – deutlich darauf schließen lässt, dass die Person dabei ist, sich zu verfehlen und ein gelingendes (Berufs-)Leben aus ihrem Blick gerät, dann halte ich das Gespräch mit einem Coach für zweckdienlich.
Aus meiner Erfahrung schätzen Leitungskräfte die Zusammenarbeit mit Coaches, die über ein breites erfahrungsbasiertes Managementwissen, umfassende Menschenkunde, wissenschaftliche Reputation, einen profunden Umgang mit Komplexität und Machtdynamik sowie über eine leichtherzige, humorvolle und absolut diskrete Kommunikation verfügen.
Ich denke, ich bin nicht alleine, wenn ich beklage, dass sehr viele Coaches eine konzeptionell deutliche „Ecke und Kante“ und ein formuliertes Menschenbild vermissen lassen. Mir fehlt zudem über weite Strecken eine interessante Kombinatorik in den Wissensgebieten – dafür überwiegt eine mich persönlich eher mühevoll anmutende Grenzziehungsdebatte zwischen Coaching, Beratung und Therapie.
Mir fehlt wissenschaftliche Grundierung – dafür überschwemmt mich beim Googeln ein eher mehr als weniger spannungsloses Allgemeintreibgut. Als Manager müsste ich mich wohl auf einen größeren Zeiteinsatz zur „Perlensuche“ einstellen. Aber das ist bei der Suche eines Arztes, Anwalts oder Therapeuten ja auch nicht anders.
Spannend war das Tandem-Coaching mit einem Mittelstandsunternehmer und dessen 24 Jahre alten Sohn, in dem es um den Wandel des Führungsverständnisses im Familienunternehmen und der gemeinsamen Zukunftsgestaltung ging. Auch der Coaching-Prozess mit einem Arzt, der sich anstrengte, sich in ein von früheren Korruptionsfällen „vergifteten“ Klinikumfeld zu integrieren, gehört für mich fraglos zu den Aufträgen mit besonderer Konstellation.