Beruf Coach

Der Coach als Vorbild?

Die Anziehungskraft  von Coaching

7 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 10 | 2009

Der Coaching-Markt birgt in seiner unübersichtlichen Vielfalt Platz für die unterschiedlichsten Angebote. Offensichtlich möchten so viele Menschen als "Coach" tätig sein, dass dieser Begriff etwas Vorbildhaftes zu beinhalten scheint. Zu Recht?

Ohne Zweifel ist Coaching ein immer noch wohlklingendes Modewort, das sich weiter Verbreitung erfreut. So werden nicht nur nahezu alle denkbaren Varianten von "XYZ"-Coaching angeboten, sondern es sind auch zuweilen abenteuerlich anmutende Funktions- und Rollenbeschreibungen durch die Ergänzung des Wortes "Coach" kreiert worden. Geradezu zwangsläufig stellt sich damit die Frage, ob diese semantische Vielfalt primär auf Marketing-Experimente zurückzuführen ist oder – zumindest in Teilbereichen – ein substanzieller Kern vermutet werden darf.

Eines wird in jedem Fall deutlich: Die Begriffe "Coaching" bzw. "Coach" strahlen offenbar eine verführerische Attraktivität aus. Und diese Anziehungskraft ist nicht auf die Welt der Trainer, Berater und Consultants beschränkt, denn auch in Unternehmen wird nicht selten die Idee der "Führungskraft als Coach" propagiert. Logischerweise müsste eine solche Funktionserweiterung mit einer Kompetenzsteigerung einhergehen – was den Vorbildcharakter einer solchen Rolle nahe legt.

Denn egal ob es um freiberufliche externe Coachs, angestellte Führungs-Coachs oder interne Coachs geht: Jede dieser Rollen scheint in eine Aura des Besonderen gehüllt. Coach zu werden bedeutet offenbar für nicht wenige Personen, eine Projektionsfläche gefunden zu haben, in der sie ihre Wünsche und Sehnsüchte erfüllt sehen. Die Business-Welt ist voll von diesen Wünschen. Welche Führungskraft träumt nicht davon, kleingeistigen Konflikten zwischen den Mitarbeitern entfliehen zu können und stattdessen als "Coach" souverän die Zügel in der Hand zu halten? Welcher Consultant träumt nicht davon, zahlenbasierten Analysen und Kaffeesatz-Prognosen den Rücken kehren zu dürfen, um mit Menschen zu arbeiten? Und welcher Trainer hofft nicht heimlich, eines Tages statt mit schnöden Seminaren sein Geld mit dem Coaching diverser Firmenchefs verdienen zu können?

All dies hat nur einen ganz entscheidenden Haken: Es fokussiert auf die – zumindest teilweise vorhandenen Vorteile von Coaching – blendet aber die Nachteile aus. Coach zu sein bedeutet nicht, alle Probleme lösen zu können und nur auf der Top-Ebene mit Entscheidern zu arbeiten. Auch eine coachende Führungskraft handelt sich schneller Beziehungsprobleme aufgrund einer Rollenkonfusion ein, als existierende Konflikte lösen zu können. Coaching zu verkaufen, bedeutet nicht in Tagessätzen, sondern in Stundensätzen zu kalkulieren – was eine entsprechend andere Kalkulationsgrundlage bedeutet und eine komplexe Akquisitionsstrategie erfordert. Daran sind schon einige gescheitert.

Taugt der Coach also zum Vorbild, ist seine Rolle erstrebenswert? Im Grunde genommen macht diese Frage nur dann Sinn, wenn ein Coach jenseits gefühlter Sehnsüchte und eines temporären Marketingeffekts etwas vorweisen kann, das etwas Vorbildhaftes beinhaltet. Ansonsten könnte man mit der gleichen Berechtigung auch z.B. nach dem Technischen Zeichner als Vorbild fragen.

Ein mögliches prägendes Merkmal eines Coachs ist es, Handlungen, Aufgaben, Rollen, Funktionen und Systeme reflektieren zu können – sich selbst eingeschlossen. Diese (Selbst-)Reflexionsfähigkeit zeichnet einen professionellen Coach aus und schafft die Grundlage für die Kernfunktion des Coachs als feedbackgebenden sozialen Spiegel und Sparringspartner seiner Klienten.

Diese Reflexionskompetenz erlaubt es dem Coach, unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, was in der Konsequenz zu (mindestens) zwei Erkenntnissen führt: Zum einen die Erkenntnis, dass "die Wahrheit" stets abhängig von der eingenommenen Perspektive ist; zum anderen, dass es sehr häufig unsinnig ist, in den Kategorien "richtig und falsch" bzw. "besser und schlechter" zu denken und dass stattdessen die Kategorie "anders" wesentlich produktivere Schlussfolgerungen erlaubt und Handlungsalternativen eröffnet. Leider werden diese Anteile einer reflexiven Perspektive von Skeptikern nicht selten mit einer Beliebigkeit verwechselt, die so gar nicht in die Welt von Management und Business passen will. Daher sei zur Verdeutlichung ein Beispiel gegeben:

Sicherlich fällt es zunächst leicht, eine Leistung als "schlecht" zu bezeichnen, wenn ein Geschäftsführer ein Unternehmen in die Insolvenz geführt hat. Ein Mensch hat also die ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Was aber, wenn eine differenziertere Analyse nun ergibt, dass das Unternehmen schon vor der der Amtsübernahme des Geschäftsführer überschuldet war (Perspektive Vorgänger), und einige überfällige Bilanzkorrekturen die Eigenkapitalquote dermaßen reduziert haben (Perspektive Buchhaltung), dass die kreditgebenden Institutionen keine weiteren Mittel zur Verfügung stellen (Perspektive Bank)? Dann wäre die Schuldfrage wohl deutlich differenzierter zu beurteilen. Und auch die sinnvollen Handlungsoptionen stellen sich sich dann anders dar.

Das Ergebnis einer reflexiven Perspektive ist also nicht Beliebigkeit, sondern die differenzierte Wahrnehmung paralleler und sich gegenseitig bedingender Einflussfaktoren. Und damit geht auch die Erkenntnis einher, dass eine Kontrolle im Sinne einer direkten Steuerung in komplexen Zusammenhängen nicht möglich ist. Eine gelebte reflexive Perspektive führt daher auch zur Demut. Dies bedeutet nicht, jede Form von Analyse und Planung überflüssig wird, im Gegenteil. Selbstverständlich brauchen Coachs und Führungskräfte planende und strukturierende Elemente in ihrem Handeln und Denken. Allerdings sollten sie auch nicht all zu sehr enttäuscht sein, wenn auch der scheinbar brillante Plan vom Zufall ad absurdum geführt oder von offenbar noch brillanteren Plänen anderer Menschen durchkreuzt wird. Und diese Erkenntnis führt zu einer weiteren Besonderheit, die ein Coach, der zum Vorbild taugt, aufweisen sollte: Die Fähigkeit zur Improvisation.

Improvisation bedeutet, spontan und kreativ mit einer unvorgesehenen Situation umgehen zu können. Genau diese Fähigkeit erweist sich in zunehmend komplexeren Strukturen als wesentliches Element einer angemessenen Aufgabenbewältigung. Improvisation bedeutet nicht, alles laufen zu lassen, wie es läuft, sondern situationsangemessen die Initiative zu ergreifen ohne zwanghaft hyperaktiv jedem Trend folgen zu müssen. Dabei wird häufig unterschätzt, dass jede gelungene Form von Improvisation von übender Vorbereitung profitiert. Und letztlich bedarf die Improvisation einer gelassenen Zuversicht, dass auch vollkommen unvorhersehbare Situationen bewältigt werden können, auch wenn einem nicht jedes Detail des "Wie" bewusst ist.

Diese gelassene Zuversicht erfordert neben Erfahrung Mut. Damit ist nicht eine kühn-draufgängerische Grundhaltung gemeint, sondern die Fähigkeit zur "Zu-Mutung". Ein guter Coach muss Zumutung sein können, dürfen und wollen. Er dient laut Dr. Wolfgang Looss als "Stachel im status quo". Dem Klienten in positiver Hinsicht etwas zuzumuten ist eine Voraussetzung, damit ein Coach für den Klienten wertvoll sein kann, ihm aus seiner Komfortzone hinaushilft und neue Perspektiven entdecken lässt. Dies erfordert Mut, sowohl vom Coach, als auch vom Klienten. Coaching ist in diesem Sinne weit mehr, als z.B. das lösungsorientierte Pushen eines Klienten hin zu einem vorgedachten Ziel samt einer naiv-unilateralen "get rich or die trying"-Logik.

Eines darf bei den vorbildhaften Charakteristika nicht unerwähnt bleiben: Die dargestellten Fähigkeiten und Charaktereigenschaften sind nur begrenzt erlernbar. Ebenso, wie nicht jeder Mensch zum Technischen Zeichner geeignet ist, gilt dies auch für den Coach. Allerdings gilt auch ein Umkehrschluss: So wie niemand zum Technischen Zeichner geboren wird, gibt es auch nicht den geborenen Coach. So ist eben vieles, aber nicht alles lernbar.

Fazit

Als Projektionsfläche für unerfüllte Wünsche ist der Coach beliebt, doch solche Projektionen sind mehr Scheinbilder als gute Vorbilder. Wenn überhaupt kann die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und zur (Selbst-)Reflexion sowie zur Improvisation als Vorbild dienen. Eine zuversichtliche Grundeinstellung und der Mut zum Unbequemsein, runden das Bild eines professionellen Coachs ab.

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