Beruf Coach

Coaching mit allen Sinnen?

Wie ein blinder Coach arbeitet – und was sich andere Coaches davon abschauen können

Kann eine blinde Person ein guter Coach sein? Schließlich sprechen Menschen nicht nur mit der Stimme, sondern auch mit ihrem Körper, mit Gesten, mit nonverbalen Zeichen. Ein blinder Coach sieht das nicht – aber er hört es. Astrid Weidner, Coach und selbst blind, gibt hier einen tiefen Einblick in die Hürden, die ihr im Coaching begegnen, und veranschaulicht zugleich, was Sehende überhören.

14 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 2 | 2024 am 15.05.2024

Die Welt sehe ich durch die Augen anderer. Das gilt für Kleinigkeiten im Alltag genauso wie für viele Aspekte im Coaching. Die Blindheit ist zwar meine Normalität und keine besondere Eigenschaft. Doch viele Aufträge erhalte ich gerade deswegen. Sehende nehmen oft an, Blinde seien aufmerksam, empathisch und feinfühlig für emotionale Nuancen. Ob das stimmt, sei dahingestellt.

Grundsätzlich folgt mein Coaching demselben Schema und nutzt die gleichen Ansätze und Methoden wie das Coaching meiner sehenden Kollegen. Allerdings erfordert die Blindheit einige besondere Maßnahmen. Verbale, vokale und vor allem nonverbale Sprachanteile nehme ich fast ausschließlich auditiv wahr. Das wiederum setzt eine besondere Fokussierung auf die Beziehungsgestaltung voraus. Im Folgenden stelle ich dar, wie die Arbeit eines blinden Coachs aussieht und welche Hürden es dabei zu bewältigen gilt. Die hier geschilderten Erfahrungen sind in Teilen auch für sehende Coaches relevant.

Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland mindestens 70.000 Blinde (DBSV, 2023). Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband betrachtet diese Zahl als gesicherte untere Grenze, da sie ausschließlich Blinde mit Schwerbehindertenausweis einbezieht.

Im Sinne der Authentizität ist dieser Artikel in der 1. Person Singular verfasst – auch wenn nur Astrid Weidner als eine Hälfte des Autorenteams blind ist. Im Text werden diverse Zuschreibungen für blinde Menschen aufgeführt, die meistens unbewusst entstehen. Dabei seien niemandem schlechte Absichten unterstellt.

Was bedeutet Blindheit in der Welt der Sehenden?

Wir Menschen stehen mit unseren Sinnen in der Welt. Als Geburtsblinde fehlt mir der Sinn, der die sehende Welt dominiert. Insbesondere die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen ist bei mir anders. Dies wirkt sich in zwei Bereichen bzw. Annahmen besonders stark aus. Erstens in der Frage, was wir Blinden leisten können – Sehende haben viele Annahmen, wozu wir aufgrund oder trotz der Blindheit im Stande sind. Zweitens macht uns der Mangel eines der dominantesten Sinne sozial abhängig – wir brauchen andere Menschen, um in der Welt zurechtzukommen. Die soziale Abhängigkeit und die Diskrepanz zwischen vermuteter und tatsächlicher Leistung beeinflussen unseren Platz in der Gesellschaft und unser Selbstbild.

Überschätzung

Blind zu sein wirkt sich scheinbar erheblich auf viele Fähigkeiten aus – auch auf solche, die nichts mit dem Sehen zu tun haben. Menschen trauen uns Blinden gar Magisches zu – beispielsweise ein besonders gutes Musikgehör. Viele denken vermutlich an Ray Charles, Andrea Bocelli, Stevie Wonder. Doch diese musikalischen Fähigkeiten sind bei Blinden genauso (wenig) verbreitet wie bei Sehenden.

Es stimmt allerdings, dass Blinde überdurchschnittlich gut hören und tasten. Angeboren ist das nicht, sondern Ergebnis eines lebenslangen Trainings der funktionalen Leistungen dieser Sinne (Glofke-Schulz, 2007). So lernen wir, Dinge zu hören, die Sehende üblicherweise sehen: Eine Wand klingt z.B. anders als ein Durchgang. Insbesondere trainieren wir die Apperzeption, also die Verarbeitung und Organisation von Sinneseindrücken (ebd.). So gibt die Sprachausgabe an meinem Computer Texte so schnell wieder, dass sie für Sehende nur noch als Geräusch vernehmbar sind. Neben der auditiven Verarbeitung stärken wir auch den Tastsinn. Wir brauchen das hochdifferenzierte Spüren in den Fingerspitzen, um beispielsweise Blindenschrift zu lesen und Münzen zu erkennen.

Unterschätzung

So wenig uns Blinden der sechste Sinn angeboren ist, so unangemessen ist es, uns eine Unkenntnis der Welt zu unterstellen. Sehende betrachten die Welt vorrangig visuell und verknüpfen viele Dinge mit den Augen. Das überschätzt die Bedeutung des Sehens.

Richtig ist: Viele Informationen sind auf den Sehsinn ausgerichtet. Wahrscheinlich weiß jedes Kind genau, wie ein Autobahnkreuz funktioniert. Diese Kenntnis habe ich mir erst als Erwachsene erschlossen. Darüber hinaus gibt es wenig Routinen, Sichtbares zu verbalisieren – beispielsweise brauchbare Wegbeschreibungen ohne Karte. Diese Umstände erschweren Blinden den Zugang zu Informationen. So verbreitet sich die Annahme, Blinde seien „schwer von Begriff“. Unter derlei Unterschätzung leidet die Markttauglichkeit sinnesbehinderter Coaches. Klienten fordern ausdrücklich nicht nur die persönliche, sondern auch die fachliche Anknüpfungsfähigkeit des Coachs.

Soziale Abhängigkeit

Wir Blinden brauchen Hilfe, um banalste Dinge zu erledigen – Briefe lesen, Kleidung auswählen, die Übersicht im Vorratsschrank behalten. Dankbarerweise ermöglicht uns Technologie an vielen Stellen Freiheit. Doch die soziale Abhängigkeit bleibt. Sie prägt uns von klein auf.

Autonomie scheint manchmal unerreichbar. Ich kenne von vielen Blinden die Sehnsucht, etwas zu tun, ohne vorher alle möglichen Leute fragen zu müssen. Manchmal fühlt sich die Abhängigkeit wie ein Gift an, das wir nur mit viel Mühe aus Beziehungen heraushalten. Andererseits verschaffen uns diese Erfahrungen ein feines Gefühl für Abhängigkeiten und ihr Ausnutzen. Das hilft im Coaching. Hier sind Machtdynamiken ständig relevant.

Leistungsdiskussion

Das Spannungsfeld zwischen Unter- und Überschätzung und die spürbare soziale Abhängigkeit beeinflussen bei vielen Blinden die wahrgenommene Kompetenz – so auch bei mir. Geht es um Kommunikation oder Resilienz, muss ich kaum etwas vorweisen. Menschen trauen mir hier „von Natur aus“ Expertise zu. Viele glauben, die „furchtbare“ Blindheit mache mich zur Resilienzexpertin und meine magischen Fähigkeiten beim Hören zum Profi der gesprochenen Sprache.

Ganz anders bei Leadership und Zusammenarbeit. Für viele Sehende liegt das als anspruchsvolles Thema weit außerhalb meiner Kompetenzen. Ich erlebe einen Rechtfertigungsdruck – trotz Studium und vieler Jahre Berufserfahrung. Die tägliche Über- und Unterschätzung sowie soziale Abhängigkeiten beeinflussen die Art, wie ich mich in meiner Profession bewege. Dieser Umstand betrifft viele behinderte Menschen. Und auch Nichtbehinderte kennen das – in weniger ausdrücklich benannter Form.

Besonderheiten im Coaching-Prozess

Der Coaching-Prozess bei mir ist kaum anders als jener sehender Coaches. Die Unterschiede liegen in einigen Aspekten und Arbeitsgrundlagen, die Besonderheiten aufweisen. Einige davon sind auch für Sehende relevant.

Auftragsklärung

Die Blindheit muss ich rechtzeitig ansprechen und angemessen besprechbar machen. Versäumte ich das in der Vergangenheit, verschreckte ich potenzielle Klienten. Klienten benötigen und verdienen Transparenz. Manche Coaches beziehen das nur auf den Prozess, obwohl das auch hinsichtlich ihrer Person selbst sinnvoll ist – insbesondere wenn gesellschaftliche Stigmata im Spiel sind. Auch Coaches dürfen und sollen sich im Coaching ihren Klienten zeigen. Es ist ratsam, offen die Themen zu identifizieren und zu benennen, auf die das Gegenüber mit Verdrängung oder Abwertung reagieren könnte.

Unbewusste Abwehrprozesse gegenüber behinderten Menschen sind auch umgekehrt möglich. Viele nichtbehinderte Coaches scheuen sich, Klienten mit Behinderung anzunehmen. Sie befürchten wohl, nicht über die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen zu verfügen. Coaches ohne Behinderung verweisen Klienten mit Behinderung daher oft an behinderte Kollegen (Heil, 2019). Vermutlich wurzelt die „Ausrede“ der fehlenden Fachlichkeit oft in unbewussten Abwehrprozessen.

Meine eigene Praxis bestätigt das: Ich berate überproportional viele sehbehinderte und blinde Klienten. Die Empfehlungen stammen dabei vor allem von Coach-Kollegen und nicht, wie sonst üblich, von Kunden.

Allerdings bin ich, nur weil ich blind bin, nicht als Coach für andere Blinde prädestiniert. Wir teilen lediglich einen Erfahrungsraum. Auch bei der Annahme oder Ablehnung von Klienten ist Transparenz ein Arbeitsauftrag. Sonst besteht die Gefahr der Selbsttäuschung.

Sprache sehen und hören

Coaching ist ein professionelles Gesprächsformat. Viele Aspekte kommen beim Sprechen zusammen: Wortwahl, Intonation, Atmung, Pausensetzung, Artikulation, Mimik, Kontext, Stimmung und viele mehr. Dieser „Gesamtausdruck“ lässt sich in drei Bereiche einteilen.   

  • Verbale, inhaltsbezogene Teile des Sprechens wie die Grammatik und gedankliche Strukturierung.
  • Vokale Aspekte wie die Sprechgeschwindigkeit oder die Stimmhöhe.
  • Nonverbale Teile wie Gesten und die Haltung.

Menschen nehmen den Gesamtausdruck mit all ihren Sinnen wahr – dominant sind das Hören und Sehen. Daher ordnen Sehende nonverbale Anteile häufig nur dem Sehen zu. Manches zeigt sich dem Auge früher als dem Ohr. Aber wie jemand sitzt und welchen Gesichtsausdruck er hat, ist auch hörbar, sobald er spricht. Wir Blinden lernen früh, diese nonverbalen Anteile auditiv aufzunehmen. Dies trägt wohl wesentlich zum zuvor erwähnten „magischen Ruf“ bei.

Ein Problem bleibt dabei die Kontaktaufnahme. Wenn sie uns jemand verweigert, nehmen wir das nicht wahr. Etwas zu jemandem zu sagen, der uns nicht zugewandt ist, ist unangenehm, peinlich und fühlt sich dumm an. Sehende leiten Gespräche oft über den Blickkontakt ein. Für uns Blinde gilt: Wer nicht mit uns spricht, den „gibt“ es nicht.

Insbesondere im Online-Setting zeigt sich die Bedeutung des Auditiven. Selbst bei perfekten Lichtverhältnissen und idealer Internetverbindung bleibt aufgrund des kleinen Bildausschnittes vieles im Dunkeln. Die digitalen Kosten des Hörbaren sind geringer. Zwar geht die Räumlichkeit verloren – alle Sprecher kommen aus der gleichen Richtung. Doch die meisten hörbaren Signale des Gesamtausdrucks bleiben zugänglich und werden i.d.R. nicht kaschiert – im Gegensatz z.B. zum Abwenden des Gesichts von der Kamera oder gar der Abschaltung der Bildübertragung. Daher ist es auch für Sehende ratsam, explizit das Hören und bewusste Verarbeiten vokaler und v.a. auch nonverbaler Signale, sprich das „gute Zuhören“ zu trainieren.

Gutes Zuhören heißt, mit dem Gesprächspartner in wahrer Berührung zu sein; sich voll auf das Erleben des Klienten und dessen Deutung des Erlebens einzulassen; die innere Auseinandersetzung des Klienten mit all seinen Facetten zu erfassen (Biermann-Ratjen et. al., 2016). Zuhören – auch als empathische Zuwendung – ist einer der grundlegenden Wirkfaktoren im Coaching-Prozess (Lindart, 2017; Rogers, 1959).

Datenüberflutung

Daten zu sammeln und viel wissen zu wollen – egal, ob relevant oder nicht – scheint ein Zeichen unserer Zeit zu sein. Große Datenmengen haben ein überwältigendes Potenzial. Das kennen wir Blinden nur zu gut. Ist die Küche vollgestellt, wird es für uns chaotisch bis hin zu bedrohlich. Während Augen hier leicht einen Überblick verschaffen, sind andere Sinne weit unterlegen.

Allerdings haben Sehende im Alltag viel Input und den Stress, daraus relevante Informationen abzuleiten. Im Vergleich dazu haben wir Blinden wenig Daten zur Verfügung und lernen, so viele Informationen wie möglich daraus zu generieren. In der Auftragsklärung erfrage ich daher nur die Aspekte, die ich brauche, um über die Zusammenarbeit zu entscheiden. Im Laufe des Coachings kommt alles weitere. Ist das empathische Zuhören voll da, werden sich wichtige Informationen an relevanter Stelle zeigen.

Wichtig ist: Es gibt Situationen, an denen das Abfragen vieler Daten unverzichtbar ist. Das Coaching gehört für mich nicht dazu. Es braucht „nur“ so viel, um das Erleben des Klienten, seine Deutung des Erlebens und seinen Umgang damit erfassen zu können. Für Sehende gilt hier: Es kann sinnvoll sein, abzuwägen, welche Informationen in bestimmten Kontexten nötig und nützlich sind. Das mindert den Stress, alles aufnehmen zu müssen, und erhöht die Fähigkeit, sich voll auf das Gegebene zu konzentrieren.

Notizen und Strukturierung

In ähnlicher Weise sind Notizen während eines Gesprächs für mich eine Datenüberflutung. Sehende Coaches können in einem Klientengespräch rasch einen Blick auf ihre Notizen werfen oder etwas aufschreiben. Die Arbeit mit der Braillezeile und Sprachausgabe hingegen stört im Coaching. Versuche ich, gleichzeitig der Sprachausgabe und dem Klienten zuzuhören, merkt er sofort, dass ich nicht mehr bei ihm bin.

Vielleicht ist das beim Sehen anders. Vielleicht ist die hörende Zuwendung trotz sehender Abwendung möglich. Oder vielleicht ist das Abwenden der Augen beim Zuhören nur so verbreitet, dass die Wirkung nicht mehr klar zu spüren ist. Bei uns Blinden ist die Abwendung zugunsten der Sprachausgabe potenziell ein Abbruch der Beziehung. Die kritische Ableitung hieraus ist: Braucht es wirklich jede Notiz während eines Klientengesprächs oder bleibe ich lieber mit meinem Fokus beim Klienten?

Für diejenigen, die während des Coaching-Prozesses nicht auf Notizen verzichten wollen, ist es wichtig, den Klienten vor dem Prozess auf diesen Vorgang hinzuweisen und die Erlaubnis dafür einzuholen – vielleicht fühlt er sich unangenehm beobachtet und bewertet, wenn der Coach ständig notiert und nachblättert. Wichtig ist es, aus dem Notieren/Nachlesen einen eigenen Schritt zu machen, Exploration, Reflexion und Aufschreiben zu trennen. Diese erlaubte Unterbrechung nimmt Stress vom Coach und insbesondere vom Klienten.

Methodik

Viele gängige Methoden wie die Arbeit mit Bildkarten oder am Flipchart sind für mich nur eingeschränkt umsetzbar. Neue, v.a. digitale Trends sind meistens anstrengend und aufwendig. Besonders ärgerlich ist, dass viele Methoden in der Fachliteratur nicht barrierefrei zugänglich sind. Wer stellt schon Alternativtexte für Fotos und grafische Darstellungen bereit? Methodisch werde ich, werden blinde Coaches wohl nie die Ersten am Markt sein. Mir hat es geholfen, einzuordnen, was mich verunsichert. Selbst, wenn das keine unmittelbare Abhilfe schuf. Diese Form der Reflexion und Erkenntnis der eigenen Unsicherheiten und „Schwächen“ ist für alle Coaches ratsam, auch regelmäßig in einer Supervision.

Zugleich setze ich gerne visuelle Methoden ein. Allerdings kann ich nicht selbst ein Beispiel malen, sondern nur verbalisieren. Gemalte Bilder der Klienten erfasse ich über deren Beschreibungen. Ein Bild durch die Augen eines anderen zu sehen, birgt oft besondere Erkenntnisse: Was ist dem Klienten bei der Beschreibung besonders wichtig? Warum achtet er z.B. mehr auf Farben als auf Figuren? Ausprobieren lohnt sich!

Die Hürden des Alltags als blinder Coach

Mir geht es gut als Blinde. Die moderne Welt bietet viele Möglichkeiten, meinen Alltag zu bewältigen. Doch es bleiben Schwierigkeiten und ein hoher Anpassungsaufwand an sich verändernde Strukturen. In diesen seltenen Momenten komme ich an meine Grenzen und denke: Jetzt wäre sehen ein echter Vorteil. Fällt ein Zug aus, ist mehr zu tun, als eine neue Verbindung zu suchen. Und es bleibt die Angst, doch noch verloren zu gehen.

Informationstechnologie

Der Ausbau der digitalen Welt kommt mir zugute. Er eröffnet mir nie dagewesene Türen zum Markt. Der Austausch mit Klienten, das Lesen von Fachliteratur und das Formulieren von Angeboten waren früher umständlich. Inzwischen schafft mir der Screenreader in vielen Bereichen einen Zugang.

Andererseits birgt der digitale Wandel eines der größten Exklusionspotenziale für Blinde. Deklarierte Barrierefreiheit reicht selten bis auf meine Braillezeile. Vieles lässt sich irgendwie bedienen, ist jedoch alles andere als barrierefrei. Websites, die keine Alternativtexte hinterlegen, mysteriöse Buttons, die irgendetwas auslösen, Häkchen, die sich nicht setzen lassen.

Die komplizierte Kombination aus Hardware, Software und Screenreader sorgt ständig für Probleme. Technologie ist für mich ein hohes Berufsrisiko und mit erheblichen Kosten verbunden. Präsentationen über geteilte Bildschirme kommen bei mir nicht an. Glücklicherweise sprechen Menschen.

Selbstständigkeit

Für viele liegt der Reiz der Selbstständigkeit darin, alles alleine machen und bestimmen zu können. Der Berufseinstieg als Coach benötigt vergleichsweise wenig externe Ressourcen. Viele Kollegen erledigen alles selbst – vom Marketing über die Buchhaltung bis hin zum Online-Auftritt. Ich hingegen brauchte zuerst externe Ressourcen und hatte erst dann den Freiraum, an die Selbstständigkeit zu denken. Administrative und unternehmerische Vorgänge sind bei mir untrennbar mit Planung und menschlicher Unterstützung verbunden. Würde ich Angebote, Website und soziale Kanäle allein bearbeiten, käme es zu visuellen Schandtaten. Und viele administrative Aufgaben bearbeiten Sehende im Gegensatz zu mir in Sekundenschnelle.

Dankbarerweise unterstützt der Staat behinderungsbedingte Ausgaben. Trotzdem fließen darüber hinaus rund 30.000 Euro meines Jahresumsatzes in behinderungsbedingten Mehraufwand. Ein hochstrategisches Vorgehen und ein wirtschaftlicher Umgang mit den persönlichen Ressourcen sind zwingend.

Das alles klingt wie eine große Klage. Allerdings ist es definitiv möglich, als blinder Mensch Erfolg im Business-Coaching zu haben. Das soll den Menschen mit Behinderung, die sich an diesen Beruf heranwagen wollen, Mut machen.

Fazit

Klienten und Kollegen erscheint es oft als besonders nützliche Eigenschaft, ein blinder Coach zu sein. Dafür gibt es aufgrund der erworbenen Fähigkeiten insbesondere hinsichtlich des Hörens gute Anhaltspunkte. Denn ohne bewusstes Hören und empathisches Zuhören lässt sich kaum eine gute Coach-Klient-Beziehung aufbauen.

Und gerade diese Beziehung als bekanntlich wichtigster Wirkfaktor im Coaching verdient auch die größte Aufmerksamkeit. Entsprechend ist es ratsam, alles zu stärken, was die volle Zuwendung zum Klienten erleichtert, und alles fallen zu lassen, was sie mindern könnte.

Literatur

Biermann-Ratjen, E.-M.; Eckert, J. & Schwartz, H.-J. (2016). Gesprächspsychotherapie. Stuttgart: Kohlhammer.

[DBSV] Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (2023). Zahlen & Fakten. Abgerufen am 31.10.2023: www.dbsv.org

Glofke-Schulz, E.-M. (2007). Löwin im Dschungel. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Heil, C. (2019). Psychotherapie für Menschen mit Körper- und Sinnesbehinderungen. In W. Dorrmann; T. Mösler; A. Rose; S. Poppek & J. Kemper (Hrsg.), Psychotherapie von und für Menschen mit Behinderung (S. 13–31), Tübingen: Psychotherapie-Verlag.

Lindart, M. (2017). Den Blick auf die wirksamen Dinge richten! Coaching-Magazin, 9(1), S. 49–53.

Rogers, C. R. (1959). A Theory of Therapy, Personality, and Interpersonal Relationships, as developed in the Client-Centered Framework. In S. Koch (Hrsg.), Psychology: A Study of Science. Study 1, Volume 3 (S. 184-256), New York: McGraw-Hill.

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