Unsere Coaching-Ausbildung erstreckt sich über zwei Jahre und beinhaltet zwölf Workshops à drei Tage sowie einen zusätzlichen Praxisteil im zweiten Ausbildungsjahr. Da liegt die Frage nahe, ob man die Ausbildung nicht auch in einem Jahr, in sechs Wochen am Stück oder mit weniger Ausbildungstagen machen kann. Wo es Nachfrage gibt, gibt es auch die entsprechenden Angebote. In den letzten Jahren ist auf dem Markt der Coaching-Ausbildungen die Tendenz zu beobachten, immer größere Erfolgsversprechen in immer kürzerer Zeit zu propagieren.
Deshalb ist die entscheidende Frage, was soll denn am Ende der Ausbildung dabei herauskommen? In meinen Augen braucht es für professionelles Coaching die fundierte Mischung aus Wissen, Können und der entsprechenden Persönlichkeit. Je kürzer und je komprimierter eine Ausbildung ist, umso höher wird der Anteil an kognitivem Wissen. Die angehenden Coaches kennen dann Modelle, Methoden und Tools, aber können sie diese auch gezielt und wirksam anwenden? Entwicklungsprozesse sind sehr komplex. Kognitives Wissen allein bleibt recht eindimensional an der Oberfläche, während Psychodynamik, Emotion und Motivation auf einer tieferen Ebene stattfinden.
Die Alternative dazu ist verinnerlichte Kompetenz, die Wissen mit Erfahrung und emotionaler Tiefe verbindet. In diesem Fall ist eine Coaching-Ausbildung keine reine Wissensvermittlung, sondern auch ein individueller Entwicklungsprozess. Aber Entwicklung braucht Zeit. Viele kennen wahrscheinlich den Spruch, „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Es braucht die Zeit, die neuen Erkenntnisse und Erfahrungen zu reflektieren, zu verdauen und zu integrieren. Dadurch kann man in die Rolle als Coach langsam hineinwachsen und eine glaubwürdige und wirksame Coach-Persönlichkeit entwickeln.
Methoden und Tools wirken in erster Linie durch die Haltung und Persönlichkeit des Coaches. Insofern ist es sinnvoll, in der Ausbildung gleichzeitig sowohl an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten als auch an der Rolle und Haltung als Coach. So wird schrittweise ein grundlegendes Verständnis von Entwicklungsprozessen aufgebaut sowie ein individuelles Methodenportfolio, das zur eigenen Persönlichkeit passt. Das ist ganz schön aufwendig, reichen denn nicht einfach ein paar gute Methoden und Modelle? Nein. Und dafür gibt es mehrere Gründe.
Coaches können nur dann ihre Klienten glaubwürdig auf deren Entwicklungsweg begleiten, wenn sie selber bereit sind, sich sowohl persönlich als auch professionell weiterzuentwickeln.
Entwicklungsprozesse sind nicht linear und lassen sich dadurch nicht in ein starres Programm hineinzwängen. Deshalb brauchen Coaches ein hohes Maß an Gespür für die Dynamik und gleichzeitig Flexibilität im Handeln. Nur dann können sie situativ aus ihrer Kompetenz die Fähigkeiten abrufen, die gerade gefordert sind.
Erfahrene Coaches und Prozessbegleiter machen dies intuitiv. Dazu müssen sie jedoch die eigene Resonanz an Gefühlen und Gedanken verstehen und nutzen können. Der Coach ist dann wie ein Instrument, das feine Schwingungen aufnimmt. Dieses Instrument muss entwickelt und kontinuierlich gestimmt werden. Gleichzeitig müssen Coaches diese Resonanz mit ihrem grundlegenden Wissen von Entwicklungsprozessen abgleichen können.
Sie brauchen zum Navigieren also sowohl den Kompass als auch die Landkarte. Und dann natürlich die entsprechenden Handlungsoptionen.
Auch dazu brauchen Coaches Kompetenzen, die weit über Methoden hinausgehen. Sie müssen z.B. erkennen, wo Energie und Motivation im Prozess gebunden sind, und diese konstruktiv zu nutzen wissen. Sie brauchen die Fähigkeit, Menschen herauszufordern und ihnen gleichzeitig den dafür notwendigen Halt zu geben. Coaches müssen die notwendigen Ressourcen für den nächsten Schritt aufbauen und eigene emotionale Befindlichkeiten sowie Meinungen zurücknehmen können. Lässt sich das alles im Schnellverfahren lernen? Nein.