„Professionalität ist wie der Charakter einer Musik: Er bleibt, auch wenn die Melodie und die Instrumente wechseln.“ (Schmid, 1998)
Professionalität ist mehr als berufliches Können. (Schmid, 2019) Die „Beheimatung“ in einem Beruf und in Berufsfeldern kommt hinzu. Professionelle Identität ist so komplex wie Persönlichkeit. Am Ende ist jeder ein Unikat mit eigenen Varianten und unverwechselbaren Merkmalen, die gar nicht so leicht auf den Begriff zu bringen sind. Und doch gibt es auch den Typus, der sich in jeweilige Gesellschaftsfelder eingefügt und dem Zeitgeist unterworfen bleibt. Für Professionalität und die Identität als Professional ist die Reduktion auf eine bestimmte Schule, auf bestimmte Inhalte, Methoden oder Settings zu eng. (Schmid & Gérard, 2012) Hier muss sich jeder auf den oft unübersichtlichen Weg der Selbstfindung machen.
Professionalisierung bedeutet demnach zum einen, ein Handwerk zu erlernen, also Fertigkeiten zu erwerben bezogen auf Inhalte, Methoden, Themen und Kunden, sowie das Sich-vertraut-Machen mit Rollen, den Wirklichkeitsorientierungen und den Lebensvollzügen in einem Beruf sowie mit den Gebräuchen der Gemeinschaften und Märkte. Zum anderen geht es aber auch darum, sich sehr individuelle Fragen immer wieder zu stellen:
Dies sind schon recht differenzierte Fragen. Wenn man noch wenig über sich reflektiert hat, über einen Beruf und das Berufsfeld weiß, müssen Antworten auf solche Fragen zunächst undifferenziert ausfallen. Dennoch gibt es manchmal intuitive Antworten, die richtungsweisend sein können. Vor fast 50 Jahren wurde uns Studenten auf einem gruppendynamischen Seminar eine Amerikanerin als Konsultantin vorgestellt. Ich wusste nicht, was das war, aber sehr wohl sofort, dass ich das werden will.
Sich selbst differenzierter verstehen kann man nur, wenn sich allmählich ein dafür geeignetes Verstehensfeld entwickelt. Dabei helfen Begegnungen mit Weggefährten, mit solchen, die vorausgehen und als Rollenmodelle dienen, und anderen, die auf ähnlicher Suche sind, mit denen man zusammen lernen und arbeiten kann. Für die Bestimmung der eigenen Professionalität sind darauf fokussierte Spiegelungsübungen besonders hilfreich, weil man bei der Selbstreflexion meist eine Ergänzung des eigenen Verstehensfeldes um andere Perspektiven braucht. Für Spieglungsübungen bezüglich eines professionellen Profils hat es sich – neben freien Assoziationen – bewährt, Beziehungsperspektiven vorzugeben. Also wird A z.B. von B als Kollege, von C als Auftraggeber, von D als interner Kooperationspartner und von E als Zielperson der Maßnahme gespiegelt. Dadurch werden die entscheidenden Umwelten erfasst, deren Resonanz letztlich erfolgsentscheidend ist. Und die anderen Player im Feld haben oft ein besseres Gespür als man selbst, worin der besondere Beitrag eines Professionals bestehen könnte. Und ganz praktisch hängt es von solchen Einschätzungen ab, ob man im entscheidenden Moment genannt wird und Chancen erhält. Damit vertrauensvolle Dialoge über Professionalität mit den anderen Playern im Feld gelingen, ist es gut, sich in einer dafür geeigneten Gesprächskultur zu üben.
Hinzu kommt, dass man eigene positive Besonderheiten zunächst nicht erkennt oder angemessen bewertet, weil sie einem zu selbstverständlich sind. Ich bin z.B. davon ausgegangen, dass jeder konzeptionell kreativ, an sinnvollen Hintergründen interessiert, in der Einordnung der Dinge und in ökonomischen Abwägungen klar, im Vorgehen entschieden und in der Beziehung zuverlässig ist. Ich kannte das nicht anders und war zunächst enttäuscht bis empört, wenn andere es hier mangeln ließen bzw. wenn ich ihnen zu viel zugetraut und wiederholte Verdeutlichung sowie kontinuierliche Unterstützung als unnötig angesehen hatte. Erst durch erlebte Kontraste erkannte ich in diesen Eigenschaften eigene herausragende Merkmale und ihren Wert. Ich lernte, mein eigenes Profil von anderen zu unterscheiden, ein wesentlicher Schritt zu mehr Selbstbewusstsein, zur angemessenen Beurteilung anderer Profile und zum Platzieren meiner Besonderheiten in Kooperationen.
Gelingt es zunehmend, irgendwie mit der persönlichen Professionalität wahrgenommen und nachgefragt zu werden, ist schon ein Einstieg in die Freiberuflichkeit geschafft. Man stellt sich zunächst marktorientiert auf und lässt sich bei Nachfragern und Kooperationspartnern auf das ein, was als Fragestellung eben auftaucht und womit man beauftragt werden soll. Eine interessante Lernphase, in der man aber auch unbefriedigende Erfahrungen machen kann. Kann man selbst die Art und Größe der Aufgabe schlecht einschätzen, gerät man leicht in ungeeignete Rollen oder Felder, irrt sich leicht bezüglich Umfang, Zeitrahmen, Flughöhe und notwendige Voraussetzungen beim Kunden. Insofern kann man auch an wohlgemeinte, aber illusorische Auftragsvorstellungen geraten, kommt in Gefahr, originäre interne Rollen und Verantwortlichkeiten ersatzweise zu übernehmen oder wird gar für Alibi-Funktionen benutzt.
Als Gegenmittel helfen persönliche Erfahrung und wachsende Umsicht. Doch mit der Zeit kommt man auch dazu, eigene Produkte und ein Programm, was man mit wem unter welchen Voraussetzungen wie macht, zu entwickeln. Damit kann man einerseits unerfahrenen Nachfragern klar machen, was man tun kann und was es braucht, damit ein Nutzen für den Kunden entsteht. Andererseits entwickelt man programmatische Vorstellungen, mit welcher Dienstleistungslogik man sich auf dem Markt anbietet.
Es macht z.B. einen Unterschied, ob man Team- und Führungsprobleme durch Einzel-Coaching der Beteiligten angeht oder ob man Settings schafft und Lernen organisiert zwischen denen, die konkret im Team zusammenwirken oder das Funktionieren ihrer Führungsbeziehung untereinander auszuhandeln haben. Häufig werden z.B. Coaches von Seiten der Führung dann gerufen, wenn die Geführten nicht so funktionieren, wie sich die Führungskraft das vorstellt. Oft sind solche Fragestellungen noch eingebettet in komplexere Wirkungszusammenhänge in der Organisation wie z.B. eine Führungskette. Dabei kann sich herausstellen, dass der Bogen eh überspannt ist, ein Coaching der Geführten keine wirkliche Chance bietet und daher erst strukturelle Entscheidungen getroffen werden müssen.
Auch ist zu überlegen, ob man nicht lieber der Führungskraft ein Führungs-Coaching anbietet und sie in der Führungsverantwortung herausfordert. Wenn Nachholbedarf bei der Führungskraft akzeptiert wird, kommt der Coaching-Effekt dem Unternehmen in vielleicht vielen Führungsbeziehungen über längere Zeit zugute. Dies vielleicht noch mehr, wenn die Entwicklung der Führungsbeziehung unter Anteilnahme im Team erfolgt und dadurch Lerneffekte bei allen im Team einerseits und eine gemeinsame Führungs-Dialog-Kultur andererseits gefördert werden. Viele Folgefragen können dann künftig im Team selbst gelöst und die notwendigen Klärungs- und Lernprozesse in Eigenregie gestaltet werden.
Entscheidet sich der Freiberufler, in Richtung solcher System-Lerneffekte zu gehen, muss er sich anders aufstellen, als er es müsste, würde er sich auf Einzel-Coachings einlassen. Dies hat auch Konsequenzen für die eigene Arbeitsorganisation – dafür, wen man im Kundenunternehmen als entscheidenden Auftraggeber ansieht und was mit diesem zu verhandeln ist. Es hat Auswirkung auf die Preisgestaltung, die Wahl eventueller Kooperationspartner und die Reifegrade der anderen in einem bestimmten Marktsegment. Schritte in eine solche Entwicklung sind insbesondere wichtig, wenn Freiberuflichkeit vielleicht in späteres Unternehmertum münden soll. Damit schafft man die Basis für ein Produktprogramm und eine Marke, die irgendwann ihr eigenes Kraftfeld entwickeln und sich andere Dienstleister darunter versammeln. Kunden wie Partner können daran ihre impliziten Programmvorstellungen reflektieren, Implizites explizit machen und Programmatiken auf Passung prüfen. Die folgende Abbildung veranschaulicht, dass der Nutzen von Coaching für Organisationen auch davon abhängt, ob die Programme, wie Coaching angegangen werden soll, zusammenpassen.
Ob das Vertrauen in einen Dienstleister gerechtfertigt ist, hat neben einzelnen überzeugenden Produkten und überzeugenden Persönlichkeiten mit einem überzeugenden Produktprogramm und dessen nachhaltiger Bereitstellung zu tun.
Ein erfahrener Kollege gab mir mal mit auf den Weg: „Neue Produkte auf etablierten Märkten sind schwierig wie auch etablierte Produkte auf neuen Märkten. Fast unmöglich sind jedoch neue Produkte auf neuen Märkten.“ So räumte er mit meiner Vorstellung auf, dass unerschlossene Märkte und völlig neue Produkte besondere Marktchancen versprechen. Doch wie und wo positionieren? Setzt man wie tausend andere auf Modethemen und das übliche Marketing, so ist damit meist nur wenig umzusetzen und noch schwieriger eine eigene Marke aufzubauen oder ein eigener Markt zu erschließen. Andererseits sind neue Themen toll und die Identifikation mit ihnen ist verständlich, besonders wenn man fürchtet, sonst ewig mit dem Bauchladen unterwegs zu sein. Doch hat man dafür kompetente und innovative Kunden oder eher Kunden, die gerne bequem einkaufen und anspruchsvolle Produkte eher scheuen? Will man eine Marke aufbauen, dann muss man frühzeitig Themen am Horizont und erwachende Märkte entwickeln. Oft greifen Ideen, wie Markenerfolg am Markt zu erreichen ist, zu kurz.
Die Herausforderung, sich in einem Markt zu etablieren und zu einer Marke zu werden, wird oft unterschätzt. Nachfrage-Gewohnheiten müssen sich erst entwickeln und man muss Wege finden, in den Nachfrage-Routinen berücksichtigt zu werden. In vielen gesellschaftlichen Feldern mag man zwar selbst einen Bedarf sehen, dennoch kann das Interesse an konkreter Nachfrage fehlen. Oder man bekommt immerhin schon Schulterklopfen für Angebotsideen von solchen, die für konkrete Nachfrage nicht entscheidend sind. Auch könnten interne Fachleute und Auftraggeber ein Produkt oder eine Vorgehensweise durchaus interessant finden, aber zugleich bemerken, dass beim Reifegrad ihrer Organisation dafür mehr zu investieren wäre, als sie leisten können oder mögen.
Oft sind Ideen und Adressaten richtig, doch ist die Zeit nicht reif. Auch wer zu früh kommt, den bestraft die Geschichte. Man muss lernen, was wann wie entwickelt werden muss, damit es in Anfängen schon platziert werden oder liegengelassen werden kann, bis die Zeit reif ist. „Der Samen der besseren Ideen muss oft lange auf den Pflug des Umbruchs warten.“ (Schmid, 1998) Je mehr ein Konzept dem Mainstream voraus ist, desto länger muss es auf seine Stunde warten. Einige meiner Konzepte dümpelten 10 bis 20 Jahre, bis sie richtig Rückenwind bekamen. Man sollte so wirtschaften, dass man mit neuen Produkten und in neuen Märkten nicht auf schnellen Erfolg angewiesen ist. Auch chancenreiche Vorhaben brauchen oft jahrelange Anlaufzeiten und mehrere Relaunches. Wenn wegen dem Ausbleiben von schnellem Erfolg ständig umgemodelt wird, ohne dass Dinge ausreifen und sich herumsprechen können, ist das, als würde bald nach der Saat der Acker neu gepflügt und Pflanzversuche früh abgebrochen werden, weil sie nicht gleich wie erwartet gedeihen oder Ertrag bringen.
Viele arbeiten zunächst im Rahmen ihres früheren Arbeitgebers nach dessen Logik als „semi-externe“ Freiberufler. Andere entwickeln sich als Mitarbeiter eines etablierten Dienstleistungsunternehmens, das bereits mit Produkt- und Programmentwicklung sowie Markterschließung erfolgreich war. Dabei verkennen sie vielleicht die Bedeutung der unternehmerischen Vorleistungen und Rahmenpflege für ihre Arbeit. Manche glauben, dies auch selbst nebenbei leisten zu können, indem sie eigene Themen und Programme entwickeln und damit an den Markt gehen. Und es gibt welche, die genauso tatsächlich erfolgreich sind, doch ist das nicht die Regel. Von interessanten Themen und spannenden Programmideen zum Markterfolg kann der Weg lang sein.
Wenn man keine deutliche Vorstellung von Marktpositionierung hat, kann man Kollegen und potentielle Kunden einladen, dies mit einem zusammen zu erkunden. Was braucht der Markt und welche der angestrebten Themen, Produkte und Programme könnten angenommen werden? Wen muss man dabei erreichen und wie bekommt man Zugang zu Beurteilern und Entscheidern? Auch kann als Einschätzungshilfe ein Initiativ-Team zusammengestellt werden, Leute, mit denen man gerne zusammenarbeiten möchte (Kollegenperspektive) oder solche, die den Markt kennen (Marketingperspektive) oder die Zugänge zu Schlüsselkunden eröffnen sollen (Vertriebsperspektive).
Abschließend die Frage, wozu man als Freiberufler Begriffe wie Markt und Produkt überhaupt braucht. Man muss sie natürlich nicht benutzen, jedoch müssen die Fragen, die damit aufgeworfen werden – wenn auch oft intuitiv – in der einen oder anderen Weise implizit beantwortet werden. Wer allein auf seine persönliche Wirkung setzt, braucht solche Begriffe dennoch in der Arbeit mit dem Kunden, weil in Unternehmen so gesprochen wird.
Je mehr etwas über die persönliche und situative Wirkung hinaus entwickelt werden soll und man vorhat, Richtung stabiles Dienstleistungsangebot durch ein Unternehmen zu gehen, umso mehr sollten die Persönlichkeitsleistungen multiplizierbar gemacht werden. Insgesamt bewegt sich zumindest im Bereich der größeren Unternehmen die Nachfrage in diese Richtung. Das heißt, die zu vereinbarende Dienstleistung muss von Eigenarten des persönlichen Lieferanten unabhängig beschrieben werden können, auch wenn sich in den Produkten und Programmen die Handschrift der Gründer zeigt. Die konkret erbrachten Dienstleistungen werden sich im persönlichen Stil unterscheiden, in den Haltungen, Inhalten und Vorgehensweisen aber ihren Charakter behalten, wenn die Lieferanten ausgetauscht werden. Dafür müssen Produkt und Programm lieferantenunabhängig definiert werden können und gleichzeitig durchlässig sein für die Spezialitäten des Lieferanten und seinen persönlichen Stil. Marke, Produkte und Programme sollten mehr einem Dienstleistungsunternehmen zugerechnet werden können als einer Person. Sie müssen bezüglich Herkunft, Qualität und stabiler Verfügbarkeit einen Eigenwert haben, der es opportun erscheinen lässt, die Treue zu diesem Dienstleistungsunternehmen zu halten. Sonst dauert es nicht lange, bis die persönlichen Lieferanten und die Kunden versuchen, diese Geschäfte untereinander zu machen. Dies kann durch rechtliche Absicherung kaum verhindert werden und wäre auch nicht gerecht, wenn keine echte unternehmerische Leistung mehr zu vergüten ist. Solche Überlegungen werden in einem Folgetext über Unternehmensführung fortgesetzt werden.
Oft entwickelt sich die Tätigkeit als Dienstleister zunächst ganz aus der persönlichen Eigenart im Ausfüllen einer professionellen Rolle. Um damit unternehmerisch stabil erfolgreich zu sein, sollte man sich mit Fragen der Produktentwicklung, der Märkte und des Unternehmertums auseinandersetzen. Selbst wenn am Ende die eigene Person als Dienstleister im Vordergrund bleibt, bereitet diese Klärung den Boden für einen guten Umgang mit entsprechenden Fragen der Kunden.