Kontrovers

Unseriöse Coaching-Anbieter erkennen

Ein Erfahrungsbericht

Coaching ist längst fester Bestandteil der Personalentwicklung vieler Unternehmen. Anfängliche Skepsis und Vorbehalte scheinen weitgehend aufgelöst. Dennoch sollten Einkäufer und Klienten bei ihrer Suche nach einem Coaching-Anbieter weiterhin Sorgfalt walten lassen – nicht nur, um das zum jeweiligen Anliegen passende Angebot zu finden, sondern auch, weil sich zwischen der Vielzahl seriöser Anbieter weiterhin auch schwarze Schafe tummeln. Anhand welcher Vorgehensweise und Merkmale unseriöse Anbieter zu erkennen sind, zeichnet dieser Erfahrungsbericht exemplarisch nach.

8 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2015 am 18.11.2015

Mehrere Arme und Hände sind zu sehen, die rote Karten in die Luft halten.

Im Februar 2015 rief mich ein Bekannter an. Zunächst freute ich mich, seine Stimme zu hören, und trug die Hoffnung, ein bisschen Lebenslust zu spüren, weil er letztes Jahr geheiratet hat und einen Traumjob ergattern konnte. Im wahrsten Sinne des Wortes schien für ihn ein neuer positiver Lebensabschnitt anzufangen. Plötzlich hörte ich jedoch Kummer und Sorgen und nahm Verzweiflung wahr.

„Nina, Du bist meine letzte Rettung. Meine Frau scheint einer Gehirnwäsche ausgeliefert zu sein. Ich erkenne sie nicht mehr wieder und habe Angst, dass sie sich noch weiter verliert, wenn sie sich coachen lässt. Ich brauche Deine Meinung zu einem konkreten Anbieter.“

Er erzählte mir, dass der Chef seiner Frau ihr in den letzten Monaten eingeredet habe, dass sie im Beruf nicht erfolgreich sei, in ihrer Partnerschaft keine erfüllte Liebe erfahre und sich fragen müsse, wie ihr Leben weitergehen soll. Da der Chef seit Jahren auf Coaching schwört und einen vermeintlich großartigen Anbieter gefunden habe, bucht er jedes Jahr Coachings für einzelne Mitarbeiter sowie ggf. Team-Coachings zur Wertschöpfung und Persönlichkeitsentwicklung. Das sei sein Incentiv zur Mitarbeitermotivation. Mein Bekannter sorgte sich, dass es bei dem Coaching-Institut möglicherweise „nicht mit rechten Dingen“ zugehen würde.

Coaching als fester Bestandteil der unternehmensinternen Personalentwicklung? Grundsätzlich erscheint diese Investition in die Mitarbeiter als wertschöpfend und wertschätzend – und somit auch als wirtschaftlich sinnvoll. Eigentlich toll. Andererseits sollte man stutzig werden, wenn sich die Mitarbeiter eines Unternehmens, wie der Erzählung meines Bekannten zufolge, nicht frei für das Coaching entscheiden, sondern zu diesem faktisch gezwungen werden; nach Aussage des Bekannten würden dort Coachings schlichtweg verordnet.

Dabei sind Freiwilligkeit und der eigene Veränderungswille feste Grundvoraussetzungen erfolgreicher Coaching-Prozesse. Der potenzielle Klient darf und soll sich aus eigenem Antrieb für oder gegen den Coach bzw. das Coaching entscheiden. Das geht nur auf Basis eines persönlichen Gesprächs zwischen ihm und dem Coach. Des Weiteren sollten bei jedem die Alarmglocken beim Wort „Gehirnwäsche“ läuten – ebenso wie bei Schilderungen, die ein sektenähnliches Verhalten vermuten lassen.

Die Homepage: keine Abgrenzung zur Psychotherapie

Mein Bekannter gab mir die Internetadresse des Coaching-Anbieters und bat um eine Einschätzung zu diesem. Auf den ersten, oberflächlichen Blick vermittelt die Internetseite einen positiven Eindruck: Verschiedene Ausführungen zum Thema Coaching und dessen Betrachtung in den Kontexten der Psychologie, Soziologie und Philosophie wirken beeindruckend. Das erklärte Ziel: Die Entwicklung des Menschen zu einem glücklichen Wesen. Ein Ort der Glückseligkeit?

Auf den zweiten Blick stellt sich Ernüchterung ein. Der Besucher und potenzielle Klient erhält keine Auskunft über Ablauf und Inhalte sowohl des Coachings als auch der zudem angebotenen Coaching-Ausbildung. Alles ist sehr vage gehalten. Die einzigen konkreten Informationen beziehen sich auf Buchungsoptionen.

Merkwürdig ist, dass zwar die Entwicklung der Psychotherapie oberflächlich beschrieben und erklärt wird, jedoch keine Abgrenzung der Psychotherapie zum Format Coaching zu finden ist, das sich – im Gegensatz zur Psychotherapie – ausschließlich an psychisch gesunde Klienten mit vollen Selbststeuerungskompetenzen wendet (Meier, 2015). Des Weiteren sind die dargestellten Erkenntnisse weit weg vom „state of the art“ der Coaching-Praxis und -Forschung.

Dieser Coaching-Anbieter vertritt den Standpunkt, der Mensch müsse sein Selbst umformen, weil er sich zu stark auf die Arbeitsweisen seines Verstandes manifestiere und damit eine starre Fixierung seines Selbst, sprich seiner Ansichten und seines Weltbilds, vorgenommen habe. Das Aufgeben dieser Fixierung sowie des Glaubens an die Kategorien „Hell und Dunkel“ bzw. „Gut und Böse“, bedürfe demnach eines Bewusstseins- und Denkwandels. Dieser werde anhand des folgenden Vorgehens hergestellt:

Zunächst müsse sich der Klient vollständig von negativen Gefühlen bezüglich seines bisherigen Lebens sowie von negativen Folgerungen und Vorwürfen, die aus seinen Erfahrungen resultierten, befreien. Daraufhin werde es möglich, seinen Fokus auf das „Hier und Jetzt“ zu richten – und zwar ohne bewertende Feststellungen. Diese wertungsfreie Haltung seines gegenwärtigen Lebens, ohne sowohl negativ als auch positiv verklärte Wahrnehmungen seines „Selbst“, sind ein Schritt, um Sorgen und Leid gänzlich abzulegen. Und gerade dieser Abbau der „Lasten“ und Fixierungen ermögliche die zielgerichtete Neuausrichtung der eigenen, vom Klienten erschaffenen Zukunft – einer erfüllten, glücklichen Zukunft, zumal die alten Sorgen, Nöte und Ängste schlicht vergessen oder „wertneutral“ seien.

Das Telefonat: ein defizitäres Menschenbild offenbart sich

Der geschilderte Ansatz mag zwar irritieren und ist insbesondere in Bezug auf die fehlende Abgrenzung zur Psychotherapie zu hinterfragen, doch kann man hieraus nicht ableiten, das „Gehirnwäsche“ usw. betrieben wird. Um aber die Antworten auf die Fragen des Bekannten zu erhalten – insbesondere zum Coaching-Ansatz, zum Coaching-Ablauf sowie zu möglichen Coaching-Themen und der Zielgruppen des Anbieters – rief ich dort an. Ein normaler Wunsch eines potenziell interessierten Menschen.

Direkt nach der Begrüßung wurde ich einem Fragebombardement ausgesetzt. Im Ergebnis hatte ich weder die Chance, über meinen Wunsch zu sprechen, noch habe ich Antworten auf meine Fragen erhalten. Vielmehr wurde ich ausgefragt, wie ich zum anderen Geschlecht stehe, ob ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern habe, ob ich Erfolg im Job habe und ob ich „lieb zu mir“ sei.

Mein Telefonpartner bot mir dann ein Analysegespräch zum Preis von 550 Euro an. Des Weiteren wurde mir angeboten, am kostenlosen Informationsabend teilzunehmen, um die Organisation, die Mitwirkenden und ein paar Ehemalige kennenzulernen. Dann hätte ich mehr Verständnis für den Ansatz des Anbieters und würde sicher die erste Analyse buchen – die Voraussetzung für ein anschließendes, kostenpflichtiges Coaching, das wiederum die kostenpflichtige Teilnahme an einem zukünftigen Training oder an einer Coaching-Ausbildung ermögliche.

Es drängt sich die Frage auf: Werden hier bewusst Abhängigkeiten geschaffen? In jedem Falle handelt es sich um ein Buchungskonstrukt, welches mit dem Grundsatz, der Coach habe sich überflüssig zu machen, indem er seinen Klienten in dessen Unabhängigkeit sowie Eigenverantwortung stärkt, wohl nur schwer in Einklang zu bringen ist.

Das Telefonat war nach etwa 25 Minuten beendet. Ich war fassungslos, was mir gerade widerfahren ist. Das Telefonat hatte keinerlei Bezug zur freien Willensäußerung oder den Anspruch, einen Menschen mit Respekt und Wertschätzung zu behandeln. Weder wurde ich wie ein Kunde behandelt, noch als Mensch oder genauer gesagt als potenzielle Klientin auf Augenhöhe respektiert. Stattdessen wurde mir ein stark defizitorientiertes Menschenbild offenbart. Mit dem Fragenkatalog wurde mir suggeriert, ich sei schlecht und lauter Problemen ausgeliefert.

Dieses problemzentrierte und defizitäre Menschenbild finden wir in manchen Heilbehandlungen, zuweilen auch in der Psychotherapie wieder – aber im Grunde nicht im Coaching. Bereits C. G. Jung ging davon aus, dass der Mensch per se krank sei. Letztlich, so hieß es am Telefon, könne ich nur glücklich werden, wenn ich mich in die Hände des Anbieters begebe.

Ein erneuter Blick auf die Internetseite des Anbieters verdeutlicht diese grundsätzliche Haltung: Jeder Mensch sei furchtsam, argwöhnisch und unvollständig, also ein unvollkommenes, leidendes Wesen. Insofern existiere in dieser Welt kein glücklicher Mensch und um das Glück, die Erfüllung zu erreichen, müsse sich folglich jeder Mensch umformen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Anbieter der Auffassung ist, jeden Menschen zu seinem Glück führen zu müssen – und nur er dies könne. Dem Menschen wird demnach keine Entscheidungsfreiheit und – im grundsätzlich am Klienten orientierten Coaching geradezu paradox – keine Andersartigkeit zugestanden, stattdessen wird davon ausgegangen, dass jeder positiv „gepolt“ werden müsse.

Der Informationsabend: der Eindruck erhärtet sich

Kurze Zeit später habe ich einen Einblick in den Informationsabend erhalten. Folgende Regeln müssen während des Informationsabends befolgt werden: Der Name ist zu nennen und auf der Brust sichtbar zu tragen. Das Handy bzw. Smartphone muss abgegeben werden. Zudem ist ein aktives Mitwirken Pflicht. Durch Zufall habe ich mitbekommen, dass der Abend nicht kostenlos ist, sondern jeder ehemalige Ausbildungsabsolvent verschenkt von ihm bezahlte Tickets an neue fremde Menschen. Unangenehm ist die Mitwirkungspflicht und die Abgabe von Smartphones und dergleichen, weil es einen Eingriff in meine Privatsphäre darstellt (ausschalten sollte reichen). Zweifel habe ich auch bei der Legalität der Tickets. Könnte hier ein unerlaubtes Schneeballprinzip versteckt sein? Anhaltspunkte sind zu wenig vorhanden.

In diesem Kontext wird das Bild des Buchungskonstrukts erneut geschärft: Man muss bestimmte Coachings, Seminare und Trainings kostenpflichtig buchen, um endlich an der Coaching-Ausbildung kostenpflichtig teilnehmen zu dürfen. Dies bedeutet, dass die Ausbildungsteilnehmer dem Menschenbild des Anbieters bereits zum Start ihrer Ausbildung stark ausgesetzt und – wie vermutet werden darf – vom Anbieter entsprechend „geeicht“ wurden.

Fazit

Dieses Angebot ist kein zeitlich begrenzter, auf Augenhöhe zwischen Coach und Klient stattfindender Prozess, sondern ein kostenintensiver und potenziell Abhängigkeiten schaffender Therapieplan. Den im Coaching als elementar geltenden Werten Freiheit, Freiwilligkeit oder Selbststeuerung und Ressourcenverfügbarkeit bin ich während meiner Recherchen nicht begegnet. Stattdessen wird mit einem defizitären Menschenbild gearbeitet, es wird unterstellt, man sei krank, suggeriert, man könne sich nicht selber helfen und werde nur in dieser Gemeinschaft wohl aufgenommen.

Was ich meinem Bekannten geraten habe, dürfte klar sein: Finger weg!

Literatur

Meier, Nina (2015). Ist Coaching Therapie? In Coaching-Magazin, 2/2015, 36–40.

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