Bereits 2019 berichtete das Coaching-Magazin in zwei Ausgaben über problematische Darstellungen von Coaching in den Medien (siehe „Wenn Coaching verrissen wird“ in den Ausgaben 3/2019 und 4/2019). Der damalige Eindruck: Nicht selten setzen selbst landesweit bekannte und seriöse Medien Coaching mit geradezu grotesken Angeboten gleich, die von esoterischer Geisterheilung bis hin zu sektenähnlichen Erlöserfantasien alles beinhalten. Verkürzt und vereinfacht gesagt lautete die Schlagrichtung: Coaching ist gleich esoterischer Humbug.
Zuletzt, d.h. seit Anfang 2023, ist eine neue Perspektive erkennbar: Coaching ist gleich Abzocke. Diese Darstellung wird v.a. durch Beiträge in diversen Fernsehsendungen genährt, darunter handelt es sich insbesondere um Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR). Was hat es damit auf sich?
Am 24.02.2023 veröffentlichte das ZDF Magazin Royale von Jan Böhmermann eine Folge unter dem Titel „SO machst DU Erfolgs-Coaches richtig ERFOLGREICH“. Es werden diverse Personen und Angebote vorgestellt, die von Böhmermann stets als „Business-Coaches“ bzw. „Business-Coaching“ bezeichnet und die durchweg als zumindest zwielichtig dargestellt werden:
Ein junger Mann bewirbt sein Produkt, mit dem er mehrere Millionen Euro in wenigen Monaten verdient habe – ohne zu arbeiten. In einer quasi investigativen Anfrage der Magazin Royale-Redaktion wird ihr ein Mindestumsatz von einigen Zehntausend Euro offeriert – vorausgesetzt, sie buche ein Seminar für knapp 4.000 Euro. Dieses „Angebot“ entpuppt sich als klassisches Schneeball-System. Zwischendurch erfährt man in kurzen Einspielern der vermeintlichen „Business-Coaches“ ihre tiefgreifenden Gedanken zu Brillen im Business, zur Käuflichkeit schöner Frauen und zu Business-Regeln. Eine der Regeln lautet natürlich: „nicht hinterfragen – machen!“.
In sehr typischer und damit sehr unterhaltsamer Böhmermann-Manier werden die hinter den Angeboten verborgenen Strukturen und Unternehmen aufgedeckt, die Lächerlichkeit der Aussagen entlarvt. Problematisch ist jedoch, dass es sich hierbei mehrheitlich um (dubiose) Marketing-Beratung oder schlicht um höchst triviale „Jetzt schnell reich werden“-Anleitungen handelt. Es ist ganz klar kein Coaching im Sinne einer seriösen, auf wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen bauenden Unterstützungsleistung (für Führungskräfte) im beruflichen Kontext. Entsprechend trivial und schlicht falsch ist Böhmermanns Definition von Coaching: „Ist nicht jeder ein Coach? Sobald man jemand anderem etwas erklärt, ist man Coach!“ (ZDF Magazin Royale, 2023, Min. 5:41-5:44)
Diese Folge des ZDF Magazin Royale hat allein bei YouTube über 3,2 Mio. Aufrufe und gehört damit zu den am häufigsten aufgerufenen Folgen der Sendung (Stand 22.03.2024). Das Coaching-Thema weckt offensichtlich Interesse. Das verdeutlicht auch die steigende Anzahl der Sendungen des ÖRR, die das Coaching-Thema in den Monaten nach dem Magazin Royale aufgreifen. Übernommen wird aber nicht nur das Thema, sondern auch der Tenor: Coaching wird mit betrügerischer Abzocke gleichgesetzt.
So steigt die Folge „Coaching boomt – Aber wer ist seriös?“ vom 07.06.2023 der investigativen ZDF-Sendung „Die Spur“ damit ein, dass die Moderatorin berichtet, sie kenne viele, die sich coachen ließen, für sie und viele andere Personen beim Wort „Coaching“ aber immer auch „Abzocke“ mitschwinge (Die Spur, 2023a). Es werden zwei sehr negative Beispiele geschildert, doch ordnet in der Mitte des Films ein Fachexperte vom Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP e.V.) den Coaching-Begriff gut ein. Jedem wird so deutlich, dass „Coaching“ etwas anderes ist. Besonders gut ist, dass fünf nützliche Kriterien zur Coach-Auswahl getroffen (u.a. Professionalitätsnachweise, Anliegenfokus, zeitliche Begrenzung) und ausgiebig erklärt werden. Diese Folge von „Die Spur“ ist ausgewogen.
Die wenige Tage später erschienene Anschlussfolge „Im Sog der Coaching-Szene“ ist es nicht (Die Spur, 2023b). Die hier geschilderten Fälle werden haarsträubend dargestellt: Es werden Knebelverträge mit obszönen Preisen, enorme Erfolgsversprechen und letztlich auf Betrug ausgerichtete Strukturen angeprangert. Nur: Was haben diese Angebote auch nur im Entferntesten mit Business-Coaching gemein, wie es noch in der Vorfolge definiert wurde? Das Label „Business-Coaching“ wird hier weder definiert noch hinterfragt – obwohl man es eindeutig besser weiß. Dass sich dieses Bild von „Business-Coaching“ in der Öffentlichkeit verfestigt, liegt einerseits an eben diesen Anbietern selbst, natürlich. Allerdings trägt auch diese Art der unreflektierten Berichterstattung dazu bei: Bezeichnender Weise hatte diese Folge auf YouTube über 415.000 Aufrufe, die vorige, ausgewogene Folge knapp über 46.000 Aufrufe (Stand 22.03.2024). Welcher Eindruck verbleibt so bei den Zuschauenden?
Natürlich wollen die Medien die Öffentlichkeit informieren, auf Missstände aufmerksam machen und so letztlich die Menschen vor Betrug schützen. Klar ist aber auch, dass die Medienschaffenden ein Interesse daran haben, dass ihre Programme von einem breiten Publikum gesehen werden: Ein Beitrag zu „Abzocke im Coaching“ läuft besser als „Kriterien professionellen Coachings“. Das liegt auch an unseren Präferenzen. Die zuvor genannten Aufrufe belegen dies.
Tatsächlich versuchen aber einige Beiträge einen Spagat. Wie z.B. die Folge „Das Coaching-System: Ist Mindset wirklich alles?“ von Echt? (WDR) vom 12.11.2023, in der der renommierte Coaching-Experte Prof. Dr. Uwe Kanning die Frage nach der Bedeutung des Mindsets im Coaching gekonnt und kritisch einordnet (Echt?, 2023). Jedoch wird auch hier nicht deutlich, dass es auch eine seriöse Seite des Coachings gibt. Aufrufe bei YouTube: über 292.000 (Stand 22.03.2023).
Ähnlich auch der Beitrag „Coaching: Das Geschäft mit der Hoffnung“ der ZDFheute Nachrichten, in dem die angeprangerten Methoden diverser Motivations-Trainer von Experten zwar kritisch reflektiert und eingeordnet werden, jedoch sehr undifferenziert mit dem Thema Coaching umgegangen wird (ZDFheute Nachrichten, 2023). Diese mangelnde Differenzierung des über 436.000 mal aufgerufenen Films (YouTube, Stand 22.03.2024) prangerte Dr. Christopher Rauen auf LinkedIn an (Rauen, 2024). Die immense Resonanz (fast 6.920 Likes und mind. 550.000 Aufrufe) zeigt den Unmut der (seriösen) Coaching-Branche über derlei Verallgemeinerungen und Zuspitzung in den Medien.
Wie es ganz anders geht, zeigt der Beitrag der Reihe „Die Ratgeber“ vom HR zum Thema „Daran erkennst du einen seriösen Coach“. Der Titel ist Programm, es kommen Fachexpertinnen wie Prof. Dr. Heidi Möller zu Wort, es wird sehr deutlich auf das seriöse, auf Wissenschaftlichkeit basierende Business-Coaching hingewiesen, Coaching-Verbände mit Qualitätskriterien werden klar benannt (Die Ratgeber, 2023). Dieser Beitrag wurde auf YouTube jedoch lediglich knapp 39.000 Male aufgerufen (Stand 22.03.2024).
Medien sollen unbedingt unlautere, sittenwidrige oder rechtswidrige Angebote aufzeigen und anprangern. Das ist ein Teil des Bildungs- und Informationsauftrags des ÖRR. Allerdings begehen einige Formate dabei allzu gern den Fehler der Verallgemeinerung und Vereinfachung, der bei nur etwas breiterer Recherche mit kurzem Blick weg von den Extrembeispielen leicht behoben wäre – und wird, schließlich gibt es auch positive Beispiele.
Was können wir tun?
Ein Ergebnis der aktuellen RAUEN Coaching-Marktanalyse 2024 zeigt: Über drei Viertel aller befragten Coaches sprechen sich dafür aus, dass „Coach“ ein staatlich anerkannter Beruf sein sollte. Das wäre zumindest eine erste große Hürde. Um das allerdings zu schaffen, sind insbesondere die mitgliedsstarken und damit mächtigen Verbände gefragt. Es ist an der Zeit, diese Macht zu nutzen und stärker eine Anerkennung des Berufs anzustreben – zumindest aber aktiv und deutlich dem negativen Coaching-Bild in der Berichterstattung und damit der breiten Öffentlichkeit Einhalt zu gebieten.