Wissenschaft

Zum Einfluss der Zielorientierung auf die berufliche Entwicklung von Führungskräften

Auswertung einer Studie

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2011 am 22.11.2011

Die persönliche Zielorientierung beeinflusst die Interpretation und die Herangehensweise an herausfordernde Aufgaben. Bezogen auf die Relevanz der Zielklärung für das Coaching stellt die Ausprägung der Zielorientierung des Klienten wesentliche Weichen für den Erfolg und die persönliche Entwicklung. Das Ziel dieser Studie von Scriffignano (2011) ist es, die potenzielle Beziehung zwischen Zielorientierung und professioneller Entwicklung von Führungskräften besser zu verstehen. Zu dem Konstrukt der Zielorientierung finden sich zahlreiche theoretische Modelle aus verschiedenen Richtungen (Pädagogik, Sport usw.). Der aktuellste Ansatz von Elliot & McGregor (2001) unterscheidet vier Dimensionen der Zielorientierung: die Lernzielorientierung (LGO) und die Leistungszielorientierung (PGO), jeweils mit den beiden Dimensionen Vermeidung und Annäherung.

Personen mit einer Lernzielorientierung (LGO), sind davon überzeugt, dass sie ihre Fähigkeiten optimieren, indem sie sich neue Fertigkeiten aneignen (Attenweiler & DeWayne, 2007). Laut aktueller Forschung kann eine Lernzielorientierung die Leistung von Personen optimieren, die vor allem in Jobs arbeiten, die unter anderem eine proaktive, lösungsorientierte Haltung, Kreativität und Innovationsgeist erfordern. Elliot & McGregor (2001) differenzieren zwischen zwei Dimensionen der LGO: Annäherung und Vermeidung. Die lernzielorientierten Personen mit der Annäherungsausprägung nutzen herausfordernde Aufgaben dazu, sich immer mehr neues Wissen anzueignen, während die lernzielorientierten Arbeitnehmer mit der Tendenz zur Vermeidung, die Herausforderung der Aufgabe eher darin sehen, ihr Wissen auf einem Level zu halten und keine Rückschritte in Bezug auf ihr Wissen und ihre Kompetenz zu machen.

Im Gegensatz zur Lernzielorientierung werden Menschen mit einer Leistungszielorientierung (PGO) durch Leistungsbewertungen und Leistungsvergleiche motiviert, sich herausfordernden Aufgaben zu stellen. Sie lassen sich eher von Aufgaben motivieren, deren Bewältigung mit positiven Bewertungen durch andere verbunden ist (z.B. Carson et al., 2004). Hierbei handelt es sich um den Typ PGO-Annäherung. Demgegenüber steht der Typ PGO-Vermeidung. Menschen mit letzterem Verhaltensmuster werden im Gegensatz zum PGO-Annäherungstypus durch das Vermeiden von Versagen dazu motiviert, ihre Leistung zu erhöhen.

Da die Zielklärung und Zieldefinition nicht nur theoretisch, sondern mittlerweile auch empirisch belegt, ein zentraler Bestandteil jedes erfolgreichen Business-Coachings zu sein (z.B. Blackman, 2006; Bowles et al., 2007; VandeWalle, et al.1999), möchte die vorliegende Untersuchung zum einen klären, in welchem Verhältnis das Ausmaß der Zielorientierung und der tatsächliche Entwicklungszuwachs während eines Business-Coachings steht. Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob sich die beiden Dimensionen Lernzielversus Leistungszielorientierung in ihrer Beziehung zum Entwicklungszuwachs während eines Coaching-Prozesses unterscheiden.

An der Onlinebefragung zum Abschluss eines Coaching-Prozesses nahmen 110 Führungskräfte aus verschiedenen Branchen teil (HR, IT, Finanzsektor, Vertrieb, Justiz und Beratung). Aufgrund der Anonymisierung der Daten, sind keine Informationen über die Dauer des Coaching-Prozesses, über die eingesetzten Tools oder über die Ausrichtung des Coaching-Prozesses erhältlich.

Um die Zielorientierung (PGO, LGO) zu identifizieren, wurde die „General Orientation Scale“ (GOS; Button, 1996) eingesetzt. Anhand einer vorgegebenen Liste von zwölf beruflichen Entwicklungsbereichen wurde zusätzlich der Entwicklungszuwachs im Coaching durch die Klienten selbst zum Abschluss des Coaching-Prozesses eingeschätzt. Die Entwicklungsbereiche umfassen: Kommunikationsfähigkeit, Präsenz als Führungskraft, Zielsetzung, Einfluss, zwischenmenschliche Beziehungen, Verhalten als (neue) Führungskraft, Führungsideen, Vorbereitung auf eine neue Rolle, strategisches Zeitmanagement, Teamdynamik und Work-Life-Balance sowie eine „Restkategorie“. Jedes Item wurde anhand einer zehnstufigen Skala beantwortet (1 = nicht effektiv bis 10 = sehr effektiv).

Wie sich zeigte, lagen die Schwerpunkte der Coaching-Prozesse vor allem auf der Vorbereitung einer neuen Rolle (16,36 % der Befragten) und auf der Entwicklung neuer Führungsverhaltensweisen (13,64 % der Befragten).

Die durch die Klienten eingeschätzte Verbesserung in ihrem Schwerpunktthema durch das Coaching betrug für mehr als 76 Prozent der Befragten mehr als zwei bis zu vier Punkte. Weitere 15 Prozent berichteten eine Verbesserung von fünf Punkten auf der 10-stufigen Skala. Lediglich für 2,72 Prozent der Klienten ergab sich nach eigener Einschätzung keine Veränderung durch den Coaching-Prozess.

In Bezug auf die Zielorientierung der Klienten zeigte die Befragung durch die GOS (Button, 1996), dass etwas mehr als die Hälfte der Klienten (54,5 %) eine Lernzielorientierung aufwiesen. Dies bedeutet, dass die Zielstrebigkeit dieser Klienten dadurch angetrieben wird, mehr Wissen durch den Zielerreichungsprozess zu generieren. Keiner der Befragten ließ sich dem Typ der Leistungsorientierung zuordnen, so dass die andere Hälfte der Befragten keinem Typ direkt zugewiesen werden konnte.

Die Frage, ob zwischen der Zielorientierung der Führungskräfte und der von ihnen erlebten Verbesserung durch das Coaching ein Zusammenhang zu finden ist, wurde aufgrund der Daten bejaht. Es fand sich eine moderate Korrelation, die sich vor allem für den Typ der Lernzielorientierung in vergleichbarer Höhe bestätigte.

Die Autorin sieht frühere Forschungsergebnisse durch die von ihr gefundenen Ergebnisse bestätigt. Diese waren davon ausgegangen, dass die Zielorientierung in Abhängigkeit von situativen Merkmalen die Zielstrebigkeit und die Zielerreichung der Personen deutlich beeinflussen kann (VandeWalle, 2001). Im Weiteren sieht die Autorin dies vor allem für die Personen mit einer Lernzielorientierung bestätigt, da sich keine signifikanten und bedeutsamen Korrelationen für die Personen mit Leistungszielorientierung fanden.

Allerdings sind die Ergebnisse der Studie nur vorsichtig zu interpretieren. Der Versuch dieser Studie, einen potenziellen Zusammenhang zwischen der Zielorientierung von Führungskräften und dem Entwicklungszuwachs durch ein Coaching nachvollziehen zu können, gelingt nicht. Dies liegt zum einen an der unzureichenden Beschreibung der Vorgehensweise der Erfassung der Fragebögen. Wird die Verbesserung oder Veränderung durch das Coaching von den Klienten rückblickend beurteilt? Oder wurden die Teilnehmer am Anfang und am Ende des Coaching-Prozesses befragt? Dieser kleine Unterschied hat große Auswirkungen auf die Ergebnisse.

Sollte die Veränderung retrospektiv beurteilt worden sein, so sind die gefundenen Verbesserungen höchstwahrscheinlich verzerrt. So könnte es sein, dass die Teilnahme an einem Coaching das Antwortverhalten der Befragten im Sinne der eigenen Zielorientierung maßgeblich beeinflusst hat (z. B. „Ich muss ja etwas gelernt haben, ich habe schließlich an einem Coaching teilgenommen“). Problematisch ist ebenfalls die fehlende Information über die Dauer der Coaching-Prozesse. Andere Einflussfaktoren, wie Freiwilligkeit der Teilnahme oder Verordnung des Coachings, sowie die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Nutzen des Coachings wurden ebenfalls nicht erfasst.

Besonders unglücklich ist der Rückgriff auf eine Skala zur Messung der Zielorientierung, die auf dem zweidimensionalen Modell (PGO und LGO) basiert, nachdem die Autorin selbst die aktuelleren mehrdimensionalen Modelle und die Situationsabhängigkeit der Ausprägungen beschreibt. Hier gäbe es andere Fragebögen, die das gewünschte Konstrukt wesentlich differenzierter erfassen. Letztlich kann nur die Aussage bestehen bleiben, dass es scheinbar einen, wenn auch nur mäßigen Zusammenhang gibt, zwischen der subjektiv wahrgenommenen Verbesserung durch das Coaching und der Zielorientierung der Führungskräfte. Was Henne und was Ei ist, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht bestimmt werden.

Scriffignano, R. S. (2011). Coaching within organisations: examining the influence of goal orientation on leaders’ professional development. Coaching: An International Journal of Theory, Research and Practice, Vol. 4, No. 1, March 2011, 20-31.

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