Jeder Coaching-Verband hat eigene ethische Richtlinien, die dem ihm angehörenden Coach Orientierung für sein Handeln im Coaching-Prozess bieten soll. Dies ist besonders nützlich, wenn sich für den Coach im Coaching-Prozess Dilemmata eröffnen. Allerdings stellen diese ethischen Richtlinien der Verbände eher ein grobes Gerüst für das Handeln des Coachs dar, statt praktische Tipps für das alltägliche Coaching und die darin auftretenden Dilemmata zu geben.
Problematisch ist ebenfalls, dass Coachs oftmals mehr als einem Verband angehören und jeder Verband unterschiedliche Schwerpunkte in den ethischen Richtlinien setzt. Weichen diese auch noch von der eigenen Wertepräferenz ab, führt dies im konkreten Dilemma oft eher zu Konfusion als zur Lösung.
Wie gehen erfahrene Coachs in solchen Fällen vor? Lässt sich daraus ein Modell ableiten, das in konkreten Situationen eine Entscheidungshilfe darstellt? Mark Duffy und Jonathan Passmore, Mitarbeiter der Arbeitseinheit Coaching Psychology an der Universität East London, gehen in ihrer Untersuchung diesen Fragen nach. Elf Coachs mit mehr als zehnjähriger Berufserfahrung nahmen an der Befragung teil.
Zunächst wurden mittels Inhaltsanalyse Quellen potenzieller Dilemmata im Coaching identifiziert. Gemäß den Aussagen der Coachs ergeben sich vier Bereiche, aus denen ethische Zwickmühlen für den Coach entstehen können. Es handelt sich hierbei um
Aus dem Interview mit fünf der elf Coachs wurde ein konzeptuelles Modell entwickelt, welches in der zweiten Phase des Experiments von den anderen sechs Coachs überprüft und angepasst wurde. Das ACTION-Modell besteht aus sechs Stufen:
Im Rahmen der Analysen ist deutlich geworden, dass die ethische Entscheidungsfindung kein linearer Prozess sein kann, sondern iterativ verläuft. Das bedeutet, dass der Coach die aufgestellten sechs Stufen nicht sukzessive durchläuft, sondern auch die Möglichkeit besteht, zwischen den Stufen hin und her zu wechseln. Dies gilt vor allem für Situationen, in denen neue Einflussfaktoren oder zusätzliche Informationen auftauchen und weitere Reflexionen notwendig machen.
Diese Untersuchung liefert eine erste „idealtypische“ Vorstellung eines ethischen Entscheidungsfindungsprozesses, da die Konstruktion zunächst nur auf Interviews erfahrener Coachs aufbaut. Bevor sich diese Konzeption zu einem „handlungsrelevanten“ Modell entwickeln kann, benötigt es weitere Überprüfung in der Praxis und einen Einbezug von Coachs unterschiedlicher Erfahrungsniveaus. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine sehr durchdachte und sorgfältig durchgeführte, qualitative Studie, die sich nicht nur durch eine hohe Aktualität der Fragestellung, sondern vor allem auch durch eine hohe Relevanz in der Praxis auszeichnet.
Sie verdeutlicht sensible Punkte, wie zum Beispiel die Kollision von Coaching-Prozessen mit eigenen Werten und dem eigenen ethischen Verständnis. Erneut wird deutlich, dass eine Coaching-Ausbildung nicht nur über Art und Lösungswege von Dilemmata informieren sollte, sondern in hohem Maße den Coach anleiten sollte, seinen eigenen ethischen Code zu identifizieren und sich diesem bei der Prozessbegleitung bewusst zu bleiben. Gleiches gilt für fortgeschrittene Coachs.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass bei der Wahl eines Coaching-Verbands darüber reflektiert werden sollte, inwieweit das eigene ethische Verständnis mit dem des Berufsverbands übereinstimmt.
Zu guter Letzt hebt das Modell die Notwendigkeit einer berufsbegleitenden Supervision, Intervision und Fortbildung der Coachs hervor. Dies sollte als ein Qualitätsmerkmal bei der Wahl eines Coachs herangezogen werden, denn selbst nach Abschluss einer Coaching-Ausbildung lernt ein Coach nicht aus.