Um die Effektivität des Coachings nachzuweisen und zu gewährleisten, ist nicht alleine damit gedient, „gute“ Ergebnisse von Coaching-Prozessen zu identifizieren und Coachs nach ihren „guten“ Ergebnissen zu listen. Auch hier ist es im Sinne langfristiger Perspektiven – zum Beispiel in Bezug auf die Ausbildung „guter Coachs“ – notwendig, die dem Coaching-Prozess zugrundeliegenden Wirk-Mechanismen zu verstehen. Das heißt, es geht vor allem auch um die Beantwortung folgender Frage: Wie werden diese „guten“ Ergebnisse innerhalb des Prozesses erreicht?
Theoretisch wird dem Lernen durch Erkenntnis im Coaching-Prozess eine Hebelwirkung Bedeutung beigemessen. Doch wie wird dies vom Klienten und vom Coach wahrgenommen? Was gibt es aus Sicht der Klienten und aus Sicht der Coachs für „Schlüsselerlebnisse“ oder kritische Momente im Coaching-Prozess? Existieren Unterschiede in der Wahrnehmung solcher Momente?
Vor dem Hintergrund dieser Fragen analysierten Erik de Haan, Colin Bertie, Andrew Day und Charlotte Sills den Inhalt von 42 Interviews mit zwölf Executive-Coachs und ihren Klienten, die im Anschluss an Coaching-Sitzungen geführt wurden. Der Fokus der Interviews dieser Studie lag auf Schlüsselerlebnissen in der jeweils vorangegangenen Coaching-Sitzung. Das Ziel dieser Studie bestand darin, die Ergebnisse der Interviews mit bisherigen Ergebnissen vorangegangener Studien zu diesem Thema abzugleichen.
Wie sich in den Interviews zeigte, wählten die Coachs und die Klienten häufig dieselben Ereignisse als Schlüsselerlebnisse aus und wichen auch in ihren inhaltlichen Beschreibungen wenig voneinander ab. Insgesamt waren die Beschreibungen sehr positiv und umfassten vor allem Lernfortschritte und Leistung. Lediglich einmal wurde als „Schlüsselerlebnis“ ein Bruch in der Coaching-Beziehung benannt.
Im Vergleich mit vorangegangenen vier Studien zum Thema Schlüsselerlebnisse im Coaching zeigten sich Abweichungen in den Inhalten der Schlüsselerlebnisse, die in Abhängigkeit von dem Erfahrungshintergrund der interviewten Coachs, von der Rolle im Coaching-Prozess (Coach oder Klient) und der Befragungsperspektive (Coaching-Prozesse allgemein oder spezifische Coaching-Sitzungen) variierten.
So ließen sich die retrospektiv berichteten Schlüsselerlebnisse von weniger erfahrenen Coachs (n= 80) unter dem Oberbegriff „Zweifel“ zusammenfassen. Kritische Momente wurden von ihnen als eine wichtige Quelle für Informationen und potenzielle Erkenntnisse aufgefasst. Aber auch erfahrenere Coachs (n=78, mehr als acht Jahre praktische Erfahrung) geben in einer allgemein rückblickenden Befragung „Unsicherheiten“ als Schlüsselerlebnisse an. Als Unsicherheit wird in diesem Fall die Auseinandersetzung mit aufkommenden Problemen in der Arbeit mit ihren Klienten verstanden.
Das Erleben eines Bruchs in der Arbeitsbeziehung zwischen Klient und Coach wurde von 49 sehr erfahrenen Coachs als sehr kritischer Moment im Coaching-Prozess benannt. Hierunter fielen berichtete Missverständnisse zwischen Klient und Coach, als auch Wut, Zurückweisung, Neuformulierung des Coaching-Vertrags und auch Beendigung der Arbeitsbeziehung. Für das Gesamtergebnis des Coachings war es wichtig, dass die Arbeitsbeziehung weitergeführt wurde und der Bruch als Anstoß für weitere Reflektionen benutzt wurde.
Coaching-Klienten hingegen nehmen bezüglich der Schlüsselerlebnisse im Coaching eine viel positivere und optimistischere Perspektive ein. In einem Interview mit 59 Führungskräften kristallisierten sich als „kritische Momente“ vor allem das Erleben von neuen Einsichten und neuen Erkenntnissen heraus.
Leider lag das Hauptaugenmerk der sehr aufwendigen Untersuchung weniger auf der Darstellung der inhaltlichen Äußerungen als auf dem Quervergleich zu vorangegangenen Studien und die Einbettung der Ergebnisse in den bisherigen Kenntnisstand. Allerdings handelt es sich bei den vier vorangegangenen Studien um Befragungen von Coachs unterschiedlicher Erfahrungshintergründe und um retrospektive Einschätzungen zu allgemeinen kritischen Ereignissen aus Sicht des Coachs. So ist eine direkte Vergleichbarkeit schwierig. Interessant wäre der inhaltliche Fokus gewesen und auch der Bezug der berichteten „Schlüssel-Erlebnisse“ zum Ergebnis des gesamten Coaching-Prozesses. Die Schlussfolgerungen bleiben leider auf einem allgemeinen Level.
Eine weitere Einschränkung der Interpretierbarkeit der Ergebnisse bezieht sich auf die Auswahl der Klienten, die durch die Coachs erfolgte. Dies erklärt zum Teil die hohe Übereinstimmung zwischen den durch die Klienten und Coachs berichteten Schlüsselerlebnissen und die positive Orientierung der Klienten.
Allerdings wird hier auch die Verzahnung von Wirkfaktoren (positive Arbeitsbeziehung und Wahrnehmung des Prozesses) deutlich. Es ist nicht realistisch, im Rahmen naturalistischer Forschung einzelne Wirkfaktoren separieren zu wollen! Dies gilt es auch bei der Wirksamkeitsforschung im Coaching zu beachten.
Weiter muss betont werden, dass Brüche in der Arbeitsbeziehung nicht zwangsläufig als ungünstig bewertet werden müssen. Ungünstig für den Coaching-Prozess kann eher der Umgang mit solchen Brüchen sein. Coachs, die sich per definitionem als Sparringpartner verstehen, müssen mit Brüchen im Coaching-Prozess rechnen, da es gilt, dem Klienten ungeschöntes, aber respektvolles Feedback zu geben. Dieses ungeschönte Feedback kann kurzfristig die Arbeitsbeziehung schwächen. Demnach ist es für gute Coachs notwendig, nicht nur Feedback geben zu können, sondern auch mit daraus entstehenden Brüchen umgehen zu können. – Wie es sich für einen Sparringpartner gehört.