Im Rahmen einer Masterarbeit an der Leuphana Universität Lüneburg wurden die Möglichkeiten zur Integration digitaler Medien in den Coaching-Prozess von Arbeitnehmern in Deutschland untersucht. Hierfür wurden sowohl Coaches als auch (potenzielle) Klienten durch zwei standardisierte Fragebögen befragt. Auf Basis der Ergebnisse konnten praxistaugliche Empfehlungen für Coaches abgeleitet werden.
Als Rahmenkonzept wurden zunächst drei Forschungsfragen formuliert:
Als Untersuchungskriterien wurden insgesamt drei theoretische Konzepte eingeführt:
Kommunikationsmedien | Synchronität |
---|---|
Soziale Netzwerke, wie Facebook, XING usw. | asynchron |
Intranet | asynchron |
Informationsangebote im Internet, z.B. Handbücher | asynchron |
Videokonferenzen, wie Skype oder Zoom | synchron |
Wikis | asynchron |
Blogs | asynchron |
Internetforen | asynchron |
Podcasts | asynchron |
Coaching durch Videobotschaften | asynchron |
Telefon-Coaching | synchron |
Voice-Mail-Coaching | asynchron |
Text-Chat-Coaching | asynchron |
E-Mail-Coaching | asynchron |
Avatar-Coaching | synchron |
Tabelle 1: Kommunikationsmedien (nach Geißler, 2018; Gensicke et al., 2016)
Digitale Problemlösungsmedien | Traditionelle Entsprechung |
---|---|
Serious Games | Rollen- und Lernspiele |
Software für die Arbeitsorganisation: Outlook, Word, Excel | Hilfsmittel für die Arbeitsorganisation: Kalender, Dokumente, Taschenrechner |
Datenspeicherung im Internet, z.B. Cloud-Dienste | Aktenordner und Ablagesysteme |
Lernprogramme als Web Based Training (WBT) oder Computer Based Training (CBT) | Lehrbücher |
Virtuelles Klassenzimmer | Seminarraum |
Massive Open Online Courses (MOOCs) | Hochschul-Vorlesungen |
Simulation/virtuelle Welten | Extrapolation/angeleitete Imagination |
Coaching-Plattformen (*) | |
*Elektronische Texte | Texte |
*Elektronische Bilder und Fotos | Bilder und Fotos |
*Elektronische Videos | Theaterspiel |
*Elektronisches Schreiben | Stifte zum Schreiben |
*Elektronische Utensilien zum Zeichnen und Malen | Utensilien zum Zeichnen und Malen |
*Elektronische Flipcharts, Whiteboards, Karteikarten o.ä. | Flipchart, Whiteboard, Karteikarten |
*2D-visuelle elektronische Figuren und Gegenstände | 2D-Figuren und Gegenstände als Stellvertreter |
*3D-visuelle elektronische Figuren und Gegenstände | 3D-Figuren und Gegenstände als Stellvertreter |
*3D-visuelle Avatare | Verkleidung |
Tabelle 2: Problemlösungsmedien (nach Geißler, 2018; Gensicke et al., 2016)
Die drei formulierten Forschungsfragen wurden im Entstehungszeitraum der Arbeit durch die folgende übergeordnete Forschungsfrage ergänzt: Inwieweit haben sich die Nutzung von digitalen Medien und die Integration digitaler Medien in den Coaching-Prozess im Rahmen der Pandemie im Jahr 2020 verändert?
Die Masterarbeit folgte einer deduktiven wissenschaftlichen Logik (Hildebrand, 2008) und teilte sich in insgesamt drei Themenkomplexe:
Um sicherzustellen, dass die Befragten über eine Qualifikation als Coach verfügen, wurde gezielt nach Coaches gesucht, die in deutschen Coaching-Verbänden organisiert sind. Es konnte eine Grundgesamtheit von 48 auswertbaren, vollständig beantworteten Fragebögen aufseiten der Coaches erzielt werden. Als Arbeitnehmer – und damit als potenzielle Klienten der Coaching-Dienstleistung – wurden alle Erwerbstätigen in Anstellung definiert. Von allen Teilnehmenden, die den Fragebogen vollständig beantworteten, entsprachen insgesamt 46 Personen den Zielkriterien der vorliegenden Untersuchung.
Ein zentrales Ergebnis der Arbeit ist, dass sich die Mediennutzung von Coaches und Klienten im Rahmen der Pandemie stark verändert hat. Dies zeigt sich vor allem durch den Rückgang des Face-to-Face-Coachings sowie anhand einer stark gestiegenen Nutzung von Videokonferenzen und einer steigenden Nutzung weiterer Kommunikations- und Problemlösungsmedien.
Bei den Problemlösungsmedien werden am ehesten solche Medien genutzt, die den beruflichen Organisationsprozess unterstützen, also Software für Arbeitsorganisation und Cloud-Dienste. Problemlösungsmedien zum Erkenntnisgewinn hingegen kommen weniger oft zum Einsatz. Zu ihnen zählen Serious Games, Simulation bzw. virtuelle Welten, 2D- und 3D-visuelle elektronische Figuren und Gegenstände. Am wenigsten werden Avatare genutzt.
Aus den Ergebnissen konnte nicht abgeleitet werden, dass vor allem junge Klienten und Coaches einen Medieneinsatz bevorzugen. Die Tendenz zum Einsatz digitaler Medien haben unter den Umfrage-Teilnehmern eher diejenigen, die sich den Alterskohorten Babyboomer (geboren von 1946–1964) und Generation X (1965–1979) zuordnen lassen.
Es wurden jeweils Coaches und potenzielle Klienten dazu befragt, für welche Phase des Coaching-Prozesses sie eher ein Face-to-Face-Coaching und in welcher Phase sie ein digitales Coaching als geeigneter betrachten. Im Ergebnis lassen sich zwei Phasen im Coaching-Prozess identifizieren, die sich eher für eine rein digitale Kommunikationsvariante eignen. Zum einen die „Vertragsphase“ und ebenso die „Begleitende Diagnostik, Zielfortschreibung und Evaluation“. Gleichzeitig wird trotz des digitalen Wandels für persönliche Anliegen der Klienten insgesamt das Face-to-Face-Coaching bevorzugt. Aus den Kommentaren der Coaches lassen sich Anhaltspunkte dafür ableiten, dass neue Fähigkeiten für den erfolgreichen Einsatz digitaler Medien im Coaching notwendig sind. Hierzu zählen ein veränderter Aufmerksamkeitsfokus, die Anpassung von Interventionen, eine höhere Akzeptanz sowie medienpsychologische Kenntnisse.
Es konnte gezeigt werden, dass die Handlungsansätze und Methoden von Coaches vielfältig sind und von ihrer individuellen Erfahrung und Intuition abhängen. Ganz allgemein scheinen die komplexer werdenden Rahmenbedingungen jedoch auch grundsätzlich eine Struktur zur Sicherung der Qualität des Coaching-Prozesses erforderlich zu machen. Hieraus leitet sich im ersten Schritt die Empfehlung ab, die Prozessstruktur auf die sich ändernden Anforderungen hin regelmäßig zu überprüfen. In einem zweiten Schritt kann bei vorhandener Struktur eine detaillierte Überprüfung der einzelnen Prozessschritte in Hinblick auf den möglichen Einsatz digitaler Medien vorgenommen werden.
Es wurde ferner der Zusammenhang zwischen dem Anliegen der Klienten und dem Einsatz digitaler Medien untersucht. Es konnte deutlich gezeigt werden, dass für persönliche Anliegen gegenwärtig die klassische Face-to-Face-Beratung seitens der Teilnehmer präferiert wird. Allerdings wurde in der Auswertung der zugehörigen Ergebnisse dogmatisch in persönliche und funktionale Anliegen unterschieden. Aus der gesichteten Literatur geht hervor, dass den Klienten der eigentliche Coaching-Anlass als versteckter Handlungsbedarf oftmals nur unzureichend bewusst ist (Rauen et al., 2009; Looss, 2002). Auch können vordergründig sachliche Themen, wie die Ausübung einer neuen Rolle, je nach Lebensrealität der Klienten auch große persönliche Bezüge aufweisen. Es wird insofern empfohlen, komplexere Anliegen in einzelne Komponenten aufzuteilen und diese in persönliche und funktionale Anliegen zu unterscheiden. Infolgedessen kann die Auswahl der genutzten Kommunikationsform zielgerichtet nach Inhalten und ebenfalls nach den Präferenzen und Fähigkeiten der Prozessbeteiligten erfolgen.
Weiterhin geben einige der Coaches in den Kommentaren an, dass auch eine effektive Begleitung bei persönlichen Anliegen durch ein Coaching mittels digitaler Medien möglich sei. Dieses erfordere aber zum Teil das Erlernen neuer Fähigkeiten zur zielgerichteten Nutzung der Medien. Ein konstantes Erlernen neuer Fähigkeiten seitens der Coaches gehört zu einem fundamentalen Bestandteil erfolgreicher Coaching-Arbeit. Dabei kann es Anwendungsfelder, Methodenkombinationen und Lösungswege geben, die sich erst noch durch die weitere Nutzung digitaler Medien zeigen. Insofern sollte das eigene Weiterbildungspotenzial regelmäßig gezielt in Hinblick auf die Nutzung digitaler Medien überprüft werden.
Es wurde zudem untersucht, ob das Alter der am Coaching-Prozess Beteiligten einen Einfluss auf den Einsatz digitaler Medien hat. Die Resultate der Umfrage ergeben hierzu kein eindeutiges Bild. Dies könnte jedoch genau das Produkt sein, das die Realität am treffendsten beschreibt. Schließlich kann eine Gruppe von Menschen nicht auf ein einziges Kriterium – wie das Alter – reduziert werden. Als logische Konsequenz muss sich an dieser Stelle die Empfehlung ableiten, weder von einem jungen Coach oder Klienten zu erwarten, dass dieser besonders medienaffin ist, noch von einem älteren Coach oder Klienten zu erwarten, dass diesem der Umgang mit digitalen Medien schwerfällt. Vielmehr bedarf es einer individuellen Abstimmung zu den Präferenzen in Bezug auf die Mediennutzung in einer frühen Phase des Coaching-Prozesses.
Bei der Betrachtung der Problemlösungsmedien konnte gezeigt werden, dass die Nutzung der Medien, die zum Erkenntnisgewinn beitragen, hinter der Nutzung der Medien, die den Organisations- und Arbeitsprozess unterstützen, zurückbleibt. Ebenso zeigte sich im Zeitablauf insgesamt eine positive Nutzungstendenz. Aus den Ergebnissen und in Zusammenhang mit den möglichen Kombinationsvarianten nach Geißler (2018) leiten sich neue potenzielle Anwendungsfelder ab. Vor allem das Entdecken neuer Nutzungskombinationen über ein Best-Practice-Sharing im eigenen Netzwerk wird empfohlen. Ebenso können Kombinationsvarianten im Sinne eines Trial-and-Error-Prozesses für unkritische Vorhaben gemeinsam von Coach und Klient getestet werden. Der konstruktive Austausch kann auch bei Kombinationsmöglichkeiten, die nicht funktionieren, zum Erkenntnisgewinn und einer Steigerung der digitalen Kompetenz beitragen.
Weiterhin wurde geprüft, ob sich der Einsatz digitaler Medien positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Coaches auswirkt. Insgesamt wurde festgestellt, dass die Integration digitaler Medien für die Wettbewerbsfähigkeit der Coaches seit Beginn der Pandemie eine wachsende Bedeutung erfährt. Diesbezüglich gibt es hohe Übereinstimmungen bei den Einschätzungen der beiden teilnehmenden Gruppen. Allerdings zeigt sich auch, dass bei der Auswahl eines geeigneten Coachs durch die Klienten vor allem jene Kriterien priorisiert werden, die einen engen Bezug zum Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Klient und zur Ergebnisqualität des Coaching-Prozesses aufweisen, namentlich die „Persönliche Erfahrung mit dem Coach“, „Empfehlungen nahestehender Personen“ sowie die „Referenzen des Coachs“. Sofern diese Ergebnisse auch für die Mehrzahl potenzieller Klienten valide sind, lässt sich hieraus die Empfehlung ableiten, Referenzen in die eigene Außendarstellung einzubinden. Dies können u.a. kurze Erfahrungsberichte oder Empfehlungen ehemaliger Klienten sein.
Abschließend wurde überprüft, inwiefern sich die Mediennutzung von Coaches und Klienten in Deutschland aufgrund der Pandemie verändert hat. In der Summe konnte eine deutlich positive Tendenz hin zu einer Nutzung digitaler Medien seit Pandemiebeginn festgestellt werden. Für die Ableitung von Empfehlungen in dem vorliegenden Kapitel wurden vor allem solche Ergebnisse betrachtet, bei denen die Antworten von den teilnehmenden Coaches und den potenziellen Klienten große Unterschiede aufweisen. Dies betrifft vor allem die Nutzung von E-Mails und Text-Chat-Programmen. Für beide Medien geben die Klienten eine wesentlich höhere Nutzung an als die Coaches. Dies kann den Schluss zulassen, dass es sich bei beiden Medien um ungenutzte Potenziale für das Coaching handelt. Diese sind im Einzelnen in Hinblick auf Nutzungsmöglichkeiten, Anwendungskontext, Verfügbarkeit, Nutzungsaufwand und regulative Beschränkungen zu prüfen.
Generell gilt für Unbekanntes und damit auch im Umgang mit neuen digitalen Medien das Fail-Forward-Prinzip, das sich bereits im Kindesalter, beispielsweise beim Erlernen von Laufen, Sprechen oder Fahrradfahren bewährt hat. Jeder Sturz bzw. Fehler zeigt, wie es nicht funktioniert, und ist damit ein Schritt in die richtige Richtung (Mittmann, 2015). Coaches stehen vor der historischen Herausforderung, den Wandel als Unterstützende zu begleiten und zeitgleich selbst Betroffene einschneidender Veränderungen zu sein. Im Wettbewerb werden vor allem solche Coaches bestehen, die sich schnell an die veränderten Bedingungen anpassen und neue Potenziale für sich erkennen und nutzen.