Wissenschaft

Die Zukunft des Online-Coachings

Virtueller Beziehungsaufbau

9 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 01 | 2020

Die Digitalisierung wird durch Schnelllebigkeit und Grenzenlosigkeit charakterisiert, die in nahezu allen Bereichen unseres Lebens Einzug findet. Wir kaufen online ein, nutzen täglich Messenger-Apps sowie Plattformen (Soziale Medien) und sind ständig erreichbar (Martensen & Schwind, 2017). Die Digitalisierung ist nicht nur aus unserem privaten, sondern auch aus unserem beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken. Die digitalen Formate ermöglichen uns ein internationales, aber auch ein orts- und zeitunabhängiges Arbeiten. Aufgrund der digitalen Neuerungen und dem Wunsch nach Flexibilität lässt sich ein deutlicher Zuwachs von Online-Coaching-Angeboten feststellen.

Der Begriff Online-Coaching umfasst die Nutzung von elektronischen Medien wie Telefon, E-Mail, Video oder Chat im Coaching (Geißler, 2018). Darüber hinaus beinhaltet das Online-Coaching jedoch nicht nur den Einsatz von digitalen Medien, sondern meint eine umfassendere Kommunikation übers Internet, deren Charakter zahlreiche Facetten hat. Es werden also nicht nur andere, zusätzliche Medien genutzt, sondern Coach und Klient kommunizieren auch anders miteinander. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob man synchron, also in Echtzeit, oder asynchron, also zeitversetzt, kommuniziert (Berninger-Schäfer, 2018).

Ob die Online-Variante im Coaching wirklich Zukunftspotenzial besitzt, wird derzeit kontrovers diskutiert. Die 14. Coaching-Umfrage Deutschland 2015/2016 (Middendorf, 2016) überraschte u.a. mit dem Befund, dass Online-Coaching in Deutschland offenbar – im Gegensatz zu den USA (Bache, 2018) – wenig intensiv genutzt wird: 85 Prozent der Teilnehmer der Umfrage gaben an, Präsenz-Coaching als Modell zu nutzen. Andere Varianten wurden (bei Mehrfachantwortmöglichkeit) lediglich im einstelligen Prozentbereich berichtet (Telefon: 7 Prozent, Video-Telefonie: 4 Prozent, E-Mail: 2 Prozent, Virtuelle Räume: 1 Prozent).

Folgerichtig wurde das Präsenz-Coaching von den Teilnehmern der Umfrage hinsichtlich des Erreichens eines „optimalen Coaching-Ergebnisses“ mit Abstand als das geeignetste Format eingestuft. Um berechtigte Argumente aller Seiten besser zu verstehen und von vordergründigen Ressentiments zu unterscheiden, wurden im Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule Fresenius in Köln im Frühjahr/Sommer 2019 Tiefeninterviews mit 20 Coaches aus Deutschland geführt. Alle Befragten haben eine Coaching-Ausbildung absolviert (Zertifikat).

Aktuelle Nutzung des Online-Coachings

Von den Befragten bieten drei Coaches (15 Prozent) ausschließlich Online-Coaching an. Acht Coaches (40 Prozent) arbeiten derzeit ausschließlich im Präsenz-Format. Fünf dieser acht können sich die Nutzung von Online-Coaching vorstellen oder haben bereits erste Erfahrungen damit gesammelt. Neun Coaches (45 Prozent) kombinieren aktuell beide Varianten, wobei diese Coaches vor allem das Telefon- und Video-Coaching nutzen. Vereinzelt wird auch das textbasierte oder das virtuelle Coaching angeboten. Letzteres meint das Coaching auf spezifischen Plattformen, in denen verschiedene Methoden, wie die Aufstellungsarbeit in einer virtuellen Welt, durchgeführt werden können.

Insgesamt kann somit zunächst festgehalten werden, dass das Online-Coaching in der heutigen Zeit keine unbekannte Variante darstellt. Die dezidierte Nachfrage von Online-Coaching vonseiten der Klienten scheint bislang allerdings vergleichsweise gering zu sein. Hier kommt es sehr auf den Kontext an – wie geografische Distanz und Fremdsprachenkompetenzen.

Die Coaches, die das Online-Coaching nicht anbieten, aber bereits erste Berührungspunkte damit hatten, sind dem Online-Coaching gegenüber eher offen und können sich die Nutzung vorstellen. Durch die ersten Erfahrungen sinken die Zweifel, sodass die Nutzung und das eigene Angebot von Online-Coaching vorstellbar sind. Die Coaches, die bisher keine Berührungspunkte mit dem Online-Coaching hatten, stehen diesem eher skeptisch gegenüber. Zusätzlich hemmt die Unwissenheit über das Online-Coaching und dessen Möglichkeiten die Nutzung. Diesen Nicht-Anwendern ist es wichtig, das Online-Coaching ihren Klienten erst nach einer gewissen eigenen Vorbereitung und auf der Basis entsprechender Kenntnisse anzubieten.

Chancen und Bedenken

Den größten Vorteil sehen die Coaches im zeit- und ortsunabhängigen Arbeiten. Die Ortsunabhängigkeit könne nicht nur die Reisekosten senken, sondern auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steigern. Allerdings achten beide Seiten in jedem Fall auf Ungestörtheit, ob nun Zuhause, im Büro oder unterwegs. Zusätzlich könne ein Coach seine Zielgruppe erweitern, da beispielsweise ein internationales Arbeiten möglich sei. Die zeitliche Flexibilität habe auch den Vorteil, dass ein Coaching spontan im emotionalen Zustand eines Klienten stattfinden könne. Die schnelle Verfügbarkeit könne zudem die Beziehung und somit das Vertrauen von Coach und Klient stärken.

Als weitere Chance des Online-Coachings wird die Reduzierung der Sinneskanäle verstanden. Durch die Reduktion von nonverbalen Signalen können sich Klienten verstärkt auf das Problem konzentrieren, berichten die Anwender. Intime und private Probleme können leichter angesprochen werden, wenn keine Person gegenübersitzt. Trotzdem sehen manche Coaches – das zeigen auch die Daten der 14. Coaching-Umfrage Deutschland 2015/2016 (Middendorf, 2016) – die sogenannte Kanalreduktion immer noch als Nachteil an, da sie befürchten, dass die Beziehung zwischen Coach und Klient, reduziert lediglich aufs Auditive und Visuelle, zu kurz kommen könnte.

Neuere medienpsychologische Erkenntnisse entkräften diese Befürchtungen jedoch. Eine erhöhte Selbstoffenbarungsbereitschaft in der virtuellen Kommunikation gilt inzwischen als gesichertes Wissen (Berninger-Schäfer, 2018). Die mit dem Online-Setting vertrauten Coaches meiden daher die polarisierende Diskussion um „besser vs. schlechter“, sondern betonen, dass Online-Kommunikation „anders“ sei, man sich darauf einstellen kann und soll.

Ebenfalls werden technische Havarien befürchtet, dass also die Verbindung abreißt und das Coaching damit abgebrochen wird. Auch Datenschutzvorbehalte werden geäußert. Die mit Online-Coaching erfahrenen Befragten betonen, dass man sich gut vorbereiten müsse. Das sei die Bringschuld des Coachs. Dazu gehören neben dem speziellen Medientraining auch Vorkehrungen (Plan B) wie ein vereinbartes Rückfallmedium (z.B. Telefon). Auf keinen Fall dürfe man der Versuchung nachgeben, Online-Coaching „zwischen Tür und Angel“ durchführen zu wollen, das sei unprofessionell und schade in jeder Hinsicht.

Zukunft des Online-Coachings

Online-Coaching, sagen 19 von 20 befragten Coaches, hat eine Zukunft. Die Experten sehen darin keinen modischen Trend, sondern prognostizieren, dass die digitale Welt sich stetig weiterentwickelt und somit stärker genutzt wird. Lediglich eine Person, die keine Erfahrungen mit Online-Coaching hat, ist sich diesbezüglich eher unsicher.

Die Mehrheit der befragten Coaches erwartet ein stetiges Wachstum dieser Coaching-Variante, denn die Arbeitswelt werde zunehmend globaler und vernetzter, ohne flexible Möglichkeit der Online-Kommunikation sei zukünftiges Arbeiten nicht vorstellbar. In den Interviews wurde deutlich, dass nach Erwartung der befragten Coaches vor allem die jüngere Generation Online-Coaching zukünftig aktiv nachfragen werde, es passe sehr zu deren Anforderungen und Kommunikationsstil. Daher sehen die Befragten Online-Coaching zunehmend als effektive Ergänzung zum Präsenz-Coaching. Es wird daher von den Befragten eine Co-Existenz von Offline- und Online-Coaching prognostiziert.

Virtueller Beziehungsaufbau?

An vielen Stellen wird von den Coaches beschrieben, dass sich der Beziehungsaufbau am besten „offline“ aufbauen lasse. Aus diesem Grund nutzen die meisten Coaches das Online-Coaching erst, nachdem sie ihre Klienten persönlich kennengelernt haben. Coaches, die unsicher sind, wie sie das Vertrauen und somit die Coach-Klient-Beziehung im Online-Coaching aufbauen können, sind eher Nicht-Nutzer. Die Nutzer, die vertraut mit dem Online-Coaching sind, betonen als Vorteil die Anonymität im virtuellen Raum. Aus der Forschung (Knatz, 2012) ist inzwischen bekannt, dass Menschen sich im Internet sicherer fühlen können, da sie nicht in den persönlichen Kontakt mit einem Gegenüber treten müssen. So kann ein geschützter Raum entstehen und die Hemmschwelle für Coaching sinkt. Diesen Vorteil betonen auch die Coaches, die fachliche und methodische Kenntnisse über das Online-Coaching besitzen.

Mangelnde Kenntnisse und Ängste im Aufbau einer virtuellen Präsenz sind gravierend und schrecken ab. So wird deutlich, warum Online-Coaching für viele eine große Herausforderung darstellt. Doch wird so auch eine Abhilfe erkennbar, dass eine entsprechende Kompetenz durch Aus- oder Weiterbildung entwickelt werden kann.

Online-Coaching ist komplex

Das Thema Online-Coaching ist jedoch insgesamt komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Das liegt an einem verbreiteten Missverständnis: Einige Interviewpartner setzen Online-Coaching immer noch mit Telefon- oder Videotelefonie gleich. Sie kennen die Möglichkeiten von softwarebasierten Online-Coaching-Plattformen nicht. Dass man in geschützten Räumen auch frei an Tafeln malen, mittels vorkonfigurierten Tools beispielsweise Soziogramme oder Aufstellungen erstellen kann, ist ihnen unbekannt. Sie staunen dann, welche professionellen Möglichkeiten sich bieten und wie man passgenau Materialien und Methoden für individuelle Situationen kombinieren kann.

Neue Kompetenzen gefragt

Deshalb sind einige Interviewpartner der Auffassung, Online-Coaching weiter zu ignorieren, könne Business-Coaches wirtschaftlich schaden. Wobei eingeräumt wird, dass nicht jeder Coach Online-Coaching anbieten müsse, da es, wie bei der Methodenwahl, auf die Authentizität eines Coachs ankomme. Vielmehr gehe es um die grundsätzliche Bereitschaft, Neues auszuprobieren, zu reflektieren und um Perspektivenwechsel.

Eine kleine Anekdote aus dem Nähkästchen des Zweitautors mag hierzu zum Abschluss Anregungen geben: Man traf sich in kleiner Kollegenrunde, um einmal das auszuprobieren, über das man sonst nur sprach: Online-Coaching. Die Wahl fiel auf CAI-World, die Plattform, die für Coaching bislang die beste Performance bietet. Es handelte sich um den zweiten Versuch, der erste war an technischen Problemen gescheitert. Gemeinsam vor Ort sollten sich diese leichter lösen lassen als über das parallele Auffangnetz Telefon. Schnell wurde dort klar, der eine Teilnehmer war zwar allgemein geübt im Umgang mit dem Laptop, doch die Einstellungen von Kamera und Mikrofon hatte er noch nie ausführlich inspiziert. Nachdem der Pegel dort angepasst war, stand die Verbindung. Beim zweiten Teilnehmer funktionierte die Verbindung über den Browser zunächst gar nicht. Es dauerte einige Zeit, bis wir dieser Ursache auf die Spur kamen: Die Software war jahrelang nicht aktualisiert worden. Dass sie damit ein Einfallstor auch für Hackerangriffe bot, war dem Kollegen nicht bekannt. Anschließend verteilten wir uns im Haus und hatten viel Spaß beim Online-Coaching.

Zu einer guten Vorbereitung gehört eben auch die Entwicklung von über den Alltagsgebrauch hinaus gehender Medienkompetenz. Nur so kann das Potenzial des Online-Coachings genutzt werden. Andererseits geht es darum, sich auf die jeweiligen Bedürfnisse der Klienten einzustellen. Nicht jeder Klient möchte ausschließlich Online-Coaching. Aber Coaches sollten in Betracht ziehen, ihr Portfolio anzureichern, um Coaching-Prozesse durch die Unterstützung digitaler Medien ganzheitlich und eben auch (teilweise) online durchführen zu können, wenn Klienten dies wünschen. Für beide Seiten ergeben sich dadurch Vorteile.

Neugier, neue Möglichkeiten auszuprobieren, und der Dialog mit Nutzern von Online-Coaching stellen erste Schritte dar, um sich dem Online-Coaching anzunähern. Darüber hinaus ist das Absolvieren einer Weiterbildung im Online-Coaching hilfreich, um die Inhalte und Methoden in Ruhe kennenzulernen und sich gemeinsam mit anderen spielerisch zu erproben.

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