Wer überblickt schon die Coaching-Forschung? Vermutlich nur wenige. Hierzulande, also im deutschsprachigen Kontext, liegt mit Siegfried Greifs Buch "Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion" aus dem Jahre 2008 ein Meilenstein vor, der weiterhin wegweisend ist. Aber auch etliche Lücken aufweist und inzwischen nicht mehr den letzten Stand der Forschung spiegelt. Greifs Verdienst als ehemaliger Leiter des Fachgebiets Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Osnabrück ist, ein Modell vorzulegen, an dem man sich orientieren und abarbeiten kann. Daran kann die nachfolgende Generation anknüpfen.
Und das geschieht auch, 2011 hat dies das Autorinnenpaar Heidi Möller und Silja Kotte (Universität Kassel) getan. Greifs Modell, dessen Charme darin liegt, quasi EFQM-kompatibel Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität abzubilden, wird frisch bilanziert. Zu den Inputfaktoren (Strukturqualität) gehören Voraussetzungen auf zwei Seiten: Der des Coachs (fachliche Glaubwürdigkeit sowie Klärung allgemeiner Ziele und Erwartungen), hier gibt es bereits einzelne empirische Belege. Der des Klienten (Veränderungsmotivation, Reflexivität, Beharrlichkeit), solche Faktoren wurden bislang erst theoretisch postuliert.
Bei den Prozessfaktoren – Greif benennt in Anlehnung an Klaus Grawe (2005) acht Erfolgsfaktoren – treten in der Coaching-Forschung bislang zwei zentrale Aspekte positiv hervor: Die Qualität der Coach-Klienten-Beziehung inklusive Wertschätzung und emotionaler Unterstützung sowie die Zielklärung. Für die anderen Faktoren, Ressourcenaktualisierung und Umsetzungsunterstützung sowie individuelle Analyse und Anpassung gibt es schon erste empirische Belege. Affektreflexion und -kalibrierung, Förderung der ergebnisorientierten Problem- und Selbstreflexion sowie kontinuierliche Evaluation wurden bislang lediglich theoretisch postuliert.
Die Ergebnisqualität (Outcome) operationalisieren Möller & Kotte unter Zuhilfenahme des Modells von Kirkpatrick (1994). Dessen (Klassiker-)Modell unterscheidet vier Ebenen in der Evaluation der Wirksamkeit: Subjektive Zufriedenheit, Lernen, Transfer und Ergebnisse. Wie wir aus der Weiterbildungsforschung wissen, Simone Kauffeld et al. (TU Braunschweig) haben das gerade (2012) schön übersichtlich dargelegt, fokussiert die Mehrheit der Praktiker genau in der Reihenfolge auf die Wirksamkeit: Den Meisten reichen sogenannte "Happy Sheets", also Berichte der subjektiven Zufriedenheit. Schon deutlich kleiner ist die Gruppe der Verantwortlichen, die wissen wollen, ob Lernen stattgefunden hat, noch weniger interessiert der Transfer, ob also tatsächliche Verhaltensänderungen stattfinden, aufrecht erhalten bleiben oder sogar generalisiert werden. Kaum jemanden interessiert, ob sich eine Weiterbildungsmaßnahme tatsächlich in harten Zahlen niederschlägt.
Es war also zu erwarten, dass sich für Coaching ähnlich Ernüchterndes zeigen würde. Ein Großteil der Studien, legen Möller & Kotte dar, findet hohe Werte bei den allgemeinen Erfolgsmaßen (Allgemeine Erfolgseinschätzung, Zufriedenheit mit dem Coaching) sowie solchen, die die Verhaltensebene betreffen (Zielerreichung). Zur Ergebnisebene (ROI-Abschätzungen) gibt es bisher nur einige wenige Untersuchungen.
Viele Fragen sind also offen und man kann vermuten, dass sich die Evaluation von Coaching aufgrund der sehr persönlichen Themen und dem Bedürfnis nach Vertraulichkeit der Klienten (aber auch der Coaches und Auftraggeber) noch deutlich schwieriger gestaltet als im Weiterbildungssektor insgesamt. Aber es gibt auch Lichtblicke wie die Evaluationsplattform von André Bischof (2011). Und – auch das sollte hier einmal als Nebenbemerkung kritisch adressiert werden: Coaching-Weiterbildungs- und Verbandszertifikate sind bloß Inputvariablen im Evaluationsmodell. Noch "viel Luft nach oben" also für die Branche.
Neben dem Thema Evaluation gibt es zudem zahlreiche andere Forschungsfragen. Doch wechseln wir einmal die Szene und besuchen den Internationalen Coaching-Forschungskongress "Coaching meets Research" Anfang Juni in Basel:
Das Kongressmotto "Praxisfelder" lenkte den Blick vom heißen Thema Evaluation auf die Diversität an Themen und Anwendungsformen des Coachings, was in etlichen Keynotes aufgegriffen wurde. Zum Beispiel von Dr. Alison Carter (UK), die zeigte, welche große Spannbreite an Coaching-Studien existiert und dass oft immer noch unklar bleibt, was Coaching genau ist oder wie es sich von anderen Beratungsansätzen unterscheidet. Ihr Fazit: Die Forschungslage ist unbefriedigend.
Diesen Eindruck bestärkte auch die Podiumsdiskussion am späten Nachmittag des ersten Kongresstages. Es diskutierten Unternehmens- und Hochschulvertreter über den Stand der Etablierung von Coaching in Unternehmen und die Rolle der Wissenschaft. Dabei zeigt sich große Übereinstimmung unter den Unternehmen bei der Implementierung von Coaching-Programmen. Externe als auch interne Coaching-Pools und deren "Bewirtschaftung" mit gestuften Verfahren der Coach-Auswahl sind in den Großunternehmen längst State of the Art. Die Verbandsmitgliedschaft oder gar eine Verbandszertifizierung eines Coachs ist hierbei ein, zumeist aber auch lediglich ein Add-on-Kriterium. Die Unternehmen haben schon lange eigene Kriterienkataloge und Auswahlprozesse implementiert und lassen sich diese Arbeit von Verbänden oder externen Dienstleistern nicht aus der Hand nehmen. Gleichfalls tauscht man sich zudem in branchenübergreifenden Netzwerken aus.
Doch die Zusammenarbeit der Unternehmen mit Hochschulen verläuft bislang eher spärlich. Wenn man auch gerne auf die Absolventen als Praktikanten zurück greift, eine systematische Forschungskooperation ist nirgends in Sicht. Dabei erweist sich auch das heiße Thema Evaluation nicht als Ausnahme. Es wird zwar von Seiten der Unternehmen immer wieder Bedarf signalisiert, zugleich werden aber auch Schwierigkeiten berichtet. Etliche Evaluationsprojekte scheinen gescheitert zu sein, weil sich zu wenige Teilnehmer dafür bereit fanden und so die Anonymität gefährdet war. Evaluation ist ein hoch sensibles Thema, hatte Professor Dr. Stefan Kühl im Jahre 2008 schon im Coaching-Magazin gemutmaßt, und dass seiner Meinung nach die Häufigkeit der Rede von Evaluation in den Unternehmen umgekehrt proportional zur tatsächlichen Durchführung dort stehe. Die Gefahr bestehe schließlich, dass dabei auch unangenehme Ergebnisse heraus kommen könnten …
Sollte dieser Befund zutreffen, haben die Unternehmen eine elegante Lösung aus dem Dilemma gefunden. Sie koppeln sich aus dem wissenschaftlichen Evaluationsdiskurs aus und definieren eigene Spielregeln. Mit "harten Zahlen" und bekannten Evaluationsmodellen (z. B. Kirkpatrick, 1994) zu argumentieren, empfindet man offenbar in den Unternehmen als unangemessen. Die subjektive Zufriedenheit des Coaching-Klienten ist der wichtige Indikator, den man um die Auswertung im Dreieckskontrakt ergänzt. Das reicht offenbar, um sich gegenüber dem Management zu verantworten.
Das sehe im Non-Profit-Sektor inzwischen deutlich anders aus, gab Dr. Michael Loebbert (FHNW) zu bedenken. Der Druck der Geldgeber auf die Institutionen nehme deutlich zu und befördere die Evaluation. Es sei zwar nicht einfach mit der Forschung in den Unternehmen, doch führe das auch zu geschickteren Akquisitionsstrategien. So würden etliche Studierende inzwischen das Stichwort "Coaching" aus dem Titel ihrer Abschlussarbeit streichen, um die Unternehmen nicht zu verschrecken. Es gehe dann eben um Leadership oder Lerntransfer. Und an die Unternehmensvertreter auf dem Podium gerichtet gab er zu Bedenken: "Vielleicht wird bei Ihnen ja mehr gemacht als Sie wissen".
Und in der Tat, schaut man sich die Fülle an Referaten an, die in 20 Workshops in Basel präsentiert wurden, kann man nicht umhin festzustellen: Es gibt eine rege Forschungslandschaft. Vielleicht nicht unbedingt immer gleich sichtbar in den großen Konzernen, die auf dem Podium vertreten waren. Wobei man gleich einschränken muss, die Unternehmen kommunizieren natürlich nur einen Teil dessen, was sie tun. So sprach Eveline Giger-Bürli, Coaching-Expertin der größten Krankenversicherung in der Schweiz, Helsana, und verantwortlich für deren externen Coach-Pool, von Veränderungen in der Unternehmenskultur. Und dass sie nun Coaches, die im Jahre 2007 gut zum Unternehmen gepasst haben, heute aber nicht mehr, beginne auszutauschen. Sie begründete das mit neuen Bedürfnissen, ließ das Publikum aber im Unklaren, was genau man sich darunter vorzustellen habe.
In anderen Feldern, und davon handelte ja das Kongress-Motto, pflegt man da weniger Zurückhaltung. Es wurden in den Workshops Einblicke in die Felder der internationalen Kooperation, des Non-Profit-Sektors, ins Gesundheits-Coaching bis hin in die Marktforschung gegeben. Sicher, die Inputs waren von unterschiedlicher Tiefe, Güte und Relevanz, was zeigt, wie breit und multiperspektivisch inzwischen geforscht wird. Auch das ist ein spannender Punkt: Die Vorstellungen über Forschungsdesign und -methoden sind in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedlich ausgeprägt. Man kann das vergleichend bewerten, aber auch als Ergänzung wertschätzen.
Anlass zur Hoffnung gibt eine Information, die am Rande des Kongresses kolportiert wurde: Es gibt wohl inzwischen Anstrengungen, die Forschungsbemühungen zu bündeln und ein größeres Forschungsprogramm aufzusetzen. Das könnte das Coaching, aber auch dessen Erforschung hierzulande ein gutes Stück vorwärts bringen. Denn die Forschungsaktivitäten im englischsprachigen Ausland sind zum Teil ausgeprägter. Es ist also viel in Bewegung und man darf gespannt sein auf das nächste Update des Kongresses in zwei Jahren.