Ethik

Die Bewertung von Coaching-Prozessen als ethische Herausforderung. Teil 3

Schlussfolgerungen für die Praxis der Bewertung

Im Kontext der Globalisierung folge die Coaching-Praxis einer marktwirtschaftlichen Logik: Der Klient werde in seiner Selbstausbeutung optimiert. Aus dieser Ethikfalle könne sich die Branche nur befreien, wenn sie Coaching als gesellschaftsdienlichen Bildungsprozess zu betrachten beginne, so die im Coaching-Magazin 3/2016 vertretene These, auf die der vorliegende Artikel aufbaut. Es stellt sich die Frage: Mit welchen Implikationen für die Praxis der Bewertung von Coaching-Prozessen ist diese ethische Begründung des Coachings verbunden?

14 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2016 am 23.11.2016

Bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach einer Coaching-Ethik ist es sinnvoll, an den Konsens anzuschließen, dass sich Coaching durch den Anspruch definiert, für den Klienten etwas Positives zu bewirken. Aber was heißt das im Einzelnen? Und welche Bedeutung hat dabei die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft?

Um diese Fragen zu beantworten und in diesem Sinne zur Professionalisierung von Coaching beizutragen, wurde in Teil 1 dieser Artikelreihe, der im Coaching-Magazin 2/2016 veröffentlicht wurde, dargestellt, worin die ethische Problematik der Bewertung von Coaching-Prozessen besteht. Im zweiten Teil (Coaching-Magazin 3/2016) wurde die Ethikfalle diskutiert, in der sich Coaching im Kontext der Globalisierung befindet, um dann eine konzeptionelle Begründung von als Bildungsprozess verstandenem Coaching vorzunehmen, die beansprucht, in ihrem Kern bereits eine ethische Begründung zu sein. Was das konkret für die Praxis der Bewertung von Coaching-Prozessen bedeutet, wird nun abschließend ausgeführt.

Begründungszusammenhang für moralische Ansprüche an die Bewertung

Um den Gefahren der Ethik-Falle von Coaching zu begegnen, ist es notwendig, die Anstrengungen einer bildungstheoretisch-philosophischen Reflexion auf sich zu nehmen und nach den ethischen Grundlagen zu fragen, die der konzeptionellen Begründung des Coachings als Bezug dienen können. Mit dieser Aussage wird die Auffassung vertreten, dass die konzeptionelle Begründung von Coaching in ihrem Kern grundsätzlich auch eine ethische Begründung sein muss.

Im Folgenden soll dargelegt werden, dass eine konzeptionelle Vorstellung von Coaching, auf die sich die Bewertung von Coaching-Prozessen stützen kann, eine bildungstheoretisch-philosophische Reflexion voraussetzt, die von einer dreifachen Erkenntnis ausgeht. Diese besteht darin, dass Coaching drei Beziehungen im Auge haben muss, nämlich die Beziehung

  • zwischen Reflexionspraxis und reflektierter Praxis,
  • zwischen Sein und Sollen, d.h. vorliegendem Ist-Zustand und gewünschtem Soll-Zustand
  • und zwischen dem, was im Coaching reflektiert werden muss, und dem, was unantastbar ist.

Für diese Beziehungen gilt, dass sie sich auf Unterschiedliches berufen und es in Beziehung setzen und so eine übergeordnete Einheit entstehen lassen.

Reflexionspraxis und reflektierte Praxis

Jede Begründung von Coaching-Ethik setzt die Beantwortung der Frage voraus, was Coaching eigentlich ist. Diese Frage lenkt den Blick auf die Natur des Menschen, d.h. auf seine empirischen Bedingungsmöglichkeiten. Gemeint sind damit nicht die empirischen Bedingungen, die konkrete Menschen in konkreten Situationen und geschichtlichen Lagen auszeichnen und empirisch erfasst werden können, um auf dieser Grundlage z.B. mithilfe statistischer Verfahren das Bild eines „durchschnittlichen“ Menschen zu rekonstruieren, sondern die interpretativ zu ermittelnden Möglichkeiten, die diesen empirischen Bedingungen impliziert sind und unter bestimmten Umständen zu einer empirisch erfassbaren Wirklichkeit werden können. 

Dieser Zusammenhang empirischer Bedingungen und Bedingungsmöglichkeiten ist für Coaching von zentraler Bedeutung. Denn der Sinn von Coaching ist, die Bildsamkeit des Klienten zu fördern, d.h. die Möglichkeiten zu ermitteln und zu entfalten, die ihm tatsächlich zur Verfügung stehen und deshalb mithilfe bestimmter Lernprozesse Wirklichkeit werden können. Um diese Potenziale zu ermitteln, müssen Coach und Klient zunächst auf die vorliegende Wirklichkeit schauen, d.h. auf die empirischen Bedingungen des Klienten, um auf dieser Grundlage Hypothesen darüber zu entwickeln, welche positiven Möglichkeiten durch Lernen erschlossen werden können. 

Dieser Gedanke ist von der humanistischen und positiven Psychologie und den sich darauf stützenden Coaching-Ansätzen (Kauffman, 2006 & Stober, 2006) so aufgenommen worden, dass von einem explizit positiven Menschenbild ausgegangen wird, das die ethische Handlungsmaxime begründet, die positiven Potenziale des Klienten, also z.B. seinen Wunsch nach Selbstverwirklichung, zu erkennen und zur Entfaltung zu bringen. 

In entsprechender Weise kann auch auf den Coach – in einem nächsten Schritt auch auf denjenigen, der seinen Coaching-Prozess bewertet – geschaut werden, und zwar unter der Frage, welche Entwicklungspotenziale er hat und wie er sie entfalten kann. 

Eine solche Betrachtung des anderen ist nicht per se ethisch gerechtfertigt, und zwar auch bzw. vor allem dann nicht, wenn davon ausgegangen wird, dass der Mensch eine Vielzahl positiver Entwicklungspotenziale besitzt. Denn die pädagogische Anthropologie macht darauf aufmerksam, dass derjenige, der nach der Natur des Menschen fragt, implizit immer auch nach seiner eigenen Natur fragt (Prange, 1978). Diese Erkenntnis ermöglicht es, die Tatsache, dass alle bisherigen Versuche der Wissenschaften, die Natur des Menschen mit Bezug auf positiv formulierte Merkmale – also z.B. als homo oeconomicus, social man, self actualizing man und complex man (Schein, 1974 & Neuberger, 1990) – zu bestimmen, gescheitert sind, produktiv zu der Erkenntnis zu wenden, dass der Mensch im Gegensatz zu Tieren und Pflanzen von Natur aus nicht prädeterminiert ist, sondern sich in Freiheit selbst bestimmen kann und muss. Diese Bedingung und Bedingungsmöglichkeit bezeichnet Prange (1978; 50) als „offene Bestimmtheit“, deren methodische Figur die „offene Frage“ ist. Aus diesem Grunde ist es ein fragwürdiges Unterfangen, die konzeptionelle Begründung von Coaching an bestimmte Psychologieschulen zu binden. 

Der von Prange formulierte Vorschlag, die methodische Figur der „offenen Frage“ als einen Hinweis auf die Natur des Menschen zu betrachten, lenkt den Blick schließlich auf die Erkenntnis der Differenz und Einheit von Reflexionspraxis und reflektierter Praxis. Denn der Prozess des Fragens bzw. Reflektierens ist eine Praxis, die sich kategorial von der Praxis unterscheidet, auf die sich das Reflektieren inhaltlich bezieht (Benner, 1991). 

In diesem Sinne muss die Bewertung von Coaching-Prozessen Bezug nehmen auf die Reflexionspraxis (1) des Klienten, (2) des Coachs, (3) des Coaching-Bewerters und (4) auf die vielfältigen Reflexionspraxen derjenigen, die vorliegende Coaching-Bewertungen bewerten. Das alleine reicht aber nicht. Denn es ist auch Bezug zu nehmen auf die Praxen, auf die sich die jeweilige Reflexion bezieht, nämlich (1) auf die Praxis der Probleme, die der Klient hat und lösen will, (2) auf die Coaching-Praxis, für die der Coach verantwortlich ist, und (3) auf die Praxis der Bewertung von Coaching-Prozessen. 

Diese beiden Praxisschichten sind zum einen unterschiedlich, und zum anderen bilden sie eine Einheit. Denn jede Reflexionspraxis setzt eine Praxis voraus, auf die sich die Reflexion bezieht, und Letztere ist nur als eflektierte Praxis denkbar. 

Diese Differenz und Einheit von Reflexionspraxis und reflektierter Praxis ist für die Bewertung von Coaching-Prozessen insofern wichtig, weil sich aus ihr eine ethische Orientierung ableitet, (1) wie der Coach mit dem Klienten hinsichtlich der Bearbeitung seiner Coaching-Problematik umgehen sollte, (2) wie der Coaching-Bewerter mit dem Coach hinsichtlich der Diagnose und Verbesserung seiner Coaching-Kompetenz umgehen sollte und (3) wie alle diejenigen, die sich mit der Bewertung von Coaching-Bewertungen befassen, mit denjenigen umgehen sollten, die Coaching-Bewertungen vorgenommen haben. Das ethische Gebot, um das es hier geht, nimmt in unterschiedlicher Weise auf die verschiedenen Reflexionspraxen und auf die verschiedenen reflektierten Praxen Bezug. Mit Bezug auf diese Differenzierung wird erkennbar, dass die Reflexionspraxis ethisch auf das Gebot der „Aufforderung zur Selbsttätigkeit“ auszurichten ist. Diese kann in Form eines anregenden Impulses, aber auch einer Anleitung oder Konfrontation erfolgen. 

Mit Bezug auf die reflektierte Praxis hingegen stellt sich das Gebot einer „Überführung gesellschaftlicher Determination in pädagogische Determination“, die ausgerichtet sein muss an Kants kategorischem Imperativ und dem daraus abgeleiteten Prinzip einer „nicht-hierarchischen Ordnung der menschlichen Gesamtpraxis“ bzw. einer wünschenswerten Gesellschaft in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Ist- und Soll-Zustand

us der Erkenntnis, dass die Natur des Menschen strukturell einer offenen Frage gleicht, leitet sich die Erkenntnis der normativen Bedingungsmöglichkeit ab, dass der Mensch seine ihm gegebene Freiheit, Offenheit und Fraglichkeit nutzen muss, um sich zu entfalten. Denn aufgrund seiner empirischen Bedingungen hat er auch die Möglichkeit, sie nicht zu nutzen und so – wie Kant es formuliert – in selbst verschuldeter Unfreiheit zu bleiben, indem er sich z.B. als hilfloses Opfer widriger Umstände wahrnimmt und dadurch dann auch tatsächlich zu einem solchen wird.

Mit dieser Argumentation schließt Prange (1978) an das Kernstück der vor allem durch Johann Friedrich Herbart begründeten neuzeitlichen Bildungstheorie an, nämlich an die Diskussion über „Bildsamkeit“ als Voraussetzung für die Entfaltung von Bildung, und benutzt dabei eine methodische Argumentationsfigur, die in dem ansonsten höchst strittigen bildungstheoretischen Diskurs als weithin konsensfähig betrachtet werden kann.

Es ist die Argumentationsfigur, die empirischen und die normativen Bedingungen und Bedingungsmöglichkeiten menschlichen Daseins einerseits als etwas Unterschiedliches zu betrachten, in dieser Differenz aber gleichzeitig eine Einheit zu sehen. Denn das, was faktisch ist und sein kann, kann immer nur von einem Betrachtungsstandpunkt aus erkannt werden, der bewusst oder unbewusst durch bestimmte Soll-Vorstellungen, d.h. Interessen, Sorgen, Visionen oder Ängste, bestimmt ist. Diese Verschränkung von Sein und Sollen ist ein grundlegendes Merkmal der multiplen Soll-Ist-Problematik, die im ersten Teil dieser Reihe (Coaching-Magazin 2/2016) vorgestellt wurde.Die Besonderheit, auf die Herbart und die klassische Pädagogik aufmerksam machen, ist dabei erstens, dass jeder Ist-Zustand, d.h. jedes Sein einerseits das Resultat determinierender Wirkungszusammenhänge ist, und zweitens, dass diese Determination andererseits aber niemals vollständig ist, sondern immer Freiheitsgrade aufweist, die genutzt werden können und deren Nutzung oder Nicht-Nutzung moralisch zu verantworten ist. 

Mit Blick auf diesen Zusammenhang von Determination und Freiheit haben die Wirtschaftsethiker Karl Homann und Franz Blome-Drees (1992) vor einer Opferethik gewarnt, die die determinierende Kraft des menschlichen Egoismus unterschätzt und die Bedingungen erschwert, das, was als ethisch geboten erkannt wird, im eigenen Handeln dann auch praktisch umzusetzen. Stattdessen empfehlen sie, den Standpunkt eines „aufgeklärten Egoisten“ zugrunde zu legen, der vorrangig nach den langfristigen und teilweise auch indirekten Rückwirkungen auf ihn selbst fragt, die das eigene Handeln auslösen.

Das Profane und das Heilige

Der Umgang des Menschen mit sich und seinem Kontext vollzieht sich immer als ein Prozess, dessen Zeitlichkeit im Anschluss an Heidegger als Differenz und Einheit von zwei Zeitmodalitäten gedacht werden muss (Prange, 1978). Denn auf der einen Seite können wir Zeit zum Objekt unseres Denkens und Handelns machen. Auf der anderen Seite hingegen sind wir immer eingebunden in die subjektiv nicht nur kognitiv, sondern insbesondere auch emotional erlebte Zeit der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Entsprechend vollzieht sich die Entfaltung menschlichen Daseins immer in zwei Wirklichkeitsbezügen, nämlich in der Objektreferenzialität, die sich auf die Welt des Profanen bezieht, also auf die Welt der Handlungs- und Reflexionsobjekte bzw. der Welt, in der alles zum Objekt eines von einem Subjekt gesteuerten und zu verantwortenden Denkens und Handelns gemacht wird. 

Neben diesem Wirklichkeitsbezug steht die Subjektreferenzialität (Geißler, 2000) eines Erlebens und Handelns, das sich im Umgang mit anderen Menschen, Lebewesen und Gegenständen bzw. sachlichen Phänomenen auf diejenigen Aspekte bezieht, die nicht zum Objekt menschlicher Exploration und Exploitation werden dürfen, weil damit ihre ihnen eigene Würde verletzt würde. Im Anschluss an die Religionssoziologie Emile Durkheims kann man diesen Bereich als denjenigen des Heiligen bezeichnen. In diesem Sinne ist der Kern jedes Subjekts und damit der Kern von Subjekthaftigkeit ein Bereich, der „heilig“ ist und deshalb aus ethischen Gründen nicht zum Objekt von Vermessung, Berechnung und Nutzenkalkulation gemacht werden darf. 

Diese beiden Weltbezüge, d.h. der Weltbezug der Objektreferenzialität und derjenige der Subjektreferenzialität und die sich so begründenden beiden Bereiche des Profanen und Heiligen bilden trotz – oder gerade wegen – ihrer Unterschiedlichkeit eine Einheit. Diese Differenz und Einheit von Objekt- und Subjektreferenzialität bzw. vom Profanem und Heiligem lässt sich am Beispiel der Bildsamkeit verdeutlichen. Denn Bildsamkeit zielt zum einen auf die Potenziale des Einzelnen, also auch des Coaching-Klienten, die z.B. mithilfe psychologisch-diagnostischer Verfahren ermittelt werden können und dabei auch den ethischen Anspruch stellen, möglichst objektiv ermittelt zu werden. Auf der anderen Seite hingegen bezieht sich Bildsamkeit aber auch auf denjenigen Bereich des Subjekts, der anderen, also auch einem Coach, in dem Sinne heilig sein muss, dass ihm mit Ehrfurcht begegnet wird und nicht versucht wird, sich von ihm ein objektivierendes Bildnis zu machen.

In ähnlicher Weise unterscheidet Zygmunt Bauman (1995) in seiner postmodernen Ethik kategorial zwischen Ethik als objektreferenziellem System ethischer Begründungszusammenhänge und Forderungen und der Moral, die sich subjektreferenziell begründet. Denn Moral meint den im subjektiven Erleben entstandenen und wahrgenommenen vorsprachlichen Impuls, für den anderen da zu sein (Geißler, 2004). Dieses Für-den-anderen-Dasein-Sollen korrespondiert mit dem objektrefereziell begründeten kategorischen Imperativ Kants und konkretisiert das, was Benner mit seinen beiden regulativen Prinzipien pädagogischen Denkens und Handelns meint, nämlich – im Sinne der ethischen Position des „aufgeklärten Egoisten“ – sich und der Welt die Chance zur Entfaltung der vorliegenden positiven Potenziale zu geben. In diesem formuliert Bauman (1995; 119):

 „Es besteht keine Notwendigkeit, moralisch zu sein. Moralisch zu sein ist eine Chance, die man annehmen kann; aber man kann sie auch und ebenso leicht verwirken. Der Punkt ist nur, die Chance der Moralität zu verlieren, heißt auch, die Chance auf das Selbst zu verlieren. (…) Erwachen, um für den Anderen da zu sein, ist das Erwachen des Selbst, welches die Geburt des Selbst ist.“

Die Bewertung von Coaching-Prozessen als Supervisionspraxis

Der im ersten Teil (Coaching-Magazin 2/2016) vorgestellte strukturelle Aufriss der Problematik, die sich bei der Bewertung von Coaching-Prozessen stellt, und die anschließende Explikation seiner ethischen Implikationen führen zu der Einsicht, dass die Bewertung von Coaching-Prozessen als Supervisionspraxis (Carroll, 2007 & Hawkins, 2010) wahrzunehmen ist, die denselben Prinzipien folgt wie Coaching (Szabo, 2015). 

Aus diesem Grunde muss derjenige, der Coaching-Prozesse bewertet, versuchen, möglichst gut zu verstehen, wie der Coach den zu bewertenden Coaching-Prozess selbst sieht und bewertet. Wie in Teil 1 dargelegt, sollte er dabei davon ausgehen, dass der Sinn von Coaching-Prozessen die aufklärende – bzw. sich aufklärende – Reflexion der vorliegenden Ist-Situation des Klienten und der von ihm gewünschten Soll-Situation ist. Diese Reflexion, die sich als ein nicht geradliniger, sondern als ein mäandrierender Prozess einer zunehmenden Lösung bzw. Überwindung der anfänglichen Problemverstrickung des Klienten vollzieht, sollte die Differenz und Einheit (1) von Reflexionspraxis und reflektierter Praxis, (2) von Sein und Sollen und (3) von Objekt- und Subjektreferenzialität berücksichtigen, um der Ethikfalle der Globalisierung zu entgehen. 

Mit Blick auf diese Ansprüche ist es die Aufgabe desjenigen, der einen Coaching-Prozess bewerten will, das Gespräch mit dem Coach vorzubereiten, indem er – zunächst einmal ohne Letzteren – den als Audio-Dokument oder Transkript vorliegenden Coaching-Prozess analysiert und bewertet, und zwar mit Blick auf folgende Leitfragen:

  • Was hat der Coach in welcher Situation gemacht, um die Vorstellungen des Klienten zu explorieren, die dieser von seiner Ist- und Soll-Situation und den Möglichkeiten hat, diese Soll-Ist-Differenz zu überwinden?
  • Was hat der Coach gemacht, um dem Klienten zu helfen, die Qualität seiner Vorstellungen zu überprüfen?
  • Welche realistischen Möglichkeiten hat der Coach für die Exploration und Aufklärung der Klientenvorstellungen nicht oder zu wenig genutzt?
  • Und was hätte der Bewerter ganz konkret in welcher Situation selbst anders gemacht? Bei der Beantwortung dieser Frage ist wichtig, sich die Alternativen ganz konkret wie in einem Film vorzustellen, und zwar bis in die wörtlichen Formulierungen hinein.

Diese Vorbereitung sollte der Bewerter im Bewusstsein eigener möglicher Unvollkommenheiten und Selbstverblendungen vollziehen und dem Coach deshalb als ein Supervisor begegnen, der auf der einen Seite mit seiner Analyse und Bewertung des Coaching-Prozesses dem Coach eine klare Orientierung gibt, der auf der anderen Seite aber gleichzeitig auch um seine prinzipielle Unvollkommenheit weiß und deshalb andere als Lernunterstützungspartner braucht. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass er seine Verbesserungsvorstellungen des zu bewertenden Coachings möglichst differenziert und konkret, d.h. praxisnah vorträgt, um anderen – und zwar nicht zuletzt auch dem zu bewertenden Coach – eine möglichst gute Chance für produktive Kritik zu geben und damit exemplarisch eine pädagogische Praxis zu konstituieren, die sich an den Kriterien der „Bildsamkeit“, „Aufforderung zu Selbsttätigkeit“, „Überführung gesellschaftlicher Determination in pädagogische Determination“ und des kategorischen Imperativs orientiert, den Benner mit Bezug auf pädagogische Praxis als Ideal einer „nicht-hierarchischen Ordnung der menschlichen Gesamtpraxis“ auslegt, das die französische Reflexion politisch mit Bezug auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit konkretisiert hat. 
 

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen modifizierten Auszug folgender Primärquelle: Geißler, Harald (2016): Die Bewertung von Coaching-Prozessen als ethische Herausforderung. In Robert Wegener; Michael Loebbert & Agnès Fritze (Hrsg.). Coaching und Gesellschaft. Forschung und Praxis im Dialog. Wiesbaden: Springer. 49–74.

Literatur

  • Bauman, Zygmunt (1995). Postmoderne Ethik. Hamburg: Hamburger Edition.
  • Benner, Dietrich (1991). Allgemeine Pädagogik. Weinheim, München: Juventa.
  • Carroll, Michael (2007). Coaching psychology supervision. In Stephen Palmer & Alison Whybrow (Hrsg.). Handbook of coaching psychology. London, New York: Routledge. 431–448.
  • Geißler, Harald (2004). Braucht Coaching eine philosophisch begründete Ethik? In OSC, 2/2004, 173–186.
  • Geißler, Harald (2000). Organisationspädagogik. München: Vahlen.
  • Hawkins, Peter (2010). Coaching supervision. In Elaine Cox, Tatiana Bachkirova & David Clutterbuck (Hrsg.). The complete handbook of coaching. Los Angeles et al: Sage. 381–393.
  • Homann, Karl & Blome-Drees, Franz (1992). Wirtschafts- und Unternehmensethik. Göttingen: Vandenhoek.
  • Kauffman, Carol (2006). Positive Psychology: The Science at the Heart of Coaching. In Dianne R. Stober & Anthony M. Grant (Hrsg.). Evidence Based Coaching. New Jersey: Wiley and Sons. 219–254.
  • Neuberger, Oswald (1990). Führen und geführt werden. Stuttgart: Ferdinand Enke.
  • Prange, Klaus (1978). Pädagogik als Erfahrungsprozeß. Bd. I: Der pädagogische Aufbau der Erfahrung. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Schein, Edgar (1974). Das Bild des Menschen aus der Sicht des Managements. In Erwin Grochla (Hrsg.). Management. Düsseldorf, Wien: ECON. 69–91.
  • Stober, Dianne R. (2006). Coaching from the Humanistic Perspective. In Dianne R. Stober & Anthony M. Grant (Hrsg.). Evidence Based Coaching. New Jersey: Wiley and Sons. 17–50.
  • Szabo, Peter (2015). Bewertung von Coachingprozessen. In Harald Geißler & Robert Wegener (Hrsg.). Bewertung von Coachingprozessen. Wiesbaden: Springer. 157–171.
 

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