Wissenschaft

Coaching durch den Vorgesetzten

Die Führungskraft als Coach

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2012 am 22.02.2012

Derzeit ist es besonders en vogue, Führungskräfte mit zusätzlichen Coaching-Kompetenzen auszustatten, da Unternehmen und Führungskräfte zunehmend unter Druck stehen, mit dem sich rasant entwickelnden, globalen Wettbewerb Schritt zu halten. Man verspricht sich dadurch ein effizienteres Führungsverhalten der Vorgesetzten – und motivierte Mitarbeiter.

Unter dem Begriff des Linien-Coachings versteht man eine „entwicklungsorientierte“ Führung der Mitarbeiter durch den direkten Vorgesetzten. Während diese Coaching-Variante den anglo-amerikanischen Raum dominiert, ist ihre Umsetzung im deutschsprachigen Raum bei Experten sehr umstritten. Das besonders kritische Element ist die Qualität der Beziehung zwischen Coach und Klient (Mitarbeiter).

Coaching-Prozesse, die durch externe Coaches begleitet werden, profitieren von deren Neutralität und Objektivität, ebenso wie von der gegenseitigen Akzeptanz und dem fehlenden Beziehungsgefälle zwischen Coach und Klient. All diese Faktoren scheinen bei Coaching-Prozessen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern nicht oder nur in geringem Maße erfüllt – und stellen daher besondere Ansprüche an die Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung der Führungskräfte. Welche Faktoren in diesem Coaching-Format einen positiven Einfluss auf die Beziehungsgestaltung haben und was es für Führungskräfte zu berücksichtigen gilt, versuchen Jane B. Gregory und Paul E. Levy in der vorliegenden Studie zu beantworten.

Die Autoren definieren das Coaching zwischen direktem Vorgesetzten und Mitarbeiter als „a working partnership […] that is focused on addressing the performance and development needs of that employee”. Sie gehen davon aus, dass die Qualität jeder Coaching-Beziehung einzigartig ist. Wie diese von den Klienten und Coaches wahrgenommen wird, hängt sowohl von den Einstellungen und Überzeugungen des Klienten und des Coachs als auch vom organisationsspezifischen Umfeld ab. In Anlehnung an die aktuelle Forschung wird vermutet, dass diejenigen Führungskräfte eine besonders gute Beziehungsqualität im Coaching herstellen können,

  1. die ihre Mitarbeiter individuell führen (transformativer Führungsstil), also ihr Führungsverhalten an deren individuelle Eigenschaften und Bedürfnisse anpassen,
  2. die fähig sind, emotionale Reaktionen ihrer Mitarbeiter adäquat wahrzunehmen, einzuschätzen und zu steuern (emotionale Intelligenz) und
  3. die davon überzeugt sind, dass Menschen grundsätzlich lernfähig sind und Veränderungspotenzial besitzen (implizite inkrementelle Personentheorie).

Da es sich bei dem Vorgesetzten Coaching um eine besondere Coaching-Konstellation handelt, in der der Coach nicht nur Feedbackgeber, sondern im Arbeitsalltag auch noch die Rolle des direkten Vorgesetzten innehat, wird zusätzlich angenommen, dass

  1. die Häufigkeit und die Art und Weise, in der der Vorgesetzte für gewöhnlich Rückmeldungen gibt, (organisationsinterne Feedback-Umgebung),
  2. das Vertrauen der Mitarbeiter zum Vorgesetzten (Vertrauen) sowie
  3. deren Gefühl, vom Vorgesetzten verstanden zu werden (interaktive Empathie)

einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Coaching-Beziehung nimmt. Hierzu wurden 146 Führungskräfte eines der (gemäß des Magazins Fortune 500) kapitalstärksten Unternehmen der USA und 556 ihrer direkt unterstellten Mitarbeiter (Klienten) im Rahmen eines Online-Surveys befragt.

Es zeigte sich, dass ein Vorgesetzter einiges dafür tun kann, um die Qualität der Coaching-Beziehung zu seinem Mitarbeiter zu verbessern. Statt der „one size fits all“-Haltung sprechen die Ergebnisse eindeutig für ein individuell auf den Mitarbeiter zugeschnittenes Führungsverhalten und die bewusste und fokussierte Unterstützung der Mitarbeiter in ihrer beruflichen Entwicklung. Dies impliziert zum Beispiel, dass sich der Vorgesetzte Zeit für den Mitarbeiter nimmt, versucht, ihn zu verstehen, seine Sichtweisen und Bedürfnisse nachzuvollziehen und Interesse an dessen Zielen und Bedürfnissen zeigt. Die Vorgesetzten, denen dies gelingt, schaffen ein positives Arbeitsverhältnis, das sich – aus Sicht der gecoachten Mitarbeiter – äußerst positiv auf die Qualität der Coaching-Beziehung auswirkt.

Einen ähnlich starken Zusammenhang zeigte sich auch für die vom Mitarbeiter wahrgenommene Feedback-Kultur in der Abteilung, für die die Führungskraft verantwortlich ist. Das bedeutet, dass die Art und Weise, aber auch die Häufigkeit der im regulären Arbeitsalltag abgegebenen Rückmeldungen der Vorgesetzten die Qualität der Coaching-Beziehung vorhersagen kann.

Damit sehr eng verbunden ist das Vertrauensverhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter für die Qualität der Coaching-Beziehung seitens der Mitarbeiter essenziell und der stärkste Prädiktor. Ohne Vertrauen keine Coaching-Beziehung. Haben die Mitarbeiter zusätzlich das Gefühl, dass sie vom Vorgesetzten verstanden werden und dieser Interesse für ihre Belange zeigt (interaktive Empathie), nehmen sie auch die Qualität der Coaching-Beziehung positiver wahr.

Im Gegensatz dazu scheint die Qualität der Coaching-Beziehung mit der von der Führungskraft selbst eingeschätzten Fähigkeit, emotionale Zustände beim Mitarbeiter wahrzunehmen und darauf adäquat reagieren zu können (emotionale Intelligenz), nicht zusammenzuhängen.

Ist es demnach egal, wie gut die Führungskraft in der Lage ist, Emotionen wie Belastungen, Angst oder Furcht und so weiter beim Mitarbeiter wahrzunehmen und darauf zu reagieren? Vermutlich nicht, auch wenn die Ergebnisse dieser Studie anderen Belegen widersprechen. Für diese Studie bleibt die Frage ungeklärt, inwieweit die Selbsteinschätzungen der Führungskräfte bezüglich ihrer emotionalen Intelligenz ausreichend valide sind. Auf der Basis bisheriger Forschungsergebnisse zu dieser Fragestellung ist anzunehmen, dass vor allem Schwierigkeiten in der objektiven Wahrnehmung der eigenen emotionalen Intelligenz eine Rolle spielen.

Ähnliches vermuten die Autoren für die allgemeine Überzeugung der Vorgesetzten bezüglich der Unveränderlichkeit oder des Veränderungspotenzials eines Individuums (inkrementelle Personentheorie). Entgegen den bisherigen empirischen Befunden ergab sich hierfür in dieser Studie kein Einfluss auf die Qualität der Coaching-Beziehung.

Das kritische Element des Formats des Vorgesetzten-Coachings ist die Beziehungsqualität. Anhand dieser Studie wird deutlich, dass bestimmte Rahmenbedingungen und Kompetenzen seitens des Vorgesetzten vorhanden sein müssen, damit diese Coaching-Konstellation gelingen kann. Hierzu zählen:

  • Die Fähigkeit der Führungskraft, unabhängig vom Coaching eine positive Feedback-Kultur zu etablieren
  • Das grundsätzliche Interesse am Mitarbeiter und seinen beruflichen Belangen
  • Die Fähigkeit, den einzelnen Mitarbeiter und seine Belange im Arbeitsumfeld wahr zunehmen und das eigene Führungsverhalten darauf anzupassen
  • Dem Mitarbeiter das Gefühl zu geben, verstanden zu werden

Es wäre anzunehmen, dass die positive Feedbackkultur im Unternehmen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich der Mitarbeiter dem Vorgesetzten anvertraut. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass dies die Glaubwürdigkeit des Vorgesetzten in seiner Rolle als Coach und Feedbackgeber unterstreicht. Leider sind diese beiden Vermutungen nicht untersucht worden. Hier wird eine der Schwächen dieser Studie deutlich: Die Entscheidung für die Prüfung der Wechselwirkungen beschränkt sich lediglich auf die Interaktionen zwischen dem Führungsstil, Vertrauen und der Qualität der Coaching-Beziehung sowie zwischen der emotionalen Intelligenz der Führungskräfte, der vom Mitarbeiter wahrgenommenen Empathie und der Qualität der Coaching-Beziehung. Die Autoren selbst weisen darauf hin, dass Leistungsparameter in der Untersuchung fehlen.

Es lässt sich demnach nicht klären, inwieweit die positive Qualität der Coaching-Beziehung auch relevant für die Effektivität des Coachings durch die Vorgesetzten ist. Weiterhin ist zu bemerken, dass die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Umsetzung des Vorgesetzten-Coachings in deutschen Unternehmen fraglich ist. Dies ist der Tatsache zuzuschreiben, dass im Vergleich zu dem Coaching-Verständnis in Deutschland das Vorgesetzten-Coaching in Amerika den Normalfall darstellt. Es folglich nicht ungewöhnlich ist, dass der Vorgesetzte den direkt unterstellten Mitarbeiter coacht. Trotzdem lenkt diese Studie den Blick auf eine der elementaren Coaching-Kompetenzen: Die Fähigkeit, eine tragfähige und vertrauensvolle Coaching-Beziehung aufzubauen. Eine Kompetenz, die oftmals im Boom der Coaching-Tool-Verwendung untergeht.

Gregory, J. B. & Levy, P. E.(2011). It’s not me, it’s you: A multilevel examination of variables that impact employee coaching relationships. Consulting Psychology Journal: Practice and Research, Vol. 63, No. 2, 67-88.

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