Wissenschaft

Leadership-Coaching? Nein, danke!

Ablehnung von Coaching-Prozessen

6 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2012 am 22.02.2012

Szenario: In Ihrem Unternehmen hat sich Coaching als Personalentwicklungsmaßnahme etabliert. Im Rahmen eines Programms zur Förderung junger Führungskräfte soll jeder dieser „High Potentials“, für die dieses Programm eigens entwickelt wurde, die Möglichkeit die Coaches innerhalb eines Development-Center-Tages kennenzulernen und mit einem dieser Coaches, seine potenziellen Coaching-Anliegen zu besprechen. Trotz der allgemeinen hohen Akzeptanz des Coachings lehnt allerdings die Hälfte der Nachwuchsführungskräfte eine Unterstützung ihrer Entwicklung durch einen Coach ab. Woran könnte dies liegen?

Vicky Ellam-Dyson und Stephen Palmer (2011) widmen sich in der vorliegenden Publikation der Frage, welche persönlichen Faktoren (wie zum Beispiel Vorbehalte oder Vorstellungen) dazu führen, einen Coaching-Prozess abzulehnen oder abzubrechen. Die theoretische Basis dieser Studie liefert die Theorie zum Rational Emotiven Verhalten nach Albert Ellis (1995). Demnach entstehen Ablehnung und Vermeidungsverhalten aus stark handlungsleitenden Glaubenssätzen bezüglich Perfektionismus, niedriger Frustrationstoleranz und niedriger Selbstakzeptanz.

Ein Mensch, der davon tief überzeugt ist, dass kleinste Fehler ein unwiderlegbarer Beweis für die eigene Inkompetenz darstellt, vermeidet jegliche Art und jeglichen Kontext potenzieller „Bloßstellung“, unabhängig davon, ob die Befürchtung tatsächlich gerechtfertigt ist oder nicht. Damit verbunden ist oftmals eine hohe „Außenorientierung“ – das bedeutet, die Meinung anderer und Anerkennung durch andere ist sehr wichtig für die eigene Wertschätzung (Crocker & Knight, 2005). Eine niedrige Frustrationstoleranz drückt sich häufig in der Überzeugung aus, dass das Leben einfach sein sollte und Schwierigkeiten nicht tolerabel sind. Herausforderungen werden von Menschen mit diesen Überzeugungen häufig aufgeschoben oder vermieden.

Übertragen auf das oben skizzierte Szenario würde dies bedeuten, dass vor allem Führungskräfte mit niedriger Frustrationstoleranz, einer niedrigen Selbstakzeptanz und ausgeprägtem Perfektionismus dazu tendieren, ein Coaching zu verweigern. Die Längsschnittstudie beinhaltet eine Befragung von 41 Nachwuchsführungskräften im öffentlichen Dienst Großbritanniens. Das sechs Stunden umfassende Coaching war Bestandteil einer Assessment-Center-Initiative zur Identifikation von „High Potentials“ und einem anschließenden Förderprogramm. Das Coaching selbst fand allerding im Anschluss innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten statt. Wie sich im Verlaufe der Studie herausstellte, entschied sich ungefähr die Hälfte der Nachwuchsführungskräfte gegen eine Unterstützung durch einen Coach und verweigerte die Teilnahme an der Nachbefragung.

Wie sich in den Analysen der Daten dieser Studie zeigte, unterscheiden sich die Coaching-Verweigerer im Vergleich zu den Coaching-Teilnehmern vor allem in der Ausprägung ihrer Selbstakzeptanz. Hinsichtlich der Frustrationstoleranz und des Strebens nach Perfektionismus gibt es mit einer Ausnahme keine wesentlichen Unterschiede. Die Fähigkeit, sich selbst unabhängig von Erfolgserlebnissen und Anerkennung anderer wertzuschätzen (bedingungslose Selbstakzeptanz), war bei den Verweigerern des Coachings niedriger ausgeprägt, als in der Gruppe der Coaching-Klienten. In Anlehnung an bisherige Forschungsergebnisse (Crocker & Knight, 2005) heißt dies, dass die Nachwuchsführungskräfte mit niedriger Selbstakzeptanz ihren Selbstwert sehr häufig an Erfolgserlebnisse knüpfen. Wird der Ausgang einer bevorstehenden Situation von ihnen eher als potenzieller Misserfolg eingeschätzt, ist es wahrscheinlich, dass sie diese Herausforderungen und Situationen vermeiden. Problematisch ist diese innere Haltung für Lernsituationen und berufliche Herausforderungen. Die Furcht vor Fehlern, Kritik und negativem Feedback verhindert so kurzfristig das Erlernen neuer Kompetenzen und langfristig die professionelle Entwicklung.

Unterstützt wird diese Vermutung durch ein zweites Ergebnis dieser Studie. Die selbstbewertende Komponente des Perfektionismus ist bei Coaching-Verweigerern zusätzlich zu der niedrigeren Selbstakzeptanz tendenziell stärker ausgeprägt. Dies impliziert, dass die Definition des persönlichen Erfolgs in diesem Falle oftmals sehr streng und idealistisch formuliert wird. Die Bedingungen für einen Erfolg und somit die Kriterien für die eigene positive Wertschätzung sind daher nur schwer zu erfüllen. Die Tendenz, den eigenen Selbstwert durch Anerkennung von anderen und Erfolgserlebnisse zu bestätigen – in Kombination mit der anspruchsvollen Definition von Erfolg – könnte nach Ansicht der Autoren dieser Studie dazu geführt haben, dass die Führungskräfte das Angebot eines Coachings ausschlugen. Möglicherweise befürchteten sie im Rahmen des Coachings eine Konfrontation mit Misserfolgen und Fehlern oder negative Rückmeldung über ihre Leistungen. Um eine daraus resultierende Selbstabwertung zu verhindern, lehnen sie die Inanspruchnahme eines Coachings ab.

Stellt sich nun folgende Frage: Wie gelingt es, vor allem diejenigen Führungskräfte zu ermutigen, ein Coaching in Anspruch zu nehmen, die aus Angst vor Misserfolg solche Herausforderungen eher meiden? Nach Ansicht der Autoren ist der allgemeine Umgang mit Leistungsbewertungen im Unternehmen ausschlaggebend. Ein Unternehmen sollte eine Kultur entwickeln, die Lernen, Entwicklung und das Annehmen von Herausforderungen fördert und nicht bestraft. Hierzu ist eine gewisse „Fehlertoleranz“ vonnöten und die Integration des Coachings als „Instrument“, den Lernprozess zu begleiten. Coaches selbst sollten den potenziellen Einfluss einer niedrigen Selbstakzeptanz, inklusive der Angst vor Misserfolgen im Rahmen eines Coaching-Prozesses im Blick behalten und ihre Interventionen darauf abstimmen.

In dieser Studie wird wieder einmal deutlich, wie die Umsetzung eines ursprünglich hervorragend durchdachten Forschungsdesigns an der „praktischen“ Dynamik in Unternehmen scheitern kann. Gerade in den Studien mit längeren Erhebungszeiträumen ist die Stabilität von Untersuchungsbedingungen notwendig. Die Dynamik und die Veränderungsprozesse innerhalb von Unternehmen stehen dem allerdings oftmals entgegen. So auch in diesem Fall. Die zusätzlich fehlende Bereitschaft zur Nachbefragung der Teilnehmer machte die ursprünglich angestrebte Auswertung im Hinblick auf die Effektivität des Coachings unmöglich. Auch wenn der eigentlichen Forschungsfrage nicht nachgegangen werden konnte, ist hier eine alternative und für die Praxis hochrelevante Frage aufgeworfen und fokussiert worden: Welche persönlichen Faktoren potenzieller Klienten beeinflussen die Ablehnung eines Coaching-Prozesses? Den Autoren ist bewusst, dass sie lediglich einen Teilaspekt eines größeren Wirkungsgefüges in dieser Arbeit thematisiert haben. Leider fehlt ein direktes Feedback seitens der Nachwuchsführungskräfte über die eigentlichen Gründe der Ablehnung, so dass die gefundenen Ergebnisse noch sehr viel Raum für Spekulationen, aber auch Nährboden für weitere Forschungsbemühungen zu diesem Thema bieten.

Ellam-Dyson, V. & Palmer, S. (2011). Leadership Coaching? No thanks, I’m not worthy. The Coaching Psychologist, Vol. 7, No. 2, 108-116.

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