„Ja was glaubst Du denn, wie es Deinem Freund geht, wenn Du sein Skateboard einfach im See versenkst, hm? Warum hast Du das gemacht?“ So oder ähnlich klang mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der ersten „quasi-systemischen“ Fragen, mit der viele von uns in ihrer Kindheit konfrontiert wurden. Dass es sich zumindest im ersten Teil um eine zirkuläre Frage handelt, war natürlich niemandem klar. Auch nicht, welche gut gemeinte Absicht der Eltern sicher damit verbunden war; nämlich sich ein Stück in die Situation des anderen hineinzuversetzen. Was allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit blieb, war ein bestimmtes undefinierbares Unbehagen in der Magengegend, das sich mit dieser Art von Frage verbindet.
Dieser Artikel befasst sich mit zirkulären Fragen. Mit den Möglichkeiten und Grenzen. Aber auch mit dem theoretischen Hintergrund und den Implikationen, die sich daraus für Fragende ergeben. Außerdem sollen verbreitete Vorurteile bezüglich der Anwendung diskutiert werden. Ein weit verbreitetes Vorurteil ist die fast reflexhafte Gleichsetzung von zirkulären Fragen und Fremd-Perspektiven-Fragen im Sinne von: „Was vermuten Sie, wie ein anderer dies sieht?“ Aber zirkuläres Fragen bedeutet weitaus mehr.
Im Verlauf dieses zweiteiligen Artikels soll zunächst der Begriff der Zirkularität näher beleuchtet werden, um dann – basierend darauf – ein erweitertes Modell von zirkulären Fragen abzuleiten und abschließend in Teil 2 Beispiele für weiterreichende zirkuläre Fragen vorzustellen.
Zirkularität wurde in den 40er Jahren in der neu entstehenden Kybernetik zu einem zentralen Begriff. Er beschreibt die Funktionalität von Rückkopplungsprozessen und somit eines der zentralen Prinzipien kybernetischen Denkens. Darin wird ein Verhalten einer systemischen Einheit beschrieben, indem die Wirkungen des eigenen Verhaltens (Outputs) rückgekoppelt werden, um das zukünftige Verhalten des Systems direkt und unmittelbar beeinflussen zu können. Zirkularität bildet die Grundlage für selbstorganisierende Systeme.
In den angewandten Sozialwissenschaften fand das Phänomen der Zirkularität erstmals in Arbeiten von Gregory Bateson, Niklas Luhmann und Karl Ludwig von Bertalanffy sowie Paul Watzlawick et al. Berücksichtigung.
Publizität und Kontur erreichte das Konzept über den Begriff des zirkulären Fragens, der ursprünglich vom Team um Mara Selvini Palazzoli geprägt wurde. Neben der Neutralität und Hypothesenleitung bildete die Zirkularität eine der zentralen Säulen des Ansatzes des Mailänder Familientherapie-Modells Ende der 70er Jahre.
Im zirkulären Fragen werden die Verhaltensweisen verschiedener Kommunikationspartner aufeinander bezogen. Darin kann man die eigentliche geniale Erfindung des Mailänder Teams sehen: Das systemische Interview exploriert und kreiert keine sozialen Atome (Individuen), die losgelöst von ihren Umwelten und sozialen Wirklichkeiten handeln, sondern es setzt alles Handeln dieser Personen in Beziehung zu anderen Personen.
Mit den zirkulären Fragen entwickelte das Mailänder Team das geeignete Instrument, um dieser Kette aus Reaktionen und Gegenreaktionen nachzugehen und auf diese Weise soziale Phänomene in ihrer kommunikativen Erzeugung und Wirkung darzustellen. Dabei wurde der Begriff des zirkulären Fragens oftmals doppeldeutig verwendet: Mit ihm werden einerseits einzelne Fragen aufgrund ihrer sprachlichen Form und ihres inhaltlichen Fokus bezeichnet. Andererseits wird der Begriff auch für den gesamten interaktiven Prozess der Befragung angewandt. Mittlerweile wird der Terminus vor allem als Oberbegriff für systemische Interviewtechniken im Allgemeinen verwendet, so z.B. bei Fritz Simon und Christel Rech-Simon (1999), die mit ihrem vielbeachteten Buch „Zirkuläres Fragen“ ein Standardwerk verfassten.
Es ist festzuhalten: Die Bestimmung einzelner Fragen als zirkulär ist in erster Linie nicht von ihrer sprachlichen Form und ihrem Inhalt abhängig, sondern von der Intention des Interviewers, zirkuläre Zusammenhänge zu erkunden.
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