Portrait

Interview mit Dr. Sonja Radatz

Gestalten Sie – sonst werden Sie gestaltet!

Ein Ratschlag ist auch ein Schlag! Und der versetzt das Gegenüber in den Flucht- oder Kampfmodus. Sonja Radatz überraschte die Beraterwelt mit einer eleganteren Lösung: Der Klient trägt die Lösung bereits in sich, man muss ihm nur helfen, diese wirksam werden zu lassen. Damit stellt sie sich ganz in die Nachfolge von Steve De Shazer. Heute geht die Wiener Beraterin mit dem Relationalen Ansatz noch einen Schritt weiter: Business ist jetzt! Der Vergangenheit nachhängen oder über die Zukunft grübeln ist vergebliche Liebesmüh‘: Let’s get serious ...

23 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2011 am 13.09.2011

Ein Gespräch mit Thomas Webers

Es war das Jahr 2001, ich erinnere mich: Weltkongress für systemisches Management in Wien. Den haben Sie organisiert. Und da sind Sie für mich erstmalig in Erscheinung getreten. Wie kam es zu dem Kongress?

Im Prinzip wurde mir schon 1992 klar, dass die klassische Beratung mit ihrem Anspruch, einen Ratschlag zu geben, nicht funktioniert. Aber ich hatte noch keinen Schlüssel in der Hand, es anders zu machen. Im Jahr 1996 habe ich Gunther Schmidt kennen gelernt, dann Bernd Schmid, und wir haben uns gut verstanden.

Und dann traf ich Steve De Shazer und Kim Insoo Berg, Ben Furman und schließlich Heinz von Foerster. Über ihn lernte ich Ernst von Glasersfeld kennen und Humberto Maturana; und meine Idee verdichtete sich, dass ich einen betriebswirtschaftlichen Ansatz abseits dem klassischen schaffen könnte… und so entstand die Idee, einen Kongress zu machen.

Weltkongress: Was für ein großes Wort!

Nun, dass ist manchmal auch missverstanden worden. Es ging mir zunächst gar nicht darum, etwas Weltbewegendes zu machen, sondern die Welt zusammen zu bringen – damals noch grob gesprochen die ‚systemische‘ Welt, wobei ich schon damals dem Gedanken der Kybernetik 2. Ordnung anhing und die traditionell ‚systemischen‘ Vertreter der Kybernetik 1. Ordnung gar nicht mit an Bord waren.

War der Kongress quasi ein Abfallprodukt Ihrer eigenen Suche nach einem neuen Paradigma?

Nein, eher Ausdruck des neuen Paradigmas, das mir einige Zeit zuvor schon klar geworden war. Ich wollte wichtige Menschen zusammenbringen, Freundschaften entstehen lassen und Konzepte abgleichen.

Das war sicher mit viel Arbeit verbunden, so etwas frisst Unmengen an Zeit!

Das war keine Arbeit, das passierte einfach! Sie kamen alle: Hundert Vortragende, 140 Veranstaltungen und 1.200 Teilnehmer. Aber Sie haben Recht, ich habe das nicht alleine gemacht, ich hatte ein riesiges Kongressbüro an der Hand.

Was verbinden Sie mit dem Kongress? Was war Ihr persönliches Erleben?

Ich erlebte eine sehr starke Präsenz und Resonanz. Unsere Zeitschrift LO erschien erstmalig. Und zeitgleich brachte ich mein Buch ‚Beratung ohne Ratschlag‘ heraus, was für die damalige Beratungswelt ein Schlag ins Gesicht war: Die blanke Verwirrung, Hass! Ich habe Morddrohungen bekommen ...

Nein, nicht wirklich?!

Doch! Mit meinem neuen Buch ‚Relationales Veränderungsmanagement‘ ging es mir übrigens genauso. Manche Kollegen fühlen sich offenbar ihrer konzeptionellen Existenz beraubt. Die sagen: ‚Ich betreibe das Geschäft jetzt seit 40 Jahren, jetzt kommen Sie daher, was glauben Sie denn ...?‘

Sie haben also damals, wie man so sagt, ordentlich auf die Sahne gehauen und eine Welle erzeugt ...

... und das war auch mein Ziel! Ich wollte eine Aufbruchstimmung erzeugen und einen Zusammenhalt in dieser neuen Welt stiften. Das ist mir auch gelungen: Maturana und Senge haben beispielsweise Freundschaft geschlossen. Senge ist dann bei Maturana, man könnte sagen, in die Lehre gegangen. Er distanziert sich heute stark von seiner damaligen ‚Fünften Disziplin‘.

Offenbar waren Sie Ihrem Umfeld einige Jahre voraus!

Das macht es teilweise schwierig. Heute beschäftigt sich die Welt beispielsweise mit Zertifizierungen und all diesen Dingen. Ich erinnere mich noch an das Gespräch mit Maturana im Jahre 2003. Er sagte: ‚Alles, was definiert ist, ist tot, denn es kann sich nicht mehr weiterentwickeln‘. Unsere Kunden, vor allem in der Schweiz, verstehen das nicht. Ich sage dann gerne: Sigmund Freud würde die Richtlinien der heutigen Analytischen Gesellschaft nicht mehr erfüllen.

Provozieren macht Spaß, verwickelt einen aber auch leicht in allerlei Scharmützel.

Ich weiß ganz genau, was ich will. Aber ich lass‘ andere leben. Eine andere Methode kann auch funktionieren, ich mache die nicht runter. Wenn ich etwas Kybernetik 1. Ordnung nenne, geht es mir um eine Unterscheidung, nicht um eine Bewertung. Steve De Shazer und Paul Watzlawick waren zusammen beide lange am Palo-Alto-Institut, haben sich aber getrennt, weil Paul Watzlawick problemorientiert und Steve De Shazer lösungsorientiert gearbeitet hat. So entwickelten sie sich stark auseinander. Beide sind meines Erachtens großartig, beide Konzepte funktionieren, wenn sie in sich schlüssig bleiben. Ich will jedenfalls keine Weltkirche schaffen.

Mit dem Weltkongress haben Sie die Welt aber zusammengebracht. Was ist daraus entstanden?

Das sokratische Denken erfuhr große Anerkennung. Neben den ‚McKinseys’ und all den traditionell ‚Systemischen‘ sowie der Esoterik gab es ab nun einen ernstzunehmenden vierten Ansatz.

Sie haben sich selbst damit allerdings auch ein neues Image besorgt.

Definitiv. Mein Anliegen war, die Betriebswirtschaft neu zu gestalten. Aber es fehlten noch viele konkrete Dinge. Da gab es das Autopoiesis-Konzept von Maturana, von Glasersfeld hatte die Herkunft des Wissens thematisiert und Heinz von Foerster die Kybernetik 2. Ordnung. Die waren alles eigentlich Philosophen. Aber für die Organisationsberatung hatten wir seinerzeit auch noch zu wenige Instrumente.

So haben wir mit dem Thema Leadership begonnen, dann ging es um Coaching, aber für die Organisationsberatung fehlten noch Ausarbeitungen. In den letzten zehn Jahren habe ich einen Großteil meiner Zeit darauf verwandt, Modelle zu entwickeln. Das Feld ist jetzt in den Grundzügen erschlossen.

Wie hat sich das genau entwickelt? Führung ist ja nun kein Nischenthema ...

Wir haben das angeboten, wozu wir Modelle und Instrumente entwickelt hatten. Und ich habe natürlich weiter gelernt. So habe ich Harrison Owen kennen gelernt und sein Open-Space-Konzept, Kathleen Dannemiller und ihr Konzept des Whole Scale Change: Sie ist leider viel zu früh gestorben, wir wollten eigentlich enger zusammenarbeiten! Kathleen war als pragmatische Amerikanerin interessiert an unserem Theoriezugang, und wir wollten von ihr lernen, wie man noch besser Menschen zusammen bringt und begeistert. Wir haben auch Kontakte zu Richard Axelrod, Diana Whitney und Juanita Brown ...

... also die ganze Palette der Großgruppenkonferenzmethoden ...

... aber es sind keine Methoden. Es sind Formate, es steht ein Konzept dahinter.

Es war mal eine richtige Modewelle!

Ja, leider: Ich befürchte, nicht alle haben die erforderliche Haltung dahinter verstanden und die Methoden als reine Instrumente missinterpretiert: Das, was dahinter steht, ist doch viel wichtiger als eine Methode.

Sie haben offenbar ein gutes Händchen, Kontakte in der ganzen Welt aufzubauen und zu pflegen. Wie waren Sie beim Kunden unterwegs?

Wir hatten ein großes Weiterbildungsprogramm laufen, haben große Change-Projekte begleitet und Coaching angeboten.

Für ‚Beratung ohne Ratschlag’ gab es auch Kritik. Man kann den Leuten schon mal einen Ratschlag zumuten, statt sie lange selber nach einer Lösung suchen zu lassen, hieß es. Die Klienten können dann ja selber entscheiden, was sie annehmen.

Das sehe ich ganz anders: Ich gehe davon aus, dass die Lösung des anderen immer in der Welt des anderen liegt. Und dazu haben wir nun mal meines Erachtens keinen Zugang. Wie sollen wir dann eine passende Lösung für jemand anders erarbeiten?

Sehen Sie eigentlich einen Unterschied zwischen Coaching und Therapie?

Nein, überhaupt keinen.

Interessant, das ist ja ein beliebtes Streitthema! Die meisten Coachs werden sagen, sie machen keine Therapie.

Ich mache auch keine Therapie; denn ich halte es mit Epiktet: Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir von den Dingen haben.

Ok, verstehe ... Was kennzeichnet nun Ihren Relationalen Ansatz? Ist es die Weiterentwicklung von ‚Beratung ohne Ratschlag‘?

Nein, Beratung ohne Ratschlag ist ein Grundsatz im Relationalen Ansatz. Der Relationale Ansatz ist ein eigenständiger Ansatz, der auf den Theorien des radikalen Konstruktivismus (von Glasersfeld, Watzlawick), der Kybernetik 2. Ordnung (von Foerster) und der Autopoiesis (Maturana) aufbaut.

Dieser Ansatz sagt zunächst einmal nichts über die Arbeit mit Menschen oder Unternehmen aus. Aber er schafft einen starken Unterschied zur herrschenden Weltsicht: Die Welt ist nicht da, sondern die Welt wird von uns relational, das heißt interrelational, also in der Beziehung zu anderen, und intrarelational, also in der Beziehung zu uns selbst, gestaltet.

Heinz von Foerster sagt: Wir sind immer Teil der Welt. Es gibt keinen archimedischen Punkt außerhalb.

Richtig! Und das beschränkt uns Menschen: Alles, was an Neuerungen entstehen kann, entsteht innerhalb unseres eigenen Denkrahmens. Dieser Rahmen spielt im Relationalen Ansatz eine große Rolle. Es gibt den äußeren Rahmen: Wir sind immer Teil eines Systems. Und diese Systeme gestalten uns, sie setzen Rahmen und begrenzen unsere Möglichkeiten. Wir sind immer jemand anderes, je nachdem, in welchem System wir sind: Beruf, Familie, Tennisclub und so weiter.

Wir haben verschiedene Rollen!

Ich gehe einen Schritt weiter: Wir sind (!) jemand anderes! Wir haben dort eine andere persönliche Selbstbeschreibung. Aber manchem gelingt noch nicht einmal, von einem System zum anderen einen Transfer zu schaffen.

Heißt das, ich bin ganz viele?

Multiple Persönlichkeiten, sagt Gunther Schmidt. Aber nicht nur das: Ich gehe davon aus, dass sogar innerhalb eines Systems jeder von uns einen unterschiedlichen äußeren Rahmen erlebt. Als Verantwortliche für ein Team, für ein Unternehmen, eine Familie leiten wir aus dem äußeren Rahmen den inneren Rahmen ab, die Grenze, die wir unserem eigenen Handeln und dem Handeln des Systems, für das wir verantwortlich sind setzen. Den Punkt muss man im Coaching oder der Unternehmensführung erst einmal heraus arbeiten.

Unterscheiden Sie sich darin von anderen Kollegen, die unter der Fahne des systemischen Ansatzes marschieren?

Die typischen ‚Systemiker‘ sind eigentlich in der Kybernetik 1. Ordnung verhaftet. Die arbeiten vier Jahre in einem System, mittlerweile im Umsetzungsworkshop Nummer 320, und denken, sie arbeiten immer noch mit denselben Menschen. Das Leben bestraft sie dann gelegentlich mit Widerstand. Oder damit, dass das Thema in der Zwischenzeit ganz einfach obsolet geworden ist.

Ich vermute, der eine oder andere Kollege würde Ihnen da widersprechen. Was machen Sie anders als die Kollegen?

Wir machen überhaupt keine Analyse und wir brauchen auch keine ‚Umsetzung‘, weil das neu Gestaltete ja sofort gelebt wird. Denn die schwarzen Zahlen von gestern haben nichts mit den Erfolgen von morgen zu tun! Und wenn die Strukturen nicht von Projektteams, sondern nur den den echt Verantwortlichen gemacht werden, ersparen wir dem Unternehmen auch die vielen teuren Umsetzungsworkshops und ‚Trainings‘.

Wir entwerfen eine erfolgreiche Zukunft. Und zwar zunächst mit dem CEO, der ja dafür zuallererst zuständig ist, und nicht mit einer Steuergruppe, in die oft Hinz und Kunz eingeladen werden. Mit dem CEO entwickeln wir die gewünschten Zukunftsmeilensteine als ergebnisorientierten Rahmen. Unternehmertum ist meines Erachtens eine soziale Aufgabe, nämlich die Mitarbeiter und deren Familien langfristig zu erhalten. Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen wir die geeigneten Angebote suchen. Und nicht umgekehrt: ‚Wir haben die geeigneten Angebote, zu dumm nur, dass aber sie nicht mehr auf dem Markt funktionieren. Und nun müssen wir leider die Hälfte unserer Belegschaft entlassen.‘

From Push to Pull?

Es geht immer wieder um die Kernaufgabe des Unternehmens: Welche Produkte, Prozesse, Organisation brauchen wir, um in Zukunft die Mitarbeiter und deren Familien zu erhalten?

Wie weit denken Sie dabei in die Zukunft?

Soweit sich die Organisation das vorstellen kann. Bei einer Aktiengesellschaft mag das ein Jahr sein, bei einem mittelständischen Unternehmen vielleicht fünf. Die Idee Steve De Shazers ist, herauszuarbeiten, welche gewünschte Zukunft das Unternehmen ab sofort leben will? Und nicht: 2020 wollen wir am Punkt X sein, auf den bewegen wir uns nun Jahr für Jahr zu. Zum Beispiel: ‚Wir werden den Umsatz jedes Jahr um acht Prozent steigern, bis wir die gewünschten 40 Prozent Steigerung erreicht haben.‘ Das wäre aus meiner Sicht Quatsch, weil es eine Stabilität von Systemen unterstellt.

Im Relationalen Ansatz wird die gewünschte Zukunft entworfen und sofort gelebt. Das ist wie beim Hauskauf: Die Verträge werden unterzeichnet und dann ist es unser Haus. Über die Verträge wird mit den Mitarbeitern nicht diskutiert. Wenn man das täte, und sie wären nicht zufrieden, würde man ja doch antworten müssen, dass das Haus nun ja bereits gekauft sei – eine peinliche, sogar verlogene Situation. Stattdessen sagt bei uns die Unternehmensleitung: ‚Das ist mein Angebot, das einzige, das ich habe, seid Ihr dabei – oder nicht?‘. So wird Klarheit geschaffen.

Anschließend wird mit den Mitarbeitern, die mitmachen wollen, das Bild innerhalb des Rahmens gemalt. Das wird aber dann tatsächlich gemeinsam und gleichberechtigt gemalt und verabschiedet.

Jetzt haben Sie aber ein paar Mitarbeiter, die sind schon zehn Jahre in der Company, die sagen: ‚Das gefällt mir aber nicht‘.

Das ist ok. So ist das Leben. Es gibt immer zwei Möglichkeiten …

... in or out!

Genau! Aber wir haben häufig die Situation in österreichischen wie in deutschen Unternehmen, dass Sie die Leute nicht entlassen können.

Und nun?

Ich sage dann: ‚Tun Sie so, als hätten Sie sie gar nicht in der Firma. Rechnen Sie nicht mit ihnen. Managen Sie an ihnen vorbei‘. Es macht ja keinen Sinn, Prozesse für 2.800 Leute zu designen, wenn sich 600 von denen in die innere Kündigung verabschiedet haben und Sie sie nicht kündigen können. Dann funktionieren die Prozesse nicht. Designen Sie lieber die Prozesse für jene 2.200 Mitarbeiter, die mitziehen.

Ich vergleiche das immer mit dem Hamburger Eisverkäufer: Für den dauert das Jahr nicht zwölf Monate, sondern nur sechs Wochen. Wenn der seinen Umsatz auf zwölf Monate verteilen würde, wäre er blöd dran. Die Frage des Rahmens ist daher entscheidend: Wie viele ‚echte‘ Mitarbeiter, wie viel Zeitbudget, welche anderen quantitativen und qualitativen Vorgaben habe ich tatsächlich?

Einigen Arbeitsmarktpolitikern dürften bei Ihren Thesen die Haare zu Berge stehen!

Warum? Es kann doch kein Arbeitsmarktpolitiker ernsthaft fordern, den Menschen sollte der Job nicht Spaß machen. Gleichzeitig habe ich auch noch keinen Arbeitsmarktpolitiker – eigentlich noch gar keinen Menschen – kennen gelernt, der einen Menschen von etwas überzeugen könnte, von dem er nicht überzeugt ist.

Ich finde es wichtig, daran zu arbeiten, dass endlich Spaß an der Arbeit entsteht – und erhalten wird. Denn ich gehe bildlich gesprochen davon aus, dass es für jeden Topf einen Deckel gibt. Das halte ich übrigens für eine zentrale zukünftige Aufgabe im Coaching: Mit dem Klienten heraus zu arbeiten, was er wirklich will, und ihn dabei zu unterstützen, das für ihn spezifisch passende Arbeitsangebot auch zu finden oder zu erarbeiten.

Jetzt haben Sie aber diese Leute an Bord, die Unkündbaren, die stehen auf Ihrer Payroll, die sitzen da jeden Tag und lesen Zeitung, die, ich übertreibe jetzt einmal, spielen Arbeiten ...

Das ist ein Problem, für das man sich vor 30 oder 40 Jahren politisch entschieden hat. Die Menschen tun mir aber nicht leid, denn sie haben jeden Tag die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden. Und wenn sie das nicht tun – dann tut jeder CEO, jeder Geschäftsführer und jede Führungskraft meines Erachtens einfach gut daran, nicht mit ihnen zu rechnen.

Ok, wie geht’s weiter mit dem Rahmen?

Unmittelbar nachdem der Rahmen festgelegt ist, gestalten wir den Workshop mit allen Mitarbeitern, in dem das gemeinsame Bild erzeugt wird. Nur, was alle gemeinsam innerhalb dieses Rahmens wollen, wird im Bild umgesetzt. Und ab dem Tag leben alle Unternehmensmitglieder im neuen Haus. Es gibt keine langwierigen, sogenannten Umsetzungsworkshops, jeder Einzelne zieht ein in dieses neue Haus und hat mit neuen Herausforderungen zu tun.

Das Alte gibt es nicht mehr, also gestaltet jeder entsprechend des neuen Bilds im neuen Rahmen die Dinge neu. Und auch hier orte ich großen Coaching-Bedarf, allerdings sind dabei aus meiner Sicht die Führungskräfte gefordert, die als echte Sparringpartner mit Beratung ohne Ratschlag die Mitarbeiter dabei unterstützen, in jeder Situation flexibel ein für sie und die Situation passendes Konzept, ihre persönliche Vorgangsweise zu gestalten.

Und wenn Sie nur 80 Prozent Commitment bekommen?

Dann wird das, was nur 80 Prozent Commitment bekommt, nicht gemacht. Ich habe das schon im Vorstandsbereich erlebt: Man fand gar keine Übereinstimmung über den Rahmen. Die saßen fassungslos da, bis sie sagten: ‚Jetzt ist uns klar, warum bei uns nichts klappt. Wir kommen nicht zusammen, wir haben keine Kultur des Miteinanders‘. Glauben Sie mir: In diesen Momenten findet echte Veränderung statt!

Andere schieben das dann auf den Berater: Der ist schuld, seine Methoden taugen nichts.

Das halte ich aus. Ich sage sogar: ‚Das liegt sicher an der Methodik. Ich habe das nicht gut genug erklärt. Wir machen das jetzt noch einmal‘. Dann gehen die noch einmal an die Bewertung derselben Punkte – und plötzlich haben sie sogar einige hundertprozentige Übereinstimmungen.

Da scheint zwischen beiden Punkten aber etwas passiert zu sein. Magic! Wie machen Sie das?

Die Menschen werden im Relationalen Beratungsprozess zwar von uns moderiert, aber dennoch bewusst auf sich selbst zurück geworfen. Da wird ihnen klar, dass die von ihnen erzeugte Welt etwas mit ihnen selbst zu tun hat, mit ihrem Miteinander. Das ist das Relationale: Wir erzeugen dann miteinander etwas anderes. Und deshalb startet hier ein neues Unternehmen.

Vermutlich ist es so. Es gibt zwei Fraktionen von Mäusen: Die eine lässt Sie erst gar nicht auf den Hof oder wirft Sie innerhalb kürzester Zeit wieder hinaus. Sie arbeiten einfach mit der anderen Fraktion.

Jein. Einerseits bauen wir unsere Kunden über Jahre auf. Die hören bei uns Vorträge, lesen unsere Zeitschrift, machen bei uns Weiterbildung – und dann erst kommen sie mit dem Change-Auftrag. Andererseits sind gerade CEOs, wenn wir dann mit denen arbeiten, extrem offen und umsetzungsstark. Wir machen dann keine Umsetzungsworkshops, sondern begleiten die Kunden nur noch beim Leben des Neuen und sorgen dafür, dass sie nicht zu viele Ehrenrunden drehen. Bei uns ist die Sache in Wochen bis in der Regel sechs Monaten vorbei.

Von außen betrachtet sieht das nach Blackbox aus.

Schlimmer noch: blankes Unverständnis! Diese Unternehmen klinken sich aus Benchmarkingprozessen aus, machen ihre eigenen Preise, schieben Qualitätsmanagement zur Seite, gehen endlich davon aus, dass sie einzigartig und unvergleichbar sind. Da entsteht Innovation!

Es ist aber eine lange Kette, bis das neue Denken beim Shopfloor, beispielsweise beim Autoverkäufer ankommt, dessen Hersteller Sie beraten haben. Wie hält man das durch?

Das neue Denken wird fraktal nach unten abgeleitet; anders als beim MbO-Prozess ... Wir setzen auf die Autopoiesis und halten das für einen erwachsenen Umgang mit Mitarbeitern: ‚Hier ist mein Angebot, es ist mein einziges. Wollen Sie dabei sein? Ich hätte Sie gerne dabei, aber ich zwinge Sie nicht.‘ Das ist ehrlich, da kann der Mitarbeiter Ja oder Nein zu sagen.

Sie sind in der Beratungsszene, so wie ich das beobachte, ein Solitär. Wie sehen Sie das?

Ja, das stimmt. Ich habe mit vielen Beraterkollegen wenig zu tun, auch nicht mit Verbänden. Aber mit den Querdenkern, die ich ja seinerzeit beim Kongress zusammen gebracht habe, bin ich immer noch in engem Kontakt. Mir geht es um Inspiration, um Geben und Nehmen, um Weiterentwicklung – und um Haltung. Darum geht es auch in meinen Büchern.

Was bedeutet Haltung für Sie konkret?

Entwicklung entsteht durch Entscheidung und Gestaltung: Gestalten Sie, sonst werden Sie gestaltet! Wertschätzung ist wichtig, denn ich kann andere Unternehmen nicht verstehen. Ich kann auch meinen Coaching-Klienten nicht verstehen. Aber ich stelle Fragen, die eine hilfreiche Verstörung für den Kunden darstellen. Sie ermöglichen dem Anderen eine neue Perspektive. Und sobald ich Dinge aus einer anderen Perspektive betrachte, kann ich auch anders – und anderes – sehen.

Sind Sie international vernetzt?

Wir sind inzwischen mit einem Fuß nach Italien unterwegs. Die Schweiz bearbeiten wir jetzt intensiver und wollen dort auch sesshaft werden. Ab dem Herbst wollen wir nach Mitteleuropa aufbrechen, zunächst Richtung Slowakei. Mein Buch ‚Beratung ohne Ratschlag‘ wird gerade ins Englische übersetzt und soll in den USA erscheinen.

Ist das Buch immer noch aktuell? Es ist doch schon zehn Jahre alt?

Ich müsste es eigentlich komplett überarbeiten. Aber, sagen wir mal so: Es ist nicht falsch, was drin steht. Trotzdem bin ich heute etliche Schritte weiter.

Sie sind umgezogen, in die Wirtschaftsgebäude von Schloss Schönbrunn! Warum?

Das Schloss Schönbrunn ist ein besonderer Platz. Hier gibt es den „schönen Brunnen“ mit seinem ursprünglichen Heilwasser. Deshalb wurde hier auch das Schloss gebaut. Es sollte auch eine heilende, belebende Wirkung haben. Es sollte die Völker zusammen bringen. Hier wurde schon vor hundert Jahren Vielfalt gelebt. Das hat mich angezogen.

Wie sehen Sie die Zukunft von Beratung? Was wünschen Sie sich?

Ich wünsche mir, dass das Paradigma der Gestaltbarkeit in allen Köpfen Einzug finden kann. Das finde ich spannend, dafür brenne ich. Mateschitz, der CEO von Red Bull, hat damals in einem gesättigten Getränkemarkt begonnen. Er sagte: ‚Was interessiert mich der Getränkemarkt? Ich entwickle doch kein Getränk‘. Er hat heute alles, was ‚schnell ist und Flügel verleiht‘, geschaffen: Fernsehsender, Radiosender, Fußballmannschaft und Formel 1.

Oder nehmen Sie Swatch. Das ist keine Uhr, das ist ein Lebensgefühl. Im Vergleich dazu sind viele Unternehmen heute scheintot. Etliche haben es allerdings noch gar nicht bemerkt. Schauen Sie sich einmal die Banken an, die von der Regierung künstlich am Leben erhalten werden.

Würde es Sie reizen, die Regierung zu beraten?

Wir haben es mit der Sozialversicherung versucht ... Ich sage Ihnen, wann immer Sie versuchen, etwas zu ‚sanieren‘, geht das nicht gut. Man müsste dort – wie überall, wo etwas grundlegend nicht funktioniert – etwas ganz Neues schaffen, Verantwortlichkeit realisieren, Transparenz ... Als Versicherter müsste ich wissen, was kostet es mich, was bringt es, um mich dann zu entscheiden, ist es mir das wert? Und da wären noch viel mehr Fragen zu klären.

Sie haben eine rasante Karriere absolviert, ehe es zum ‚Weltkongress‘ kam. Sie haben BWL studiert und waren eine klassische Unternehmensberaterin. Wie würden Sie Ihre heutige Tätigkeit beschreiben?

BWL ist neben den künstlerischen eine der wenigen Disziplinen, in denen man meines Erachtens frei gestalten kann, weil es eine solche Fülle an ‚unentscheidbaren‘, also noch nicht endgültig beantworteten Fragen gibt. Heinz von Foerster wurde oft als Magier bezeichnet – und heute verstehe ich, was damit gemeint war: Viele haben das mit Zauberkünstler übersetzt. Aber er war ein Magier, weil er eine neue Wirklichkeit erfunden hat. Das hat mich an ihm so fasziniert; und ich denke, das hat uns auch zusammengebracht.

Wer sind heute Ihre Mitstreiter?

Es gibt genügend Menschen, die ähnlich denken wie ich und doch wieder anders, die also eine ähnliche Haltung haben wie ich und sehr inspirierend wirken. Wie zum Beispiel der Mathematiker Andre Zimpel, Gunther Schmidt oder Matthias Varga von Kibed. Die Stringenz dieser Personen imponiert mir, auch wenn ich nicht immer deren Weltsicht teile.

Braucht es eine neue Weltkonferenz?

Es ist der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Aber er kommt noch. Erst möchte ich jetzt das Buch über Relationale Betriebswirtschaftslehre schreiben. Nein, ich glaube, jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Kongresse. Jetzt, nach diesen strukturellen Wirtschaftsturbulenzen müssen sich die Menschen erst einmal wieder zurecht finden – und leider finden sie sich allzu häufig auf ihren alten Plätzen wieder.

In der Krise regredieren die Menschen, halten sich an ihren Stühlen fest, ist das auch Ihre Beobachtung?

Genau, es ist so, als ob ein Tornado über das Land hinweggefegt wäre, der den Kontinent in mehrere Teile gerissen hätte, und jeder tut so, als wäre nichts passiert, und nimmt wieder Platz auf seinem Stuhl. Einige werden erst in ein paar Jahren feststellen, dass ihr Stuhl bereits im Meer stand und sie in der Zwischenzeit untergegangen sind. Aktuell beobachte ich Seltsames: Es wird genau dort weiter gemacht, wo man stehen geblieben war.

Ist es nicht schwierig, in dieser Situation an Menschen anzukoppeln?

Letztlich geht es darum, den Relationalen Ansatz hoffähig zu machen. Wenn Sie vor zehn Jahren nur mit ‚systemisch‘ gekommen sind, dann haben die Leute seltsam geschaut und gesagt: ‚Aha, Voodoo-Zauber, esoterische Ecke ...‘

Das ist doch immer noch so! Die große Change-Management-Studie von Capgemini Consulting aus dem letzten Jahr bestätigt das eindrücklich.

Aber es hat sich andererseits einiges verändert: Letztes Jahr war ich als Rednerin auf einen Kongress eingeladen. Mein Vorredner war Götz Werner, der Chef von dm. Er kam dann auf mich zu und sagte: ‚Sie haben die Theorie zu meiner Praxis‘. Wichtig ist mir daran: All die anderen CEOs haben ihm aufmerksam zugehört. Es muss nicht Relationaler Ansatz heißen, aber sie denken: ‚Der macht das ganz anders wie wir – und er hat Erfolg!‘ Plötzlich ist das nicht mehr Voodoo-Zauber, sondern eine Erfolgsidee. Das Denken wird salonfähig.

Was ist ihr nächstes Projekt?

Die Schaffung einer Relationalen Privatuniversität, hier in Wien am Schloss Schönbrunn. Ich habe aber noch keine Ahnung, ob das klappt – ob die ‚Welt‘, also die Anerkennungsstellen, dafür schon bereit sind!

Da schau an! Wie soll ich mir das vorstellen?

Es geht darum, nicht bloß eine neue Hochschule zu schaffen. Es geht mir dabei auch um den Neuentwurf der Didaktik, um die Umsetzung des Relationalen Denkens sowohl in Inhalt als auch in Didaktik, also wenn Sie so wollen, im Was und im Wie gleichzeitig. Das soll sich auch in den Universitätsprozessen widerspiegeln.

Wir brauchen dort keine Tests, die das ‚Vorgetragene‘ wiederkaufen, und wir brauchen auch keine Noten, welche letztlich ja wieder nur die Vortragenden bewerten – das hat Heinz von Foerster schon 1993 recht schön beschrieben. Es sollen hier nur ‚unentscheidbare Fragen‘, so nannte das Heinz von Foerster, gestellt werden, die von Menschen neu oder erstmals beantwortet werden. Schüler werden Lehrer, Lehrer werden Schüler.

Haben Sie schon Köpfe ausgemacht, die Sie dort als Dozenten installieren wollen?

Ein paar Überlegungen gibt es schon: Peter Senge hätte ich gerne an Bord, auch Professor Rolf Arnold von der TU Kaiserslautern. André Zimpel, Psychologe und Mathematiker an der Universität Hamburg, werde ich womöglich gewinnen können, und hoffentlich Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen.

Jetzt bringen Sie wieder die Familie zusammen: Nicht als Kongress, sondern als Universität.

Vielleicht entsteht daraus ja auch wieder ein Kongress, wenn wir das Hochschulrecht bekommen.

Ah, verstehe: Jetzt kommt wieder der Moloch angeschlichen: Credit Points, Akkreditierung ...

Das wird sich letztlich auf dem Markt entscheiden ... in der Wirtschaft. Die fragt nämlich zunehmend nach Kompetenz.

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