Im Coaching-Markt – und generell im Bereich Learning and Development – sehen wir ein großes Wachstum. Gleichzeitig ist weltweit eine Zunahme an Coaching-Aktivitäten zu beobachten, die nicht unbedingt den Standards entsprechen, die wir uns wünschen. Beispielsweise betätigen sich Menschen als sogenannte „Business-Coaches“, die zwar mal im Management tätig waren und aufgrund ihrer Kontakte als Coaches empfohlen werden, im Coaching dann aber ohne jede Struktur und Methodik vorgehen, letztlich nur ein paar Tipps und Tricks austauschen und dafür ein Stundenhonorar von bis zu 1.000 Euro kassieren. Die Managementreputation wird also herangezogen, um zu sagen: Irgendwie kann die Person dann ja auch coachen. Das ist nicht wünschenswert. Umgekehrt ist es auch nicht ausreichend, wenn jemand eine Coaching-Ausbildung absolviert hat, aber keine Felderfahrung im Management und in Organisationen besitzt. Mit Blick auf die internationale Verbandsstruktur kann man sehen, dass es Coaching-Verbände gibt, die zwar hinsichtlich der reinen Coaching-Fähigkeiten ihrer Mitglieder Standards setzen, aber nicht spezifisch auf das Business-Feld fokussieren. Das Feld Business-Coaching ist damit also nicht hinreichend abgedeckt. Bei der IOBC setzen wir anhand unseres Kompetenzmodells hohe Standards – und zwar eindeutig im Segment Business-Coaching. Für diese Standards international einzustehen, ist mir – da ich ja auch selber Coaches ausbilde und im internationalen Kontext arbeite – ein Anliegen.
Genau. Es geht darum, das Kompetenzmodell, das im Deutschen Bundesverband Coaching (DBVC) entwickelt wurde und das sowohl die personale und soziale als auch die fachlich-methodische Kompetenz sowie die Feldkompetenz des Coachs betrachtet, als Maßstab auch international verfügbar zu machen. Wir stoßen hiermit auf Resonanz, denn wer kompetenzbasiert arbeitet, kann sich auch auf hohe Standards verständigen. Gleichzeitig gilt es, regionale und lokale Besonderheiten zu respektieren. Beispielsweise konnten wir ein Institut aus Indien als Mitglied gewinnen und natürlich funktioniert Business-Coaching in Indien ein wenig anders als in Deutschland. Dennoch wirken das Kompetenzmodell und unsere Ethikstandards als verbindendes Glied. Die Möglichkeit, international mit Coaches in Kontakt zu kommen, ist spannend und begeistert mich, denn über den Tellerrand zu schauen und mich mit anderen Kulturen zu verbinden, hat mir schon immer gelegen. Gleich nach dem Abitur bin ich nach Paris gegangen, war anschließend in den USA, arbeitete in Berlin für eine niederländische Firma, habe eine große Vorliebe für die skandinavischen Länder …
Ja. Von der internationalen Ausrichtung profitieren auch die deutschsprachigen Coaches. Coaching ist heutzutage fast immer international, weil unsere Klienten – auch wenn sie Deutsch sprechen und Deutsche sind – in internationalen Märkten arbeiten. Deutsche Mittelständler sind nicht selten Weltmarktführer in Nischen und liefern global. Für Konzerne gilt das sowieso. Die internationale Perspektive müssen Business-Coaches daher stets mitdenken.
Das sind Menschen, die Positionen auf den höchsten Ebenen in Unternehmen und Organisationen oder Funktionen des öffentlichen Lebens erreicht haben und sich nun fragen: Was kommt jetzt? Manchmal besteht der Anlass darin, dass eine baldige Trennung von der Position ansteht, selbst initiiert oder von der Organisation ausgesprochen. Manchmal ist es eher das nagende Gefühl, dass man schon seit längerer Zeit nicht mehr im Optimum arbeitet. Das Feuer ist weg oder unerfreuliche Konflikte machen die Arbeit beschwerlich. Ohne innere Motivation geht es aber in einer so hohen Position nicht. Dann brennen selbst frühere High-Performer aus. Diese Tatsache brachte mich übrigens zu meinem zweiten Coaching-Schwerpunkt, dem Health-Prevention-Coaching. Wer längere Zeit nur mit Willenskraft gearbeitet hat, braucht neben der Karriereorientierung häufig auch einen Anschub beim Thema Gesundheit und aktiver Selbstfürsorge.
Karriereorientierung verläuft in mehreren Phasen und kann – je nach Fall – unterschiedliche Schwerpunkte beinhalten. Wer unerwartet aufgefordert wurde zu gehen, startet anders als die Person, die sich aus eigenem Antrieb verabschiedet. Bei der ersten Person steht oft die Verarbeitung von Trauer und Wut im Vordergrund, der Abschied von der alten Position muss aktiv und empathisch begleitet werden. Wer selber geht, kann dennoch ratlos sein, was jetzt zukünftig passt. Karriereorientierung startet daher zunächst mit einer Standortbestimmung: Woher komme ich, was kann ich richtig gut und was mache ich gerne? Wie hat sich mein Wertesystem verändert? Was wird in der nächsten Lebensphase wichtig? Für diese Fragen liefert ein systematisches, biografisches Interview, wie ich es mit der KAIROS-Methode entwickelt habe, einen reichen Fundus. Ergänzt wird diese Arbeit mit verschiedenen diagnostischen Fragebögen zu Persönlichkeit und personalen Fähigkeiten. Kompetenzen im beruflichen Kontext erarbeite ich am liebsten mit einer Critical-incident-Methode und untersuche Projekte, die den Klienten sehr gut gelungen sind. Das sind authentische Stärken. Insgesamt ist der diagnostische Teil des Karriere-Coachings, wenn er biografisch angelegt ist, auch sehr förderlich für das eigene Selbstwertgefühl. Das ist nach einer Kündigung sinnvoll. Bei denen, die freiwillig gehen, sind wiederum die eigenen Stärken oft nicht präsent. Erst nach dieser Standortbestimmung geht es dann weiter mit der Definition einer „idealen Position“ sowie der Exploration des Marktes anhand einfacher Gespräche mit Menschen in Zielpositionen. Im nächsten Schritt geht es auch um die hard facts, also um den Lebenslauf und die Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche.
Ich komme vom Karriere-Coaching. Mit den Jahren habe ich mich immer mehr in die Executive- und Top-Executive-Bereiche hineinentwickelt. Hier fällt auf, dass der Sprung von der mittleren auf eine höhere Managementebene eine große Herausforderung darstellt. Plötzlich an den Vorstand eines multinationalen Konzerns zu berichten oder selbst in einen Vorstand – z.B. einer Tochtergesellschaft – aufzusteigen, erfordert ein Umdenken, das ohne Begleitung kaum zu erreichen ist. Nicht selten stellen Klienten, wenn sie an diesem Punkt stehen, fest, dass sie mit den Coaches, mit denen sie bisher gearbeitet haben, nicht mehr so gut weiterkommen wie zuvor. D.h. nicht, dass diese Coaches nicht kompetent sind. Es geht vielmehr um die Spezialisierung, die man als Coach mitbringt. Im mittleren Management geht es häufig um operative Führungsfragen.
Ich selbst habe mich mit der Zeit auf Fragen spezialisiert, die auf hohen Managementebenen besonders bedeutsam sind. In meiner eigenen Berufsbiografie hatte ich in zwei Phasen mit Menschen in exponierten Positionen zu tun. Einmal in meiner Zeit in den Medien und danach im Konzern. Ich habe erlebt, wie diese Menschen ticken und vor allem, wie das Umfeld mit ihnen umgeht, wie viel geschmeichelt und verschwiegen wird. Beim Sprung auf die Top-Ebene ist zum einen das Thema der beruflichen Identität wichtig: Wer bin ich in meiner neuen Rolle? Wie fülle ich diese wirksam aus? Wie werde ich „groß“ und bleibe trotzdem im Kontakt mit meinem Umfeld? Hier geht es insbesondere um Identitäts- und Wertefragen. Diese spielen erfahrungsgemäß bei Frauen eine noch größere Rolle als bei Männern, weil Frauen sich zusätzlich noch mit dem Blick von außen auf „die Frau in der Top-Position“ befassen müssen.
Zum anderen dreht es sich im Onboarding-Coaching um strategische Fragen des „How-to“ und damit um ein Feld, in dem man auch einige Aspekte wissen muss: Das Thema Erfolg muss anders gedacht werden, weil Fleiß und operatives Arbeiten nicht mehr die relevanten Kriterien sind. Stattdessen geht es darum, Visionen zu initiieren und andere dafür zu gewinnen. Wer glaubt, dass er ab jetzt von oben „anordnen“ kann, liegt ganz falsch. Das geht nur sehr kurze Zeit gut. Netzwerke und informelle Beziehungen werden mit dem Aufstieg nochmals deutlich wichtiger. Beziehungs- und Stakeholdermanagement ist das A und O. Mit meinen Klienten sitze ich nicht selten vor Organigrammen, die wir auf Poster-Größe ausgedruckt haben, und besprechen Rolle und Beziehung zu den relevanten Stakeholdern. Es kommt im Top-Management darauf an, den richtigen Umgang und die passende Kommunikation mit den einzelnen Akteuren zu finden. Wichtig sind zudem die eigene Sichtbarkeit und die Reputation, also die Frage, wie man von seinen Stakeholdern – innerhalb und außerhalb des Unternehmens – wahrgenommen wird. Hier kommt auch Politik ins Spiel. Viele Klienten haben Berührungsängste, aber Unternehmenspolitik muss nicht hinterhältig und unsauber sein.
Ich hatte das Glück, viele erfolgreiche Top-Managerinnen und -Manager kennenzulernen, die die Beziehungsebene in einem positiven Sinne gut bespielt haben. Während meiner eigenen Konzernzeit konnte ich mir vieles von einem sehr guten Vorstand abschauen. Natürlich habe ich mich zu der Thematik zusätzlich auch belesen. Sicher gibt es Akteure im Feld, die tatsächlich destruktiv agieren. Ich sage immer, man muss die bösen Spiele kennen, aber nicht spielen. In Summe ist es also dieser Zweiklang im Onboarding: Klienten bei Identitätsfragen zu unterstützen und zudem mit ihnen an einem konstruktiven Beziehungsmanagement jenseits destruktiver politischer Spiele zu arbeiten. Das macht mir große Freude.
Richtig. Mit den eigenen Werten verbunden und folglich im Einklang mit sich zu bleiben, ist sehr wichtig. Gleichermaßen gilt es, ein Bewusstsein für die an die eigene Person gerichteten Erwartungen in der Rolle zu schaffen. Da kann die Person natürlich nicht „privat“ agieren. Das wäre aus meiner Sicht ein falsches Verständnis von Authentizität. Gerade deshalb brauchen Klienten den sicheren, externen Reflexionsraum im Onboarding-Coaching. Klienten ist oft nicht klar, worin ihre Wissenslücken bestehen und wo blinde Flecken liegen. Beim Thema Unternehmenspolitik müssen sie sich vor Augen führen, dass dieses fortan ein Teil ihrer Bühne ist und dass sie ihre Rolle selbst gestalten können. Und zwar positiv.
Grundsätzlich hoffe ich immer, dass die Personalabteilung gute Arbeit geleistet und eine Person in die Position gebracht hat, die eine gute kulturelle Passung mitbringt. Im Onboarding-Coaching begleite ich vorwiegend interne Karrieresprünge. Wenn es sich um einen externen Kandidaten handelt, ist das Risiko eines Nicht-Fits potenziell größer. Cultural Fit bedeutet, dass die eigenen Werte mit denen des Unternehmens übereinzubringen sind. Und zwar mit den gelebten Werten des Unternehmens, nicht mit den propagierten. Da gibt es ja mitunter einen Gap. Im Coaching arbeite ich daher mit einer Werte-Map, die auf integraler Wertearbeit basiert. Es werden nicht einfach ein paar Werte von einer Liste abgehakt. Stattdessen wird im Dialog differenziert erarbeitet, was hinter den Werten steckt und wie sie sich in Strukturen, Prozessen sowie im Miteinander zeigen. Wofür steht der Klient individuell als Person ein? Wie lebt er seine Werte? Letztlich wird geschaut, ob und auf welchem Wege dies mit der Kultur des Unternehmens zusammenpasst. Im schlimmsten Fall – den ich allerdings noch nicht erlebt habe – führt ein nicht gegebener Cultural Fit dazu, dass eine Top-Besetzung scheitert. Fehlende kulturelle Passung ist der Grund schlechthin, wenn Neubesetzungen nicht funktionieren. Das kann auch andersherum laufen, wenn jemand von außen neu dazu kommt: Ich habe kürzlich einen Fall erlebt, in dem ein neuer Vorstand einen Manager innerhalb von zwei Wochen „wegsäbelte“. Die konnten wirklich nicht miteinander.
Aus meiner Sicht ähneln sich Managerinnen und Manager stärker, als dass sie sich unterscheiden. Es sind meistens logisch und strukturiert denkende Menschen, die eher einen strategischen Blick für das Große und Ganze und weniger für operative Details haben. Ich vertrete nicht die Ansicht, man könne Männer und Frauen ausschließlich anhand Geschlechterstereotype unterteilen. Ich glaube an Sozialisation und Entwicklung, aber auch an individuelle Persönlichkeitsstrukturen, die einen Menschen ausmachen. Ganz abgesehen von realen Herausforderungen wie der Kinderbetreuung besteht der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Managern vor allem im Umfeld: Frauen sind seltener in hohen Führungspositionen als Männer, was dazu führt, dass sie eine viel größere Sichtbarkeit erlangen. Man spricht auch von der „Ausnahmefrau“, z.B. der einzigen Frau in einem Vorstand. Das kann erhöhten Druck bedingen. Frauen sind zudem mit anderen und komplexeren Erwartungshaltungen konfrontiert, mit denen es umzugehen gilt. Natürlich soll eine Managerin genauso rational und durchsetzungsfähig sein wie ihre männlichen Kollegen. Häufig wird aber z.B. auch vorausgesetzt, dass eine Frau das Beziehungsmanagement stärker einbringt. Man erwartet also die eierlegende Wollmilchsau. Erfahrungsgemäß reflektieren Frauen ihre Rolle daher intensiver: Wie fülle ich die Führungsposition aus – auch angesichts dessen, dass ich als Frau ein Stück weit heraussteche? Ich erlebe auch häufiger, dass Frauen sich selbst infrage stellen.
In der Tat hilft es hier, einen Coach zu haben, der zwar selbstkritischer Reflexion Raum gibt, aber den Blick zugleich auf das Positive lenkt. Es gehört dazu, Klientinnen – oder auch Klienten –, die sehr selbstkritisch sind, den Rücken zu stärken. Ich schaue im Coaching auch weniger auf Schwächen, sondern eher darauf, ob Stärken zu einseitig genutzt werden. Man spricht auch von „overuse“. Wer sehr gut im Beziehungsmanagement ist, braucht vielleicht ab und zu etwas mehr Abgrenzung.
Der Ansatz besteht aus zwei Elementen. Einem Biografiechart, das der Klient vorab ausfüllt und das wir gemeinsam für das biografische Interview nutzen. Zweitens aus einer Auswertungsmatrix mit fünf Feldern, die ich als KAIROS-Scorecard bezeichne. In diese Matrix werden über den Verlauf des Coachings nach und nach alle wesentlichen Ergebnisse eingetragen. Die Ergebnisse für die Scorecard kommen sowohl aus der Biografiearbeit als auch aus zusätzlichen diagnostischen Quellen wie Fragebögen, Karriereanker, Wertearbeit etc. Die Auswertungsmatrix besteht aus vier Feldern, die im Uhrzeigersinn angeordnet sind, und aus einem zentralen Feld, dem sogenannten Core-Purpose. Im Uhrzeigersinn steht rechts das Feld Persönlichkeit des Klienten, darunter seine Kompetenzen. Im linken Feld beziehe ich die aktuelle Lebensphase, in der sich die Person befindet, explizit als eigenes Feld ein: Befindet sie sich auf einem Karriereplateau? Strebt sie einen Aufstieg an? Ist sie in der Phase der Mentorenschaft? Möchte sie noch etwas hinterlassen? Oder einen Meilenstein erreichen? Wie steht es um ihre Gesundheit und Resilienz? Das obere Feld nenne ich die Ideale Position bzw. die Ideale Bühne. Es ist gewissermaßen das Ziel des Coachings: Wo will ich als nächstes arbeiten? Hier wird genau definiert: Was will die Person wie, mit wem, in welcher Rolle und unter welchen Bedingungen tun?
Das Core-Feld, der Kern, fokussiert Muster im Leben der Person, die sich wiederholen. Hier geht es darum, das Leitmotiv bzw. die „Kernbotschaft“ des Werdegangs zu finden. Diese kann sich in jeder Lebensphase neu ausdrücken – die eine Berufung gibt es nur in wenigen Fällen. Ein Beispiel: Eine Journalistin, die schnell zur Chefredakteurin aufgestiegen war, fragte sich, ob sie sich mit Mitte Vierzig selbstständig machen will. Sie war unsicher, da sie bislang ausschließlich im Angestelltenverhältnis gearbeitet hatte. Als wir durch ihre Biografie gingen, tauchten immer wieder Formulierungen auf wie: „Ich schmeiße den Laden.“ Oder: „Mein Laden ...“ Sie kam zu der Erkenntnis, dass sie jede Redaktion geführt hatte, als habe es sich um ihr eigenes Unternehmen gehandelt. Ihre Eltern führten eine Bäckerei und sie wusste: Da müssen morgens die Brötchen vom Band laufen und verkauft werden. Mit dieser Einstellung erledigte sie auch ihre Arbeit in jeder Redaktion – ein roter Faden von der elterlichen zur eigenen Erwerbsbiografie. Es stellte sich also heraus, dass sie, obwohl sie angestellt war, in gewisser Weise schon immer selbstständig gewesen ist. Sie war eine „Intrapreneurin“. Diese Erkenntnis gab ihr viel Selbstvertrauen mit Blick auf das Thema Selbstständigkeit. Sie war anschließend auch sehr erfolgreich damit. Bei mir selbst fand ich ebenfalls einen erstaunlichen roten Faden. Meine erste berufsbiografische Erinnerung ist die Mondlandung 1969, die ich im Alter von fünf Jahren am Bildschirm verfolgte. Mich faszinierte das Schalten und Walten in Cape Canaveral. Hier zeigt sich sicherlich ein frühes Machtmotiv (lacht). Heute würde ich sagen, dass ich meinen Klienten im Coaching zu Orientierung im eigenen Leben verhelfe. Ich behalte dabei den Überblick und unterstütze sie, auf ihren eigenen Mond fliegen zu können. Ich erkenne schnell Muster und helfe Klienten, diese auch zu sehen. Dass ich heute zudem in der KAIROS-Methode ausbilde, also Muster des Lebens lerne und lehre, lässt sich hier ebenfalls gut einreihen.
Kairos ist der altgriechische Gott des günstigen Augenblicks. Ich verfolge keinen normativen Ansatz, der vorsieht, es müsse sich alle paar Jahre in einem festen Rhythmus etwas ändern. Stattdessen schaue ich im Coaching – empirisch und biografisch – auf den individuellen Lebensrhythmus der jeweiligen Person und erörtere mit ihr, ob es Phasen gibt, in denen ein Wechsel leichter fällt. Das biografische Interview kombiniere ich außerdem mit Bilderarbeit, die es ermöglicht, an unterbewusste Schichten zu gelangen. Klienten werden sensibel für Muster. Die verwendeten Charts gliedern sich in Lebensphasen sowie Lebensbereiche und halten wichtige Ereignisse fest. Wenn man die Lebensphasencharts untereinanderlegt, offenbart sich faszinierenderweise oft ein gewisser Rhythmus. Wenn man diesem folgen kann, ist es erfahrungsgemäß gut, es auch zu tun. Manchmal verlangt das Leben aber natürlich etwas anderes.
Mein erster Berufswunsch bestand darin, über Menschen zu schreiben, und so wurde ich Journalistin. Über einen karrierebiografischen Umweg und den Beruf der Tanzpädagogin, der eine künstlerische Ader erkennen lässt, kam ich zum Unterrichten. Ich bemerkte hier schon einen Zusammenhang: Schreiben und Unterrichten … beides hatte bei mir mit dem Erkennen von Mustern und der Entwicklung von Menschen zu tun. Mit Ende Zwanzig bekam ich dann mit, dass es neben der Therapie, die für mich vorher Psychologie ausmachte, die Organisationspsychologie gibt. Der Ansatz, Menschen zu helfen, besser miteinander zu arbeiten, hat mich fasziniert. Ich nahm also das Psychologiestudium auf. Im Examen hatte ich sowohl den klinischen Schwerpunkt als auch den der Arbeits- und Organisationspsychologie. Nach dem klinischen Praktikum war mir aber endgültig klar: Das ist nichts für mich. Parallel zum Studium arbeitete ich als Journalistin, um Geld zu verdienen. Zugleich habe ich eine Zusatzausbildung bei Friedemann Schulz von Thun absolviert. Ich bewarb mich für ein Praktikum beim damaligen Pharmaunternehmen Schering. Im Anschluss an das Praktikum wurde mir eine Stelle bei Schering angeboten und ich arbeitete sechs Jahre im Konzern. Hier lernte ich vieles über Führung, Hierarchien und oberste Führungsetagen. Das miterlebt zu haben, bedingt für mich als Coach heute eine sehr wichtige Feldkompetenz. Nach sechs Jahren im Konzern merkte ich, dass ich nicht gerne ein kleines Rädchen im großen Betrieb bin. Ich drehe lieber das große Rad in meinem eigenen kleinen Cape Canaveral (lacht). Das Coaching Center Berlin war damals für Schering tätig und ich wechselte einvernehmlich die Seiten.
Der IDP-Ansatz wurde von Guido Fiolka initiiert, der das Coaching Center Berlin 2003 gründete. Nach meinem Wechsel hatte ich das Glück, über die nächsten Jahre an der Weiterentwicklung des Ansatzes, der sich jenseits der damals im deutschsprachigen Raum vorherrschenden systemischen Schulen bewegt, mitwirken zu können. IDP steht für Integral Development Coaching Process. Wir haben diesen Ansatz aus verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen entwickelt. Er besteht aus sieben Feldern, die den Menschen ganzheitlich – sprich integral – abbilden und im Coaching betrachtet werden. Welche Felder im jeweiligen Coaching-Prozess priorisiert werden, ist natürlich fallabhängig, aber letztlich haben alle sieben Felder Einfluss. Ich merkte schnell, dass mir diese Entwicklungsarbeit und die Lehre in der Ausbildung große Freude bereiten. Die Ausbildung startete 2004 und war sehr früh ICF-zertifiziert, nämlich seit 2009. Seit 2015 ist sie auch vom DBVC und mittlerweile auch von der IOBC anerkannt, sodass wir sowohl international ausgerichtet als auch auf den Bereich Business-Coaching fokussiert sind.
Im Zentrum des Ansatzes stehen die Situation der Person und ihre Ziele als ein Feld. Dieses ist von sechs umliegenden Feldern umgeben, die in einer systemischen Wechselwirkung stehen: Das sind zum einen Persönlichkeitsparameter, die gut untersucht sind. Neuer ist die Erkenntnis, dass auch die biologische Struktur der Person eine Rolle spielt. So sind Menschen z.B. unterschiedlich stresssensibel. Die Persönlichkeit hat eine relativ große Stabilität, d.h., Entwicklung findet hier im Verlauf des Lebens nur noch begrenzt statt. Dem steht das Feld „Selbst“ gegenüber. Hier geht es um die kognitive und psychosoziale Entwicklung. Das Feld betrifft – kurz gesagt – alles, was sich an Bewusstseinsinhalten verändert. Und das ist viel! Es ist aber erst seit den 1980er Jahren ein wachsendes Forschungsfeld, z.B. durch die Weisheitsforschung, auch Psychologie der Lebensspanne genannt. In diesem Thema habe ich meine Promotion geschrieben. Hinzu kommt das Feld der mentalen Modelle und Konzepte. Lebe ich nach dem Motto „Schuster, bleib bei deinem Leisten“, werde ich keine große Karrierevision entwickeln. Sage ich mir hingegen „Gehe in die Welt und erobere sie“, habe ich ganz andere Ambitionen. In der hier verankerten Annahme, dass man sich seine Welt auch ein Stück weit selbst konstruiert, besteht eine Überschneidung des integralen Ansatzes mit dem Konstruktivismus. Im Integralen postulieren wir allerdings nicht, dass dieser Aspekt die Felder der Persönlichkeit, des Selbst und der Werte ersetzt, sondern dass es sich um komplementäre Bereiche handelt, die alle separat und hinsichtlich ihrer Interaktion berücksichtigt werden sollten. Auch das basiert auf wissenschaftlicher Forschung. Die Werte bilden ein weiteres Feld. Werte sind nicht nur ein mentales Modell, sondern affektiv geladen. Sie melden sich sehr empfindlich, wenn sie nicht erfüllt werden. Man kann Werte daher als eine Art Kompass verstehen. Die Fähigkeiten und Kompetenzen der Person stellen ebenfalls ein Feld dar. Hierzu zählen sowohl Basiskompetenzen wie der konstruktive Umgang mit eigenen Emotionen und Triggern als auch komplexere Kompetenzen wie die Führungsfähigkeiten. Das letzte Feld lautet: Wissen. Wer Karriere-, Führungs- oder auch Gesundheits-Coaching im beruflichen Kontext anbietet, braucht Feldkompetenz und Wissen, um dem Klienten Micro-Learnings zu ermöglichen – z.B. bezüglich der Frage, was Führung ausmacht. Daher macht es im Business-Coaching absolut Sinn, dass der Coach nicht nur Fragen stellt, sondern zudem mit Micro-Inputs arbeitet. Klienten können zwar sehr vieles, aber nicht alles aus sich selbst heraus entwickeln, denn oft gibt es wie bereits erwähnt einen Bereich des „Nichtwissens, was man nicht weiß“.
Ja, denn es gibt Menschen, die aufgrund genetischer Prägungen z.B. weniger stressresistent sind, da sie Stressneurotransmitter langsamer abbauen. Man weiß heute, dass dies Burnout begünstigen kann. Im Coaching kann es darum gehen, individuelle Strategien im Umgang mit Stress zu erarbeiten – für sich und andere. Dazu kann man dann die anderen sechs Felder des IDP einsetzen. Stressprävention ist ein wichtiges Thema in den Organisationen geworden, noch mehr seit der Corona-Pandemie. Daher haben wir den biologischen Ansatz in den letzten zehn Jahren durch eigene medizinische Fortbildungen stark ausgebaut. In Kooperation mit YourPrevention, einem medizinisch ausgerichteten Anbieter, haben wir gemeinsam individuelle und Gruppen-Coaching-Programme entwickelt. Persönlich habe ich eine große Leidenschaft für den Themenkomplex Stressprävention und Gesundheit entwickelt. Einerseits wegen meiner Klientinnen, die erschöpft sind. Anderseits sicher auch deshalb, weil ich selbst eine genetisch stresssensible Person bin, wie wir 2015 bei einem Gentest bestätigt haben.
Ja. Natürlich schauen auch wir – wie systemisch arbeitende Kollegen – nicht nur auf das Individuum, sondern auch darauf, in welchen Wechselbeziehungen das Individuum mit dem sozialen, dem organisationalen, dem gesellschaftlichen und dem physischen Umfeld steht. Allerdings legen wir im Integralen Wert darauf, dass das Individuum nicht vorwiegend in Abhängigkeit vom oder in Wechselwirkung mit dem System agiert, sondern auch aus seinem Inneren heraus handeln kann. Das Individuum hat somit eine Agens, eine aus sich selbst gespeiste, wirkende Kraft. So erlebe ich es immer wieder im KAIROS-Biografie-Coaching. Und es entspricht meiner eigenen, auch familiären Erfahrung in der Herkunftsfamilie. So schließt sich der Kreis.